auzolan1In der Tradition der Arbeiter-Bewegung

Der Nachbarschafts-Verein eines Arbeiter-Stadtteils in Bilbo fordert, den alten Waggon-Tunnel der früheren Erzmine im Barrio wieder zugänglich zu machen. Denn zugänglich war dieser am Fluss beginnende Tunnel lange Zeit, bevor er wegen angeblicher Sicherheitsdefizite vom Rathaus geschlossen wurde. Mit der Schließung des Transport-Schlauchs ist auch ein Geschichts-Projekt im Barrio in Frage gestellt. Denn eine kleine Gruppe von Barrio-Aktivisten führt seit Jahren Rundgänge durch die alten Abbaugebiete.

Ohne öffentliche Unterstützung vermittelt eine Stadtteil-Gruppe in Bilbo Zaharra seit Jahren die Bergbau-Geschichte dieses Barrios, um sie nicht verloren gehen zu lassen. Das Angebot gilt nicht für Touristen, sondern für Bewohner*innen desselben Barrios.

Manche würden es als “Geschichte von unten“ bezeichnen, oder als “alternativer Stadtrundgänge“. Für die vierköpfige Gruppe im Stadtteil, die alle zwei Monate Führungen durch den Proletarier-Stadtteil organisiert, ist es schlicht “Nachbarschafts-Arbeit“. “Auzolan“ ist das baskische Wort dafür: “auzo“ steht für Nachbarschaft, “lan“ für Arbeit. Dieses Konzept freiwilliger und unbezahlter Arbeit im Dienst der Mitbewohner*innen hat im Baskenland eine lange Tradition, in der Linken versteht sich. Der Erinnerungs-Gruppe des Barrios geht es ganz einfach darum, die kämpferische Geschichte dieses Stadtteils nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Industrielle Revolution

Vor ziemlich genau 200 Jahren begann in Bilbo Zaharra (der Stadtteil gegenüber der Altstadt am anderen Fluss-Ufer) die Industrialisierung. Schon den Römern war 2.000 Jahre vorher bekannt, dass dort gutes Eisenerz zu finden war. Seither wurde es abgebaut, in kleiner Dosierung. Mit der technologischen Entwicklung war es plötzlich möglich, das Eisenerz im industriellen Stil abzubauen. In Bilbo Zaharra (spanisch: Bilbao La Vieja, das Alte Bilbao) wurde ein ganzer Berg zum Objekt der Begierde: im Tagebau wurde nach und nach abgebaut.

Weil es in Bizkaia nicht ausreichend Arbeitskräfte gab, um diese intensive Industrie durchzuführen, kamen hunderttausende Migrant*innen aus anderen spanischen Regionen, um in Bilbo ein besseres Leben zu suchen. In wenigen Jahrzehnten stieg die Bevölkerungszahl im Großraum Bilbao um ein Vielfaches, nirgendwo im Staat gab es so viele Arbeiterinnen und Arbeiter auf engem Raum. Die Arbeit war hart, die Lebensbedingungen erbärmlich – kein Wunder, dass sich die Menschen zu organisieren begannen. Gewerkschaften und Parteien wurden gegründet, Streiks ausgerufen. Für viele ist Bilbao die Wiege der spanischen Arbeiter-Bewegung – die der baskischen auf jeden Fall.

Leben in Armut

auzolan2Jenen damaligen Alltag zwischen den Barrios San Francisco und Bilbo Zaharra zu vermitteln, hat sich die Erinnerungs-Gruppe zur Aufgabe gemacht. Hier lagen die Arbeitsplätze, die Wohnbaracken und die Orte der Arbeitskämpfe dicht an dicht. “Das ist eine einmalige Geschichte im Baskenland, die auf gar keinen Fall verloren gehen darf. Schon gar nicht im Bewusstsein der neuen Generationen, die das alles nicht mehr aus eigener Anschauung erlebt haben“, so die Erinnerungs-Gruppe. Denn die Stadtverwaltung, die ansonsten Millionen in ihre Tourismus-Projekte steckt und alles zu vermarkten versucht, was sich vermarkten lässt, vom Guggenheim-Museum bis zur malerischen Altstadt, hat an dieser Art von Geschichts-Vermittlung keinerlei Interesse. Allenfalls erinnert man sich im Rathaus an das Barrio, wenn es um mehr Polizeipräsenz geht, oder um Fremdkörper wie Kunstakademien oder Zentren zur Unternehmens-Gründung einzurichten, oder Lizenzen für Yuppie-Restaurants zu erteilen. "Wir sind hier Gegenstand einer gezielten Gentrifizierung, auf Dauer sollen die armen Leute hier vertrieben werden“.

Luftschutz-Bunker

Die Erinnerungs-Gruppe besteht aus zwei Einheimischen, die hier aufgewachsen sind, und zwei Auswärtigen, die vor Jahren im Barrio Fuß gefasst haben. In ihren Kreisen ist die Interesselosigkeit der Politik ein bekanntes Thema, das sie allerdings wenig kümmert. “Die sollen uns in Ruhe lassen, wir organisieren das alleine“. Bisher ging das ohne Probleme. Bei den Rundgängen vorgestellt werden die wenigen Reste aus der Bergbauzeit, die vom Abrissbagger verschont blieben: ein primitiver Hochofen, der Eingang zum Minengebiet und der erwähnte Tunnel.

Dabei handelt es sich um einen etwa 100 Meter langen Schlauch, der direkt in die Reste des Erzberges hineinführt. Darin fließt ein kleiner Bach, zu sehen sind noch die Schienen, auf denen kleine Loren bis vor 60 Jahren die Mineralien zu den Ladeschiffen brachten. Eigentlich war der Tunnel länger, doch der hintere, berg-innere Teil ist eingestürzt und wurde mit einer Betonwand abgetrennt. Im "spanischen Bürgerkrieg“ (bei der Erinnerungs-Gruppe wird bevorzugt der Begriff "Spanienkrieg“ benutzt, “weil es kein Bürgerkrieg war“) wurde der Transport-Tunnel auch als Schutzbunker benutzt, wenn die Flugzeuge der faschistischen deutschen Legion Condor die Stadt bombardierten.

Geschichte von unten

auzolan3Weil es im Tunnel kein Licht gibt und der Boden meist matschig ist, machte sich die Gruppe an eine Verbesserung des Zugangs. Zu besseren Betreten wurden Gitter eingelegt, die Schienen wurden freigelegt, Dreck entfernt, das alles auf eigene Kosten. Der Tunnel wurde zur kleinen Attraktion der Stadtteil-Rundgänge. Bis das Rathaus das Schloss wechselte. Die Sicherheit sei nicht gewährleistet. Ganz falsch ist das sicher nicht, doch die Eisenbalken sind stabil. Deshalb geht es nun um Wiedereröffnung. Dafür wurden Unterschriften gesammelt, der Stadtrat hat die Angelegenheit in einer Anhörung behandelt, aber nichts entschieden.

Trotz allem gehen die Rundgänge weiter. Vorbei am primitiven Hochofen, an einer Versorgungs-Station für Arbeiter-Kinder, einer Krankenstation, einem alten Kino, einer Keksfabrik, einem ehemaligen Waschhaus und einem Gefängnis – alles mittlerweile so versteckt oder verbaut, dass niemand etwas finden oder identifizieren würde. Dafür sorgen die Rundgänge. In Auzolan, Nachbarschafts-Arbeit – ohne jegliche Unterstützung der städtischen Verwaltung.

“Vor 200 Jahren, vor der Industrialisierung, war der Boden hier unverkäuflich. Er wurde von den Bewohnerinnen in gemeinschaftlicher kommunaler Arbeit bewirtschaftet. Damals ging es um existenzielle Arbeit, diese Notwendigkeit haben wir nicht“, sagt eine aus der Erinnerungs-Gruppe. "Aber das Prinzip ist dasselbe geblieben. Gemeinsame Arbeit an einem uneigennützigen Projekt, dass für die Interessierten aus dem Barrio von Bedeutung ist“.

Großes Interesse

Das Interesse ist groß. Immer mehr Personen, auch aus anderen Stadtteilen, melden sich an. Auch während der Pandemie gab es keinen Stopp, in Kleingruppen zu vier Personen wurde weiter gemacht. Es gibt eine Warteliste, weil die Besuchsgruppen nun nicht größer als sechs Personen sein sollen. “Große Gruppen sind nicht aufmerksam. Wir wollen aber, dass unsere Information aufgenommen wird. Deshalb kleine Gruppen. Zudem ist ein solcher Besuch keine Einbahnstraße, denn mitunter sind Leute dabei, die eigene Geschichten beitragen können, für uns neues Wissen. Zum Beispiel der letzte Bergarbeiter, der immer noch im Barrio lebt. Auch das gehört zum Konzept. Dann treten wir einen Schritt zurück und werden zu Zuhörerinnen“.

Formal unterstützt wird die Gruppe "Bilbo Zaharreko Memoria Taldea“ vom Nachbarschafts-Verein des Stadtteils. Der war es, der den Antrag formal in die Stadtrats-Versammlung eingebracht hat. "In früheren Zeiten, nach dem Ende des Franquismus, war Auzolan noch weit mehr verbreitet. Alle waren in der einen oder anderen Form beteiligt“, resümiert eine Aktivistin.

"Dennoch sind wir lange nicht die einzigen, die hier im Stadtteil freiwillige Auzolan-Arbeit leisten. Für die Fiesta zum Beispiel, gibt es eine Gruppe, die vier Festtage organisiert: Musik, Verkaufsstände, Kinderprogramm, Volksessen, das sind insgesamt wenigstens 60 Personen beteiligt. Nur die Musikerinnen erhalten Geld, alles andere ist freiwillig“. Das steht in krassem Gegensatz zu den künstlichen Festtagen, die das Rathaus ohne Rücksprache mit Barrio-Vertreterinnen: Musik zum Stadtjubiläum, oder ein Rap-Auftritt für viel Geld, da geht bis hin zum Bühnenaufbau viel Geld über den Tisch. "Die Stadtverwaltung hat keinerlei Interesse an selbstorganisierten Aktivitäten, die wollen erstens alles kontrollieren, und zweitens ihre politischen Freunde mit Kleinfirmen bedienen. Der letzte Hit ist, dass sie für die Benutzung des zentralen Barrio-Platzes für die populäre Fiesta Miete kassieren wollen. Das ist der absolute Gipfel!“

Trotz alledem

"Für viele Interessierte und ihre Kinder war der Loren-Tunnel tatsächlich das Highlight des Rundgangs, der im Übrigen aus vier Stationen besteht. Doch selbst jetzt, wo er geschlossen ist, haben wir keine Probleme, die Besuchsgruppen sind voll. Letztendlich ist es eine kontinuierliche Arbeit, nicht nur der Rundgang alle zwei Monate. Wir sind ständig auf der Suche nach alten Fotos, die dann über die sozialen Medien rumgeschickt werden. Wir organisieren Filme oder Informations-Veranstaltungen. Und suchen nach neuen Informationen über die Stadtteil-Geschichte, denn immer mehr alte Dokumente werden digitalisiert und ins Internet gestellt. Das hilft uns sehr“.

auzolan4"Die heute 50-Jährigen haben ihre Jugend auf dem verlassenen Gelände der Erz-Minen verbracht, das war damals wie ein riesiger Abenteuer-Spielplatz. Nur etwas gefährlich, weil in den 1980er Jahren jede Menge Drogen im Umlauf waren und halbe Jahrgänge ausgerottet wurden“, wird beim Rundgang erzählt. Auch damals interessierte sich im Rathaus kaum jemand für das, was in den Arbeitervierteln Alltag war. "Wir haben die bestehenden Konflikte selbst ausgetragen und Wege der Vermittlung und Verbesserung gesucht. Auch nach der fürchterlichen Überschwemmung von 1983, als das Barrio drei Meter unter Wasser stand, war die Verwaltung völlig unfähig, wir haben alles selbst organisiert: Notunterkünfte, Essen, den Großputz. Nicht einmal Polizei oder Feuerwehr kamen ins Viertel. Heute hat sich vieles verändert. Die Menschen denken mehr an Telepizza und einen neuen Fernseher. Auzolan ist nicht mehr so stark angesagt. Konsum und Individualismus spielen eine immer größere Rolle. Aber das hält uns nicht davon ab, die alten Wege der Gemeinschaftsarbeit weiter zu beschreiten“.

Entscheidung unklar

In ihrem neuen Stadt-Bebauungs-Plan hat die Stadtverwaltung eine andere unterirdische Mine unter Denkmalschutz gestellt, auch die Mine Malaespera oberhalb von Bilbo Zaharra. Der kleine Hochofen, der Tunnel und die Mine San Luis stehen nicht auf der Liste – die Mine trägt den Namen ihres ersten Besitzers, dem englischen Kaufmann Luis Lewison. Die Anlegestelle am Fluss am Tunnelende ist längst verschwunden.

Im Jahr 2007 hatte das städtische Amt für Sanierungen in Bilbao la Vieja auf die Möglichkeit hingewiesen, den Tunnel als Ausstellungsraum für die Vergangenheit des Bergbaus zu nutzen. Doch wurde nichts aus diesem Plan. Einer der Aktivisten der Erinnerungs-Gruppe hat im Ausschuss vor der Plenarsitzung die Notwendigkeit der Wiederherstellung dieses wichtigen Teils der Geschichte des Viertels verteidigt. Dafür wurde auch ein Architekt konsultiert, der die Durchführung einer Sicherheitsstudie empfahl. Unklar ist auch, wer genau Eigentümer des Tunnels ist. Der Rat wurde deshalb aufgefordert, den Stollen zu erwerben und notwendige Maßnahmen zur Wiedereröffnung zu prüfen. Der Antrag wurde mit 785 Unterschriften unterstützt. Die Anwohner*innen erwarten von den städtischen Fraktionen "die nötige Sensibilität und Perspektive, um dieses Ziel zu erreichen, weil es für unser Viertel von großem Interesse ist". (1)

ANMERKUNGEN:

(1) Mehr Information: “Vecinos de Bilbao La Vieja piden que se abra al público la Mina San Luis” (Anwohner von Bilbao La Vieja fordern die Öffnung der Mine San Luis für die Öffentlichkeit) Tageszeitung El Correo, 2022-05-18 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Der Letzte Bergarbeiter (elcorreo)

(2) Tunnel (Erinnerungsgruppe)

(3) Hochofen (Erinnerungsgruppe)

(4) Rundgang (Erinnerungsgruppe)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-05-21)

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