Ultrarechte probt den Covid-Aufstand
Die Zahl der Infizierten und Toten durch Coronavirus im spanischen Staat nimmt immer weiter ab. Ein Zeichen dafür, dass die Schutzmaßnahmen Wirkung zeigen. Umstritten ist, ob der Shutdown nicht zu spät erfolgte, was in der Folge zu mehr Ansteckungen und Sterben geführt hätte. Ganz perfide geht die spanische Ultrarechte vor: mit Unwahrheiten greift sie die Regierung an, erst zu spät reagiert zu haben und nun regional ungleiche Maßstäbe anzulegen bei der phasenweisen Rückkehr zur Normalität.
Das Coronavirus-Krisen-Management ist in den unterschiedlichen betroffenen Ländern ebenso unterschiedlich wie umstritten. Im spanischen Staat versucht die Ultrarechte, aus der Kritik politischen Profit zu ziehen und die Gesundheits-Verantwortlichen vor Gericht zu bringen.
Die Pandemie existiert real, das verdeutlichen nicht nur Hunderttausende von Toten. Die Bekämpfungs-Strategien gegen die Krankheit sind ziemlich unterschiedlich, von Laissez-Faire in Schweden bis hart-autoritär in China oder Südkorea. Im kapitalistischen Westen wurde deutlich, dass die staatlichen Gesundheits-Systeme komplett überfordert waren von der plötzlichen gigantischen Herausforderung, falls (wie in USA) überhaupt vorhanden. Sozialkürzungen und Privatisierungen hatten das G-System ausgedünnt und handlungsunfähig gemacht. Obwohl die Welt in den vergangenen Jahrzehnten eine Reihe von Herausforderungen erlebt hat – AIDS, Rinderwahn, Schweinepest, Eboli – und eigentlich hätte vorbereitet sein müssen auf eine neue Qualität von epidemischer Bedrohung. Doch das Coronavirus schlug ein wie eine Bombe (der militaristische Begriff sei entschuldigt, denn tatsächlich war es kriegsähnlich, was danach geschah).
Unvorbereitet
Kein Wunder, dass die Reaktionen der betroffenen Regierungen auf die Covid-Bedrohung eher schwach und chaotisch ausfielen, zögerlich und inkonsequent. Nichts war und ist einfacher als die Kritik an deren Krisen-Management. Dabei ist zu unterscheiden zwischen sachlicher Kritik und interessierter Demagogie. Die falschen Zahlen, fehlenden Masken und fragwürdigen Tests der baskischen Regierung, zum Beispiel, sind Faktoren für berechtigte Kritik, ebenso die Tatsache, dass mitten in der C19-Krise das Team von Seuchen- und Epidemie-Expertinnen ohne Begründung entlassen wurde.
Doch gleichzeitig wuchern Verschwörungs-Theorien – abwechslungsweise sind die USA, China oder Bill Gates für die Pandemie verantwortlich. In Deutschland haben sich Ultrarechte (“Wir sind ein Volk“) an die Spitze der außerparlamentarischen Opposition gestellt, kritisieren den Lockdown und husten sich maskenfrei an. Eine vernünftige Argumentation war aus dem Verschwörungslager – links oder rechts – bislang allerdings noch nicht zu vernehmen.
Spain is different
Gegenwind der ganz besonderen Art erlebt derzeit die links-liberale spanische Regierung. Nicht, dass ausgerechnet sie alles richtig gemacht hätte, im Gegenteil. Zumindest stellte sie einen glaubwürdigen Frontmann, dem wir – im Gegensatz zur baskischen Nullnummer – den Experten abnehmen konnten. Die Regierung in Madrid agierte zentral, übernahm Kompetenzen anderer und ließ es an Dialog mit den doch sehr unterschiedlich geprägten autonomen Regionen (vgl. Bundesländer ohne Bund) weitgehend fehlen. Aber nicht deshalb rutscht sie in einen Sumpf von Kloakenpolitik und Lobbyismus.
Denn im Staate macht die Ultrarechte mobil. Zur Erinnerung: Kurz vor dem Lockdown bestand die neofaschistische Vox-Partei auf einer Großveranstaltung in Madrid, bei der sich folgerichtig fast die ganze Parteispitze ansteckte. Es folgte die Demonstration zum internationalen Frauentag, die ebenfalls zu Covid-Opfern in der politischen Klasse führte. Nun schlägt die Ultrarechte zurück. Mit aller Polemik und versteckten Waffen. Eine Richterin in Madrid – stramm rechts, versteht sich – hat die Guardia Civil mit einem Gutachten beauftragt, um zu prüfen, ob der sozialdemokratische Gesundheits-Minister und sein Pandemie-Experte möglicherweise für die Ausmaße der Pandemie im Staate verantwortlich gemacht werden können. Weil sie den Alarm-Zustand zu spät erklärt haben, trotz besseren Wissens, dass die Seuche bereits weit fortgeschritten war.
Guardia Civil als Gutachter
Weil das Ganze hinter dem Rücken des (für die Guardia Civil zuständigen) Innen-Ministeriums stattfand und bei der politischen Gesinnung der Autoren des Berichts von einer für die Regierung negativen Schilderung der Dinge auszugehen ist, hat der Innen-Minister (ein ehemaliger Richter, der Folter systematisch gedeckt hat) den Chef der Guardia Civil (einen nicht verurteilten Folterer) aus dem Amt entlassen. Dessen Stellvertreter ging anschließend freiwillig, die Entlassung des Dritten folgte zeitnah. Vor der Presse stellte der Minister den Vorgang als natürliche Ablösung innerhalb von Institutionen dar, seinem Gesicht und seinem Stottern war zu entnehmen, dass er log. Als befriedende Maßnahme schob er eine allgemeine Gehaltserhöhung für alle GC-Beamten nach. Die Strategie liegt auf der Hand …
Stramm rechts
Dass Polizisten – egal in welcher Ecke der Welt – zu autoritären und rechten, wenn nicht ultrarechten Ideologien neigen, dürfte allgemein bekannt sein. Spanien ist in dieser Hinsicht noch einen Schritt weiter. Als vor 45 Jahren der Massenmörder und nie zur Rechenschaft gezogene Franco im Bett starb, wurde scheinbar eine demokratische Wende im Staate vollzogen. Aber eben nur scheinbar. Die Elite in Justiz, Polizei, Wirtschaft und Militär blieb die alte. In Amt und Würden, mit aller beruflicher Macht.
Das haben 10.000e Baskinnen und Basken erlebt, als sie weitestgehend ungestraft systematische Folter erlitten, bruchlos über den Tod des Diktatoren hinaus. Ihnen zur Hilfe standen hunderte von Richter*innen und Gerichtsmediziner*innen, die – getreu der franquistischen Ausbildung – bei “mutmaßlichen Terroristen“ beide Augen zudrückten, um die Folter zu decken und den Folterern bei der Drecksarbeit nicht über die Schulter zu sehen. Nach so vielen Jahren ist es nicht mehr die franquistische Folter-Garde, die dem Führer noch persönlich die Hand geschüttelt hat, es sind die wohlerzogenen Nachkommen, die immer noch davon ausgehen, dass Gernika von den roten Garden des Bolschewismus in Schutt und Asche gelegt wurde.
Rechtes Triumvirat
Die Wurzeln der rechten Partei Partido Popular (PP) von Aznar, Rajoy und Casado gehen direkt in den Franquismus zurück, weshalb sie folgerichtig als Postfranquisten bezeichnet werden. Bis vor wenigen Jahren war diese Partei in der Lage, (bis auf Ausnahmen) das neofaschistische Lager unter die Fittiche zu nehmen – und gleichzeitig vor den internationalen Instanzen einen demokratischen Eindruck zu machen. Das hat sich seit dem Aufkommen der rechten Konkurrenz von Ciudadanos und der ultrarechten Konkurrenz von Vox (mit dem Basken Abascal an der Spitze) verändert. In Wahlzeiten kommt es zu regelrechten Wettbewerben, wer denn nun die rechtere Rechte ist, oder wer die meisten Migrantinnen rauschmeißen will.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass in Orten, wo viele Guardia Civiles oder Militärs wohnen, der Stimmanteil der Neofaschisten von Vox bis zu sechs Mal höher ist als sonst. Pedro Sanchez muss also wissen, mit wem er es zu tun hat in den Bereichen Inneres und Verteidigung. Umso weniger verständlich war, dass bei den täglichen Pressekonferenzen in Zeiten von Coronavirus jeweils Militärs und Guardia Civiles anwesend waren und Rede und Antwort standen. Als handele es sich um eine Sicherheitsfrage und nicht um ein Gesundheitsproblem. Spanische Mentalität eben.
Diese Mischung ging so lange gut, bis ein Geheimdienstler erzählte, man gehe Falschmeldungen nach, um zu verhindern, dass das Image der Regierung gefährdet werde. Eine dümmliche Aussage, die dem Bild der Regierung tatsächlich schadete, weil nun viele Zensur witterten in den sozialen Medien. Vielleicht auch eine gezielt schädigende Aussage, die jedenfalls dazu führte, dass die Uniformierten von den Pressekonferenzen entfernt wurden.
Politischer Gewissens-Notstand
Versuchen wir uns vorzustellen, wie sich stramme Rechte (Polizisten, Guardia Civiles, Richter) fühlen müssen, wenn sie von einem Sozialisten und Franco-Gegner kommandiert werden, der sich seine Mehrheit auch noch von einem Kommunisten von Podemos absichern lässt! Mit der zwar richtigen, aber etwas populistischen Umbettung des Massenmörders Franco hat Sanchez halb schlafende Hunde geweckt, die nun im Rudel hinter ihm herheulen. Die Verherrlichung von Franquismus, Faschismus und den entsprechenden Figuren ist im spanischen Staat zwar nicht erwünscht, anders als in Österreich oder Deutschland jedoch nicht verboten. Also hoch die Arme zum Führergruß, bei jeder sich bietenden Gelegenheit, irgendein Fotograf wird schon anwesend sein, die Geste in die große weite Welt zu senden.
Zudem ist Sanchez für Überraschungen gut. Wie jene, mit den “Terroristenfreunden“ der baskischen Koalition EH Bildu und Podemos ein Bündnis zu schließen und die sogenannte Arbeits-Reform der Rajoy-Regierung aus dem Jahr 2012 wieder abzuschaffen (arbeitsgeber-freundlich, arbeitnehmer-feindlich, neoliberal). Die (Ultra)-Rechte schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und schwadroniert von sozialistischem Totalitarismus, der dem geliebten Staat bevorstehe. Wer will da mit Sanchez tauschen.
Der Bericht
Der Bericht der Guardia Civil für die Madrider Richterin ist geprägt von Spekulationen und Unwahrheiten. Auch das kennen politische verfolgte Baskinnen und Basken aus eigener Erfahrung. In hunderten von Fällen wurden in der Vergangenheit bei der Guardia Civil Gutachten in Auftrag gegeben, die vor Gericht zu Verurteilungen führen sollten. Dabei waren unter Folter erzwungene “Geständnisse“, es wurde geschwindelt, gelogen und spekuliert, willkürlich wurden falsche Schlüsse gezogen. Alles gerichtsverwertbar.
Der größte Hammer in der aktuellen Expertise der Guardia Civil ist die Behauptung, die Welt-Organisation für Gesundheit (OMS) habe Coronavirus am 30. Januar 2020 zur Pandemie erklärt. Daraus wird gefolgert, dass in der Folgezeit keine öffentlichen Veranstaltungen, Demonstrationen oder Versammlungen hätten genehmigt werden dürfen. Weil dies nicht geschah, seien die Verantwortlichen in der Regierung für die Verbreitung der Pandemie und ihre gravierenden Folgen in Madrid verantwortlich. Der Haken an der Sache ist, dass die OMS den Covid-19 erst am 11. März (also sechs Wochen später) zur Pandemie erklärte. Das Kartenhaus wankt …
Feministinnen: ja – Evangelikale: nein!
Aber folgen wir der falschen Argumentationslinie. “Nach dem 5. März hätte keine Demonstration mehr stattfinden dürfen“, endet das Dokument, das alle kennen außer dem Innenminister. Die für Gesundheit Verantwortlichen hätten die Gefahr gekannt, die von öffentlichen Versammlungen ausgehen. 177 Anträge für Versammlungen zählt der Bericht auf für die Zeit vom 5. bis zum 14. März, dem Tag, an dem der Alarm-Zustand schließlich ausgerufen wurde. Dass manche dieser Versammlungen Ende des Monats hätten stattfinden sollen, wird unterschlagen.
Als belastendes Element wird angeführt, dass die Gesundheits-Leute am 6. März einen Evangelikalen-Kongress absagten, der in Madrid hätte stattfinden sollen. Deshalb sei fraglich, weshalb die Frauen-Demonstrationen zwei Tage darauf nicht dasselbe Schicksal erleiden mussten. Der Seuchen-Experte verteidigt sich mit dem Argument, zum Kongress wären insgesamt 8.000 Personen, viele aus anderen Risiko-Ländern angereist, das hätte verhindert werden müssen. Zudem sollte der Kongress um den 21. März stattfinden, im vollen Covid-Chaos. Spekuliert wird, ob das Champions-League-Spiel von Valencia gegen Atalanta Bergamo aus der von Corona schwer betroffenen Lombardei, bei dem auch italienische Zuschauer zugelassen waren, zu einer “exponentiellen Steigerung der Ansteckungen“ in Valencia geführt hätten.
Die Richterin
Nun darf sich die Madrider Richterin mit den Unwahrheiten und Spekulationen auseinandersetzen. Sie hatte der Guardia Civil befohlen, dass die Expertise ausschließlich ihr persönlich ausgehändigt werden sollte, was so geschah und nach politischem Komplott stinkt. Der GC-Chef informierte seine Vorgesetzten nicht, als der Bericht am 21. Mai ausgehändigt wurde. Freitag übergeben, Sonntag entlassen, und alle Welt redet darüber. Dabei liegt die Frage auf der Hand, wer diese bisher unbekannte Richterin eigentlich ist? Einfache und vielsagende Antwort: Tochter und Schwester von Guardia Civil-Beamten, eng mit dieser paramilitärischen Einrichtung verbunden; Kandidatin als politisch Verantwortliche für die Guardia Civil im Januar, ohne Erfolg; Kandidatin für das politische Sondergericht Audiencia Nacional, ebenfalls erfolglos; Assessorin des Justizministers der Rajoy-Regierung. Über ihr Parteibuch gibt es keine Information, sie arbeitet jedenfalls fleißig an ihrem Curriculum. Als nächsten Schachzug kündigte die Juristin an, die verdächtigen Coronavirus-Förderer und Experten zu vernehmen.
Staat im Staat
Die politische Benutzung der Justiz und die Existenz des “Staates im Staat“, den die Guardia Civil zweifellos darstellt, ist Besorgnis erregend und Tagesordnung zugleich. Die tendenziöse und voreingenommene Zusammenarbeit von Justiz und Polizei ist im Baskenland seit Jahrzehnten nichts Unbekanntes. Mit dem Bericht wird versucht, über Manipulation und Lügen die Handlungsweise des Ministers und seines Epidemiologen zu kriminalisieren.
Der Fertigstellung des Berichts folgte eine weitere übliche “spanische Praxis“: die Expertise, bei der die Guardia Civil vom Gutachter-Auftrag zur staatsanwaltlichen Anklägerin mutiert, wurde unmittelbar an die Presse gegeben. In diesem Fall war es der sozialdemokratische Cadena Ser-Kanal, der die Ehre hatte, geheimes Material öffentlich bekannt zu geben. Obwohl die Richterin eine solche Publikation ausdrücklich unter Strafe gestellt hatte. Aber Spanien ist eben Spanien, schlechte Manieren lassen sich schwer unterdrücken. Spanische Militaristen konditionierten immer die Politik im Staat: mit dem Putsch von 1981, mit der Repression gegen die katalanische Republik 2017, und neuerdings über das Coronavirus, das zum ultrarechten Surfbrett wurde.
So viel zum Umgang im Staate ES mit Coronavirus. Parteibuch statt Experten-Meinung, Guardia Civil statt öffentlicher Gesundheits-Versorgung. Pedro Sanchez sollte sich bewusst sein, dass er es mit franquistischen Behörden zu tun hat, die in perfekter Kontinuität arbeiten, die keine Wahlen und Regierungsfunktionen nötig haben, um Politik zu machen. Und wenn es sein muss, um Regierungen abzusägen. (1)
ANMERKUNGEN:
(1) Information aus: ”Errores de bulto de la Guardia Civil” (Schwere Irrtümer der Guardi Civil), digitale Tageszeitung Publico, 2020-05-26
ABBILDUNGEN:
(1) Covid (collage, hispanidad)
(2) Covid (independiente)
(3) Covid (eldiario)
(4) Covid (vozdegalicia)
(5) Covid (racocatala)
(6) Covid (elpais)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2020-05-28)