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Von den Chromosomen baskischer Männer

70% der baskischen Männer stammt von Vorfahren ab, die vor 4500 Jahren lebten – so das Resümee einer wissenschaftlichen Studie, die im vergangenen Sommer 2017 in der Wissenschaftszeitung „Nature“ vorgestellt wurde. Eine internationale Gruppe von Wissenschaftler*innen studierte anhand von Y-Chromosomen die Abstammung der aktuellen männlichen Bevölkerung nördlich und südlich der Pyrenäen. Die Beteiligung zweier Universitäten ermöglicht der Studie einen besonderen Grad von Anerkennung.

Eine biologisch-historische Studie, an der wissenschaftliche Mitarbeiter*innen der baskischen Universität UPV/EHU beteiligt waren, ist zu dem Schluss gekommen, dass 70% der baskischen Männer von 4500 Jahre alten Vorfahren abstammen.

Diese Urahnen lebten vor mehr als 4000 Jahren, in einer Epoche, als die Menschen damit begannen, Metall zu verarbeiten. Sie lebten in kleinen Siedlungen und widmeten sich der Land- und Viehwirtschaft (1). Diese neue wissenschaftliche Entdeckung wurde vor Kurzem öffentlich vorgestellt von Wissenschaftler*innen der Universität des Baskenlandes (UPV/EHU) und der Universität Pompeu Fabra (UPF) in Barcelona. Die Ergebnisse dieser Studie wurden vorgestellt und erläutert in einem Artikel der digitalen Zeitschrift „Scientific Reports“ (2), die von der Wissenschaftsgruppe „Nature“ herausgegeben wird.chromo02

Bekanntlich sind alle menschlichen Wesen miteinander verwandt. Wir alle haben gemeinsame Vorfahren, deren Lebensepoche und Lebensort sich durch das Studium von Genen erforschen lässt. Die Forschungsarbeit, von der an dieser Stelle die Rede ist, beschäftigte sich mit einer Variante des Y-Chromosoms. Chromosomen sind biologische Strukturen, die den größten Teil der Erbmasse eines Individuums beinhalten. Die Y-Chromosomen im Besonderen bestimmen das männliche Geschlecht, das heißt, sie verhindern die Bildung von Eierstöcken in den entstehenden Föten und fördern die Heranbildung von Hoden.

„Die Chromosomen werden in verschiedene Varianten unterteilt, wir haben uns ganz konkret mit dem Y-Chromosom R1b-DF27 beschäftigt“, erklärte die Wissenschaftlerin Marian Martinez de Pancorbo. Sie ist Professorin für Zellbiologie an der Universität des Baskenlandes und Koautorin der Studie, die in der Zeitschrift „Scientific Reports“ publiziert wurde.

„Diese Varianten tauchen im menschlichen Organismus auf, danach werden sie auf die Nachkommen übertragen“, sagte die Wissenschaftlerin bei einer Pressekonferenz. Für die Studie des Y-Chromosoms R1b-DF27 wurden mehr als 3.000 DNA-Analysen untersucht, von Männern aus Spanien, Portugal und Frankreich. Dafür waren Blut- und Speichelproben genommen worden. Das besagte Chromosom ist hinreichend bekannt und insbesondere auf der iberischen Halbinsel weit verbreitet. Das stellte erneut die nun veröffentlichte Untersuchung unter Beweis. „40% der iberischen Männer weisen diese Chromosomen-Variante auf, bei den baskischen Männern liegt die Quote sogar bei 70%. Im Gegensatz dazu sinkt die Prozentzahl nördlich der Pyrenäen auf 10%“.

Von Nordosten her

Wichtige Frage war nun: woher kommt diese höhere Zahl unter den baskischen Männern? Die einfachste Erklärung ist, dass sich die Poblationen im Baskenland geschichtlich gesehen weniger gemischt haben mit anderen Poblationen. „Wenn wir es einfach erklären wollen: vom Baskenland aus sind über die Jahrhunderte hinweg mehr Menschen weggegangen als eingewandert“, sagte Martinez de Pancorbo.

Dass die baskischen Männer eine besonders hohe Quote an dem berühmten Y-Chromosom aufweisen bedeutet allerdings nicht, dass dieser Ur-Vorfahr ein Baske gewesen sein und im heutigen Euskadi gelebt haben muss (3). „Auch wenn das Chromosom im Baskenland besonders häufig anzutreffen ist, sprechen andere Messungen und Schätzungen dagegen, dass die R1b-DF27 Variante ihren Ausgangspunkt hier hat. Denn bei Diversitäts-Messungen und bei Altersschätzungen schneiden die Basken schlechter ab“. Die beteiligten Wissenschaftler*innen gehen davon aus, dass die Variante R1b-DF27 vor 4000 bis 4500 Jahren entstanden ist, „sehr wahrscheinlich im Nordosten der Halbinsel“. Jene Urahnen lebten zwischen der Kupfer- und der Bronzezeit, sie lebten in einer Welt kleiner Gemeinschaften, die von Landwirtschaft und Fischfang lebten und die begannen, Metalle zu verarbeiten.

chromo03Dass an der Studie Expert*innen der öffentlichen Universitäten Baskenland und Barcelona beteiligt waren, unterstreicht die Ernsthaftigkeit der Untersuchung. Denn nicht alle Thesen oder Forschungsergebnisse im Bereich Gen- und Sprachforschung gelten als seriös, manchmal sind sie ausgesprochen umstritten. Dazu kommt der Kampf um ewigen Ruhm oder gar einen Nobelpreis, was gelegentlich zu Strategien unter der Gürtellinie führt. Umstritten (und dennoch sehr interessant) ist zum Beispiel die Arbeit verschiedener Wissenschaftler*innen aus dem Jahr 2002, die die baskische Sprache als die Ursprache des europäischen Kontinents ausmachten und die davon ausgingen, dass drei Viertel der europäischen Gene von Urbasken abstammen. Die Studie wurde von Elisabeth Hamel und Theo Vennemann in einem ausführlichen Artikel der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“ vorgestellt (4).

Der Artikel aus „Scientific Report“, um den es an dieser Stelle geht, ist im Internet zugänglich, allerdings – und wie es sich in der wissenschaftlichen Welt gehört – in englischer Sprache. Beteiligt waren an der Studie verschiedene Wissenschaftler*innen: Neus Solé-Morata, Patricia Villaescusa, Carla García-Fernández, Neus Font-Porterias, María José Illescas, Laura Valverde, Francesca Tassi, Silvia Ghirotto, Claude Férec, Karen Rouault, Susana Jiménez-Moreno, Begoña Martínez-Jarreta, Maria Fátima Pinheiro, María T. Zarrabeitia, Ángel Carracedo, Marian M. de Pancorbo & Francesc Calafell. Baskultur.info dokumentiert die Einführung des Artikeltextes (2):

chromo04Analysis of the R1b-DF27 haplogroup shows that a large fraction of Iberian Y-chromosome lineages originated recently in situ

Abstract: Haplogroup R1b-M269 comprises most Western European Y chromosomes; of its main branches, R1b-DF27 is by far the least known, and it appears to be highly prevalent only in Iberia. We have genotyped 1072 R1b-DF27 chromosomes for six additional SNPs and 17 Y-STRs in population samples from Spain, Portugal and France in order to further characterize this lineage and, in particular, to ascertain the time and place where it originated, as well as its subsequent dynamics. We found that R1b-DF27 is present in frequencies ~40% in Iberian populations and up to 70% in Basques, but it drops quickly to 6–20% in France. Overall, the age of R1b-DF27 is estimated at ~4,200 years ago, at the transition between the Neolithic and the Bronze Age, when the Y chromosome landscape of W Europe was thoroughly remodeled. In spite of its high frequency in Basques, Y-STR internal diversity of R1b-DF27 is lower there, and results in more recent age estimates; NE Iberia is the most likely place of origin of DF27. Subhaplogroup frequencies within R1b-DF27 are geographically structured, and show domains that are reminiscent of the pre-Roman Celtic/Iberian division, or of the medieval Christian kingdoms.

ANMERKUNGEN:

(1) Basisinformation aus dem Artikel „El 70% de los varones vascos desciende de un hombre que vivió hace 4500 años” der spanischen Tageszeitung El Correo vom 27.9.2017 von Julio Arrieta. Es handelt sich um keine Übersetzung.

(2) Artikel aus “Scientific Report”: “Analysis of the R1b-DF27 haplogroup shows that a large fraction of Iberian Y-chromosome lineages originated recently in situ” (Link)

(3) Der Name Euskadi bezieht sich auf die drei baskischen Westprovinzen Araba, Bizkaia und Gipuzkoa, die seit Ende des Franquismus gemeinsam die Autonome Gemeinschaft Baskenland darstellen (Comunidad Autónoma Vasca), eine Region mit Autonomie-Statut innerhalb des spanischen Staates. Der Name ist umstritten und wird vor allem von Personen der spanischen Rechten benutzt, die das Baskenland nicht als historische Einheit sehen wollen, oder von baskischen Politiker*innen, die ein Interesse daran haben, die Trennung hervorzuheben zu Navarra, der historischen Wiege des Baskenlandes: Navarra umfasste als Königreich von 890 bis 1200 bzw. 1512 alle sieben baskischen Provinzen.

(4) Spektrum der Wissenschaft (SdW) wurde 1978 als deutschsprachige Ausgabe des seit 1845 in den USA erscheinenden Scientific American begründet, hat aber im Laufe der Zeit einen zunehmend eigenständigen Charakter gegenüber dem amerikanischen Original gewonnen. SdW erscheint monatlich in der Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH in Heidelberg, einer Einheit der Verlagsgruppe Springer Nature. (Wikipedia) (Link)

ABBILDUNGEN:

(*) Abbildungen aus Nature-Artikel

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