Bilbao, Venedig, Donostia …
Zwar wird auch im Tourismus mittlerweile häufig von Nachhaltigkeit gesprochen, bei näherem Hinsehen ist jedoch das Meiste Schall und Rauch. Wie alle Wirtschafts-Sektoren, die nach kapitalistischen Prinzipien funktionieren, setzt auch Tourismus nicht wirklich auf das Kennenlernen anderer Orte und Kulturen, sondern lebt vom Ausverkauf des jeweils Vorhandenen. Je zahlungskräftiger die Besucherinnen, desto „herzlich willkommen“. Einheimische und ihre Lebens-Interessen kommen in diesem Spiel wenig vor.
Weil die Kreuzfahrt-Anbieter weg vom elitären Charakter auf günstigere Reisen setzen, hat die internationale Kreuzfahrerei beträchtlich zugenommen – mit fatalen Folgen für die Anlegeziele. Unter dem Titel „Touristenflut - Unesco droht Venedig mit Entzug des Welterbetitels“ beschreibt ein Artikel die dramatische Situation, die von Kreuzfahrt-Schiffen und Massen von Touristinnen verursacht werden. Venedig ist ein extremes Beispiel, auch vom katalanischen Barcelona werden regelmäßig Exzesse berichtet. Auch das Baskenland ist nicht ausgenommen von fatalen Politik-Konzepten und einer sichtbaren Veränderung der touristischen Anlaufstellen – sehr zum Nachteil der Einwohnerinnen, die Lebensqualität, günstige Wohnungen, Einkaufmöglichkeiten verlieren – im Austausch für prekäre Arbeitsplätze im schlecht bezahlten Tourismus-Sektor. Bilbao ist aktuelles Beispiel, in dem sich erste kritische Stimmen erheben (1) (Link). (2016-07-19)
Die bei Spiegel-Online publizierte Meldung beginnt mit dem etwas reißerischen Titel: „Zu viele Touristen, zu große Kreuzfahrtschiffe – der einst so romantischen Lagunenstadt Venedig droht der Untergang. Jetzt schaltet sich die Unesco mit einem Ultimatum ein“. Interessant ist zum Vergleich ein Blick auf die Geschichte des Tourismus-Geschäfts mit dem zwiespältigen Namen „Kreuzfahrt“ (2) (Link).
Da schau, rufen die Mütter ihren Kindern zu, und die Väter heben die Kleinen hoch. Hoch über die Menschenmassen, die sie umringen. Und dann schauen die Großen und die Kleinen, wie sich ein riesiges Kreuzfahrtschiff durch die Lagune schiebt. Die meisten davon sind höher als das höchste Haus der weltberühmten Stadt, die vor weit mehr als tausend Jahren auf 118 künstlichen Inseln in die flache Bucht gesetzt wurde. Und die nun, mit den Giganten auf dem Wasser, noch eine zusätzliche Attraktion zum Fotografieren, Filmen und Bestaunen bekommen hat. Auch die Stadtoberen und die Hafenbehörde freuen sich: Die mehr als 1500 Kreuzfahrtschiffe, die im Jahr in Venedig anlanden, bringen etwa 500 Millionen Euro an Einnahmen.
Millionen-Einnahmen versprach sich auch das baskische Bilbao vor einem Jahr, als gleich vier Kreuzfahrt-Schiffe gleichzeitig im nahen Hafen von Getxo anlandeten. Die Enttäuschung war groß, als die Mehrzahl der finanzkräftigen Kreuzfahrerinnen den an Deck angebotenen Luxus und Kompaktpreis dem beschwerlichen Kulturgang in die bizkainische Hauptstadt vorzog. Ein „Millionen-Verlust“. Doch das bremst nicht das umweltzerstörerische Ansinnen: Getxo – mit Industrie, Wasserverschmutzung, Yachthafen und Kreuzfahr-Anleger ohnehin schon stark belastet – soll zusätzliche Kapazitäten erhalten. Momentan wird an einem modernen überdachten Anleger gearbeitet, der bereits Millionen kostet. Ein weiterer Anlege-Kai soll dazu kommen für mehr Kreuzfahrschiffe. Mit Geld aus öffentlichen Kassen.
Dass die „Serenissima" (Die Durchlauchtigste), wie die uralte, fragile Stadt im Meer genannt wird, damit einer zusätzlichen, womöglich tödlichen Gefahr ausgesetzt wird, kümmert außer einigen Umweltschutzaktivisten offenbar nicht allzu viele. Diese Woche (Juli 2017) nun hat sich die Unesco, die für Bildung, Wissenschaft und Kultur zuständige Organisation der Vereinten Nationen (Uno) mit einem Ultimatum eingeschaltet: Würden bis zum Februar 2017 nicht dringendste Notmaßnahmen in Kraft gesetzt, riskiere Venedig den Titel „Weltkulturerbe" zu verlieren. Auf jeden Fall würde sie von der Unesco-Liste gestrichen, auf der Stätten in aller Welt wegen ihrer Einzigartigkeit und Authentizität aufgeführt werden (derzeit 1007). Stattdessen käme sie auf die schwarze Liste der „gefährdeten" Erbstücke der Menschheit. Für das globale touristische Image der Venezianer wäre das ein herber Schlag. Vermutlich auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Denn dorthin, wo das Schöne stirbt, wollen die Touristen nicht.
Bann für Kreuzfahrtschiffe. Schon 2011 hat die Venedig-Sektion der Bürger- und Umweltorganisation "Italia Nostra" die Unesco um Hilfe gerufen. Diesen Donnerstag, auf der Vollversammlung in Istanbul, wurde ein entsprechendes Eingreifen beschlossen. Die riesigen Kreuzfahrtschiffe sollten aus den Gewässern vor San Marco verbannt, der restliche Motorboots-Verkehr müsste drastisch eingeschränkt werden, fordert die Uno-Organisation. Auch müssten die Ausbaggerungen gestoppt werden, und ein „Besucher-Management", müsse die Touristenmassen besser organisieren oder limitieren. Auch gelte es, die wenigen Venezianer vor dem Druck der „Bed and Breakfast"-Welle und der Zweitwohnungs-Sucht der Reichen aus aller Welt zu schützen.
Die gipuzkoanische Metropole und Europäische Kultur-Hauptstadt 2016 San Sebastián / Donostia hat im Hinblick auf Kreuzfahrer einen Vorteil. Der Hafen ist zu klein und wäre auch nicht tief genug, um die Tomas-Cook-Monster der Meere aufzunehmen, die Einfahrt zum industriellen Großhafen Pasaia (Pasajes) ist zu eng. So kam es im Juli 2016 zu der Tagesnachricht, dass der Luxus-Kreuzer „The World“ in der Concha-Bucht vor Anker gehen musste. Wer an Land wollte, musste einen Boots-Transfer über sich ergehen lassen, die San-Fermin-Fiesta-Willigen stimmten dem freudig zu, in Donostia blieb kein Euro. Das Kreuzfahrt-Exemplar „The World“ ist ein ganz besonderes: hier mieten die Gäste keine Suite, sie kaufen sie, von Millionenbeträgen ist die Rede – Kleingeld für Reiche. Daneben leistet sich das Schiffs-Projekt den „demokratischen Luxus“, die Mitfahrerinnen über den Kurs selbst bestimmen zu lassen, eine Form von Selbstbestimmung, die 08/15-Touristinnen an der Costa-Brava sicher nicht zusteht.
Ob die bedrohte Stadt Venedig damit noch zu retten ist, weiß niemand. Aber einen Versuch wäre es wohl wert. Venedig, von Dichtern umschwärmt, von Sängern verherrlicht, von Millionen fotografiert und gefilmt, ist seit Langem existenziell bedroht. Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist der Meeresspiegel um etwa 30 Zentimeter gestiegen. Viele Häuser haben ständig Wasser im „Erdgeschoss". Hunderte Monumente und Gebäude sind davon schon schwer geschädigt, etwa die Kirche San Polo oder die Kathedrale San Marco. Seit Jahren ist ein Flutwellenschutz mit beweglichen Barrieren im Bau. Das Schleusensystem Mose hat viele Milliarden an Steuergeld verschlungen und sich zu einem großen Korruptionsskandal entwickelt. Sollte er tatsächlich fertiggestellt werden und in Betreb gehen, kann er die Flutwellen bei Hochwasser vielleicht etwas bändigen. Doch er wird weder den permanenten Anstieg des Wassers noch die Versalzung der Lagune stoppen. Zehn Millionen Übernachtungen pro Jahr, dazu etwa die doppelte Zahl der Tagesbesucher benötigen Versorgungs- und Dienstleistungen, die auf der knappen Fläche kaum noch zu leisten sind. Vom Frühling bis in den Spätherbst sind täglich etwa doppelt so viele Besucher in der Stadt wie die etwa 56.000 Einheimischen. Diese finden kaum noch Einkaufs-Möglichkeiten zu normale Preisen.
Das zeigt einmal mehr, dass im Tourismus auf die Interessen der Einheimischen keine Rücksicht genommen wird oder werden kann. Sie sind mit verstopften Straßen konfrontiert, mit Preis-Steigerungen, mit nächtlichen Sauf-Gelagen (wie in Barcelona), mit der Verteuerung der Miet- und Wohnungspreise, etc. Zu Stoßzeiten ist die Altstadt von Bilbo fast nicht mehr begehbar, Gruppen von 50 mit Kameras schwer bewaffnete Besucherinnen verstopfen die Straßen, und die enge Markthalle sowieso. War mann vor 10 Jahren in den engen Gassen von Zazpikaleak noch angetan über das kleine Zubrot durch die ersten Ankömmlinge, mehr noch, als die Wirtschaftskrise zur Schließung von Läden aller Art führte, so häufen sich nun die kritischen Stimmen. „Man fühlt sich wie im Zoo“ ist eine der anschaulichen Beschreibungen, die Kreise ziehen. Alte Läden in Miete werden von den Hauseigentümern gekündigt und umgebaut, die Häuser werden zu Hotels und Edel-Restaurants. Wer Geld hat profitiert vom Tourismus-Boom, die Kleinhändler beißen ins Gras und müssen sich bei steigenden Preisen andere Ladenlokale suchen, oder einen anderen Beruf.
Die Kosten für die Erhaltung der Häuser steigen in Venedig ins Unerschwingliche, weil es Maurer, Installateure und Co. in Venedig nicht mehr gibt. Alles muss vom Festland kommen. Kaum einer der berühmten Gondolieri, die das Bild der Stadt prägen, wohnt dort. Venezianer, die zur Miete wohnen, haben neben, über und unter sich längst Touristen-Getümmel. Die Online-Vermietungs-Plattform Airbnb sei „noch schlimmer" als die Kreuzfahrtschiffe, schimpft die Autorin der berühmten Venedig-Krimis Donna Leon. Sie ist nur noch selten in „ihrer" Stadt.
Wenn in einer Kleinstadt wie Gernika, die sicher keine Millionen-Ströme anzieht, eine Gruppe von Bürgerinnen fordert, die Zahl der Touristinnen zu beschränken, ist das ein Alarmzeichen.
Nicht vergessen ist der Super-Gau der modernen Kreuzfahrt, als 2012 vor der Insel Giglio an der toskanischen Küste das größte italienische Kreuzfahrt-Schiff Costa Concordia auf Grund lief, ein vom Kapitän verschuldeter Unfall, der Dutzende Tote forderte.
Schaulaufen der Promi-Brautpaare. Die Kreuzfahrtschiffe kommen in Venedig nur noch obendrauf: Jedes von ihnen setzt so viel Abgase frei wie 14.000 Autos, zitiert die „Neue Zürcher Zeitung" eine Bürgerinitiative. Sie lassen die Hausmauern fressenden Wellen noch einiges höher schlagen und drücken noch mehr Menschenmassen in die engen, nur noch im Winter romantischen Gassen. Dabei gäben die Schiffspassagiere „praktisch nichts aus", klagen Bar- und Restaurantbesitzer, die hätten ja „an Bord alles kostenlos". Vor zwei Jahren hatte das italienische Umweltministerium Schiffen mit mehr als 96.000 Tonnen Gewicht und mehr als 300 Metern Länge verboten, über den Giudecca-Kanal in den Hafen einzufahren. Die Venedig-Schützer jubilierten, aber nur kurz. Bald hob ein Gericht das Verbot auf. Es verstoße unverhältnismäßig gegen öffentliche und private Interessen.
Die Hafenbehörde will nun eine Route ausbaggern, die nicht vor dem Markusplatz in den Giudecca-Kanal, sondern am Stadtzentrum vorbeiführt. Doch in der „ökologisch sensiblen Lagune autobahn-ähnliche Kanäle zu bauen", halten die Stadtschützer nur für eine weitere „absurde Idee". Angesichts dieser Dimension ist der Stadt- und Umwelt-zerstörende Effekt der zunehmend populär gewordenen Promi-Hochzeiten im schönen Venedig eher minimal. Dabei bringt er vielen Touristen ähnlich viel Zufallsfreude, wie ein vorbeigleitender Riesenkreuzer. Das ließ sich jetzt bei der Hochzeit des Fußballers Bastian Schweinsteiger mit der Tennis-Schönheit Ana Ivanovic ebenso feststellen wie zuvor bei den Glamour-Trauungen von George Clooney, Salma Hayek oder Woody Allen.
Wir alle sind irgendwann Touristinnen, selbst wenn wir in die Nachbarstadt reisen, um an einem lokalen Folkfestival teilzunehmen. Das ist alles andere als störend. Wohl verstandener Tourismus ist das Gleichgewicht der Interessen von Besucherinnen und Besuchten, in jeder Hinsicht. Gruppen von 50 Personen bei Stadtführungen sind per se unverträglich und somit abzulehnen. Kreuzfahrerei ist trotz Preissenkungen elitär, umweltschädlich und in keinster Weise geeignet, die Realität eines Reiseziels kennenzulernen. Warum im Gegensatz dazu einfache Pilger in Bilbo so stiefmütterlich behandelt werden, müsste ein Skandal sein, erklärt sich aber durch die aktuellen Attraktions- und Geschäfts-Strategien: sie sind nicht zahlungskräftig genug und konsumieren die schöne baskische Landschaft kostenlos.
ANMERKUNGEN:
(1) Die ausgewiesenen Zitate stammen aus einem Artikel von Spiegel-Online. (Link)
(2) Auf Wikipedia sind interessante Informationen zu finden zu Geschichte, Aktualität und Konsequenzen der modernen Kreuzfahrerei. (Link)
FOTOS:
(1) Der Kreuzfahr-Anleger in Getxo, 8 km vor Bilbao an der Küste gelegen (Foto Archiv Txeng – FAT)
(2) Daneben die industrielle Hafenanlage Santurtzi, mehrfach von kontaminiertem Wasser verseucht (FAT)
(3) Kreuzfahrerinnen kommen in Getxo vom Landurlaub zurück (FAT)
(4) Das neue Kreuzfahr-Terminal in Getxo kostet Millionen (FAT)
(5) Einsamkeit eines an Bord gebliebenen Kreuzfahrers (FAT)
(6) Kreuzfahrschiff in Getxo (FAT)