37bilbo01Exekutionen und Gehirnwäsche

Am 19. Juni 1937 fiel Bilbo in die Hände der aufständischen Franquisten. Die ersten Jahre des Franco-Regimes waren geprägt von Propaganda, Indoktrination und Repression. Nach elf Monaten Krieg und schrecklichen Bombenangriffen auf die Zivilbevölkerung erlebte Bilbo nun die brutale Handschrift der faschistischen Sieger und ihrer deutschen und italienischen Helfer, die noch am selben Tag triumphal durch den Stadtteil Atxuri zogen. Der Krieg war vorbei, eine Ära des Mordens und der Indoktrination begann.

Der Beginn der franquistischen Herrschaft in Bilbao zeichnete sich aus durch Ausgrenzung, Propaganda, Strafbefehle, Zwangsarbeit und Erschießungen. Die faschistischen Sieger ließen keine noch so minimale Sympathie für die Republik ungestraft.

Was der Krieg im Jahr 1937 und danach für die Bewohner*innen Bilbaos bedeutete und welche Folgen er in der Bizkaia-Hauptstadt nach sich zog, war Gegenstand von historischen Rundgängen, die im Herbst 2023 von der Stadtverwaltung organisiert wurden. Ein Spaziergang durch die Altstadt konzentrierte sich auf den Fall der Stadt und darauf, wie das Franco-Regime die Kontrolle aller Institutionen übernahm und eine neue autoritäre Politik durchsetzte, die zu großen Veränderungen in der damaligen Gesellschaft führte.

Kontext

Im Frühjahr 1937 hatte die Armee der Putschisten ihre endgültige Offensive in Bizkaia begonnen, alle anderen Provinzen des Baskenlandes war bereits mit dem Militärputsch oder kurz danach in ihre Hände gefallen. Ziel der Offensive war Bilbo, damals der Sitz der baskischen Autonomie-Regierung mit José Antonio Agirre als Ministerpräsident. Dank der militärischen Überlegenheit auf dem Schlachtfeld und der Unterstützung durch die italienischen Faschisten und Nazi-Deutschland konnten die Franquisten zügig vorrücken und zögerten keinen Moment, Dutzende von Städten wie Otxandio, Durango oder Gernika wahllos zu bombardieren und zu vernichten, was Tausende von Toten zur Folge hatte.

37bilbo02In der zweiten Juniwoche hatten Francos Truppen Bilbo bereits umzingelt. Obwohl sich die Gudaris (baskische Soldaten) und Milizionäre vor allem auf der Artxanda-Bergkette heftig zur Wehr setzten, zog Francos Armee am 19. desselben Monats triumphal in die Stadt ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte der zähe und heldenhafte Widerstand der Verteidiger bereits die Evakuierung von etwa 200.000 Menschen, darunter 30.000 Kinder, organisiert. Die Stadt war somit fast leer, auch wenn Francos Propaganda das Gegenteil behauptete.

Nachdem Francos Panzer am Mittag des 19. Juni eine erste Erkundung entlang der Flussmündung vorgenommen hatten, drang die 5. Brigade Navarra unter dem Kommando von Bautista Sánchez gegen 17 Uhr über Atxuri in die Stadt ein und erreichte nach der Durchquerung des Arenal-Parks das Rathaus. Dort wurde die republikanische Fahne entfernt und die rot-gelbe Putschisten-Fahne aufgehängt.

All dies geschah in geordneter Weise, wobei darauf geachtet wurde, dass Fotos gemacht wurden, um den historischen Moment des militärischen Sieges festzuhalten. Francos Armee hatte von den deutschen Nazis bereits gelernt, wie wichtig Propaganda war, die Eroberung von Bilbao und seiner Industrie war für sie ein großer Triumph, der in der ganzen Welt demonstriert werden konnte. Auch sei daran erinnert, dass der Krieg mit dem Fall von Bilbao zwar im Baskenland zu Ende war, in anderen Teilen des spanischen Staates aber noch bis zum Frühjahr 1939 andauern sollte.

Wiederaufbau als Propagandawaffe

Von Anfang an versuchten die Franquisten mit allen Mitteln, sich in der öffentlichen Meinung als die Retter darzustellen, die gekommen waren, um Frieden zu stiften und wieder aufzubauen, was die bösen Republikaner und Nationalisten zerstört hatten. Von Anfang an waren sie bestrebt, Propagandafilme zu verbreiten, die ihre Leute bei der Verteilung von Lebensmitteln an Bedürftige zeigten, insbesondere an Kinder, um ihrer Propaganda mehr emotionales Gewicht zu verleihen. Hinter dem Bild, das sie zu vermitteln versuchten, verbarg sich jedoch eine brutale Realität. Die Lebensmittel-Rationierung zum Beispiel dauerte bis 1952.

Im Vordergrund stand vor allem der Wiederaufbau der Brücken, die die republikanische baskische Regierung vor ihrem Rückzug im Juni 1937 gesprengt hatte, um den Vormarsch der Faschisten zu bremsen und Zeit zu gewinnen. Die Brücken über den Nervion-Fluss stellten eine wichtige Infrastruktur für die Stadt dar und hatten einen hohen Propagandawert für ihr "nationalistisches Spanien, das seine Nation auf den Trümmern der marxistischen Revolution wieder aufbaut".

Die neue franquistische Stadtverwaltung konstituierte sich nur zwei Tage nach der Besetzung der Stadt, als der von den Franquisten eingesetzte Zivilgouverneur Miguel Ganuza den Franco-Anhänger José María de Areilza (1909-1998) zum neuen Bürgermeister ernannte. Als handele es sich um eine Art von Wiedergeburt und um deutlich zu machen, wer nun das Sagen hatte, sollte es nicht lange dauern, bis die sichtbarsten Spuren der jüngsten baskisch-republikanischen Vergangenheit ausgelöscht wurden. Dies galt auch für die liberalen Spuren des 19. Jahrhunderts, die Werte des neuen Regimes im öffentlichen Raum wurden mit riesigen Paraden und religiösen Akten demonstriert.

Straßenkarte der Verherrlichung

Die Änderung der Namen des Bilbao-Stadtplans standen in der franquistischen Tagesordnung an vorderster Stelle. Am 5. August 1937 nahm das neue Stadtregime die ersten Änderungen vor, um "den ruhmreichen Persönlichkeiten der “vaterländischen Rettungs-Bewegung ihre wohlverdiente Ehrung zukommen zu lassen". Alle wiederaufgebauten Brücken, mit Ausnahme jener von San Antón, wurden umbenannt. Die Deusto-Brücke wurde in Generalísimo-Franco-Brücke umbenannt, die Begoña-Brücke (heute Rathausbrücke) in General-Mola-Brücke, die Isabel-II-Brücke (heute Arenal-Brücke) in Victoria-Brücke (Sieges-Brücke), die Merced-Brücke in General-Sanjurjo-Brücke und die Eiserne Brücke in Oberst-Ortiz-de-Zárate-Brücke.

Auch die Straßen und Plätze wurden geändert. Die Calle de la Estación wurde in Calle Navarra umbenannt, die Avenida Sabino Arana in José Antonio Primo de Rivera, die Plaza de la Casilla in Calvo Sotelo, die Plaza Nueva in Mártires de Bilbao und die Plaza de los Auxiliares in Brigadas de Navarra, um nur einige zu nennen. Franquistische Bezeichnungen und Kriegsverbrecher hatten Hochkonjunktur. Der Ensanche-Park hieß in den ersten Jahren Parque de las Tres Naciones (Park der drei Nationen), als Hommage an die drei Länder, die den Franquismus unterstützt hatten: Deutschland, Italien und Portugal. Nach deren Niederlage im Zweiten Weltkrieg erhielt der Park jedoch wieder seinen alten Namen. Große Denkmäler wurden errichtet, zum Beispiel am Paseo del Arenal eines für den kurz zuvor mit dem Flugzeug abgestürzten General Mola oder das Denkmal für die Gefallenen im heutigen Doña Casilda Park.

Indoktrination

37bilbo03Das Hauptziel der Franquisten in den ersten Nachkriegsjahren bestand darin, eine neue nationale Gedankenwelt zu schaffen und alles auszulöschen, was die Republik aufzubauen versucht hatte. Dazu dienten neben der Propaganda zwei weitere wichtige Waffen: die Bildung und die Religion, die in einem für die damalige Zeit anachronistischen Ausmaß miteinander vermischt wurden.

Der Katholizismus wurde wieder zur tragenden Säule der spanischen Gesellschaft, und zwar in einem Maße, dass die Priester selbst für die Bildung zuständig gemacht wurden. In kürzester Zeit wurden alle Bemühungen der Republik, ein qualitativ hochwertiges, allgemeines, kostenloses und weltliches Bildungssystem zu schaffen, zunichte gemacht, Bildung wurde zu einem weiteren Instrument zur Durchsetzung der national-katholischen Ideologie.

Die hauptsächlichen Opfer dieses Prozesses waren Frauen. Sie verloren mit einem Schlag alle während der Republik errungenen Rechte und wurden zurückgestoßen in ihre Rolle als Tochter-Frau-Mutter, die dem Mann und den reproduktiven Notwendigkeiten der Gesellschaft untergeordnet war. Frauen wurden fast vollständig aus der außerhäuslichen Arbeit vertrieben und ihre Bildungsmöglichkeiten wurden begrenzt. Neben den Priestern in jeder Stadt war die Frauensektion der Falange für die ideologische Gleichschaltung und die Ausbildung der Frauen für ihre Interessen zuständig.

Die baskische Sprache wurde ebenfalls stark verfolgt, sie war zwar nicht offiziell, aber in der Praxis doch verboten. In Dörfern, wo die Unterdrückung durch Franco nicht ganz so hart war, wurde seine Benutzung weiterhin geduldet, nicht zuletzt deshalb, weil manche Menschen keine andere Sprache kannten als die baskische. Aber in Städten wie Bilbo, wo die Verfolgung und das Misstrauen unter den Einheimischen größer waren, wurde das Baskische vollständig aus dem öffentlichen Raum verdrängt und überlebte nur in einigen wenigen Privatwohnungen.

Repressionen

Die Repression gegen alle, die auf die eine oder andere Weise mit der Republik oder der Regierung von Euzkadi zusammengearbeitet hatten, “kollaboriert“ hieß das im franquistischen Jargon, war ebenfalls brutal. Trotz der Tatsache, dass 200.000 Menschen aus der Stadt geflohen waren, zögerte das Regime nicht, Nachforschungen anzustellen, um alle zu beseitigen, die im Verdacht standen, “Rote“ zu sein oder baskische Nationalisten. "Diese Ratten, die hier in Bilbao zahlreich in ihren Höhlen geblieben sind", so die Worte von Francos Bürgermeister Areilza in einer Rede im Teatro Coliseo Albia am 8. Juli 1937.

Wenige Tage nach der Besetzung Bilbaos wurden die städtischen Beamten ins Rathaus gerufen, um sich einer sozio-politischen Inquisition zu unterziehen, bei der sie ihre Ideologie, ihre Aktivitäten und ihre Ansichten rechtfertigen mussten, um danach die Verantwortung zu übernehmen. Quellen zufolge wurden 58% des Personals entlassen, während 17% mit Bußgeldern sanktioniert wurden.

Die Repression erfolgte durch die kurz vorher geschaffenen "Notstands-Kriegsgerichte", bei denen den Angeklagten keinerlei Verfahrens-Garantien zugestanden wurden. Die Franquisten hielten Tausende von Kriegsgefangenen der Euzko Gudarostea (baskische Armee) und der Nordfront sowie andere politische und gewöhnliche Gefangene im Larrinaga-Provinz-Gefängnis (im Bilbo-Stadtteil Santutxu) gefangen. Auch die zum Tode Verurteilten wurden in dieses Gefängnis gebracht.

In Bilbo wurden Hunderte von Menschen erschossen. Einem Bericht des heutigen Instituts zur Franquismus-Aufarbeitung “Gogora“ zufolge ließen die Franquisten in Bizkaia 544 Menschen von Kriegsgerichten zum Tode verurteilen und exekutieren. Weitere 1.327 Menschen starben in der Gefangenschaft. Viele andere wurden als Sklaven in Arbeits-Bataillone geschickt. Zudem gab es außergerichtliche Hinrichtungen, die vor allem von Falangisten aus Valladolid durchgeführt wurden und mindestens 59 Opfer forderten.

Die weiblichen Gefangenen wurden zunächst in einem Gebäude mit der Bezeichnung "vierte Galerie" im Provinzgefängnis Larrinaga untergebracht, später wurde ein anderer Ort gesucht. Die Wahl fiel auf eine leerstehende Villa in der Straße Zabalbide im Santutxu-Viertel, das als Chalet Orue bekannt war (es wurde 1968 abgerissen, am selben Ort wurde die Klinik Santa Marta gebaut, heute stehen dort zwei große Wohnblocks). Zwischen 1937 und 1942 wurden im Chalet Orue schätzungsweise 3.000 Frauen festgehalten. Viele der unterernährten und unter unmenschlichen Bedingungen zusammengepferchten Insassinnen wurden gefoltert, vergewaltigt und auf andere Weise öffentlich und privat gedemütigt, bis hin zum Tod. Es ist bekannt, dass dort elf Frauen erschossen wurden.

"Damit eines klar ist: Bilbao wurde mit Waffengewalt erobert. Keine Pakte und posthumen Danksagungen. Das Gesetz des Krieges, hart, kraftvoll, unerbittlich. Natürlich gab es Sieger und Besiegte. Spanien, einig, groß und frei, hat gesiegt", machte Bürgermeister Areilza in seiner Rede im Teatro Coliseo Albia deutlich.

Konzentrationslager

37bilbo04In der Jesuiten-Universität des Stadtteils Deustu (Deusto) wurde nach Kriegsende ein Konzentrationslager eingerichtet, in dem bis zu 20.000 Gefangene festgehalten wurden. Zu diesem “zentralen und ständigen Lager“ gehörten zwei weitere Konzentrationslager, die schließlich 1939 in der Stierkampfarena von Vista Alegre und in der Schule San Vicente de Paúl in der Calle Iturribide eingerichtet wurden. Das Colegio de los Padres Escolapios (eine Schule) wurde offiziell immer als Gefängnis betrachtet, war aber ebenfalls ein Anhängsel von Deustu, da es hauptsächlich für Kriegsgefangene genutzt wurde, die vor Gericht gestellt werden sollten. Es war von Juni 1937 bis Dezember 1939 in Betrieb.

Die Mehrheit der KZ-Gefangenen stammte nicht aus Bilbao, viele starben an Krankheiten oder an der unmenschlichen Behandlung, die sie erlitten. Das KZ war in zwei Sektoren aufgeteilt, einer für Gefangene, ein zweiter als Lazarett für bis zu 900 Kriegsverletzte. In den zwei Jahren seines Betriebs wurde das KZ von einem franquistischen Hauptmann namens Martín Pinillos geführt, der als besonders skrupellos galt. In einer Quelle ist von 188 Opfern von Hinrichtungen die Rede, in einer anderen von mehr als 300. (2)

Dieses Konzentrationslager wurde zu einem wichtigen Verteilerpunkt für Sklavenarbeit. Die Gefangenen wurden gezwungen, in Bergwerken zu arbeiten, Straßen und Eisenbahnen zu bauen, daneben wurden sie in der Kriegsindustrie eingesetzt und mussten all das wieder aufbauen, was die Faschisten selbst mit ihren Bombardierungen zerstört hatten.

Auch war es kein Zufall, dass gerade die Universität als Standort für ein Konzentrationslager gewählt wurde – es hätte auch andere Gebäude gegeben. Doch hatte die Universität aus der Sicht der Franquisten einen symbolischen und politischen Mehrwert. Der spanische Faschismus, der stark unter dem Einfluss der von ihm bewunderten Nazis stand, übernahm viele der Propaganda-Slogans von Hitler-Deutschland. Dazu gehörte die Parole: “Ante la cultura, saca la pistola” (Gegen die Kultur hilft die Pistole). Die Franquisten übersetzten den Satz folgendermaßen: “Wenn ich das Wort Kultur höre, greife ich zur Pistole“. Für die Franquisten war die Umwandlung einer Universität in ein Konzentrationslager ein Triumph für ihre verwerfliche Ideologie, da sie hiermit die Vernunft der Gewalt über die Gewalt der Vernunft stellten und die Brutalität über das freie Denken.

Ausstellung

Vom 17. Oktober bis zum 9. November 2023 zeigt Bilbao Izan im Stadtzentrum von Abando eine Fotoausstellung, die verschiedene Bilder aus den Kriegsjahren und der Nachkriegszeit in Bilbao dokumentieren. Diese Ausstellung wurde mit Beiträgen des Stadtarchivs von Bilbao, des Allgemeinen Archivs von Gipuzkoa und der Nationalen Staatsbibliothek zusammengestellt. Um auch jüngeren Besucher*innen zu erklären, was der Krieg für Bilbao bedeutete, wird für Oktober ein Erinnerungsfest organisiert, an dem reale und fiktive Personen und Figuren teilnehmen, die den Krieg aus erster Hand kennen.

ANMERKUNGEN:

(1) “Bilbo en los primeros años de franquismo: propaganda, adoctrinamiento y represión” (Bilbo in den ersten Jahren des Franco-Regimes: Propaganda, Indoktrination und Repression) Tageszeitung Gara, 2023-09-21 (LINK)

(2) ”El campo de concentración de la universidad de Deusto (Das Konzentrationslager der Universität Deusto) Nacionvasca.eus, 2017-09-20 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(*) Franquisten in Bilbo 1937 (gara)

(1) Francos Truppen beim Einzug in Bilbo und beim Überqueren des Flusses über eine improvisierte Brücke bei Arenal (Bilbaopedia)

(2) Gefangene in der Sendeja-Straße in Bilbao, angeführt von Francos Truppen (Euskal Museoa)

(3) Die Brücke von San Antón wurde zerstört, um den Einmarsch von Francos Armee zu verzögern (Bidasoa Fonds / Sancho de Beurko)

(4) Hauptfassade des Larrinaga-Gefängnisses in Santutxu (Euskal Museoa)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-09-25)

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