Im Baskenland steigen die Zahlen
Im Baskenland vergeht keine Fiesta ohne Berichte über sexistische Gewalt und Übergriffe unterschiedlichster Art gegen Frauen. Manche erklären den Anstieg der Anzeigen mit der zunehmenden Aufklärung und einer gesteigerten Sensibilität, die betroffenen Frauen trauten sich mehr, zur Polizei zu gehen, weil dort zunehmend geschultes Personal im Einsatz ist. Die Mehrfachvergewaltigung in Pamplona im Juli 2016 war in dieser Entwicklung zweifellos ein Wendepunkt, der Prozess wurde zum öffentlichen Skandal.
Mehr als 3.000 Frauen haben im Baskenland in den ersten acht Monaten des Jahres 2019 sexistische Gewalt erlitten. Trotz ständiger Aufklärungskampagnen bedeuten die publizierten Zahlen einen bedenklichen Anstieg, in Gipuzkoa um 9%.
Während der Sanfermin-Fiestas 2016 in Pamplona hatten fünf Männer aus Sevilla, darunter Soldaten und Polizisten, eine junge Frau aus Madrid mehrfach vergewaltigt und diese Vergewaltigung gefilmt. Im folgenden Prozess kam das Team aus zwei Richtern und einer Richterin zu dem Schluss, dass es sich nicht um Vergewaltigung, sondern um Missbrauch gehandelt habe. Entsprechend niedrig war das Urteil. Die Strategie der Verteidigung war für das Opfer erniedrigend und machte das Verfahren zum öffentlichen Skandal. Erst die Berufungsinstanz bestätigte den Tatbestand der Vergewaltigung.
Der gesamte Prozess führte zu einer beispiellosen öffentlichen Diskussion und zu vielen Mobilisierungen im ganzen Staat. Es folgten zahllose Aufklärungskampagnen – “Nein ist Nein“ – deren Erziehungswert in Anbetracht der nun im Baskenland veröffentlichten Zahlen zweifelhaft erscheint. Die Zahlen beziehen sich auf die drei zur Autonomen Gemeinschaft Baskenland (CAV) zählenden Provinzen Araba, Bizkaia und Gipuzkoa, und auf den Zeitraum von Januar bis August.
Kein Wendepunkt
Wer gedacht hatte, diese brutale Mehrfachvergewaltigung und ihr dramatisches Nachspiel könnte zum Nachdenken anregen und ein Wendepunkt zum Besseren werden, muss sich durch die Realität eines Besseren belehren lassen. Zum Beispiel der Bericht zur Lage der Frauen im Baskenland: 2.152 Frauen wurden in dieser Zeit von ihren Lebensgefährten oder ehemaligen Partnern angegriffen oder geschlagen. Daneben erlitten 607 Frauen eine sogenannte “intrafamiliäre Gewalt“, 254 erstatteten Anzeige wegen “Delikten gegen die sexuelle Freiheit“. Somit wurden in den ersten acht Monaten des Jahres 2019 insgesamt 3.013 Frauen Opfer patriarchaler Gewalt (1). Zu den “Delikten gegen die sexuelle Freiheit“ gehören sexistische Übergriffe, sexistischer Missbrauch, Vergewaltigung, sexistische Belästigung, erzwungene Prostitution und Exhibitionismus.
Es handelt sich hierbei um offizielle Zahlen, die erfahrungsgemäß hinter einer (deutlich) höher liegenden Dunkelziffer herhinken, weil viele Übergriffe nicht angezeigt werden, aus Angst und anderen nachvollziehbaren Gründen.
Die Zahl von 2.152 Frauen, die von ihren aktuellen oder ehemaligen Partnern angegriffen wurden, bedeutet einen Anstieg von 3,6% gegenüber den 2.077 Opfer des Vergleichszeitraums 2018. Dies teilte die Sicherheits-Abteilung der Baskischen Regierung mit. Erhoben wurden die Zahlen von Emakunde, dem Institut für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau der Regierung (2). Auch die 607 Opfer “intrafamiliärer Gewalt“ im besagten Zeitraum bedeuten einen Anstieg um 2,36% gegenüber demselben Zeitraum 2018 (593 Fälle).
Zahlen Zahlen Zahlen
Außerdem erstatteten 254 Frauen Anzeige wegen “Delikten gegen die sexuelle Freiheit“ in der Region Baskenland – erneut ein Anstieg, wenn auch nur um 0,4% in Hinblick auf das Vergleichsjahr. Insgesamt und nach Provinzen aufgeteilt waren es somit 3.013 Frauen (486 in Araba, 1.592 in Bizkaia und 935 in Gipuzkoa), die machistisch-sexistische Übergriffe und Aggressionen erlitten und zur Polizei gingen, 3% mehr als im Vergleichszeitraum.
Auffällig sind die teilweise sehr unterschiedlichen Zahlen aus den drei Provinzen. In Gipuzkoa stieg die Zahl der “Delikte gegen die sexuelle Freiheit“ um 10,8% (von 83 im Jahr 2018 auf 92 in diesem Jahr). In derselben Provinz stieg die Zahl der gewalttätigen Aggressionen durch derzeitige oder ehemalige Lebenspartner um 7,7% (von 611 im Zeitraum 2018 auf 658 in 2019). In der Südprovinz Araba (Álava) stieg die Ziffer bzgl. intrafamiliärer Gewalt um 18,4% (von 87 im Jahr 2018 auf 103 in den ersten acht Monaten 2019).
Viktimisierung
Die von Emakunde publizierten Zahlen machen deutlich, dass in den zur Region Baskenland gehörenden drei Provinzen entweder immer mehr Frauen zu Opfern sexistischer und intrafamiliärer Gewalt werden, oder, dass immer mehr Frauen bereit sind, die Aggressionen anzuzeigen. Der Anstieg insgesamt beträgt 2,2%. In Gipuzkoa sind es 9% mehr als im Vorjahr (von 1.042 auf 1.136), in Araba 6,5% (von 538 auf 573). Nur in Bizkaia sank die Zahl der Opfer um 2,6% (von 1.963 auf 1.911).
All das sind letztendlich bloße Zahlen, Statistiken, scheinbar neutral. Dahinter verbirgt sich ein brutales gesellschaftliches Phänomen, das offenbar weder durch Erziehung in Schule und im öffentlichen Raum, noch durch hunderte von Propaganda-Kampagnen öffentlicher Verwaltungen zu bremsen oder zu korrigieren ist.
Schlechte Prognosen für die Jugend
Verschiedene Beobachterinnen sprechen von einem erschreckenden Anstieg von Cybergewalt unter Jugendlichen, Cyberbullying, der Telefonkontrolle von jungen Männern gegen junge Frauen, der Verbreitung intimer Daten und Fotos zur Einschüchterung und psychologischen Schädigung. Wiederholt kam es als Konsequenz zu Suiziden. Je perfekter die Technologie, desto perfider die Repressionsform.
Es hat den Anschein, dass Erwachsene lernfähiger sind als Jugendliche, die eigentlich noch auf dem Entwicklungsweg sind. Doch sind genau sie einfacher manipulierbar durch die Verlockungen von Technologie und nach wie vor weitgehend sexistischer Jugendkultur.
Dass das Baskenland keine Ausnahme bildet macht ein Blick in die spanische Presse deutlich. „“Beunruhigender Anstieg der Delikte gegen die sexuelle Freiheit“ lautet der Titel eines Artikels aus Castilla La Mancha: “Die Delikte gegen die sexuelle Freiheit stiegen in CLM im Jahr 2017 um 17%. Das ist die höchste Ziffer zwischen 2013 und 2017, dokumentiert im Jahresbericht der Staatsanwaltschaft“ (3).
ANMERKUNGEN:
(1) Zahlen aus “Violencia machista: 3.000 mujeres victimas” (Patriarchale Gewalt: 3.000 Frauen sind Opfer” Tageszeitung Gara 2019-10-12 (LINK)
(2) Emakunde (baskisch: Organisation der Frauen) ist ein Institut der baskischen Regierung, die bei Fragen der Gleichstellungs-Politik berät, sensibilisiert, koordiniert und auswertet. Ihr Ziel ist die reale und effektive Gleichstellung der Geschlechter. Emakunde wurde 1988 als eine der ersten Organismen dieser Art im spanischen Staat ins Leben gerufen. (LINK)
(3) Zitat aus “Preocupante aumento de los delitos contra la libertad sexual en Castilla-La Mancha” (Beunruhigender Anstieg der Delikte gegen die sexuelle Freiheit) (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) (alvarezabogadostenerife)
(2) (efe – deia)
(3) (canaln.pe)
(4) (estelladigital)
(5) (entre4abogados)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2019-10-16)