… und Extrem-Justiz
"Sie werfen eine Decke auf den Boden. Einer, den sie Kommissar nennen, schreit und ruft mir zu, dass er mich noch einmal vergewaltigen wird". Dieses Zitat ist nicht aus einem Drehbuch zu einem schlechten Kriminalfilm. Es ist die Beschreibung der Baskin Beatriz Etxebarria, die ihre Erfahrungen nach ihrer Verhaftung im März 2011 schildert. Die Geschichte handelt von der Reise im Polizeibus von Bilbao nach Madrid und von der fünftägigen Isolationshaft in den dunklen Folter-Verließen der Guardia Civil.
Seit den 1960er Jahren wurden etwa 10.000 Baskinnen und Basken in spanischen Polizeikellern gefoltert. Die meisten Betroffenen können oder wollen nicht darüber reden. Der Schmerz ist zu groß. Beatriz Etxebarria ist eine Ausnahme.
Die Schilderung
Am 1. März 2011 gegen 4.00 Uhr morgens wurde die Tür zu meiner Wohnung aufgesprengt. Die hereinstürzenden Polizisten packen mich an den Haaren und ziehen mich ins Wohnzimmer. Ich trage nur meinen BH und darf während der Durchsuchung keine Kleidung tragen. Im Wohnzimmer halten sie mich mit Gewalt fest, auf dem Sofa versuchen sie, mir Handschellen anzulegen. Sie sind wütend, weil sie zu klein für mich sind. Während ich noch auf dem Sofa sitze, rufen sie mir zu: Du wirst gleich sehen, was dir in den nächsten fünf Tagen bevorsteht.
Bei der Durchsuchung des Lagerraums wird mir schwindlig. Sie packen mich fest am Arm, die Griffe hinterlassen Spuren. Sie legen mir Handschellen aus Seil an und ziehen sie immer fester an. Als wir das Haus verlassen, drohen sie mir: ich solle meinen Partner weder ansehen noch mit ihm sprechen. Sie bringen mich zum Auto und verbieten mir, bei der Razzia zuzusehen.
Sie bringen mich zum Gerichtsmediziner in Bilbo. Dort werde ich genau angeschaut, ich habe Abdrücke an den Handgelenken von den Handschellen, meine Venen sind geschwollen, ich habe ein paar Kratzer. Meine Arme sind rot von der Art, wie sie mich gepackt haben, und sie sind steif. Sie haben mich in einen Nissan-Patrol gesteckt. Sie zwingen mich, meine Augen zu schließen und halten ihre Hände davor. Ich höre, wie sie darüber reden, ein anderes Auto zu treffen.
Sie halten an. Ein Guardia-Civil-Beamter, der sich Kommissar nennen lässt, holt mich ab und wir wechselten das Fahrzeug. Jetzt ist es kein Patrol mehr, sondern ein kleineres Auto, wegen des Platzes und der Höhe, wenn wir einsteigen. Der Kommissar beginnt, mir ins Ohr zu schreien und zu drohen: "Ich bin ein Militär und ich bin darauf trainiert, zu töten". Er sagt mir, ich hätte zwei Möglichkeiten: von Anfang an zu reden oder nicht. Ich merke, wie sie eine Tüte holen und sie mir über die Hände legen.
Während der Fahrt nach Madrid haben sie mich geschlagen und geohrfeigt und mich ständig bedroht. Sie sagen mir, dass sie das Auto anhalten werden: "Ich werde dich nackt ausziehen, dich in den Schnee werfen und dich aufschneiden". Der Kommissar zieht seine Jacke aus und beginnt, sich an meinem Körper zu reiben. Der andere Polizist neben ihm "beschwichtigt" den Kommissar, bedroht mich aber auch. Auf dem Weg nach Madrid stülpen sie zwei Mal die Tüte über meinen Kopf, so dass ich fast ersticke.
In Madrid
In der Polizeiwache gab es verschiedene Räume: In einem hörte ich die Schreie der anderen Häftlinge. Weiter unten gab es noch einen Raum, der mir das Gefühl vermittelte, isoliert zu sein, und in dem die Behandlung noch schlimmer war. Ich nenne den ersten Raum den "harten Raum" und den anderen "den sehr harten Raum".
Die Drohungen gingen weiter, der Kommissar steckte mich in eine Zelle und sagte mir, ich solle mir überlegen, was ich tun wolle. Sie holen mich aus der Zelle und bringen mich in das Büro des Gerichtsmediziners. Das war am Dienstag gegen 20.30 Uhr. Ich sage dem Mediziner, dass ich gefoltert werde. Sie bringen mich zurück in die Zelle.
Sie bringen mich in den "harten Raum". Dort hörte ich die Schreie der anderen Häftlinge. Sie setzen mich auf einen Stuhl und befeuchten meine Hände, während ich Geräusche höre, die wie Elektroden klingen. Als ich in der Zelle war, hörte ich die gleichen Geräusche. Sie sagen mir, dass ich reden muss, und sie beginnen, mich auszuziehen, bis ich völlig nackt bin. Als ich nackt bin, übergießen sie mich mit kaltem Wasser. Dreimal hintereinander machen sie mir wieder “die Tüte“. Sie drohen damit, mich in die Badewanne zu tauchen. Während ich nackt war, setzten sie mich auf allen Vieren auf eine Art Schemel. Sie schmierten Vaseline auf meinen Anus und meine Vagina und führten einen kleinen Gegenstand in mich ein. Ich bin immer noch nackt und sie wickeln mich in eine Decke und schlagen mich. Sie packen mich, schütteln mich und heben mich vom Boden hoch.
Ich werde zurück in die Zelle gebracht, bis ich am Mittwochmorgen wieder zum Gerichtsmediziner gebracht werde. Ich erzählte ihm etwas über die Behandlung, der ich ausgesetzt war, seine Reaktion war abweisend.
Sie bringen mich zurück in die Zelle und ich versuche, mich dort eine Weile "auszuruhen". Nach einer Weile kommt der Kommissar und bringt mich in den "sehr harten" Raum. Dort zieht er mich wieder aus. Er zieht mich an den Haaren, schlägt mir auf den Kopf und schreit mir ins Ohr, dass er ein Mann des Militärs sei, dass er zum Töten ausgebildet sei und dass "ich dich im Innern in Stücke reißen werde, damit du keine kleinen ETA-Mitglieder gebären kannst".
Sie bringen mich wieder zurück in die Zelle und erneut zum Gerichtsmediziner. Ich sage ihm nichts, weil ich gesehen habe, wie er sich beim letzten Besuch verhalten hat, bei dem er meinen Bericht über die Folter in Frage gestellt hatte.
Die Verhöre waren immer vor vielen Leuten. Einmal zählte ich bis zu sieben verschiedene Stimmen. Sie bedrohen mich ständig mit meinem Partner (der, wie ich höre, ebenfalls gefoltert wird). Sie drohen auch damit, meinen Bruder zu verhaften. Sie sagen mir, dass sie nicht nur meine Eltern verhaften, sondern auch meine Großmutter “in Unterwäsche holen und sie ficken" werden, wenn ich keinen Deal mit ihnen mache.
Am vorletzten Tag zieht mich der Kommissar wieder nackt aus. Er wirft eine Decke auf den Boden, schreit, sie kündigen mir an, dass sie mich wieder vergewaltigen werden. Ich habe den Eindruck, dass er beginnt, sich auszuziehen, ich höre, wie er seinen Gürtel abnimmt. Dann versucht der Mann, den sie Garmendia nennen, ihn zu beruhigen, bringt ihn aus dem Raum, in dem sie waren, und ich höre sie reden. Garmendia betritt wieder den Raum und fordert mich auf, ihm zu versprechen, dass ich aussagen werde.
Am letzten Tag hatte ich bis zu sechs Verhöre. Meine zweite polizeiliche Aussage machte ich am Samstag um 5:40 Uhr (Beatriz sagte aus, was die Folterer hören wollten). Danach wurde ich nicht mehr entkleidet, und die Aggression ließ nach, sie sagten mir sogar, ob ich meinen Partner Iñigo sehen wolle. Die Drohungen hörten erst auf, als ich vor dem Audiencia-Nacional-Gericht stand. Im Transporter sagte mir der Kommissar, der neben mir saß, dass ich meine Aussage vor dem Richter bestätigen müsse.
Während der gesamten Zeit der Isolationshaft, außer wenn ich zum Gerichtsmediziner ging, wurden mir die Augen mit verschiedenen Masken verbunden. Es gab eine aus Latex, der eine Art Pulver enthielt, von dem sie sagten, dass ich blind werden würde, wenn ich meine Augen öffnen würde. Ich merkte, dass meine Augen eine Zeit lang juckten, nachdem sie sie abgenommen haben (um zur Gerichtsmedizin zu gehen). Als ich beim Kommissar war, haben sie mir eine andere Maske aufgesetzt, die sich eher samtig anfühlte.
Während der Kontaktsperre war ich hauptsächlich mit drei Polizisten zusammen (dem Kommissar, der Inspektor und Garmendia, der weniger brutal war). Doch während der Verhöre war immer eine Reihe von zusätzlichen Leuten im Raum. Vor dem Richter widerrief ich die Aussage, die ich unter Folter vor der Polizei gemacht hatte und machte eine Anzeige, dass ich gefoltert worden war. (1)
Nachbemerkungen
Wie viele Folteranzeigen vorher wanderte auch die von Beatriz Etxebarria schnell in den Papierkorb der spanischen Justiz. Die offizielle und hundertfach wiederholte Begründung war, die Untergrund-Organisation ETA habe die Parole ausgegeben, falsche Folteranzeigen zu machen, um dem Image der Justiz und des Staates zu schaden. Wenn tatsächlich einmal körperliche Folgen der Misshandlungen feststellbar waren, wurde (wie im Fall Unai Romano) behauptet, die habe er sich durch Selbstverletzungen zugefügt.
In den Fall von Beatriz Etxebarria mischte sich Jahre später eine andere juristische Instanz ein. Ihre Anwältinnen hatten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt und das Gericht gab ihnen Recht. Die spanische Justiz wurde dafür verurteilt, dass sie den Foltervorwürfen nicht ernsthaft nachgegangen sei. Der Gefolterten und einem weiteren klagenden Gefangenen wurden deshalb 29.000 Euro Schmerzensgeld zugestanden, die aus der Staatskasse bezahlt werden mussten. Dieses Urteil stellte allerdings keine Bestätigung der Folter selbst dar, soweit geht kein europäisches Gericht. Es folgten weitere Urteile zugunsten von baskischen Gefangenen.
Die sich dazu regelmäßig geäußert haben, waren Amnesty International und das Hochkommissariat für Folter der Vereinten Nationen. Sie sprachen in ihren jährlichen Berichten Klartext. Niemals vergessen werden darf zudem die Tatsache, dass der damalige Richter bei der Audiencia Nacional ein gewisser Fernando Grande Marlaska war. Er veranlasste die Nicht-Untersuchung und die Einstellung der Anzeige der misshandelten Baskin. Dieser Grande Marlaska ist heute spanischer Innenminister, in der “fortschrittlichsten Regierung Spaniens nach dem Franquismus“, so die Eigenbezeichnung. Sie besteht aus Podemos und den Sozialdemokraten und wird von verschiedenen Unabhängigkeits-Parteien aus Katalonien und dem Baskenland gestützt. Darunter die linke baskische Koalition Euskal Herria Bildu.
Beatriz Etxebarria hat mit ihrem zeitgleich verhafteten Lebenspartner im Gefängnis ein Kind bekommen, das drei Jahre bei der Mutter bleiben darf. Nachdem die aktuelle spanische Regierung von der Dispersion abgerückt ist, der Inhaftierung von baskischen Gefangenen im entlegenen Süden des Staates, ist das Paar nun in der baskischen Provinz Araba inhaftiert.
ANMERKUNGEN:
(1) ”Beatriz Etxebarria: Tiran una manta al suelo. ‘El Comisario’ grita y me dice que me va a violar otra vez” (B.E.: Sie warfen eine Decke auf den Boden. Der Kommissar schrie, er werde mich erneut vergewaltigen”, Tageszeitung Gara, 2014-10-07 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Verhaftung (gara)
(2) Prozess (eitb)
(3) Prozess (cadena ser)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-06-04)