maite1Nazikrieg im Baskenland

Der Roman “Maites Schweigen“ beginnt an seinem Ende. Mit dem Tod eines seiner Protagonisten. Von dieser verhängnisvollen Nachricht an wird die Geschichte von hinten aufgerollt, Personen, Beziehungen, Schicksale und Zusammenhänge ergeben langsam ein Bild. Im Mittelpunkt steht Hanne, um die sechzig, die ihre persönliche Geschichte aufarbeiten will. Insbesondere die ihres Vaters, Flieger bei der Legion Condor. Den hatte sie nie gekannt, als ihre Mutter schwanger war, verlor er im Krieg das Leben.

Der Roman “Maites Schweigen“ von Heidi Dettinger wurde 1998 vom Verlag Region und Geschichte im Neustadt, Niedersachen publiziert. Er handelt von der Aufarbeitung des Spanien-Einsatzes der Nazi-Luftwaffe und spielt zwischen Hannover und Gernika im Baskenland.

Hanne macht sich an die Aufarbeitung ihrer Familiengeschichte. Ausgangspunkt für ihre Suche ist eine bunte Urkunde an der Wand ihres Kinderzimmers, die sie durch ihre ganze Kindheit begleitet hatte. Eine Auszeichnung für Legion-Condor-Legionäre, wie sie erst viel später erfährt. Nie war sie auf die Idee gekommen, ihre Mutter zu fragen, was das sei. Nach deren Tod findet sie die Urkunde zufällig wieder und beginnt zu begreifen. Fragen kann sie nicht mehr, weil beide Eltern tot sind. Ihr Vater kam aus dem Spanienkrieg nicht zurück.

Familiengeschichte

Hanne Behrens weiß nicht viel über ihren Vater, der als Wehrmachts-Anhöriger und Pilot am Spanienkrieg teilnahm. Wer war dieser Mann, den sie nie kennengelernt hatte, weil er im Krieg ums Leben kam? Unteroffizier Erhardt Behrens, Flugzeugführer. Sie hätte sich gerne mit ihm auseinandergesetzt, ihn gern gefragt, mit welchem Recht er spanische Städte in einem nie erklärten Krieg bombardiert hatte. Gelegentlich hatte die Mutter davon erzählt. Nie viel, da sie die Fragen ihrer Tochter fürchtete. Für Erklärungen ist es zu spät, so bleibt Hanne nur die Suche nach anderen Spuren. In Gernika zum Beispiel, dem Ort, den die Nazis im Auftrag Francos vernichtet und ein Massaker an der Zivilbevölkerung angerichtet hatten.

Während ihrer Recherchen im Baskenland lernt sie Txiki kennen, der wie sie auf der Suche ist nach Fakten aus einer verdrängten Vergangenheit. “Die Deutschen kamen zwei Mal“, sagt er. “Erst als Bomberpiloten, dann nochmal als Touristen. In den 1950er Jahren.“ Genau erfährt Hanne nie, wonach der baskische Freund eigentlich forscht. Als er auf einer Deutschland-Reise in der Nähe von Hannover auf mysteriöse Weise ums Leben kommt, versucht Hanne mit kriminalistischem Spürsinn herauszufinden, was da alles passiert sein könnte. Sie ahnt nicht, dass ihre Nachforschungen zur Geschichte und Gegenwart Deutschlands, Spaniens und des Baskenlandes in einem Alptraum enden wird.

Gernika-Wunstorf

maite2Der Roman kreist um die Geschichte der Nazi-Luftwaffe unter der Bezeichnung “Legion Condor“, untrennbar verbunden mit der baskischen Stadt Gernika, die viele nur unter der spanischen Schreibweise Guernica kennen. Ebenso untrennbar hängen an der Geschichte dieser Luftwaffen-Einheit der Nazis die Orte Neustadt und Wunstorf bei Hannover. In dieser historischen Konstellation – Wunstorf, Legion Condor, Gernika – spielt der Roman.

Nach dem unerklärlichen Tod ihres baskischen Freundes Txiki muss Hanne gleich zwei Rätsel lösen: ihr Kinderrätsel und das von Txikis Tod. Zu allem Übel wird Hanne bei der Suche nach Erklärungen bei einem Aufenthalt in Gernika auch noch von der baskischen Gegenwart eingeholt. Von der Realität eines bewaffneten Kampfes auf der einen und einer brutalen Polizei-Repression auf der anderen Seite.

“Maite sah den fluchenden Polizisten starr an und spuckte vor ihm aus. Nekane drängte sich dazwischen. Ein Schlag traf sie an der Schulter und warf sie um. Ein Zivilgardist packte sie, drehte ihr die Arme auf den Rücken, trat ihr gegen die Wade. Sie fiel auf die Knie und landete mit dem Gesicht hart auf dem Sofa. Der Polizist griff ihr zwischen die Beine und lachte roh.“ Was ihren baskischen Freundinnen widerfuhr, erlebt Hanne kurze Zeit später am eigenen Leib.

Konflikte

Hanne steht diesem baskisch-spanischen Konflikt distanziert gegenüber, sie lehnt die Gewalt ab, mit der sich beide Seiten zu rechtfertigen scheinen. Von ihrer baskischen Freundin lernt sie andere Seiten des Konflikts kennen, die nicht mit Waffen ausgetragen werden und über die keine deutsche Zeitung schreibt. Der Krieg um die Sprache zum Beispiel. “Ja und stell dir vor, sie hatten einen Ring in der Schule, einen Blechring. Ein Kind, das dabei erwischt wurde, wie es Euskara, also Baskisch, redete, musste den Ring tragen. Und dann kriegte ihn das nächste Kind, das erwischt wurde. Und wieder das nächste. Und wer den Ring bei Schulschluss als letzter trug, musste nachsitzen. Oder kriegte eine Strafarbeit aufgebrummt.“

Hanne erkennt langsam, dass Repression in jenem lange zurückliegenden Franquismus weit über direkte Gewalt hinausging. Und was heißt schon lange zurückliegend … es handelte sich schließlich um dieselben Polizisten, die unter Franco gedient hatten und die jetzt Jagd auf ETA und die rebellische baskische Bevölkerung machten, lange nach dem Tod des Diktators.

Spurensuche

“Ich lese gerade die Analyse eines deutschen Militär-Historikers zur Bombardierung Gernikas. Ich bin immer davon ausgegangen, dass die Zerstörung unserer Stadt Gernika auf Befehl Francos geschah, dass Gernika bombardiert wurde, weil es eben Gernika war. Gernika, die Wiege der baskischen Demokratie, Gernika, an dem sich General Franco rächen wollte dafür, dass die katholischen Basken seine Legende vom ‘Kreuzzug gegen die Roten‘ zerstörten.“

Diese Feststellungen schreibt Txiki in einem Brief an Hanne. “Und nun wird hier behauptet, dass Gernika getroffen wurde, wie jede andere Stadt hätte getroffen werden können und auch getroffen wurde. Die Deutschen trainierten für ihr großes Ziel: die Neuordnung Europas.“ Dazu passen Hannes Überlegungen: “Der Krieg, ich meine der Weltkrieg, wäre der anders verlaufen, hätte es ihn überhaupt gegeben, wenn die Faschisten da in Spanien nicht gesiegt hätten? Gesiegt mit der Hilfe Deutschlands.“ Die schwierige Suche nach der historischen Wahrheit.

Historische Lügen

maite3Der Geschichte um Maites Schweigen vorangestellt ist ein Zitat des italienischen Schriftstellers Umberto Eco, das wie ein Damoklesschwert über den Ereignissen von Gernika schwebt: “Aber gibt es etwas Ungewisseres als die Chroniken, die wir lesen, in denen, wenn zwei Autoren von derselben Schlacht berichten, die Unstimmigkeiten so groß sind, dass wir fast meinen, es mit verschiedenen Schlachten zu tun zu haben?“

Dies trifft zu auf alle Aussagen und Analysen im Zusammenhang mit dem Einsatz der Legion Condor. Sollte die Renteria-Brücke getroffen werden oder nicht? Gab es in Gernika 125 Tote oder 2.500? Kamen die Nazis als Faschistenfreunde oder als Kriegsvorbereiter? Gab Franco den Bombenbefehl oder war es von Richthofen? Waren es die Faschisten oder die ‘Roten‘, die Gernika verbrannten? Die Antworten fallen genauso gegensätzlich aus, wie Umberto Ecos Zitat es andeutet. Hanne und Txiki müssen sich in diesem Labyrinth von Geschichts-Interpretationen zurecht finden. Immer und immer wieder sind die beiden mit Lügen und Halbwahrheiten konfrontiert, vor allem aber mit Schweigen und Ignoranz.

In einem Militärarchiv finden sie Listen mit Namen von Piloten und Personal der Legion Condor, darunter auch der Name von Hannes Vater. Dass Txiki sich diese Namen notiert und sortiert ist der erste Schritt zu seinem gewaltsamen Tod. Eine mühsame Arbeit, denn diese Listen waren immer wieder neu ausgefüllt worden. “Und obwohl sie nicht vollständig waren – bei Angriffen verbrannt, sicher auch mutwillig vernichtet, denn wer lässt schon gerne Beweismaterial rumliegen, die Nazis sicher nicht – ließ sich einiges aus ihnen ablesen.“ Txiki sieht sich die Listen durch, sortiert die Stamm-Nummern den militärischen Standorten zu und macht eine möglichst genaue Aufstellung, woher die Legionäre gekommen waren.

Sichtweisen

Ein Besuch im Militär-Museum von Wunstorf, wo voller Stolz ein Junkers-52-Bomber ausgetellt ist, wird für Hanne zum totalen Frust und führt zu einem ätzenden Streit mit dem Museums-Personal und faschistoiden Besuchern. “Eher scheint das eine Abteilung des früheren Propaganda-Ministeriums zu sein. Überall Nazi-Devotionalien: Hakenkreuze, Orden, aber Erklärungen sucht man vergeblich.“

Angesichts ihrer unterschiedlichen Denkweise und Mentalität müssen sich Hanne und Txiki immer wieder zusammenraufen. Er hält “den Deutschen“ vor, einen unbändigen Drang zum Dramatisieren zu haben. “Meine Kollegen finden, dass die Deutschen aus dem linken Spektrum sich zuviel mit ihrer eigenen Geschichte auseinandersetzen und einen Schaden davongetragen haben.“ Hanne wirft ihm im Gegenzug vor, die Gefahren von Militarismus aller Arten nicht wirklich ernst zu nehmen.

Warum schweigt Maite?

Maite gehört zu jener fast ausgestorbenen Generation, die die Bombardierung von 1937 noch erlebte und die Erinnerung an den damaligen Horror mit sich schleppt. Sie ist traumatisiert und hat zu sprechen aufgehört, schwebt wie ein unsichtbarer Geist über der ganzen Handlung. “Als ich aus dem Graben gekrochen war, konnte ich es auch sehen. Da lag eine Frau, an jeder Hand ein Kind. Alle waren tot. Den Kleinen, sie waren vielleicht fünf oder sechs Jahre alt, hatten die Maschinengewehr-Garben die Brustkörbe zerfetzt. Das Alter der Frau war nicht mehr zu erkennen, ihr Kopf war weggeschossen.“ Wer sollte da kein Trauma davontragen.

Am Ende klären sich Txikis Rätsel, Maites Schweigen, nur Hanne findet keine wirklichen Antworten für ihre Familiengeschichte. Wie sollte sie auch. Außer der Pilotenliste mit den Namen gibt es keine persönlichen Hinterlassenschaften des Condor-Vaters. Die Antwort liegt im Ganzen, im Ablauf der Ereignisse, die im Baskenland jedes Kind kennt, im spanischen Staat weit weniger und in Deutschland fast niemand mehr. Weil bis heute wenig Interesse daran besteht, die Kriegsverbrechen aufzuarbeiten, nicht das von Gernika, nicht das von Durango. Auch nicht das Condor-Massaker von Malaga und Alicante. Schon gar nicht die Geschichte des deutschen Giftgases im Rifkrieg der 1920er Jahre.

ABBILDUNGEN:

(1) Maites Schweigen (Buchtitel)

(2) Legion Condor (diario vasco)

(3) Gernika (la sexta)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-05-13)

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