Beginn einer notwendigen Aufarbeitung
Vorläufig wurden in Navarra 60 Opfer von sexuellem Missbrauch und 31 religiöse Angreifer identifiziert. Eine von einem Team der öffentlichen Universität UPNA durchgeführte Studie kam zu diesem Ergebnis. Einunddreißig Ordensleute und Kirchenangestellte wurden als Täter identifiziert. "Alles deutet darauf hin, dass es noch viel mehr sein müssen". Für den Bericht wurden 43 Opfer befragt und weitere neun identifiziert. Nach Presse Veröffentlichungen haben sich sieben weitere betroffene Personen gemeldet.
Der Senator für Migrationspolitik und Justiz, Eduardo Santos, Mikel Lizarraga als Autor des Berichts und María Martikorena, die im Alter von 11 Jahren von einer Nonne missbraucht wurde, präsentierten die Ergebnisse des ersten Berichts über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in Nafarroa.
Insgesamt 31 Ordensleute wurden als Verantwortliche für die Übergriffe identifiziert, aus 17 Schulen und 12 Gemeinden. Einer von ihnen der Direktor einer Schule, 21 Lehrer, drei Krankenpfleger, drei Ladenbetreiber, ein Schulpförtner und zwei Priester, die nicht unterrichteten. Der Bericht wurde ohne die Namen der Aggressoren veröffentlicht, "um die Unschulds-Vermutung zu wahren", doch wurde eine Kopie an die Staatsanwaltschaft geschickt, damit die entsprechenden Maßnahmen ergriffen werden können.
"Es gibt weitere Opfer, die noch nicht identifiziert wurden", sagte Lizarraga. "In 90% der Fälle sagten die Opfer, nicht die einzigen Opfer in der Klasse gewesen zu sein und dass Missbrauch an der Schule eine allgemeine Erscheinung war. Er betonte, dass "die Zahl der mutmaßlichen Täter im Verhältnis zur Zahl der Opfer sehr hoch ist", weshalb "alles darauf hindeutet, dass es viel mehr Opfer geben muss". Auch die breite Streuung der Fälle in Navarra lässt darauf schließen, dass die Zahl der Missbräuche viel höher liegen muss. "Die Theorie des faulen Apfels (die große Ausnahme), die die katholische Kirche oft verteidigt, fällt durch ihr eigenes Gewicht", so der Experte.
IM DUNKELN
Lizarraga räumte Probleme bei der Fertigstellung des Berichts ein. "Es gibt Daten, die aufgrund des fehlenden Zugangs zu kirchlichen Daten nicht überprüft werden konnten". Zum Zeitpunkt des Missbrauchs waren die meisten Betroffenen zwischen 8 und 12 Jahre alt, einige nur 5 oder 6 Jahre. "Zum Zeitpunkt des Missbrauchs waren sich viele des sexuellen Charakters des Missbrauchs nicht bewusst, erst im Erwachsenenalter kam diese Erkenntnis. Die Opfer sind heute zwischen 60 und 80 Jahre alt", sagte Lizarraga.
"Viele haben kein Interesse daran, sich an solch schmerzhafte Ereignisse zu erinnern. Vergessen als Selbstschutz. Sie haben gelernt, damit zu leben", betonte er und wies darauf hin, dass es sich im familiären Kontext nach wie vor um ein "Tabuthema" handele, was das "Gefühl von Schuld und Scham, das durch den Umgang der Kirche noch verstärkt wird, die den Schutz des Täters in den Vordergrund stellt". Diese Opfer gehen davon kommt, noch eine Wiedergutmachungsjustiz existiert. Aus diesem Grund ziehen es viele vor, den Vorfall nicht anzuzeigen, um sich nicht erneut mit der Aggression konfrontieren zu müssen.
OPFER EINER NONNE
María Martikorena, die im Alter von 11 Jahren an der Ursulinen-Schule in Iruñea von einer Nonne missbraucht wurde, hat den Vorfall noch einmal durchlebt und erzählt. Sie ist jetzt 73 Jahre alt. "Damals schien es, als gäbe es keine weibliche Homosexualität. Als ich den Vorfall meldete, war es, als hätte ich auf Chinesisch gesprochen", erklärte sie und betonte, dass der Missbrauch durch eine Frau keine Spuren an ihrem Körper hinterlasse. "Wenn du missbraucht wirst, weißt du nicht, was im Körper der anderen Person vor sich geht, weil du es nicht siehst. Vor allem, wenn du 11 Jahre alt bist und eine Nonne im Gewand mit dir macht, was sie will.
Martikorena ist überzeugt, dass sie nicht das einzige weibliche Opfer einer Nonne gewesen sein kann. Sie litt ein ganzes Schuljahr lang. "Die Nonne, die sich um mich kümmern sollte, brachte mich in ein anderes Zimmer zum Schlafen. Wir wussten nicht, was Sexualität ist, ich konnte mir nichts vorstellen. Aber eine andere Nonne kam in dieses Zimmer, die Krankenschwester der Schule, die ich nicht kannte. Dieser Wechsel war für mich, als wäre ich in die Prostitution verkauft worden. Diese Nonne konnte mit meinem Körper machen, was sie wollte. Ich war ein Nichts. Das war eine Sache. Ich musste alles tun, was nötig war, damit diese Person Erbarmen mit mir hatte. Sie wählen dich aus, weil du das verletzlichste Wesen der Welt bist, mit schrecklichen emotionalen Defiziten. Du bist das ideale Opfer. Sie haben die Macht, zu tun, was sie wollen. Dich auszuziehen, zu küssen, in welcher Form auch immer zu misshandeln".
Martikorena hat sich mit den Nachwirkungen befasst, die sie im Laufe ihres Lebens durchlitten hat. "Ich bekam Atemprobleme, Magenprobleme, Depression und Angst. Es war so traumatisch, dass mein Körper nicht mehr mitmachen wollte. Seit diesem Jahr existierte mein Körper für mich nicht mehr, aber ich habe unter den Folgen gelitten. Mit 14 Jahren ging ich auf eigene Faust zum Psychiater, weil ich dachte, ich würde verrückt. Von 40 bis 50 war ich wegen Angstzuständen in Behandlung.
Glücklicherweise kam ich zu einer Psychologin, die mir deutlich machte, dass ich mich der Welt stellen musste. Mit 45 Jahren trennte ich mich zum dritten und letzten Mal von meinem Mann. Mit 47 Jahren erzählte ich meinem Schwager, dass mein Mann mich seit 25 Jahren missbraucht hatte. Mit 55 Jahren, als ich mir den Film "La mala educación" von Almodovar ansah, wurde mir klar, was mit mir geschehen war. Missbrauch. Mein Kopf wurde wach. Bis dahin kannte ich die Folgen, aber nicht die Ursache.
OFFIZIELLE ANERKENNUNG ALS OPFER
Der Justizminister der Regierung Navarras stellte das "Engagement" seiner Regierung in dieser Frage heraus, nachdem Treffen mit dem Erzbistum abgehalten und Konferenzen organisiert wurden. Die Behörde begann mit der Unterstützung von Opferverbänden, die öffentliche Universität UPNA wurde mit einer Opfer-Täter-Studie beauftragt. "Das klare Ziel ist die Verteidigung der Opfer. Nicht gegen etwas oder jemanden, sondern für jemanden".
Santos betonte, dass "wir uns an die Schwere der Tatsachen erinnern und diese anerkennen müssen und den Fokus nicht außerhalb der kirchlichen Institution legen dürfen". Auch er ging davon aus, dass es noch viele weitere Fälle geben muss und wies darauf hin, dass "wir bisher nur die Spitze des Eisbergs sehen". Gleichzeitig zeigte er sich zuversichtlich, dass die Veröffentlichung des Berichts "anderen Opfern helfen wird, ihre Stimme zu erheben und sie anzuzeigen".
In diesem Zusammenhang kündigte er an, die Regierung von Navarra werde eine Gesetzesinitiative vorantreiben, "um zu versuchen, die Opfer offiziell anzuerkennen und eine Justiz der Wiedergutmachung zu ermöglichen".
ANMERKUNGEN:
(1) “Identificadas 59 víctimas navarras de abusos sexuales y 31 religiosos agresores“ (59 Opfer von sexuellem Missbrauch in Navarra und 31 religiöse Täter identifiziert) Gara, 2022-02-11 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Missbrauch Kirche (naiz)
(2) Missbrauchs-Opfer (rtve.es)
(3) Missbrauchs-Opfer (diario de navarra)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-02-12)