Bis zu 90% Energie-Ersparnis
Die größte baskische Stadt ist bereits seit Langem auf Rekordjagd. Das erfolgreichste Museum, ein Fußballclub nur mit Basken, sportliche und kulturelle Großevents am Fließband. Nun kommt über Architektur und Energiepolitik ein weiterer Hit dazu: im Oktober 2018 wird hier der höchste energiearme Wolkenkratzer der Welt von den neuen Eigentümer*innen und Mieter*innen bezogen. 88 Meter hoch ist dieses baskische Passivhaus, dem seine qualitative Besonderheit per Zertifikat bescheinigt wurde.
Passivhäuser sind Gebäude, die mit extremer Wärmedämmung gebaut werden und ohne Gebäudeheizung auskommen. Der Großteil des Wärmebedarfs wird aus „passiven“ Quellen gespeist: von der Sonne, sowie von der Abwärme von Menschen und Maschinen. Daher der Name „Passivhaus“.
Bis vor wenigen Jahren stand im bilbainischen Stadtteil Bolueta an der Stelle des modernen Energie-Spar-Blocks noch ein Stahlwerk, die große Santa-Ana-Fabrik, 1841 aufgebaut und 2015 abgerissen. Übrig ist davon nur noch der riesige Kamin neben der Brücke, der erhalten bleiben soll. Die Fabrik am Fluss wurde nicht nur abgerissen, auch der Boden musste abgetragen werden. „Entseucht“ wird das im Fachbegriff genannt, denn die Stahlverarbeitung hinterlässt überall giftige chemische Spuren. Seit 3 Jahren wächst auf dieser Scholle ein dunkler Riese, der kurz vor Fertigstellung steht. Daneben ist bereits ein zweiter „Passivhaus“-Block in Arbeit.
Passivhäuser
Das erste Passivhaus der Welt wurde vor knapp 30 Jahren im deutschen Darmstadt gebaut und 1991 bezogen. Bis heute steht der energiesparende Charakter jener damaligen Reihenhäuser außer Zweifel. Sie bestechen nach wie vor durch geringen Verbrauch von Heizwärme. Generell wird in Passivhäusern ca. 90 Prozent weniger Heizwärme konsumiert als in Altbauten. Selbst im Vergleich zu durchschnittlichen Neubauten schneiden die „Passiven“ mit 75% Energieersparnis noch sehr gut ab. Die Entwicklung der Technik hat seit dem ersten Haus mit dazu beigetragen, dass die Sparergebnisse immer besser werden. Dazu tragen unter anderem moderne Photovoltaik-Anlagen zum „Abschöpfen“ der Sonnenenergie bei.
Der Rekord von Bolueta
Bilbao wäre nicht Bilbao, wenn das ökologische Energiespar-Projekt nicht auch noch die Aufnahme ins Guiness-Buch der Rekorde schaffen könnte. Mit 88 Metern Höhe ist der Bolueta-Turm das weltweit höchste Passivhaus – genau zwei Meter höher als ein 2017 bezogenes Studentenwohnheim in Manhattan, New York. Sicher kein Zufall. Auf Tower und Nebengebäude verteilen sich in Bolueta die ersten 171 Wohnungen. Davon wurden 108 Wohnungen verkauft, die übrigen 63 Wohnungen im Nebengebäude werden im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus vermietet. Die Einzüge stehen kurz bevor. Gekostet haben die beiden Blocks insgesamt 12,5 Millionen Euro. Gebaut wurden sie von der baskischen Regierung über Visesa, deren öffentliche Bauträgergesellschaft.
„Die Bauherren und Architekten hatten sich viel vorgenommen. Sie wollten mit Bolueta einen Passivhaus-Rekord aufstellen und gleichzeitig die Qualität des hocheffizienten Gebäudes mit einer Zertifizierung sicherstellen“, so die Beschreibung des Projekts auf der Webseite des deutschen Passivhaus-Instituts (1). „Beides ist den Projektbeteiligten gelungen. Mit einer Höhe von 88 Metern ist Bolueta in Bilbao nun das höchste Passivhaus der Welt. Zudem bestätigt ein gerade ausgestelltes Zertifikat den hoch energieeffizienten Passivhaus-Standard“.
Die Idee macht Schule
Nicht nur in Deutschland und Bilbao sondern weltweit setzt sich die Idee energieeffizienter Hochhäuser immer mehr durch. Die Rede ist insbesondere von Kanada, China und den USA, wo aktuell viele große Projekte in Planung sind. „Weltweit wird immer mehr erkannt, dass die Vorteile des Passivhaus-Standards auch bei Hochhäusern wirksam werden“, resümmiert das Darmstädter Institut. Bei so starker Konkurrenz ist absehbar, dass Bilbaos Rekord eine eher kurze Verfallszeit haben wird – ganz im Gegensatz zum Passivhaus.
Weil das erste Passivhaus im hessischen Darmstadt gebaut wurde, hat das Passivhaus-Institut dort seinen Sitz und wacht von hier aus über die Einhaltung der Kriterien, die die ökologischen Passiv-Projekte auszeichnen sollen. Als offizielle Bestätigung wurde dafür ein Zertifikat ins Leben gerufen. Ein Leitfaden weist interessierten Projekten den Weg zur Erlangung des Zertifikats: „Zertifizierung bedeutet eine umfassende Qualitätssicherung, damit tatsächlich eine hohe Energieeinsparung und optimale Wohnbehaglichkeit erreicht werden“, so das Institut. (1)
Zu den bislang existierenden Großprojekten gehören neben dem New Yorker Wohnheim ein 16-stöckiges Gebäude in Freiburg und ein Tower in Wien, in dem früher die OPEC-Zentrale untergebracht war. Letzteres ist 78 Meter hoch, hat Platz für fast 1.000 Büros und wurde 2013 bezogen. Auch in Bolueta bleibt es nicht beim 88-Meter-Turm, bereits heute wächst in direkter Nachbarschaft ein weiterer Block mit denselben ökologischen Charakteristika. Mit 21 Etagen wird er nicht ganz so hoch wie Bolueta-1, dafür wird er mehr Wohneinheiten beherbergen: 190 im Vergleich zu den 171 nun fertiggestellten. In zwei Jahren – 2020 – soll er bezugsfertig sein.
Rabenschwarz ist der Tower Nummer 1, je nach Sonneneinstrahlung verändert er seine Farbe. Der zweite Block soll grau werden und an den Stahl erinnern, der seinerzeit an derselben Stelle in der Santa-Ana-Fabrik produziert wurde. Zudem hat der Bolueta-Architekt bereits ein weiteres Projekt im Passivhaus-Standard geplant, in der Kleinstadt Lodosa, die zur baskischen Nachbarregion Navarra gehört. Jenes Gebäude soll eine Gesundheits-Station werden.
Passivhäuser gibt es inzwischen für verschiedenste Nutzungsarten: Wohn- und Bürogebäude, Sporthallen, Schwimmbäder, Fabriken, Kindertagesstätten oder Schulen. „In Frankfurt am Main entsteht gerade die weltweit erste Passivhaus-Klinik. Das Interesse steigt stetig. Mit Blick auf den Ressourcen-Verbrauch der Industrieländer sowie die Eindämmung der Klimaerwärmung setzen Kommunen, Unternehmen und Privatleute einen Neubau oder eine Sanierung zunehmend im Passivhaus-Standard um“, erklärt das Institut das wachsende Interesse am Passivkonzept.
Ströme von Besucher*innen
Bei derart vielen Superlativen wundert es nicht, dass sich viele Neugierige Expert*innen in Bolueta einfinden, die über das Projekt mehr wissen wollen, als in der Zeitung steht. Ihr Interesse gilt sowohl der Architektur wie auch den neuen energiesparenden Materialien und Bauweisen, die konsequent angewandt nicht zuletzt der Erderwärmung und einer möglichen Klimakatastrophe entgegenwirken. 380 Personen waren dieses Jahr bereits zu Besuch: Architekt*innen, Techniker*innen und Studierende. „Die Besuche waren vermittelt über die öffentlichen Baugesellschaften in Andalusien, Katalonien und Valencia“, erzählen die Verantwortlichen der baskischen Baugesellschaft Visesa, die die Bolueta-Türme im Auftrag der baskischen Regierung baut (2).
Einer der Knackpunkte der Passivhäuser ist aus Sicht der baskischen Ingenieure die völlige Abgeschlossenheit und Isolierung jeder Wohnung. „Es gibt keine Ritze, durch die die Wärme entkommen kann, denn alle Fenster, Rahmen und Ecken sind mit einem besonderen Harz versiegelt“. Das alles wurde vorher getestet, solange, bis der Energieverbrauch gegen Null tendierte. „Sogar die beteiligten Bauarbeiter wurden speziell geschult und mussten lernen, was thermische Versiegelung bedeutet – dies war eine weitere notwendige Voraussetzung für das Zertifikat. Denn bei einem solchen Energiespar-Projekt darf es nicht zum kleinsten Fehler komen“. (2)
Eine besondere Rolle spielt die Außenhaut des Gebäudes. Die Fassade besteht aus mehr als 3.000 Aluminium-Platten, eine Art Luxus-Mantel, der feuerfest ist und mit seiner Steinwoll-Dämmung gleichzeitig Wärme konserviert sowie Kälte und Geräusche abhält. Auch die Luftqualität ist deutlich besser als in Wohnungen, die regelmäßig gelüftet werden müssen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der maschinelle Luftaustauscher ständig läuft und funktioniert. Falls nicht, könnte es zu Feuchtigkeit und Kondensierung kommen.
Auszeichnungen
Nicht nur das Passivhaus-Zertifikat können sich die Baumeister in ihr Büro hängen. Dazu kam auch schon die Auszeichnung „The Best Practic“ des internationalen Wettbewerbs für moderne Bautechnik der Vereinten Nationen.
Weitere Geäude werden den Santa-Ana-Freiraum in Bolueta in den kommenden Jahren in ein Mini-Manhattan verwandeln. Wenn alle Blocks stehen werden es 1.100 Wohnungen sein und zwei bis drei Tausend Personen. Mehr als die Hälfte der Wohnungen wird vorfinanziert von der baskischen Regierung, der Rest von privaten Investoren. Das Interesse an den Spar-Wohnungen war so groß, dass sie im Juni 2018 verlost werden mussten. Um die Interessenten zu motivieren musste die Regierung allerdings erst den Preis senken um 10.000 Euro. Eine voll eingerichtete Wohnung von 85 Quadratmetern mit Garage und Abstellraum kostet nunmehr 137.000 Euro. Für baskische Verhältnisse ein Schnäppchen!
Passivhaus-Institut
Das Passivhaus-Institut Darmstadt „ist ein unabhängiges Forschungsinstitut zur hocheffizienten Nutzung von Energie bei Gebäuden. Das von Prof. Dr. Wolfgang Feist gegründete Institut belegt eine internationale Spitzenposition bei der Forschung und Entwicklung zum energieeffizienten Bauen“, so die Eigenbeschreibung. Um die Idee weltweit zu verbreiten werden internationale Tagungen und Fachausstellungen organisiert. Die 23. Internationale Passivhaus-Tagung findet im September 2019 in China statt. Bis dahin können die neuen Bewohner*innen bereits von ihren Erfahrungen erzählen im ökologischsten und nachhaltigsten Gebäude von Bilbao, das nach Sonne geradezu lechzt.
(Publikation: baskultur.info / 2018-09-23)
ANMERKUNGEN:
(1) Artikel „Erster Platz für Hochhaus Bolueta“ bei passiv.de (Link)
(2) Artikel „El rascacielos sostenible más alto del mundo será habitado a partir de octubre” (Der höchste nachhaltige Wolkenkratzer der Welt wird ab Oktober bezogen), Tageszeitung El Correo 21.09.2018
ABBILDUNGEN:
(1) Passivhaus Bolueta (Foto-Archiv-Txeng)
(2) Santa-Ana-Stahlwerk Bolueta (Auñamendi)
(3) Passivhaus Bolueta (FAT)
(4) Santa-Ana-Stahlwerk Bolueta (FAT)
(5) Passivhaus Bolueta (FAT)
(6) Passivhaus Bolueta (FAT)
(7) Santa-Ana-Stahlwerk Bolueta (Bilbaopedia)