Ein Verbrechen wird aufgeklärt
Im blutigen Sommer von 1936 wurde in Navarra eine schwangere Frau mit sechs ihrer Kinder in die Felsspalte von Legarrea geworfen. Nicht aus politischen Gründen, dennoch ist nicht klar, wie es zu diesem brutalen Mord kam. Bisher war dieses Kapitel aus dem Spanischen Krieg im Dunkeln geblieben. Doch ohne Klärung lastet die Geschichte wie eine offene Wunde im Bewusstsein einer Familie und eines ganzen Dorfes. Nachforschungen und ein neues Buch beleuchten das Sagardía-Verbrechen.
(2015-05-13) Was in den Wochen nach dem militärischen Aufstand der Generäle um Franco im kleinen Dorf Gaztelu in Navarra geschah, während der Razzien gegen Republikaner und Republik-Verdächtige, bleibt bis heute ein Mysterium, das die Gemüter der Bewohnerinnen bewegt und das Geschehene nahezu unbegreiflich erscheinen lässt. Ein klares Motiv für das Massaker war nie erkennbar, es bleibt völlig unklar, weshalb die schwangere Juana Josefa Goñi mit sechs ihrer sieben Kinder in ein 50 Meter tiefes Erdloch geworfen wurde. Der Älteste, Joaquín, war 16 Jahre alt, die Jüngste gerade eineinhalb (1).
Im Mai 2015 haben die Angehörigen der ermordeten Familie eine öffentliche Anzeige erstattet, mit der sie fordern, dass die sterblichen Überreste der sieben Personen ausgegraben werden. Im benachbarten Dorf Donamaría sollen sie würdevoll begraben werden. Nati Zozaya und Asun Zozaya, 88 bzw. 83 Jahre alt, sind die Töchter der Schwester der ermordeten Juana Josefa. Auf der Pressekonferenz, bei der die Anzeige öffentlich bekannt gemacht wurde, sagten die beiden Frauen, erst wenn die körperlichen Reste der Getöteten geborgen seien, könnten auch sie in Frieden sterben. Nati, die ältere der Schwestern, erinnerte an das Trauma, das ihre eigene Mutter erlebte. Denn die ebenfalls in den Felsspalt geworfene Martina, die 6 Jahre alte Tochter von Juana Josefa, hatte wenige Tage vor dem Verbrechen bei ihnen bleiben wollen.
Nachforschungen
Keine Anzeichen sprechen dafür, dass das Verbrechen an Juana und ihren Kindern politische Hintergründe hatte. In Gaztelu wählten in jener Zeit alle Bewohnerinnen immer rechts, keine einzige Stimme ging an republikanische Kräfte. Juanas Ehemann und der älteste Sohn – der einzige, der verschont blieb – waren an die Front geschickt worden, als Juana aus dem Dorf verbannt wurde. Im siebten Monat schwanger wurde sie in eine Hütte außerhalb des Dorfes verbannt, deren Dach nur aus Zweigen bestand. Kurz danach wurde auch diese Notunterkunft in Brand gesteckt, alle wurden in die Felsspalte von Legarrea geworfen.
Über Jahre hinweg hat Jose Mari Esparza alle Informationen, Nachrichten und Dokumente gesammelt, die mit dem Verbrechen in Zusammenhang stehen. Esparza ist Historiker und Direktor des Buchverlags Txalaparta, dort wurde nun ein Buch publiziert mit den gesammelten Informationen: "La sima. Qué fue de la familia Sagardía?" (Das Erdloch. Was wurde aus der Familie Sagardía) ist der Titel der Publikation. Darin beschreibt der Autor jeden Schritt seiner Nachforschungen (2). Esparza nutzte die Vorstellung des Buches, um einen Bogen zu schlagen zu einem anderen Werk aus seiner Feder "De la esperanza al terror" (Von der Hoffnung zum Terror). In diesem Wälzer über die nach dem Krieg in Navarra Erschossenen (3). Dabei sagte Esparza, eine solche Geschichte wieder ans Tageslicht zu befördern sei traumatisch für das ganze Dorf, das diese Angelegenheit eigentlich schon hinter sich gebracht hatte. Doch habe die Kenntnis der Umstände des Verbrechens auch eine heilende Wirkung, dies sei die Erfahrung mit dem ersten Buch gewesen.
Die Nachforschungen selbst waren für den Historiker ein besonderes Erlebnis gewesen. Am Ende belegen Dokumente die ungewöhnlichen Hintergründe des Sagardía-Verbrechens. Die Ermordeten waren verwandt mit einem berühmten Franquisten-General, dem blutrünstigen Antonio Sagardía, der den Beinamen "Schlächter von Pallars" trug (4). Offenbar ertrug es dieser Faschist nicht, dass Mitglieder seiner Familie dasselbe Schicksal erlitten, das in Aragon und Katalonien die republikanische Bevölkerung durch ihn selbst erlitt. Es heißt, er drohte damit, das ganze Dorf Gaztelu zu verbrennen, deshalb wurde ein juristisches Verfahren eröffnet, um den Fall zu untersuchen. Aus den Unterlagen dieses Verfahrens speist sich Esparzas Buch. Was im Verfahren auf den Tisch kam liefert vage Eindrücke über mögliche Motive für die Bluttat. Die Rede ist von verschwundenen Hühnern, davon, dass Juana besonders hübsch gewesen sei. Lauter Belanglosigkeiten, die nicht ausreichen, um eine solche Grausamkeit zu erklären. Ein weiteres Detail ist, dass im Moment des Verbrechens nur vier Schüsse zu hören waren, woraus zu schließen ist, dass einige Kinder, vielleicht auch die Mutter lebend in jenes Erdloch von 15 Stockwerken Tiefe geworfen wurden.
Höhlenforscher am Werk
Erst vor wenigen Monaten nahm der Fall erneut eine Wendung. Der bekannte Gerichtsmediziner Paco Etxeberria (4) unternahm mit Hilfe einer Gruppe von Höhlenforschern eine erste Begutachtung der Felsspalte. Dieses Loch in der Erde wurde von den Bewohnerinnen des Dorfes Gaztelu in der Zeit nach dem Verbrechen dazu genutzt, Bauschutt zu entsorgen. Beim Abstieg in die Spalte entdeckten die Mitglieder des Forschungsteams menschliche Überreste, die von einem vor sieben Jahren verschwundenen jungen Mann stammten, Iñaki Indart. Dies führte einerseits zur Wiederaufnahme des Falles Indart, doch die Sagardía-Nachforschung musste deshalb gestoppt werden, der ermittelnde Richter verfügte einen Informationsstopp. Der Anthropologe Paco Etxeberria ist dennoch zuversichtlich, was die weitere Entwicklung des Falles aus Kriegszeiten anbelangt. Für den Fall, dass der Richter die Genehmigung erteile, gäbe es Forensiker und Höhlenforscher, die in der Lage und bereit seien, erneut die Aufgabe anzugehen, die Sagardía-Familie aus der unwürdigen Gruft zu holen.
Dazu muss – wer weiß wieviel – Bauschutt unter Tage abgeräumt werden. Für Etxeberria und seine Forscher ist dies ein überschaubares Problem. Auf der Suche nach Wahrheit konnten im Baskenland bereits ganz andere Hindernisse aus dem Weg geräumt werden.
ANMERKUNGEN:
(1) Der Text basiert auf einem Artikel, aus der baskischen Tageszeitung GARA vom 6.5.2015 "La matanza de los Sagardia sale del agujero del olvido", von Aritz Intxusta
(2) Das Buch "La sima. Qué fue de la familia Sagardía?" (Das Erdloch. Was wurde aus der Familie Sagardía) wurde im Januar 2015 veröffentlicht im Verlag Txalaparta
(3) In der baskischen Provinz Navarra fand 1936 praktisch kein Krieg staat, weil sich die Behörden sofort den aufständischen Generalen um Mola und Franco ergaben, bzw am Putsch beteiligt waren. Dennoch wurden in Navarra Tausende erschossen, weil sie republik-verdächtig waren. Das Buch "De la esperanza al terror" (Von Hoffung zum Terror) von Jose Mari Esparza beschreibt die brutale Repression in Navarra und gibt mit einer Auflistung den Opfern einen Namen.
(4) Antonio Sagardía Ramos (1880 - 1962) war spanischer Militär und eine wichtige Persönlichkeit während des Spanischen Krieges (des sog. Spanischen Bürgerkriegs). Er war berüchtigt für die Massaker, die er von seinen Soldaten anrichten ließ. In jungen Jahren ging er zur Armee, um Karriere zu machen. Nach der Ausrufung der Zweiten Republik zog er sich aus dem Militärdienst zurück, wurde jedoch nach dem Putsch 1936 von General Mola zum Einsatz gerufen und war an der Eroberung von Gipuzkoa beteiligt. Im August-September 1937 war er an der Schlacht um Santander beteiligt und wurde durch seine Brutalität gegenüber gefangenen republikanischen Soldaten bekannt. Er ordnete viele illegale Exekutionen an. Danach war er an der Aragon-Offensive beteiligt. Aus dieser Etappe ist der Satz überliefert: "Ich lasse zehn Katalanen erschießen für jeden Gefallenen meiner Truppe". In der Gegend von Pallars Sobirà ließ er Frauen, Kinder und Alte erschießen, was ihm den Beinamen "Schlächter von Pallars" einbrachte. Nach dem krieg wurde er Chef der neuen "Bewaffneten Polizei". In dieser Funktion nahm er im September 1940 teil an einem Besuch in Nazi-Deutschland. Einen Monat später war er Teil der Delegation, die Heinrich Himmler bei seinem Besuch in San Sebastián (bask: Donostia) empfing. Später war er Militär-Gouverneur in Cartagena (Valencia).
(5) Paco Etxeberria ist derzeit der bekannteste baskische Forensiker und Anthropologe. Als Direktor der wissenschaftlichen Gesellschaft Aranzadi (siehe Glossar Baskultur.info) ist er regelmäßig an Ausgrabungen von Ermordeten aus der Zeit des spanischen Krieges von 1936 bis 1939 beteiligt (siehe Artikel bei Baskultur.info "Archäologie des Krieges"), und wird immer wieder in besonders kniffligen Fällen von Identifizierungen zu Rate gezogen, zuletzt bei der Suche nach den Überresten von Miguel de Cervantes, oder zur Klärung der Todesursache von Salvador Allende. 2012 klärte er in Granada einen spektakulären Kindermord auf, in Marokko bestätigte er den Massenmord an Menschen aus der West-Sahara. Im Auftrag der baskischen Regierung hat er ein Gutachten erstellt, das wissenschaftlich nachweist, dass die spanische Polizei im Baskenland systematisch foltert.
FOTOS:
Das Foto zeigt eine vergleichbare Geschichte auf der navarrischen Urbasa-Hochebene. Der Ort heißt Otsoportillo, auch dort wurden erschossene Republikanerinnen in eine Erdspalte geworfen. Einige der Leichen wurden später wieder gehoben, jedes Jahr findet am dortigen Erinnerungs-Monument eine Ehrung statt. (Foto Archiv Txeng (FAT)