Wenn Bask/innen allein streiken
Vermutlich hat kaum jemand im deutschsprachigen Raum mitbekommen, dass es im Baskenland am 30. Januar einen Generalstreik gab. Sogar Zeitungen, die sich sozialistisch nennen oder die sich als linke Medien definieren, war es bestenfalls eine Randmeldung wert, dass auf beiden Seiten der Pyrenäen-Grenze mehrere hunderttausend Menschen für würdige Renten, Löhne und Arbeitsbedingungen streikten und auf die Straßen gingen: Schüler*innen, Jugendliche, Arbeitnehmer*innen und vor allem Rentner*innen.
Generalstreik im Baskenland: Viele Kneipen und Geschäfte, auch ganze Fabriken blieben geschlossen, der Transport funktionierte minimal, der öffentliche Dienst war stark betroffen. Ebenso Kommunikations-Medien, im Radio und im Fernsehen liefen teilweise Notprogramme. Bemerkbar machte sich der Streik überall dort, wo die baskischen Gewerkschaften die Betriebsrät*innen stellen.
Hunderttausende haben im Baskenland beidseits der Grenze für bessere Renten, Löhne und ein würdiges Leben gestreikt. Zum ersten Generalstreik nach acht Jahren aufgerufen hatten alle baskischen Gewerkschaften, große wie kleine, dazu die spanienweit agierende anarcho-syndikalistische CNT. All diesen Gewerkschaften ging es nicht einfach um Prozentpunkte oder punktuelle Verbesserungen. Kritisiert wurde das kapitalistische System, das prekarisiert und den Arbeitenden keine Chance auf ein würdiges Leben lässt. Kritisiert wurde auch das hetero-patriarchale System, das nicht nur zu steigenden Zahlen von Vergewaltigungen und allen Formen von Sexismus führt, sondern auch bedeutet, dass die Frauen in der Misere noch schlechter dastehen als ihre männlichen Kollegen.
All das zu thematisieren, weit über die Rechte der in Arbeit stehenden Bevölkerung hinaus, die Rechte von Migrant*innen einschließend, hat deutlich gemacht, dass sich die baskischen Gewerkschaften in einem Lernprozess befinden, den perspektivischen Blick zu erweitern über die traditionellen Kernbelegschaften hinaus. Mit ihrem thematisch breit angelegten Generalstreik haben sie gezeigt, was moderne emanzipatorische Gewerkschaftspolitik ist und was künftige Sozialpolitik sein könnte und sollte. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg zu neuen gewerkschaftlichen Ufern ist, dass die Gewerkschaften angefangen haben, soziale Bewegungen ernst zu nehmen und sich für ihre Themen zu öffnen: Renten, Arbeitslose, Prekarität, Ökologie und vor allem Feminismus. Dazu wurde eine gemeinsame Plattform gegründet: die "Euskal Herriko Eskubide Sozialen Karta", die Baskische Sozialrechts-Charta. Hier sollen sich Bewegungen und Gewerkschaften im besten Fall auf Augenhöhe gegenüberstehen.
“Es ist anscheinend selbst für linke Medien nicht von Bedeutung, wenn im kleinen Baskenland fast so viele Menschen und für ganz ähnliche Forderungen streiken und auf die Straße gehen wie beim Protest gegen die Rentenreform in ganz Frankreich“, heißt es in der Streikbewertung bei Telepolis unter dem Titel “Der verschwiegene gefährliche Generalstreik“ (1). “Dabei hat das Baskenland nicht einmal 5% der Bewohner Frankreichs, und auch findet sich hier weiterhin die wohl kämpferischste und am besten organisierte Bewegung für soziale Rechte, deren Forderungen deutlich über die in Frankreich hinausgehen.“ Der sozialistische Schweizer Politiker und Historiker Jo Lang kommentierte dies in den sozialen Medien folgendermaßen: "Im Rahmen des baskischen Generalstreiks für würdige Löhne und Renten wird vor der Ladenkette Mango gegen die Arbeitsbedingungen in Bangladesh demonstriert. Der Internationalismus ist nirgendwo so stark wie in Euskadi und Catalunya." Jo Lang muss es wissen, er hat seine Doktorarbeit über das Baskenland geschrieben und ist einer der intimsten Kenner des Baskenlandes.
Gestreikt wurde südlich und nördlich der Pyrenäen, in den drei kleinen Provinzen des nördlichen Baskenlandes (Iparralde) ebenso wie in den vier Provinzen des südlichen Baskenlandes (Hegoalde), die wiederum aufgeteilt sind in die Regionen Baskenland und Navarra. Im Mittelpunkt stand die Bewegung der Rentnerinnen und Rentner, die seit mehr als zwei Jahren jeden Montag auf der Straße stehen für die Forderung nach einer würdigen und existenz-sichernden Rente in Höhe von 1080 Euro. Das ist nicht irgendein Betrag, sondern die Empfehlung der Europäischen Gemeinschaft. Im Laufe der vergangenen 24 Monate hat diese Bewegung hunderttausende zu Demonstrationen mobilisiert und Verbindungen geschaffen zu anderen Kollektiven und Initiativen. “So war es auch erfrischend, neben Rentner*innen und Arbeiter*innen auch viele Schüler*innen und Studierende auf den Straßen anzutreffen“. Darunter viele Frauen, die sich bereits für den nächsten internationalen Frauenstreiktag am 8. März vorbereiten. Die Ausdauer dieser baskischen Rentner*innen-Bewegung hat dafür gesorgt, dass sie sich teilweise auch im spanischen Staat ausgebreitet hat – was bei der Regierung in Madrid selbstverständlich mit großem Misstrauen betrachtet wird.
“Die baskischen Gewerkschaften und die spanische anarcho-syndikalistische CNT haben den Schritt getan, sich auch Forderungen derer auf die Fahnen zu schreiben und dafür zu streiken, die nicht mehr im Arbeitsleben stehen und nicht mehr streiken können. Das ist ein richtungsweisender Schritt! Damit zeigen diese Gewerkschaften, dass sie auf der Höhe der Zeit sein wollen und nicht allein Privilegien und Partikularinteressen vertreten, sondern sich um Vorgänge kümmern, die für die gesamte Gesellschaft relevant sind.“ (1)
Streikforderungen
Die Forderungen des Generalstreiks gingen dementsprechend über die der Rentner*innen nach einer Grundrente von 1.080 Euro weit hinaus. “Gefordert wurde ein Mindestlohn von 1.200 Euro, die 35-Stunden Woche und würdige Lebensbedingungen für alle Menschen“. Dazu sollen die beiden Arbeitsmarktreformen gestrichen werden: “sowohl die des Sozialdemokraten Zapatero von 2011 als auch die aggressive des ultrakonservativen Rajoy. Mit beiden Reformen wurde der Kündigungsschutz praktisch beseitigt, Abfindungen gesenkt und die Rechte der Beschäftigten weiter ausgehöhlt“. Die "ständige Erosion von erkämpften sozialen Rechten durch neoliberale Regierungen“, im Auftrag von "Bankern und Spekulanten" gälte es zu bekämpfen, so ist es in der Baskischen Sozialrechts-Charta zu lesen. “Beklagt wird erneut, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht und es an der Zeit ist, sich massiv dagegen zur Wehr zu setzen. Es muss eine Alternative mit sozialem Wandel und die reale Gleichstellung von Männern und Frauen auf die Tagesordnung gestellt werden.“
Nicht alle ziehen mit
“Obwohl sogar die spanische Nachrichtenagentur Europa Press davon berichtete, dass allein in Bilbao am Mittag des 30-J 50.000 Menschen demonstriert haben, fand das Thema in Spanien nur wenig Beachtung. Dabei haben in allen baskischen Städten, auch Kleinstädten, gleichzeitig zahllose Menschen gestreikt und demonstriert“. Auf Zugangsstraßen kam es bereits am frühen Morgen zu Blockaden, die baskische Polizei warf ihr ganzes Gewicht ins Spiel, den Streikenden ihre Ziele unmöglich zu machen. Es kam zu Gewalteinsätzen und ca. 20 Verhaftungen.
Dass der neoliberale baskische Ministerpräsident Urkullu den Streik wegen seines politischen Charakters ablehnte, war keine Überraschung. Er weigerte sich, die zum Streik aufrufenden Gewerkschaften zu empfangen und ihre Forderungen auch nur anzuhören. Dass sich auch die neoliberalen Sozialdemokraten – im Baskenland wie im Staat – nicht mit dem Generalstreik anfreunden konnten, überrascht ebenso wenig. Auffällig ist allerdings, dass die aus der 15M-Protest-Bewegung entstandene Linkskoalition Unidas Podemos (UP) den Streik ebenfalls ablehnte. Zu ihr gehören immerhin auch die ehemaligen Kommunisten von der Vereinigten Linken. Podemos lehnte ausdrücklich den politischen Streik ab – und ist nach Regierungsbeteiligung in Madrid und spürbarem Rechtsruck definitiv im bürgerlichen Lager angekommen.
Sozialrechts-Charta
Denn was in der Baskischen Sozialrechts-Charta steht, hatte Podemos ursprünglich ebenfalls gefordert. Aber im Verlauf der Koalitionsverhandlungen mit dem Sozialdemokraten Sánchez hat die Partei eine Kröte nach der anderen geschluckt, im Baskenland hat sie mit der neoliberalen PNV den Haushalt verabschiedet. “Sie spricht deshalb nicht mehr über die Einschnitte der Arbeitsmarktreform der Sozialdemokraten 2011 und auch die der Konservativen soll nicht mehr gestrichen werden, sondern nur noch die schädlichsten Auswirkungen beseitigt werden. Auch alle übrigen Forderungen der Sozialrechts-Charta trug Podemos noch bis vor wenigen Monaten offiziell mit, verteidigte die Mindestrente, als sie noch nicht an der Regierung beteiligt war. Jetzt wurde aber der Mindestlohn (SMI) nicht auf 1.200 erhöht, sondern nur auf 950 und liegt damit weit unter der Armutsschwelle von knapp 1.200. Und eine Rentenerhöhung um 0,9%, nachdem sie Jahre eingefroren waren, darf man wohl als totalen Witz bezeichnen.“ (1)
Streikverhinderer, Streikbrecher
Wo Podemos hinsteuert sind die großen spanischen Gewerkschaften Comisiones Obreras (CCOO) und UGT bereits längst angekommen: im Schoß des Kapitalismus und der Sozialpakte. Jene nach dem Franquismus wichtigen Organisationen, “die glücklicherweise im Baskenland in der Minderheit sind und immer weiter an Bedeutung verlieren“ haben sich auf der Seite der Neoliberalen und Arbeitgeber-Verbände verortet. “Bliesen auch sie einst gegen die Arbeitsmarkt-Reformen zum Generalstreik, sitzen sie jetzt mit der Regierung und Unternehmern im Sozialpakt zusammen, handeln lächerliche Mindestlohnerhöhungen aus und kritisieren die baskischen Gewerkschaften dafür, dass sie auf die Straße gehen.“ Ein historischer Einschnitt ist es, dass sogar der Chef der CCOO (größte spanische Gewerkschaft, ehemals kommunistisch orientiert) von politischen Gründen hinter dem Streik spricht. Fehlt eigentlich nur noch, die Abschaffung des Rechts auf Generalstreik zu fordern, wie dies die Postfranquisten schon lange tun.
“Ins Horn der spanischen Nationalisten zu stoßen, wie neoliberale Christdemokraten zu argumentieren, statt für die Rechte der Beschäftigten und die sozialen Rechte der Bevölkerung einzutreten, damit tut sich die Gewerkschaft einen Bärendienst und macht sich überflüssig. (Der Vorsitzende) Sordo sollte einmal nach Portugal schauen, dort haben die Gewerkschaften auch oft und stark gegen die Linksregierung gestreikt und ihr Zugeständnisse abgetrotzt, die letztlich das Land stabilisiert haben.“ (1)
Streikdetails, Analysen
Der Tag danach brachte die vorhersehbaren Schlagzeilen, die bereits drei Tage vorher hätten geschrieben sein können. Die baskisch-gewerkschaftliche Linke plus CNT feierte den Streikerfolg, die rechten Medien hingegen sprachen unumwunden von “Fracaso“ – Scheitern. Beide Seiten wiesen auf jene Streikerscheinungen hin, die ihre Sicht bestätigten – da findet sich für alle Beteiligten immer irgendwas. Der Sprecher der baskischen Regierung kommentierte den Streik mit folgenden Worten: “Sicher kann man alles besser machen. Aber wir können feststellen, dass wir im Moment den sozialsten Haushalt in der Geschichte des Baskenlandes verwalten“. Angesichts der Tatsache, dass 30% der Bevölkerung des Baskenlandes nach Kriterien der OECD in Armut leben und 10% von wegen Armut von sozialer Ausgrenzung bedroht sind, dass 92% aller neuen Arbeitsverträge befristet sind, teilweise für die Dauer von wenigen Tagen – ist eine solche Aussage eine Ausgeburt an Zynismus. Alleinerziehende Frauen und alleinstehende Rentnerinnen sind existenziell bedroht. Trotz der Tatsache, dass die Sozialhilfe nirgendwo im Staat so gut ausgestattet ist wie im Baskenland – es reicht hinten und vorne nicht.
Der Bilbao-Vergleich
Vergleichen wir Stadtteile in Bilbao mit viel und wenig Streikbeteiligung. Wichtiges Kriterium für Streikbeteiligung war nicht zuletzt die soziale Struktur der Barrios, manchmal auch nur einzelner Straßenzüge. Im Arbeiterviertel Bilbozaharra, ehemaliges Minengebiet, Armut, waren alle Kneipen und Geschäfte zu – Reste von Klassenbewusstsein. Nebenan im Barrio San Francisco, dem Lebensort der meisten Migrant*innen der Stadt, ebenfalls ehemaliges Bergbau-Viertel war das Ergebnis eher gemischt. In der Somera-Straße der Altstadt, alternativer Treffpunkt und Fußball-Ambiente, waren alle Läden geschlossen, sogar die chinesischen Restaurants. Drei Straßen weiter blieben alle Tourismus-Mode-Zweigstellen offen, nur die städtische Bibliothek war zu. Ein Blick in die Innenstadt um Indautxu ergab ein komplett anderes Bild. Hier war keine Spur von Streik zu sehen. Noch nicht einmal Plakate. Soziale und Klassen-Hintergründe waren und sind entscheidend. Im Arbeiter- und Migrations-Viertel San Francisco beträgt das durchschnittliche Einkommen 35% von dem in Indautxu – die Lebenserwartung in Sanfran liegt um sechs Jahre niedriger als im Zentrum. Armut bedeutet früheren Tod – die Zahlen sprechen für sich.
Kriterien für Erfolg oder Scheitern
Stellt sich die Frage: Wonach bemisst sich Erfolg oder Scheitern eines baskischen Streiks, der von der politischen Klasse, den Unternehmer-Verbänden und der Mehrheit der Massenmedien ignoriert, angezweifelt oder angegriffen wird. Zum Verständnis versuchen wir es mit verschiedenen Kriterien.
1. Die Industrie-Arbeiterschaft insgesamt war nicht direkt in die Streikforderungen involviert, insofern hing deren Beteiligung ab von der jeweiligen politischen Orientierung der Beschäftigten. Eigentlich ganz einfach: Wo die spanischen Gewerkschaften die Mehrheit hatten, wurde nicht mobilisiert, es kam zu keinen Produktionsausfällen. Beispiele: Mercedes und Michelin in Gasteiz, Volkswagen in Pamplona. Gegenbeispiele: Bei den Großbetrieben CAF (Eisenbahnbau) und Irizar (Bus-Bau) in Gipuzkoa standen alle Räder still – dort gibt es in der Belegschaft links-abertzale Mehrheiten.
2. Der öffentliche Transport war eingeschränkt, hier gab es gesetzlich verordneten Mindest-Service, der von den Gewerkschaften gewöhnlich als übertrieben kritisiert wird, diese Maßnahmen bremsen Streiks und machen die Beteiligungszahlen unrealistisch.
3. Auch in den Arbeiterbarrios: Nur wenige von Migranten betriebene Geschäfte machten dicht. Dahinter stehen nicht nur ideologische Probleme, auch kulturelle Fragen spielen hier eine Rolle. Denn dieselben Geschäfte gehören jeweils zur Vorhut jener Unternehmen, die auf den Zug der Verlängerung der Laden-Öffnungszeiten sprangen: am besten 24 Stunden geöffnet wie in Istanbul, Marrakesch oder Islamabad. Für (westliche) Gewerkschaften ist dies eine pure Giftmischung und gleichzeitig eine politische Aufgabe für die Zukunft.
4. Der Gastronomie-Sektor war sicher einer derjenigen, der dem Streik am wenigsten folgte. Prekäre Arbeitsbedingungen, Zeitverträge, Hire and Fire, enormer Arbeitsdruck, kaum gewerkschaftlich organisierte Leute – wer wollte den schlecht bezahlten Job im Tourismus-Umfeld aufs Spiel setzen und streiken. Hier ist eine Wirklichkeit anzutreffen, die kein Kriterium liefert zur Einschätzung eines Streikerfolgs. Genau diese in jeder Hinsicht prekäre Arbeitswelt ist das neue Gesicht des modernen Tourismus-Kapitalismus: Amazon, Airbnb, Burger, Glovo und Telepizza sind die neuen Konzepte von Arbeit. Nach der Auflösung der traditionellen Arbeits-Belegschaften bleiben die atomisierten Eine-Person-Unternehmen.
Erfolgreiche Mobilisierung
Die aufrufenden Gewerkschaften waren in der Lage, ihr Potential zu mobilisieren, Fabriken, Stadtteile und Dörfer blieben geschlossen. Dass sie die großen Konzerne wie Daimler oder VW nicht erreichten, wundert niemand, das hatten auch die Aufrufer nicht erwartet. Es ist vielmehr ein Ausdruck der Spaltung der Gewerkschaften: Emanzipation oder Sozialpakt. Dennoch “verhallte der Streik auch in Spanien nicht ungehört. Nicht nur in Madrid solidarisierten sich weitblickende Menschen mit dem Streik. Die antikapitalistische Fraktion innerhalb von Podemos unterstützte ihn ebenfalls und auch Gewerkschaftler von Gewerkschaften, die im Baskenland als Streikbrecher aufgetreten sind, haben ein Manifest zur Unterstützung des baskischen Generalstreiks unterzeichnet.“ All das darf aus der Sicht der baskischen Mobilisierenden als Erfolg gewertet werden.
“Sag mir wo du wohnst, sag mir wo du arbeitest, sag mir in welcher Gewerkschaft du bist – und ich sag dir, ob du beim Streik beteiligt warst oder nicht“ – ein einfaches, aber ziemlich zutreffendes Kriterium. Erfolg oder Nichterfolg zu bewerten ist so subjektiv und polemisch wie die Sympathie für einen Sportclub oder ein Kochrezept. Bei Generalstreiks wie dem am 30. Januar 2020 geht es nicht um Quantität, sondern um Qualität. Niemand hat erwartet, das Land komplett lahmzulegen. Es ging um eine Warnung, ein Notsignal, ein Ultimatum, und um eine gesellschaftliche Mobilisierung an der letztendlich Jung und Alt beteiligt war. Keine Privatveranstaltung von ELA und LAB, wie viele Medien zu suggerieren versuchten, sondern ein Streik an dem ALLE baskischen Gewerkschaften (außer der Polizei) plus CNT aktiv beteiligt waren. Die Tatsache, dass es nach wie vor Massen-Gewerkschaften und Gesellschaften gibt, für die der Generalstreik ein elementares Kampfmittel bleibt, ist eine große Nachricht. Eine Nachricht aus dem Baskenland. In Ländern wie Deutschland, in denen die Gewerkschaften zum großen Teil Frieden geschlossen haben mit dem neo-kapitalistischen System, werden das nur wenige nachvollziehen können.
Fortschritte
Einmal mehr hat der Generalstreik gezeigt, dass Feminismus und feministische Kritik an Patriarchat und Kapitalismus nicht mehr bloße Anhängsel in linken Mobilisierungen sind. Feminismus ist im Baskenland zur transversalen Selbstverständlichkeit geworden. Kein Redebeitrag ließ die Situation und Antwort von Frauen rechts liegen. Auch bei der Bewegung der Rentner*innen ist es zur Selbstverständlichkeit geworden, dass Frauen sich extra organisieren, ihren eigenen Diskurs entwickeln und zum Ausdruck bringen. Allein dies ist bereits ein bedeutender Fortschritt für die emanzipatorischen Bewegungen im Baskenland, der auch beim Generalstreik augenscheinlich wurde.
Angst im Nacken
Gleichzeitig liegt auf der Hand, dass allen, die sich in Spanien als Linke bezeichnen – Sozialdemokratie und Podemos – der Schreck in die Glieder gefahren ist beim Anblick dessen, was vom Baskenland ausgeht. Dort wird befürchtet, dass “die Bewegung, wie die Bewegung der Rentner für eine Mindestrente, sich ebenfalls auf Spanien ausbreitet und es der schwachen Sánchez-Regierung noch schwieriger macht“. Dagegen bleibt nur noch, die Angst vor den Ultrarechten zu schüren, nach dem Motto des kleineren Übels: “Wenn nicht wir, was glaubt ihr, wer dann an die Regierung kommt“ – die Drohung mit PP, Ciudadanos und Vox, dem sogenannten “Trifachito“ (dreifache Faschisten), wie die Ultrarechten neuerdings gemeinsam benannt werden. Das Prinzip hat Geschichte: in Frankreich waren bei den letzten Präsidentschafts-Wahlen bis weit in die Sozialdemokratie alle glücklich, dass ein neoliberaler Rechter Präsident wurde und nicht die Le-Pen-Faschisten. Die ultrarechte Drohung führt dazu, dass in der gesellschaftlichen Mitte immer mehr Menschen mit immer weniger zufrieden sind.
“Doch nur wirkliche soziale Verbesserungen sind ein Schutz gegen Rechtsextreme, auch das zeigt Portugal mehr als deutlich. Frankreich unter einer Hollande-Regierung sollte allen eine Warnung sein und wenn die Linke dort nicht eine klare Alternative aufzeigt, dann war Macron der letzte Kandidat, der noch auf den Präsidentensessel gehoben wurde, um die rechtsradikale Le Pen zu verhindern. In diesem Sinne ist auch der Dauerstreik in Frankreich gegen Macron zu verstehen und zu begrüßen, mit dem sich die Basken ausdrücklich solidarisiert haben.“ (1)
Nicht der letzte …
Für die baskischen Gewerkschaften inklusive CNT war der Generalstreik vom 30. Januar keine Eintagsfliege. Bei der Abschluss-Kundgebung der mittäglichen Groß-Demonstration wurde deutlich gemacht, dass es keine Ruhe geben wird, bis Forderungen erfüllt werden. “Wir haben unser Paket auf den Tisch gelegt und warten auf Antworten. In zwei Monaten werden wir entscheiden, was unsere nächsten Schritte sein werden,“ sagte die Generalsekretärin der abertzalen Gewerkschaft LAB.
Hinweis in eigener Sache …
Baskultur.info hatte in einem ersten Artikel vor dem Generalstreik am 23.1.2020 über die Hintergründe des Streiks, die aufrufenden Gewerkschaften und ihre Forderungen informiert unter dem Titel "Generalstreik im Baskenland". (2)
ANMERKUNGEN:
(1) “Der verschwiegene gefährliche Generalstreik“, Telepolis, Ralf Streck, 2020-01-31 (LINK)
(2) Unter dem Titel “Generalstreik im Baskenland – wenn sonst nichts hilft …“ publizierte Baskultur.info am 23.Januar 2020 einen Überblick zum Generalstreik am 30. Januar 2020 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(*) Generalstreik in Bilbao (Foto Archiv Txeng - FAT)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2020-02-02)