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Baskisch-deutsche Initiative im Interview

Im Jahr 2010 gründeten in Bilbo lebende Baskinnen und Deutsche den Kulturverein BASKALE, der seine Philosophie bereits im Namen tragen sollte: BASK und ALE – eine fruchtbare Mischung von Erfahrungen aus zwei unterschiedlichen Ländern und Kulturkreisen. In einem Interview des Nachrichten-Blogs BASKINFO gibt die Mitstreiterin Amaia Urrutikoetxea Auskunft über das bisher Erreichte und die nächsten ehrgeizigen Projekte der wachsenden Organisation, die zuletzt auch Rosa Luxemburg bekannt gemacht hat.

Der baskisch-deutsche Kulturverein Baskale in Bilbao hat in den 7 Jahren seiner Existenz eine Reihe von Projekten auf den Weg gebracht: Feminismus, antifaschistische Erinnerungsarbeit, alternativer Tourismus. Ein Rückblick.

Baskinfo: Sieben Jahre Kulturverein Baskale und fast vier Jahre Webportal Baskultur.info ist Grund genug nachzufragen, wie die bisherige Erfahrung war. Amaia Urrutikoetxea von Baskale Elkartea – wie waren die ersten Jahre?

Amaia: Im Großen und Ganzen sind wir zufrieden.Unsere Projekte laufen gut, wir sind integriert in Bilbo und Bizkaia. Mittlerweile hat der Verein 40 Mitglieder, von denen die Hälfte regelmäßig aktiv ist, das ist eine gute Voraussetzung für kontinuierliche Arbeit.

Baskinfo: In welchen Bereichen ist Baskale aktiv?

Amaia: Unsere Arbeit findet in vier Bereichen statt. Zum einen die Erinnerungsarbeit, also die historische Aufarbeitung von Krieg und Faschismus im Baskenland. Sie stellt einen wichtigen Schwerpunkt dar. Zweitens Alternativ-Tourismus, eine unserer wenigen Einnahmequellen. Zum dritten die Arbeit an der Webseite Baskultur.info, die auf wenigen Schultern liegt. Vierter Bereich sind Veranstaltungen und Aktivitäten unterschiedlicher Art, bei denen wir mit anderen zusammenarbeiten, allem voran die Rosa-Luxemburg-Konferenz.
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Baskinfo: Was genau müssen wir uns unter Historischer Erinnerung vorstellen?

Amaia: Der Begriff ist im deutschen Sprachgebrauch nicht üblich, daher kann er irritieren. Es geht um antifaschistische Erinnerungsarbeit, um die bisher nur ungenügend erfolgte Aufarbeitung des Krieges von 1936 und der Franco-Diktatur. Es geht um die Opfer dieser Epochen, für die im spanischen Staat wenig bis gar nichts getan wird. Stichworte Gernika und Legion Condor.

Baskinfo: Was bedeutet das konkret?

Amaia: Konkret heißt das, wir haben aus dem Raum Hannover eine Ausstellung übernommen, die die Geschichte der Legion Condor und ihre Kriegsverbrechen im Baskenland darstellt. Diese Expo haben wir in 28 Städten gezeigt. In diesem Jahr wird es viele 80. Jahrestage geben, Bombardierung, Vernichtung und Besetzung – die Ausstellung wird also erneut auf Reisen gehen. Gleichzeitig haben wir einen Dokumentarfilm gemacht zum Thema Legion Condor – übrigens unser einziges Projekt, das öffentlich gefördert wurde. Über die Ausstellung sind wir in Kontakt mit lokalen Gruppen, die sich der Aufarbeitung ihrer Geschichte widmen, an die Opfer des Franquismus erinnern oder auch Leichen ausgraben.

Baskinfo: Die Gruppen graben Leichen aus?

Amaia: Im Baskenland liegen nach wie vor Hunderte von baskischen Soldaten und zivilen Erschossenen in anonymen Massengräbern – im gesamten spanischen Staat sind es mehr als 100.000. Das ist eine ungeheure Zahl! Die baskische Regierung bemüht sich zumindest und hat eine Landkarte erstellt, auf der alle Orte eingezeichnet sind, wo Tote vermutet werden. Ausgraben ist natürlich nicht Aufgabe der Gruppen, das macht die wissenschaftliche Gesellschaft Aranzadi im Auftrag der baskischen Regierung. Es vergeht kaum ein Wochenende, an dem nicht irgendwo zwischen Navarra und Bizkaia gegraben wird.
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Baskinfo: Was ist eure Rolle bei diesen Bemühungen?

Amaia: Wir begleiten sie, sind Teil von regionalen Plattformen, die zum Beispiel gegen die franquistische Straflosigkeit klagen. In einem Fall haben wir veranlasst, dass überhaupt etwas in Gang kam. Es ging um das Dorf Baranbio in Araba, in den dortigen Hügeln waren Schützengräben und Artillerie-Stellungen, die den Vormarsch der Faschisten verhindern sollten. Diese Stellungen hat der deutsche Internationalist Fritz Teppich in seiner Autobiografie „Der rote Pfadfinder“ erwähnt, wir sind der Sache nachgegangen. Mit Freiwilligen, unter anderem mit deutschen Jugendgruppen, haben wir begonnen, die verfallenen Anlagen zu säubern. Mittlerweile hat sich eine professionelle Gruppe dieser Arbeit angeschlossen, die arbeiten mit Metall-Detektoren.

Baskinfo: Mit Unterstützung öffentlicher Stellen?

Amaia: Die Stadtverwaltung, auf deren Gebiet die Schützengräben liegen, ist bereit, das Gelände zugänglich zu machen und Schilder aufzustellen. Das verstehen wir unter Erinnerungsarbeit: Vergessenes aus der Versenkung holen und allgemein zugänglich machen. Sowohl für Gruppen aus Europa, alsauch für Schulklassen aus der Gegend.

Baskinfo: Wie ist die Reaktion im Ort?

Amaia: Die Leute sind erstmal verwundert, dass sich ein baskisch-deutscher Verein darum kümmert, aber sie sind dankbar, wir sind zu einem festen Bestandteil der Arbeit in Baranbio geworden. Wenn etwas gemacht werden soll, werden wir um Rat gefragt. Für Leute aus der Gegend sind diese Aktivitäten oft ein Anlass, ihre persönliche Geschichte zu erzählen. Ich habe schon wiederholt erlebt, dass 80-Jährige dazukommen und sagen: „Das erzähle ich zum ersten Mal in meinem Leben“. Da kommen Horrorgeschichten ans Tageslicht, unglaublich! Insofern ist die Arbeit doppelt wichtig: in politischer und persönlicher Hinsicht.

Baskinfo: Kommen wir zum Tourismus. Wie ist die Situation in Bilbao bzw. im Baskenland? In Europa ist überall vom Guggenheim-Effekt die Rede?

Amaia: Politiker sind mittlerweile dazu übergegangen, vom Bilbao-Effekt zu sprechen, weil sie gemerkt haben, dass die Fokussierung auf das Museum Stagnation bedeutet. Zum Tourismus generell: die Situation wächst uns langsam über den Kopf. Donostia – also San Sebastian – war letztes Jahr Europäische Kulturhauptstadt, da muss ich nicht erzählen, welche Massen das in die Stadt geführt hat. Freunde berichten, es sei kaum noch auszuhalten. Dabei ist die Stadt viel mehr an Massentourismus gewöhnt als Bilbao, u.a. wegen der Nähe zur französischen Grenze. In Gipuzkoa gibt es erste Transparente, auf denen Tourismus abgelehnt wird. Das gab es bisher nur in geschundenen Städten wir Barcelona. Dass sogar der christdemokratische Bürgermeister von Donostia von „touristischer Sättigung“ spricht, mitten im Hauptstadt-Jahr, ist ein Alarmzeichen, denn seine Partei steht für dieses Konzept von Verkaufen-was-das-Zeug-hält.
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Baskinfo: Letztendlich sind wir alle Mal Touristen …

Amaia: Darum geht es nicht. Wir sind nicht gegen Tourismus, wir alle reisen gerne, und sei es nur von Bilbo nach Santander, auch das ist Tourismus. Was wir in Frage stellen ist unkontrollierter Massentourismus. Unsere Städte hier im Baskenland sind klein, die Altstadtstrassen eng und der übliche Tourismus konzentriert sich an wenigen Punkten. Im Sommer können die Leute aus der Bilbo-Altstadt kaum mehr auf die Straße, die Markthalle ist voller Fotografierlustiger, die Gassen verstopft mit riesigen Führungs-Gruppen. Das ist weder sozialverträglich noch positiv, für keine Seite.

Baskinfo: Wie sieht eure Alternative aus?

Amaia: Wir müssen im Tourismus ein Gleichgewicht finden zwischen den berechtigten Interessen der Besucher/innen und den berechtigten Interessen der Besuchten. Davon sind wir momentan weit entfernt. In Bilbo zählen allein die Interessen der Reisenden: ständig werden neue Hotels und Edelrestaurants eröffnet, die Straßen stehen voller Esstische, ein millionen-teurer Kreuzfahrt-Anleger wurde gebaut. Demgegenüber sind die Arbeitsbedingungen in diesem Bereich schlicht beschissen – Entschuldigung für den Begriff, aber ich muss es so drastisch ausdrücken. Die Verwaltung setzt nicht auf Qualität, sondern auf Ausverkauf.

Baskinfo: In eurem Prospekt steht, dass ihr die Rundgänge auf Spanisch, Englisch, Baskisch und Deutsch macht.

Amaia: Stimmt. Die Rundgänge auf Deutsch sind nicht nur für Tourist/innen, wir machen sie auch für Klassen von Erwachsenen, die Deutsch lernen. Dazu auf Englisch für Erasmus-Studierende und Leute, die geschäftlich hier sind. Auf Baskisch für Fortbildungs-Programme. Unsere Angebote gehen also weit über klassischen Tourismus hinaus.

Baskinfo: Gibt es in diesem harten Geschäft überhaupt Platz für Alternativen?

Amaia: Die Antwort hat eine theoretische und eine praktische Seite. Wir organisieren alternative Rundgänge, die thematisch nichts mit traditionellen Führungen zu tun haben. Dabei sprechen über soziale Bewegungen, Flüchtlinge, Hausbesetzungen und die Geschichte der Arbeiter/innen-Bewegung, über den Alltag der Leute früher und heute. Wir stehen Rede und Antwort, wenn die Besucher/innen wissen wollen, woher der baskische Nationalismus kommt und ob es Sinn macht, einen eigenen Staat zu gründen. Wir erzählen von der Geschichte der baskischen Sprache, von der viele noch nie gehört haben. Und wir meiden die Massenorte. Mehr als 8 Personen begleiten wir nicht durch die Stadt, weil weil das nicht kommunikativ ist, uns ist der persönliche Kontakt wichtig. Wer sich für uns entscheidet, entscheidet sich für die Alternative. Ins Guggenheim begleiten wir niemand, dafür berichten wir, wie die Stadtverwaltung mit den Angestellten dort umgeht, dass im Sommer 2016 zum Beispiel 19 pädagogische Fachkräfte rausgeschmissen wurden, weil sie gegen Billiglöhne protestierten.
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Baskinfo: Die Touris kriegen ja den Eindruck, dass sie nicht erwünscht sind!

Amaia: Nein, im Gegenteil, nirgendwo werden sie so ernst genommen wie bei uns. Einige kommen wieder oder empfehlen uns weiter. Daneben organisieren wir Programme für Bildungsreisen aller Altersklassen. Die jüngeren Generationen interessieren sich stark für die Geschichte der Diktatur, wir bringen sie in Kontakt mit Opfern, Gewerkschaften oder Hausbesetzer/innen. Wir halten Vorträge zu baskischer Geschichte und Kultur, was immer gewünscht wird. Regelmäßigen Besuch bekommen wir von DGB-Gruppen, den Falken, von der SPD, dem BDP, Bildungseinrichtungen. Im April begleiten wir eine Reisegruppe von den Grünen nach Gernika zu den Gedenkfeiern.

Baskinfo: Was ist das theoretische Element?

Amaia: Das Phänomen des Massentourismus ist neu hier, Bildungsarbeit ist angesagt. Wir analysieren die Situation nach ökologischen oder gewerkschaftlichen Kriterien und diskutieren über Alternativen, machen Pressearbeit und publizieren. Neben Baskale gibt es zwei weitere Projekte alternativer Ausrichtung: die Stadtteilgruppe Zirikatzen und die Greeters-Bewegung. Zirikatzen hat eine Handy-App entwickelt, auf der zwei historische Stadtrundgänge zu verfolgen sind, wir haben die deutsche Übersetzung geliefert. Die Greeters sind eine weltweite Bewegung, bei der Freiwillige Tourist/innen begleiten. Es sollte mehr Alternativen geben, um die Sache akzeptabel zu machen.

Baskinfo: Themenwechsel – eure Webseite. Wie läuft das Projekt?

Amaia: Wir sind zufrieden, bei der Menge an Arbeit, dürften es mehr Leser/innen sein, denn wir liefern Qualität. Aktuell haben wir 275 Veröffentlichungen, eigene Texte und Übersetzungen. Das ist viel, wenn du bedenkst, dass alles ehrenamtlich gemacht wird.

Baskinfo: Warum die ganze Mühe?

Amaia: Die Information über das Baskenland ist von Klischees und Plattitüden geprägt, es gibt so gut wie keine vernünftige Quelle in deutscher Sprache. Aktuell ist Baskultur.info die beste und umfassendste Informationsquelle in deutscher Sprache zum Thema Baskenland.

Baskinfo: Welche Perspektive hat Baskultur.info?

Amaia: Wir arbeiten daran, im Internet eine bessere Platzierung zu erreichen. Das ist nicht einfach, wir brauchen Hilfe, das kostet Geld. Aber es ist notwendig, um ein breiteres Publikum zu erreichen. Seit Monaten sind wir mit Änderungen beschäftigt. Den bereits 25 thematischen Kategorien haben wir vier neue hinzugefügt, dazu die Möglichkeit zu Kommentaren. Wir haben Fehler korrigiert und sind in den sozialen Medien gut verlinkt. Vielleicht springt eines Tages sogar eine bezahlte Anzeige heraus – wenn es zum Konzept passt, warum nicht.

Baskinfo: Daraus schließen wir, dass der Werbespot für Partizan Travel umsonst ist …

Amaia: Partizan Travel verfolgt ein Reise-Konzept, das wir teilen. Wir arbeiten zusammen, das geht über Baskenland-Reisen hinaus. Nicht nur mit Partizan, wir setzen darauf, ein Kooperations-Netz zu bilden, an das sich andere mit ähnlicher Philosophie anschließen.
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Baskinfo: Du hast die Rosa-Luxemburg-Konferenz erwähnt? Bekommt die Berliner Konferenz plötzlich baskische Kinder?

Amaia: Nein! Alles andere. Die Berliner Konferenz war der Denkanstoß, etwas Vergleichbares in Bilbo zu versuchen. Dazu hat auch beigetragen, dass das Baskenland in Berlin ein Thema war. Mehr nicht. Wir organisieren die Konferenz überparteilich, mit der historischen Figur Rosa Luxemburg schwimmen wir gegen den Strom. Denn Rosa war keine Freundin von Nationalismus. Wir wählen Themen, die ansonsten im politischen Spektrum zu kurz kommen, Feminismus zum Beispiel und linke Widerstände gegen Feminismus. Dabei wenden wir uns an ein breites Publikum und der Erfolg gibt uns Recht.

Baskinfo: Wie finanziert Baskale seine Aktivitäten?

Amaia: Wichtigste Einnahmequelle sind die alternativen Rundgänge. Mitglieds-Beiträge erheben wir nicht. Nur für das Filmprojekt haben wir einen Zuschuss bekommen, sonst hätten wir das Projekt ehrenamtlich durchgezogen – die Realisierung von wichtigen Themen darf nicht von Staatsknete abhängig sein. Die Legion-Condor-Expo wird über die ausstellenden Orte und Gruppen finanziert. Daneben organisieren wir Volksessen und Solidar-Märkte, deren Einnahmen an Baskale gehen. Ab und zu bekommen wir auch Spenden.

Baskinfo: Was motiviert eine Baskin wie dich, in einem baskisch-deutschen Kulturverein mitzumachen?

Amaia: Gegenfrage: was veranlasst Europäerinnen, sich im Baskenland niederzulassen und sich zu engagieren? Wir haben uns diese Frage bisher nicht gestellt. Die einen kommen von hier, die andern von dort. Wichtig ist, was uns verbindet. Wir können voneinander lernen, vielleicht mehr als jene, die in ihren Vereinen unter ihresgleichen bleiben. Was uns verbindet sind Feminismus, das Euskara, Gernika und die Suche nach Alternativen.

Baskinfo: Die Pläne für das Jahr 2017?

Amaia: Die 80-Jahr-Feier in Gernika wird sicher unser Highlight werden. Daneben ein neuer Dok-Film, die Besuche im Portal verdoppeln, fünf Condor-Ausstellungen, die Vierte Luxemburg-Konferenz, ein neuer feministischer Stadtrundgang, Nachforschungen zu einem Frauen-Gefängnis im Franquismus – und viele Besuchs-Begleitungen! Also Kontinuität!

Baskinfo: Eine letzte Bemerkung?

Amaia: Baskale hat sich in der lebendigen politischen Bewegung in Bilbo einen Platz erkämpft, wir werden geschätzt und sind motiviert. Bei Baskultur.info steht diese Anerkennung zum Teil noch aus, aber wir sind optimistisch. – Vielen Dank für das Interview! Wir freuen uns über diese Art von Aufmerksamkeit. Eskerrik asko!

FOTOS:

(1) Baskale begleitet Bildungsreisen (FAT)

(2) Antifaschistische Erinnerungsarbeit in Gernika (FAT)

(3) Ausstellung Legion Condor (FAT)

(4) Webseite Baskultur.info (FAT)

(5) Fan-Betreuung in Bilbao (FAT)

(6) Rosa-Luxemburg-Konferenz Bilbao (FAT)

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