Das Santutxu-Massaker
Der 4. Januar 1937, vor genau 85 Jahren, ist in der Geschichte Bilbaos unvergessen. Vier Monate nach dem Militärputsch faschistischer Generäle wurde die Hauptstadt von Euskadi bombardiert. An jenem 4. Januar von der nazideutschen Legion Condor, die den aufständischen Generälen zur Hilfe geschickt worden war, um ihre Waffen zu verbessern für einen folgenden Krieg. Es war nicht der schlimmste Angriff, aber der folgenreichste. Als Vergeltung wurden 224 rechte Gefangene aus Gefängnissen geholt und getötet.
Nach dem Bombenangriff vom 4. Januar 1937 auf Bilbao brodelte es in der Bevölkerung. Zwar wurde ein faschistisches Kampfflugzeug abgeschossen und ein Pilot gefangen genommen. Doch eine aufgebrachte Menge stürmte die Gefängnisse und Gefängnisschiffe von Bilbao und brachte viele Gefangenen um, die Mehrheit Faschisten.
Mehr als zwanzig Mal wurde Bilbao im Spanienkrieg bombardiert. Erst von der Luftwaffe der Aufständischen, später von der nazideutschen Legion Condor. Die Industrie um Bilbao blieb verschont, die sollte von den Faschisten nach dem Sieg genutzt werden. Dafür war die Zivilbevölkerung Opfer der Bombenattacken. Der 4. Januar 1937 forderte besonders viele Todesopfer auf beiden Seiten. Aus Anlass des 85. Jahrestages dieses Kriegsverbrechens und seiner Folgen eine historische Betrachtung.
Das Luftgefecht
Die baskische Regierung dokumentierte die Ereignisse um die Bombardierung vom4. Januar 1937, um deutlich zu machen, dass Franquisten und Nazis den sog. “Internationalen Nicht-Interventions-Pakt“ verletzten. “Einer der Dreimotoren-Bomber, die über Bilbao flogen, wurde von Verteidigungs-Flugzeugen Bilbaos abgeschossen. Es stellte sich heraus, dass sowohl das Flugzeug wie auch die Besatzung Deutsche waren. Die Zeitungen in Bilbao haben ausführlich über das Ereignis berichtet". Es folgt eine Zusammenfassung dieser Berichte. (2)
"Kurz nach drei Uhr nachmittags", schreibt Euzkadi, "wurde in Bilbao und am Fluss Fliegeralarm ausgelöst. Acht kleine Kampfflugzeuge starteten zum Verteidigungsflug über Bilbao. Zu diesem Zeitpunkt, um 15.15 Uhr, wurden neun feindliche Flugzeuge über der Stadt gesichtet. Nach ihrer Größe zu urteilen, handelte es sich um Bombenflugzeuge; kurz wurde eine weitere Staffel von zwölf feindlichen Flugzeugen gesichtet, deren schnellerer Flug verriet, dass es sich um Kampfflugzeuge handelte“.
“Die Verteidigungs-Flugzeuge versuchten, den Feind daran zu hindern, die tödliche Ladung auf Bilbao abzuwerfen. Der mutige Vorstoß unserer Flugzeuge veranlasste den Feind, seine Formation aufzugeben. Unsere Flugabwehr schoss auf die feindlichen Flugzeuge“. Die Straßen von Bilbao waren zu diesem Zeitpunkt menschenleer und wurden auf Anweisung der Behörden geräumt. Auch Flugabwehrkanonen von der Erde brachten den Feind in Bedrängnis. “Der Himmel über Bilbao wurde zum Schauplatz eines epischen Kampfes, 32 Flugzeuge in einem Duell auf Leben und Tod“. Maschinengewehre feuerten unaufhörlich, Bomben detonierten, die feindlichen Bomber luden teilweise ungezielt ihre Bomben ab, um Gewicht zu verlieren und besser nagegieren zu können.
Wenig später erschien der dreimotorige Bomber, vom Feuer eines Maschinengewehrs getroffen in Flammen. Zwei seiner Besatzungsmitglieder sprangen mit Fallschirmen ab. Das Flugzeug geriet ins Trudeln und stürzte auf den Berg Arraiz, in der Nähe des Bauernhofs Arana, auf der Alonsótegui-Seite, und endete mit einer gewaltigen Explosion. Im Inneren waren zwei der weitere Besatzungsmitglieder völlig verkohlt.
Deutsche Besatzung
Eines der beiden Besatzungsmitglieder des dreimotorigen Fallschirms landete nicht weit von der Stelle, an der das Flugzeug abgestürzt war. In der Nähe von Torre-Urízar und hinter der Gruppe billiger Häuser, die dem Viertel seinen Namen geben, etwa hundert Meter vom Beginn des Aufstiegs nach Pagasarri entfernt, fand er den Tod. Aus den Unterlagen, die bei der Leiche gefunden wurden, ging hervor, dass er Adolf Herrmann hieß, deutscher Staatsangehöriger, von Beruf Schlosser, gebürtig aus Gelsenkirchen, 24 Jahre alt und wohnhaft in Berlin. Der tote Pilot, Adolf Herrmann, hatte auch sehr interessante Unterlagen in seinen Taschen, aus denen nicht nur seine Nationalität, die Dauer seines Aufenthalts in Spanien usw., sondern auch andere sehr merkwürdige Details hervorgingen“. (2)
Das Massaker
In einer ausführlichen Forschungsarbeit des Hochschullehrers Carmelo Landa Montenegro werden die Einzelheiten des 4. Januar vor 85 Jahren beschrieben (1). Die Tageszeitung Euzkadi beabsichtigte am Tag nach dem Bombenangriff eine Schlagzeile mit Informationen, die der Zensur der baskischen Regierung zum Opfer fiel. Vermutet wird, dass es um die tödliche Reaktion auf den Luftangriff ging. Die Tageszeitung Eguna veröffentlichte ihrerseits keine Informationen zu diesem Thema. Beide Zeitungen lieferten jedoch Informationen über den Bombenangriff, ausgeführt von der nazideutschen Legion Condor, befehligt von den Nazi-Offizieren Hugo Sperrle und Wolfram von Richthofen. Eguna veröffentlichte am 6. Januar außerdem zwei Fotos von zerbombten Häusern, eines vom 4. Januar in Bilbao und das andere aus Erandio vom 3. Januar. Das erste Foto zeigt eine Bombenruine in der Iturribide-Straße, auf Baskisch ist von einem erbärmlichen Bild die Rede, die Deutschen werden verflucht.
Der Historiker Landa Montenegro berichtet in seinem Werk "Bilbao, 4. Januar 1937: Erinnerung an ein Massaker in Euzkadi während des spanischen Bürgerkriegs“ (Memoria de una matanza en la Euskadi autónoma durante la Guerra Civil española), wie die nationalsozialistische Luftwaffe an diesem Tag um drei Uhr nachmittags die Hauptstadt Bizkaias bombardierte. Seinen Angaben zufolge forderte der Luftangriff mindestens sieben Todesopfer. Der republikanischen Verteidigung gelang es, eine Junkers-Maschine mit vier Besatzungsmitgliedern abzuschießen.
Der Forscher stellt fest, einer der deutschen Piloten sei von Zivilisten aus Bilbao gelyncht worden, nachdem er mit dem Fallschirm in der Nähe von Torre Urizar gelandet war (ein vor 100 Jahren errichteter Wohnblock an der heutigen Autobahnzufahrt Zabalburu). Mit dem Leichnam, so Landa, marschierte die Menge durch die Straßen Bilbaos zum Gebäude der baskischen Regierung im Carlton-Hotel im Stadtzentrum.
Laut Landa versuchte der Minister für Inneres und öffentliche Sicherheit der provisorischen Regierung des Baskenlandes, Telesforo Monzón, die Menge vom Balkon aus zu beruhigen. Ein Teil der Aufgebrachten beschloss jedoch, Rache zu nehmen an Gefangenen, die mit den Putschisten sympathisierten und in einem der verschiedenen Gefängnisse Bilbaos saßen. "In einer Atmosphäre extremer Feindseligkeit versammelten sich im Stadtteil Santutxu Zivilisten (darunter viele Frauen) und Milizionäre in der Nähe des Provinz-Gefängnisses Larrinaga und von drei weiteren Gefängnissen (das Frauengefängnis Casa Galera, das Kloster Ángeles Custodios und die Kirche El Carmelo), die sich alle im Stadtbezirk Begoña befinden".
Zwei Stunden nach dem Luftangriff gaben die Wächter (nach Meinung des Historikers) "dem Ansturm auf die Gefängnisse nach und verschafften der wütenden Menge Zutritt ". Dann begannen die Racheaktionen. Die baskische Regierung schickte linke Milizionäre, die sich dem Verteidigungs-Senat angeboten hatten, die Ordnung wiederherzustellen.
Ende der Erschießungen
In seiner Studie stellt Landa fest, dass sich einige von ihnen bei ihrer Ankunft und beim Anblick der grausamen Szenen abwandten und andere, "angesteckt von der Wut der Angreifer, sich dem Massaker und der Plünderung anschlossen". Die Erschießungs-Kommandos hörten gegen halb neun Uhr auf, als die Senatoren Monzón (PNV), Juan Gracia (PSOE) und Juan Astigarrabia (PCE) zum Gefängnis kamen. Dann trafen Hilfskräfte mit dem Leiter des Gesundheits-Senats ein, dem Republikaner Alfredo Espinosa. Die Verwundeten wurden in Kliniken und Krankenhäuser gebracht. In den Haufen von Leichen, einige davon verstümmelt, gab es auch Leute, die ihr Leben retten konnten, indem sie sich tot stellten.
Die ungefähre Zahl der Todesopfer betrug 225: sieben in der Carmelo-Kirche, 54 im Frauengefängnis Casa Galera, 56 im Provinzgefängnis Larrinaga und 108 im Kloster Ángeles Custodios. Es hätten noch mehr sein können, wenn sich nicht mehrere Gefängnis-Wärter gewehrt hätten und die Häftlinge, insbesondere in Carmelo, Widerstand geleistet hätten. "Das schlimmste Schicksal ereilte die Gefangenen im Kloster, zwei Drittel der Gefangenen kamen um, die wehrlosesten, weil sie alt und krank waren". Der PNV-Politiker Leizaola erstellte eine Toten-Liste und gestattete den Angehörigen, die Beerdigung dort abzuhalten, wo sie es wünschten. Die meisten Opfer waren baskischer Herkunft, viele von ihnen wohnten in Bilbao.
Nach Ansicht von Landa Montenegro "war dieses Massaker der größte Schandfleck für die Verwaltung der ersten baskischen Regierung. Die Reaktion war jedoch beispiellos in diesem Krieg. Im Gegensatz zur Franco-Zone und dem Rest der republikanischen Gebiete leugnete die autonome Exekutive die Ereignisse nicht, sondern versuchte, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Landa stellt fest, dass die baskische Regierung immer versucht hat, den Konflikt zu "humanisieren". So wurden zum Beispiel Frauen freigelassen (unter ihnen die spätere franquistische Bilbo-Bürgermeisterin Pilar Careaga), schloss die Gefängnis-Schiffe, die schwimmende Kerker waren, setzte auf Gefangenen-Austausch, und übergab am 18. Juni, dem Vortag der faschistischen Besetzung von Bilbao, die Gefangenen den anrückenden italienischen Faschisten, als Ergebnis von geheimen Verhandlungen, die die PNV in den Tagen zuvor geführt hatte.
Nach den Ereignissen des schwarzen 4. Januar wurden einige Beamte vor Gericht gestellt. Die PNV forderte den Rücktritt von Monzón, den der Lehendakari (Ministerpräsident) José Antonio Aguirre jedoch nicht akzeptierte. Aguirre selbst und Polizeibeamte machten Aussagen. "Diese und andere Zeugen machten Milizionäre der Bataillone Asturias (der sozialistischen Gewerkschaft UGT) und Malatesta (der anarcho-syndikalistischen CNT) für die Massaker verantwortlich", so Landa.
Obwohl die Stadt erneut bombardiert wurde, kam es zu keinen weiteren Racheakten dieser Art. Zumindest nicht in Bilbo, aus Santander hingegen ist eine ganz ähnliche Geschichte überliefert: Luftangriff und Rache. Der schwerwiegendste Angriff in Bilbo erfolgte im April 1937, als ebenfalls in der Iturribide-Straße eine Stiefelfabrik zerbombt wurde, die hunderten von Menschen als Schutzbunker gedient hatte.
Die siegreichen Faschisten benutzten das Santutxu-Massaker jahrzehntelang für propagandistische Zwecke. Auf dem Friedhof Bilbao (in der Nachbarstadt Derio) wurde eine riesige unterirdische Gedenkstätte eingerichtet, direkt hinter dem Eingang, die bis heute Bestand hat. Nach dem Memoria-Gesetz von 2007 wurde lediglich die Inschrift entfernt. Die postfranquistische PP-Volkspartei hat seit dem Aufkommen der Memoria-Bewegung eins ums andere Mal versucht, die Gefängnis-Opfer offiziell zum Gegenstand von Gedenkfeiern zu machen, was die PNV-Stadtregierung immer abgelehnt hat. Versteht sich von selbst, dass alle anderen Opfer des Krieges, insbesondere die Zehntausenden von Republikaner*innen und Nationalist*innen, dieselbe Partei einen feuchten Kehricht interessieren.
ANMERKUNGEN:
(1) “4 de enero de 1937, muerte en Bilbao por partida doble“ (4. Januar 1937, zweifacher Tod in Bilbao). Der Artikel erschien vor genau fünf Jahren in der Tageszeitung Deia, zum 80. Jahrestag der Bombardierung. Im vorliegenden Artikel wurden deshalb die Jahreszahlen aktualisiert. (LINK)
(2) “Aquel sordido asesinato que marcó un antes y un después“ (Dieser schmutzige Mord, der zum Wendepunkt wurde). Iñaki Anasagasti, Blog bei Deia (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Bombenalarm (Robert Capa)
(2) Bomben in Bilbo
(3) Bomben in Bilbo
(4) Krieg (Robert Capa)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-01-05)