Nichts geht ohne die Konpartsak
Wegen ihres partizipativen Charakters sind die Fiestas (Jaiak) in Bilbao weit über die baskischen Grenzen hinaus bekannt. Herzstück dieser Volkskultur (im besten Sinne) sind die Konpartsak, Fiesta-Gruppen aus Stadtteilen oder politische Gruppen, die eine Woche lang baskische Kultur servieren. In Txosna-Ständen wird für Essen und Trinken gesorgt, nebenbei wird Kultur- und Kinderprogramm organisiert. Manche sind im August drei Wochen lang mit nichts anderem beschäftigt: Txosna-Aufbau, Fiesta und Abbau.
In Teil eins des Zweiteilers “Aste Nagusia – Fiestas in Bilbao“ beschäftigte sich baskultur.info mit der Geschichte der partizipativen Fiestas in Bilbo. In Teil zwei geht es nun um die Aktivist*innen dieser populären Fiestas: Interview mit einem Konpartsa-Mitglied.
INTERVIEW MIT DEM KONPARTSA-MITGLIED IÑAKI
Baskultur.info: Die Fiesta-Kultur im Baskenland ist für Mitteleuropäer überaus beeindruckend. Dennoch eilt der Aste Nagusia, der Fiesta-Woche von Bilbao der Ruf voraus, eine ganz besondere zu sein, was das partizipative Fiesta-Modell betrifft.
Iñaki, Konpartsa-Aktivist: Kaixo Baskultur! Nun, den Bilbainos und Bilbainas wird nachgesagt, sie seien die größten Übertreiber der Welt. Wir sollten also auf dem Boden bleiben. Etwas Besonderes ist diese Aste Nagusia schon, aber einmalig auf gar keinen Fall. Sie sticht vielleicht in der Runde der baskischen Hauptstädte etwas hervor, aber in vielen Dörfern oder Stadtteilen werden ganz ähnliche Modelle praktiziert.
Und was ist das Besondere an der Bilboko Aste Nagusia?
Das Spezielle ist, dass der Hauptteil der Fiesta von Hunderten von Freiwilligen organisiert wird, die aus allen Stadtteilen kommen und sich in sogenannten Konpartsak organisieren.
Was ist eine Konpartsa?
Das ist eine Gruppe von Leuten aus der Stadt oder der Umgebung, die für die Große Fiesta-Woche etwas Gemeinsames hat: entweder sie kommen aus demselben Stadtteil, oder sie haben ein gemeinsames Interesse oder ein gemeinsames politisches Projekt.
Beispiele bitte zum Verstehen!
Kein Problem. Da gibt es zum Beispiel die Animalistas, die Tierschützer*innen, eine relativ junge Konpartsa. Oder die Gruppe der Hausbesetzungs-Bewegung, die sind auch noch nicht so lange dabei. Dann gibt es zwei Internationalismus-Konpartsak, und zwei weitere, die das Thema Ökologie zum Thema haben. Daneben eine ganze Reihe von Gruppen, deren Gemeinsamkeit ist, dass sie aus demselben Barrio kommen, Otxarkoaga zum Beispiel oder Deustu oder Uribarri. Zwei Konpartsak kümmern sich um die baskische Sprache, eine um die politischen Gefangenen, und so weiter.
Insgesamt dreißig, haben wir gehört.
Ich weiß es gar nicht genau, weil die Feministinnen aufgehört haben, ich gehe für 2023 von 28 Gruppen aus. Dafür gibt es zwei neue Konpartsak, die auf der Warteliste stehen.
Auf der Warteliste?
Ja, denn es ist nicht ganz einfach in den erlauchten Kreis des Konpartsa-Verbandes aufgenommen zu werden, der übrigens Bilboko Konpartsak heißt. Manche stellen sich das so einfach vor, ist es aber nicht. Alle müssen eine Art von Probezeit durchlaufen, um sich an die Pflichten zu gewöhnen und um zu sehen, ob sie ihre Teilnahme bei den Jaiak (Fiestas) letztendlich auch realisieren können. Eine Konpartsa kannst du nicht mit dreißig oder 50 Leuten machen, das ist unmöglich. Wenigstens das Doppelte ist notwendig. Wer sich als Konpartsa an der Aste Nagusia beteiligen will, muss mindestens ein Jahr lang alle Aktivitäten mitmachen. Eine Art von Praxisprobe. Nach einem Jahr wird dann entschieden, ob die Gruppe aufgenommen wird oder nicht. Voraussetzung ist auch, dass es auf dem Fiesta-Gelände einen freien Platz gibt. Denn Raum ist beschränkt. Wenn zwei zusammenrücken, dann kann Platz für drei sein. Aber viele haben ihren festen Platz und bestehen darauf, das kann also schon schwierig werden.
Eine richtige Massenveranstaltung!
Richtig, auch wenn das schräg klingen mag. Stell dir vor, der Konpartsa-Stand – wir nennen das Txosna – muss aufgebaut werden. Manche lassen das von Firmen machen, aber angemalt und geschmückt werden muss er auf jeden Fall. Das ist der erste Schritt. Manche sind da eine ganze Woche beschäftigt, aber eben nicht drei oder vier Leute, sondern ein paar mehr. Dann kommt die eigentliche Fiesta. Der Stand ist ca. 19 Stunden geöffnet, von morgens um 10 bis nachts um 5. Da müssen immer zwischen zwei und zehn Personen hinter der Theke stehen, um die Kundschaft zu bedienen, Getränke verkaufen. Manche haben noch dazu eine Küche … und wieder andere haben eine lange Theke. Da brauchst du für eine Nachtschicht – auf Baskisch Txanda – bis zu zwölf Leute.
Also pro Tag wie viele Menschen?
Zwischen 25 und 30. Da muss geputzt werden, Bestellungen gemacht, die Kühltruhen aufgefüllt, das Kinderprogramm durchgeführt werden. Zwei Personen sind jeweils 12 Stunden lang verantwortlich.
Lass mich rechnen, neun Tage mal 25 macht 225 Personen. Kommt das ungefähr hin?
Nicht ganz, denn einige machen verschiedene Arbeiten oder Schichten, aber 150 plus auf jeden Fall. Das Engagement der Einzelnen ist sehr unterschiedlich. Manche sind jeden Tag da, egal ob mit oder ohne Schicht. Andere kommen ein Mal unter der Woche und machen eine lockere Schicht am Nachmittag, wenn nicht viel los ist. Alle suchen sich ihre Dosis von Beteiligung, niemand ist zu nichts verpflichtet. Alles freiwillig, Selbstverpflichtung, wir sagen hier Militancia dazu. Das Ganze funktioniert nur, wenn alle Spaß dabei haben! Und wenn die Aste Nagusia vorbei ist, dann muss noch abgebaut werden.
Mir scheint, dass es bei einem solchen Unternehmen gar nicht so einfach ist, den Überblick zu bewahren!
Die Verantwortung ist auf verschiedene Schultern verteilt. Es gibt sogenannte Lan Taldeak, Arbeitsgruppen, die arbeiten das ganze Jahr über. Eine kümmert sich um das Programm, die andere um die Technik und zwei gehen regelmäßig zu den Vollversammlungen der Bilboko Konpartsak.
Big Brother im Hintergrund …
So könnte man sagen. Alle zwei Wochen treffen sich alle Konpartsak, um aktuelle Dinge zu besprechen und die nächsten Aktivitäten zu planen. Da herrscht Anwesenheitspflicht. Zu den Aufgaben von Bilboko Konpartsak gehört nicht nur die Aste Nagusia. Organisiert werden muss auch Santo Tomas, das ist ein bäuerliches Sidra-Fest kurz vor Weihnachten. Im Februar dann der Karneval, im Juni die Sonnwendfeier, im selben Monat die Txosnagane-Bergwanderung, an der viele teilnehmen. Und im Juli der Konpartsakide-Eguna, der Tag, an dem sich alle Konpartsak auf dem Fiesta-Gelände treffen, für ihre Konpartsa kochen und dann an langen Tafeln gemeinsam essen. Das heißt, eine Konpartsa ist das ganze Jahr über aktiv. Das bedeutet natürlich, dass einige aus der Gruppe besondere Verantwortung übernehmen müssen, um das alles zu koordinieren.
Das erfordert eine gründliche Planung, nicht wahr?
Richtig. Die Planung für die Aste Nagusia beginnt für uns im April, Mai. Was machen wir dieses Jahr anders, ein Entwurf für Gestaltung der Frontwand. Im Juli werden die Holzplatten weiß gestrichen, die an der Frontwand befestigt werden, später werden sie mit dem neuen Motiv bemalt. Zehn Tage vor der Fiesta ist Aufbau, manche lassen sich ein großes Zelt hinstellen, wir machen alles selbst. Eine Konstruktion von 12 Metern Höhe, wie ein Baugerüst. Zwei Stockwerke mit Strom und fließend Wasser. Dann neun Tage Fiesta und drei Tage Abbau. Für den harten Kern des Konpartsa bedeutet das 22 Tage Arbeit am Stück.
Das ist wahre Hingabe! Sicher ist es nicht ganz einfach, achtundzwanzig Konpartsa-Gruppen unter einen Hut zu kriegen!
Ja und nein. Die Gruppen sind ziemlich unterschiedlich. Manche haben eine politische Botschaft, andere machen das aus purem Vergnügen. Da gibt es schon viele Diskussionen, Meinungsverschiedenheiten und Streits. Aber letztendlich gibt es ein gemeinsames Interesse, nämlich, dieses Model von Jaiak aufrecht zu erhalten. Alle zusammen haben einen gemeinsamen Gegner …
Wie? Einen gemeinsamen Gegner?
Ja, es ist wie bei jenem Filmtitel “Der Feind in meinem Bett“. Denn die Stadtverwaltung ist sowohl Aktionspartner wie auch Gegner des Modells. Die haben dem Konzept mit den unabhängigen Fiesta-Gruppen und den Freiwilligen zwar vor 40 Jahren zugestimmt. Aber mittlerweile bereuen sie das und würden das Ganze gerne kippen.
Schwer vorstellbar, die Konpartsak und ihre Helfer*innen nehmen der Stadt doch kostenlos die Arbeit ab.
Genau, das ist der springende Punkt. Die Leute organisieren sich, sie können und machen alles selbständig. Eigentlich bräuchten sie die Verwaltung gar nicht – mal abgesehen von der Müllentsorgung. Gestandene Politiker sehen so eine Dynamik mit viel Misstrauen. Die sind es gewohnt, dass das Volk alle vier Jahre zur Urne gebeten wird und dass sie dann vier Jahre lang machen können, was sie wollen. Ich erzähle euch da sicher nichts Neues: die Menschen delegieren ihre Interessen und fordern nur gelegentlich Rechenschaft. Das Fiesta-Modell in Bilbo stellt diese Vorstellung auf den Kopf. Da sind muntere Leute am Werk, die genau wissen, was sie wollen, nicht alle vier Jahre, sondern immer, jeden Monat, jedes Jahr. So was macht den Politikern Angst. Außerdem würden sie die Fiesta gerne kommerziell organisieren, mit ihren Freunden von den Bierfirmen, die keine politischen Ansprüche haben und nur Geld verdienen wollen. So gesehen ist das selbstverwaltete Modell hoch politisch, das wissen auch die unpolitischen Konpartsa-Gruppen. Ein gemeinsamer Gegner vereint und lässt die inneren Widersprüche in den Hintergrund treten.
Auf welcher Ebene werden die Spannungen zwischen Konpartsak und Verwaltung dann formal ausgetragen?
Es gibt eine Fiesta-Kommission, die paritätisch besetzt ist. Dort werden Informationen ausgetauscht und Entscheidungen getroffen, falls das Rathaus nicht Alleingänge macht, was schon mehrfach vorkam.
Zum Beispiel?
Auch die Stadtverwaltung organisiert Konzerte und Kultur-Programm. Es gibt eine große Bühne für große Konzerte und verschiedene kleine Bühnen. Vor Jahren war die große Bühne ganz in der Nähe der Txosna-Meile, jetzt ist sie zwei Kilometer entfernt. Das ist ein Nachteil. Entweder die Leute gehen zum Großkonzert, oder sie sind bei den Txosnak. Ähnliches ist mit den Kinderspielen geschehen, die waren vorher in nächster Nähe, jetzt werden sie immer weiter entfernt. Wenn Eltern tagsüber mit ihren Kindern unterwegs sind, dann eben nicht mehr bei den Txosnak.
Wenn Freiwillige Getränke verkaufen, dann bleibt ja sicher etwas in der Kasse zurück … was machen die Konpartsak mit diesem Geld?
Das ist sehr unterschiedlich. Bei manchen ist es nachvollziehbar, was mit dem Geld passiert, in anderen Fällen nicht. Einige der politischen Gruppen, die Feminist*innen zum Beispiel, die unterhalten Lokale, müssen Miete bezahlen oder einen Kredit abzahlen, wenn sie ein Lokal gekauft haben. Andere haben ein Büro, in dem eine Person über das Jahr freigestellt ist und die Vereinsarbeit erledigt, die Internationalist*innen und die Ökolog*innen machen das so.
Bei so vielen positiven Aspekten, gibt es aus deiner Sicht auch etwas zu kritisieren an der Aste Nagusia?
Völlig abzulehnen ist, dass es immer mehr sexistische Übergriffe gibt, nicht nur in Bilbo bei den Jaiak, auch bei anderen. Ich will nicht sagen, dass die Fiestas direkt dafür verantwortlich sind. Aber wo viele Leute zusammenkommen, gibt es auch schwarze Schafe. Und je größer die Masse, desto besser können sie sich verstecken. Was noch? Der Alkohol. Wir leben in einer Alkohol-Gesellschaft und zweifellos trägt der ziemlich ungehemmte Ausschank von Alkohol bei den Fiestas auch dazu bei. Selbst an Minderjährige, niemand will hinter der Theke den Polizisten spielen und die Eltern sind abwesend. Überaus fragwürdig ist auch die Müllproduktion der Aste Nagusia. Ökologisch gesehen ist das fatal, vor allem die Massen an Plastik, die da jede Nacht auf dem Boden landet, Flaschen, Tüten … ich möchte nicht wissen, wie viele davon über den Fluss und das Meer zu jener riesigen Plastikinsel kommen, die da irgendwo im Atlantik treibt. Zwar sind schon einige Maßnahmen ergriffen worden, die Konpartsa-Essen werden nicht mehr mit Plastikbesteck serviert, die Getränkebecher kosten Pfand und sind recyclebar. Aber das gibt es noch viel zu tun. Vor allem am Bewusstsein fehlt es. Na, und der Stierkampf ist völlig anachronistisch und überflüssig. Dass das ebenfalls zur Aste Nagusia gehört, darauf haben wir keinen Einfluss, außer die Tierschützer*innen zu unterstützen.
Lass uns doch nochmal zum politischen Charakter der Bilbo-Jaiak zurückkommen. Abgesehen von eurem basisdemokratischen Modell – wodurch wird dieser Charakter während der Fiestas deutlich?
Nun, politische Gruppen haben politische Ausdrucksformen. Jeder Txosna-Stand hat ein bestimmtes Design, ein Bild, ein Graffiti. Das können Blumen und Schmetterlinge sein, oder die Darstellung eines aktuell brisanten Themas. Rassismus bei der Polizei, Korruption bei den Parteien, so wie das beim Karneval schon praktiziert wurde. Nur etwas deftiger und direkter. Wenn der Bürgermeister sich in einer bissigen Karikatur sieht, während er durch die Txosnas geht, das ist schon bitter. Das führt selbstverständlich zu Reaktionen und Repression.
Ein Beispiel?
Vor ein paar Jahren hat Hontzak, die Eulen-Konpartsa der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft CNT das christliche Abendmahl zum Thema genommen. Dabei wurde der Leib Christi im Schema aufgeteilt wie ein Rind: besonders leckere, fette und magere Teile, wie in der Metzgerei eben. Eine wunderbare Persiflage kirchlicher Umgangs-Formen. Es kam eine Anzeige von irgendeinem ultra-katholischen Verein wegen “Beleidigung von religiösen Gefühlen“, so hieß das glaube ich. Die Polizei kam vorbei, die Bilder wurden zensiert und abgenommen. Die Konpartsa reagierte darauf mit einem Design zum Thema Zensur. Die Anzeige war die beste Werbung! Natürlich hatten alle schon den Christus der Metzgerei gesehen und Fotos gemacht. Später gab es einen Prozess und die Konpartsa wurde freigesprochen, es lag keine Beleidigung vor, stattdessen Meinungsfreiheit.
Was könnte ich da noch erzählen … ach ja, die Zensur einer Figur der Konpartsak. Jedes Jahr wird unter den Gruppen eine Frau zur Txupinera bestimmt, die die Startrakete anzündet und eine Woche lang bei allen Aktivitäten präsent ist. Zufälligerweise war es die Schwester eines politischen Gefangenen …
… von ETA?
Ja, von ETA. Wieder gab es eine Anzeige von einer ultrarechten Opfer-Organisation, das Rathaus reagierte und zog die Txupinera aus dem Verkehr. Ihr müsst euch vorstellen: nach Marijaia die zweitwichtigste Figur bei der Fiesta! Wegen des Bruders … als Schwester von … hast du keine Rechte mehr!
Was passierte dann?
Die Konpartsak haben die Zensur einfach ignoriert, die Txupinera bewegte sich wie alle Vorgängerinnen durch die Fiesta. Da waren sich alle Konpartsak einig. Nur von der Presse und bei offiziellen Empfängen wurde sie ausgeschlossen. Für das Rathaus eine zweistellige Niederlage. Zuvor gab es einen ähnlichen Fall, ebenfalls die Schwester eines ETA-Mitglieds. Die war weniger bekannt und wurde nicht zensiert. Dafür erhielt sie Post von Faschisten, einen Brief mit einer Patrone drin und Morddrohungen. Die bürgerliche Presse musste berichten, das war peinlich für die, denn nun war plötzlich die Schwester eines ETA-Gefangenen das Opfer.
Der historische politische Konflikt zwischen dem spanischen Staat und der baskischen Linken lebt immer wieder auf, auch bei den Fiestas ...
Heute ist es kaum mehr vorstellbar, aber in der Anfangszeit der Jaiak, Ende der 1970er Jahre, kam die Polizei nach Absprache nicht aufs Txosna-Gelände, die Konpartsak haben alles ohne Polizei geregelt! Heute sind Zivilbeamte ohne Ende unterwegs, weil die Uniformierten nicht gerne gesehen werden. Im Jahr 2010 kam es einmal mehr zu einer Anzeige wegen der Fotos von politischen Gefangenen. Bis dahin die normalste Sache der Welt, dass diese Bilder überall zu sehen waren. Plötzlich sollten sie illegal sein. Die baskische Ertzaintza-Polizei kam und machte Razzien in den Txosnas!
Was war die Konsequenz aus Fotoverbot und Razzien?
Die Folge war, dass das Rathaus im folgenden Jahr zwei Konpartsak komplett zensierte, sie durften keine Txosna-Stände aufbauen. Ohne Verfahren, ohne Urteil, ohne gar nichts. Nochmal so ein Kapitel zum Thema “der Feind im eigenen Bett“. Die übrigen Konpartsak reagierten darauf mit einem Streiktag, ein Tag blieben die Txosna-Theken zu, keine Konzerte, kein Programm, nur schwarze Plastikplanen, die die Zensur anprangerten. Aus dieser Zeit stammen die schwarzen T-Shirts mit dem Aufdruck “Aste Nagusia defendatu“ …
… die Fiesta-Woche verteidigen.
Richtig. Ich hoffe, dass deutlich geworden ist, was da verteidigt werden soll. Es geht um einen kulturellen und politischen Freiraum, der manchmal gar nicht so frei ist, weil überall rechte Spitzel unterwegs sind, die jeden Aufkleber, der ihnen nicht gefällt, zur Anzeige bringen. Wir verteidigen die Rechte der politischen Gefangenen ebenso wie das Recht von Frauen, sich ohne Sexismus durch die Fiesta zu bewegen. Und wir kritisieren das Projekt des anti-ökologischen Hochgeschwindigkeits-Zugs, hinter dem die Rathaus-Partei steht. Wir müssen die Konflikte gar nicht suchen, sie werden uns nachgeschmissen.
Die Jaiak 2023 sind eben zu Ende gegangen. Wie war es, was gibt es zu berichten?
Der Bürgermeister hat in seiner Bilanz von einem Besucherrekord gesprochen. 1,8 Millionen Personen, ich wüsste gerne, wer die gezählt hat. Er behauptet, es habe keine gewalttätigen sexistischen Übergriffe gegeben und keine homophoben Attacken, 200 Festnahmen wegen Taschendiebstählen. Nun, seine Polizei sollte es wissen. Sie selbst hat ausreichend provoziert bei der Fiesta. Erst haben sie Material von den “Manteros“ beschlagnahmt, von den armen Migranten, die ihr Zeug auf einem Tuch auf dem Boden verkaufen. Dann die Ausweis-Kontrollen je nach Hautfarbe. Wir sagen dazu Rassismus, das haben wir bei einer Pressekonferenz deutlich gemacht, dafür wird uns dann Hass vorgeworfen. Danach eine offene Provokation gegen eine Konpartsa: zwei Polizisten, angeblich in ihrer Freizeit, pissen an eine Txosna, eine Konpartsa-Kollegin kritisiert dieses Verhalten, es kommt zum Wortgefecht und plötzlich ist die Straße voller Uniformierter. Wenn das keine Provokation ist! Im Anschluss verteidigt der Bürgermeister seine Polizei als notwendige Ordnungskraft. Wir haben deutlich gemacht: so nicht! Diese Provokation war ein erneuter Angriff auf alle Konpartsak. Hoffentlich kapieren das auch alle.
Aber ich will die Bilanz hier nicht mit etwas Negativem beenden. Egal ob eine halbe oder zwei Millionen Personen, es hat sich einmal mehr gezeigt, dass die Leute zwar viel trinken und Drogen konsumieren, sich aber dennoch weitgehend unter Kontrolle haben und weiter tanzen. Die Stimmung war gut, zwischendurch hatten wir 44 Grad Hitze, der letzte Tag war verregnet. Meine persönliche Bilanz ist positiv, ähnlich wie die meiner Konpartsa. Der Konpartsa-Verband wird zu gegebener Zeit auch eine Bilanz vorstellen.
Das hat er unseres Wissens bereits getan. Mit anderer Bewertung wie der Bürgermeister: Licht und Schatten, sagen sie und beklagen sexistische, rassistische, homophobe und transphobe Attacken und Übergriffe. Zudem beklagen sie das Verhalten der Polizei und stellen fest, dass die Zusammenarbeit mit dem Rathaus dieses Jahr sehr problematisch war. Und positiv gesehen: das nach wie vor bewundernswerte Engagement von Tausenden von Freiwilligen in den Konpartsak.
Ihr seid besser informiert als ich. Die unterschiedliche Interpretation der Jaiak zeigt einmal mehr, dass Politik eine reine Inszenierung ist. Der Stadtvorsteher hätte allen Grund, beleidigt zu sein, nach den vielen Angriffen, die er erlebt hat bei den Fiestas. Aber er macht einen auf Ignoranz und kehrt die Probleme unter den Tisch. Das ist glatt gelogen. Erst die Provokationen, dann die heile Welt. Ich würde sagen, dasselbe wie jedes Jahr. Der positiven Bewertung der Konpartsak kann ich mich nur anschließen. Es ist fast schon ein Wunder, dass nach wie vor so viele Leute bereit sind, ihren ganzen Sommerurlaub in die Fiestas und die Arbeit an ihrer Txosna einzubringen. Überall wird geklagt, dass die Bereitschaft zur Einmischung und zu Engagement in den letzten Jahrzehnten nachgelassen habe. Dass es neue Konpartsak gibt, ist ein Ausgleich dafür. Nicht alle laufen dem Konsum bei Amazon, einem neuen Auto oder den TV-Plattformen hinterher. Das Fiesta-Modell Bilbao funktioniert noch.
Deine Konpartsa hat sicher auch einen Namen, nicht wahr?
Ja, das hat sie, aber Namen sind Schall und Rauch. Nächstes Jahr feiern wir unser 20-jähriges Bestehen. Aber ich denke, hier sollte es nicht um die eine oder andere Konpartsa gehen, sondern um das Modell und was es repräsentiert. Es gäbe noch viele Geschichten zu erzählen … der Krieg der Fahnen, die Überschwemmungen von 1983 und die solidarische Reaktion der Konpartsak … 45 Jahre Konpartsak reichen für eine Enzyklopädie … vielleicht ein anderes Mal.
Zum Schluss ein Vergleich mit den Jaiak in Donostia, Gasteiz, Iruñea?
Der Charakter von Fiestas ist immer in Bewegung. Iruñea, also Pamplona, hat den Charakter von Welt-Stierläufen, die alternative Szene ist vor langer Zeit verdrängt worden. Dieser Fiesta hängt die Massenvergewaltigung vor Jahren an den Beinen. Donostia, sprich San Sebastián, ist sehr bürgerlich geprägt, da wird getrommelt und mit Kanonen geschossen, einzig positiv ist die Piratak-Initiative, die anzuknüpfen versucht an die untergangene Txosna-Zeit. Mit Vitoria-Gasteiz fühlen wir uns am ehesten seelenverwandt, das gibt es ganz ähnliche Konpartsak, leider wurden sie aus der Innenstadt verbannt und führen nun ein Inseldasein hinter dem Bahnhof. Aber nicht zu vergessen die vielen Dorf-Jaiak, dort funktioniert das Konzept der Volks-Organisation nach wie vor sehr gut, da gibt es keine “gemischte Kommission“, die Rathäuser halten sich zurück oder fördern das Konzept sogar, je nach politischer Ausrichtung. Und die Stadtteile der Großstädte, die alle ebenfalls ihre Fiestas in eigener Regie organisieren, ohne jede Hilfe von oben. Wenn es diesen immer wieder auftauchenden Sexismus nicht gäbe, könnten wir guten Gewissens eine positive Bilanz ziehen. Aber so …
Wir danken für das Gespräch! Eskerrik asko!
Der erste Teil zum Thema “Euskal Jaiak“, baskische Fiestas, ist seit wenigen Tagen, seit dem 23. Juli 2023 bei baskultur.info zu finden: “Fiestas in Bilbao (1) – Aste Nagusia seit 1978“ (LINK). In einem früheren Artikel aus dem Jahr 2014 wurde der partizipative Charakter der Jaiak im Baskenland anhand von Beispielen aus unterschiedlichen Orten analysiert: “Fiestas-Jaiak im Baskenland – Volksfeste, Wege des sozialen Wandels“ (LINK).
ABBILDUNGEN:
(*) Aste Nagusia (Foto Archiv Txeng)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-08-29)