Per Hungerstreik zu mehr Sozialhilfe
Verschiedene Kollektive, die das Thema Armut thematisieren und für die allgemeine Einführung der Sozialhilfe RGI eintreten, haben in Bilbao einen Hungerstreik begonnen. Anlass war die Weigerung der baskischen Regierung, die unzureichende Sozialhilfe so zu erhöhen, wie das Gesetz es eigentlich vorschreibt. Stattdessen wurde „nur“ die Inflationsrate angewandt, was eine Steigerung von lächerlichen 0,8% ausmacht. Ein Drittel der Bevölkerung lebt an der Armutsgrenze, 10% sind von Ausgrenzung bedroht.
Gegen Armut und Sozialkürzungen sind in Bilbao Mitglieder verschiedener Kollektive in einen öffentlichen Hungerstreik getreten. Sie fordern eine Aufstockung der Sozialhilfe.
Erst zu Jahresbeginn 2017 waren die Strom- und Gaspreise um eine zweistellige Ziffer erhöht worden, deshalb gehen die streikenden Kollektive davon aus, dass die Maßnahme der baskischen Regierung nicht nur das Ausbleiben einer Erhöhung darstellt, sondern eine konkrete Kürzung. Denn unter dem Strich bleibt allen Betroffenen pro Monat weniger Geld, über das sie verfügen können.
Immer mehr arme Bask/innen
Im Hintergrund steht die Tatsache, dass in der Autonomen Gemeinschaft Baskenland (CAV) ein Drittel der Bevölkerung an der Armutsgrenze lebt, 10% sind von dramatischer Ausgrenzung bedroht. Das bedeutet Hunger, schlechte Ernährung, möglicher Verlust der Wohnung, Lebensmittelsuche im Müll, psychische Schäden.
Auf diese Sozialkürzung mit einem Hungerstreik zu reagieren könnte fast zynisch anmuten, denn Hunger ist eine der Folgen von Armut. Aktuell steht der Sozialhilfe-Satz bei ca. 640 Euro, das ist mehr als in allen spanischen Regionen, wo es teilweise keine Sozialhilfe gibt. Dennoch ist es nicht ausreichend, um Armut auszuschließen. Nachdem die spanische Regierung den Minimallohn im Januar um 8% erhöht hatte („eine Ausnahme-Maßnahme“ nach Jahren der Stagnation), hätte die baskische Regierung diese Erhöhung auch auf die baskische Sozialhilfe anwenden müssen, weil beide Zahlen miteinander verknüpft sind. Weil sie das nicht tat, kam es nun zum Streik.
Allgemeine Sozialhilfe gefordert
Schon lange fordern die Kollektive – Arbeitslosen-Versammlungen, die Gewerkschaft ESK, Frauen- und Migrantengruppen, der Verband der hausangestellten Frauen und die Gruppen Argilan, SOS Rassismus, Elkartzen und die Bewegung gegen Zwangsräumungen – die Anpassung der RGI-Sozialhilfe auf der Ebene von Berechnungen der OECD, die bei ihrem Kalkül vom gesellschaftlichen Reichtum insgesamt ausgehen. Dem steht entgegen, dass die baskisch-spanische Rechte zusammen mit den Arbeitgeber-Verbänden seit Langem eine Kampagne durchführt, die Sozialhilfe mit Missbrauch und Faulheit in Verbindung bringt. Seit Jahren finden gegenüber Sozialhilfe-Empfänger/innen polizeiliche Kontrollen statt, die immer wieder Früchte tragen. Zuletzt wurde eine pakistanische „Mafia“ enttarnt, die mit fiktiven Personen eine halbe Million Euro kassiert hatte.
Das ist Wasser auf die Mühlen der Rechten. Tatsächlich machen die bekannt gewordenen Fälle von „Missbrauch“ jedoch nicht einmal 1% des Ganzen aus, also ein minimaler Anteil. Doch mit Hilfe williger Medien wird die Sache derart aufgebauscht, dass kürzlich sogar eine Karikatur auftauchte, bei der festgestellt wurde, dass sogar Hitler die RGI kassierte („Die baskische Regierung zahlte Hitler Sozialhilfe, als er in Deutschland an der Regierung war“), Krönung des Fakes war das Logo einer jener Tageszeitungen, die seit Jahren an der Missbrauchs-Kampagne beteiligt sind.
Rechte Diffamierungs-Kampagne
Dass es Leute aus Pakistan waren, die für das Schwindelkonstrukt verantwortlich waren, kam für die RGI-Gegner wie ein Geschenk des Himmels. Denn bei ihrer Anti-Kampagne heben sie stark darauf ab, dass es vor allem „Ausländer“ sind, die RGI kassieren und missbrauchen. Sie benutzen das Argument, die RGI verhindere soziale Integration, weil sich die Bezieher/innen nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt orientieren würden. Dabei reicht die baskische Sozialhilfe kaum, die teuren Mietpreise aufzubringen.
Die hohe Anzahl von Migrant/innnen unter den RGI-Empfänger/innen ist eine objektive Tatsache. Doch die hat Gründe. Denn insbesondere in Krisenzeiten haben es alle Marginalisierten besonders schwer, sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten. Männer verdrängen Frauen an den Kassen der Supermärkte, Einheimische verdrängen afrikanische Bauarbeiter von den Baustellen. Auch wenn es niemand offen ausspricht, so gilt auch hier auf dem Markt das bekannte Prinzip „Americans first“.
Beliebte Angriffs-Opfer sind Leute aus dem Magreb, in diesem Fall mischt sich noch eine Prise Islamophobie in die Kampagne. Protagonist unter diesen Vorzeichen war der ehemalige rechte PP-Bürgermeister der Hauptstadt Gasteiz (span: Vitoria), der offen die Magrebiner/innen angriff. Das führte vor zwei Jahren zu einer rassistischen Kampagne einerseits, und zu einem Schulterschluss auf der baskischen Seite andererseits, von Konservativen bis zur baskischen Linken. Der Bürgermeister ist weg, er hat nun seinen verdienten Platz im Präsidium der PP-Partei, die im spanischen Staat regiert. Aufstieg mit rassistischen Mitteln, könnte dieser Karrieresprung beschrieben werden.
Sozialdemokratische Initiative
Bereits die spanisch-baskischen Sozialdemokraten, als sie von 2009 bis 2012 die baskische Regierung stellten, reduzierten mit allerlei Tricks die Listen der Sozialhilfe-Empfänger/innen. Wem die geringste Unachtsamkeit unterlief, Strafe war der sofortige Entzug der Hilfe. Das traf vor allem Personen, denen nicht bewusst war, dass sie sich regelmäßig arbeitslos melden mussten (vorher war das nicht kontrolliert worden). Oder andere, denen es schwer fällt, das Kleingedruckte zu lesen, oder die wegen fehlender intellektueller Fähigkeiten kein Formular ausfüllen können. Tausende wurden in dieser Phase aus der RGI rausgekickt, ohne Rücksicht auf ihre existenzielle Situation. Gleichzeitig sorgte die sog. „Wirtschaftskrise“ dafür, dass die Zahlen von Bedürftigen nicht sanken, sondern durch Entlassungen und Arbeitlsosigkeit weiter stiegen: 65.000 bei einer Bevölkerungszahl von 2 Millionen. Die Regierung war gezwungen, die Etats zu erhöhen.
Dabei kennen viele Personen noch nicht einmal ihr Recht, Sozialhilfe beantragen zu können. Oder sie trauen sich nicht, weil sie Angst haben vor dem Gerede in der Nachbarschaft. Stattdessen greifen sie, wenn das möglich ist, auf familiäre Netze zurück, die dadurch heftig strapaziert werden. Bei Weitem nicht nur Arbeitslose sind auf Sozialhilfe angewiesen, viele Rentner und vor allem Rentnerinnen haben eine solch niedrige Rente, dass sie durch RGI aufgestockt werden muss. Auch in diesem Bereich zeigt sich, dass Armut vor allem eine weibliche Seite hat. Frauen sind schlechter versorgt, egal ob sie Alleinerziehende sind, Migrantinnen oder Witwen: die Armut ist weiblich.
Den Druck weitergeben
Mit den Kampagnen-Argumenten steht die baskische Regierung unter Druck von Rechts und greift in dieser politischen Defensive gerne auf Verteidigungs-Argumente zurück. Um weitere Fälle von „fiktiven Empfänger/innen“ auszuschließen, wurde nun beschlossen, dass alle RGI-Bezieher/innen zur eindeutigen Erkennung ihren digitalen Fingerabdruck hinterlassen müssen. Was wie eine akzeptable bürokratische Maßnahme daherkommt ist in Wirklichkeit ein Ansatz von Kriminalisierung, denn Fingerabdrücke müssen bisher bekanntermaßen nur bei Verbrechen und Kriminalität abgegeben werden. Oder in spanischen Gefängnissen, wenn Gefangene besucht werden sollen.
Der Diskurs der konservativ-nationalistischen PNV-Regierung galt bisher dem unbedingten Schutz des sozialen Systems, besonders für Notfälle und gegen Ausgrenzung. Insofern wurde die Sozialhilfe immer gegen rechte Angriffe und Rassismus verteidigt – eine links-sozialdemokratische Position, die heutzutage nicht einmal mehr Sozialdemokraten auszeichnet. Mit der Kürzungs-Entscheidung hat die PNV-Regierung nun die Fronten gewechselt. Konfrontiert hat sie sich dabei mit allen im Baskenland aktiven Gewerkschaften, ob staatlichen oder baskischen Zuschnitts.
Gleichzeitig hat die progressive Haltung der PNV in sozialen Fragen ihre Schattenseite in anderen Sektoren. Denn Partei und Regierung sind streng neoliberal, wenn es um Bauprojekte geht. Derzeit wird eine Schnellzugstrecke gebaut, die Milliarden verschlingt und der baskischen Bevölkerung nicht als Transportmittel dienen wird, wenn sie fertig gestellt ist. Verschiedene zusätzliche Autobahnen sind ebenfalls geplant. Die Maut für die Autobahn zwischen Donostia (San Sebastián) und Bilbo ist die teuerste des ganzen Staates. Bei der Müllbeseitung wird auf Verbrennuung und den Bau entsprechender kostspieliger Anlagen gesetzt, anstatt auf Ökologie und Müllvermeidung zu schauen. Alle diese Projekte schlucken öffentliche Mittel, denen gegenüber das Sozialhilfe-Budget den Eindruck der Portokasse abgibt.
Streik in Altersheimen
Gestreikt wird derzeit auch im Bereich der Angestellten in öffentlichen Altersheimen der Provinz Bizkaia, dieser tageweise Ausstand wird von der größten baskischen Gewerkschaft ELA organisiert. Er begann bereits im Dezembver 2016 und wird konsequent weitergeführt. Bei diesem Streik geht es um einen „würdigen Tarifvertrag“. Auch hierbei handelt es sich um die feminine Seite der Benachteiligung, denn in Altersheimen sind vorwiegend Frauen beschäftigt. Konkret geht es um Arbeitszeit-Verkürzung, Lohnerhöhung, Zuschläge und Absicherung bei Krankheit.
ABBILDUNGEN:
(*) Streiks und Proteste in Bilbao 3/2017 (Twitter, FAT)