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Vom Widerstand zum Feminismus

Die Roma erleben seit Jahrhunderten eine teilweise brutale Diskriminierung, die sich bis in die heutige Zeit fortsetzt. Obwohl heutzutage die Gleichheit aller Personen gesetzlich verankert ist. Doch gibt sich die Gemeinschaft mit dieser gesetzlichen Gleichstellung nicht zufrieden. Vielmehr kämpft sie gegen die Stigmatisierung ihres Volkes und stellt dabei Kultur, Bildung, Feminismus und die eigene Identität in den Mittelpunkt. Auch gegen Armut, viele Roma leben in den Arbeitervierteln des Baskenlandes.

Überall in Europa werden Roma (und Sinti) diskriminiert. Ihr Lebensstil und ihre Kultur stoßen vielerorts auf Unverständnis. Im Faschismus wurden sie verfolgt, bis heute müssen sie um ihre Gleichberechtigung kämpfen. Frauen doppelt: gegen die Vorurteile und gegen die patriarchalen Strukturen. Ein Bericht aus dem Baskenland.

Im Sommer 2018 traf sich Victoria Giménez, auch Tante Victoria genannt, mit einigen Freundinnen im Bilbao-Stadtteil San Frantzisko. Sie sprachen über die schwierige Situation auf den Märkten und darüber, wie schwierig es sei, eine gute Arbeit zu finden. Berichtet wurde, dass einige es “geschafft“ hätten. Sie sprachen über Machismus und Antiziganismus (abgeleitet vom französischen tsigane = Zigeuner) und wiesen darauf hin, dass die Roma-Frauen überaus kompetent sind. “Wir sind Kämpferinnen“, stellten sie fest, denn “Roma zu sein, tragen wir mit viel Stolz und Verantwortung“. – “Wir versuchen jeden Tag unseres Lebens, uns zu entwickeln, voranzukommen, zu arbeiten. Aber es gibt nach wie vor viele verschlossene Türen“, kommentierte eine von ihnen. (1)

roma02Roma-Frauen, Baskinnen und Feministinnen

“Seit sechshundert Jahren leben wir hier und noch immer sind wir unbekannt“, sagte Victoria Giménez. Studien deuten darauf hin, dass das Volk der Roma im Jahr 1000 die Region Punjab in Klein-Ägypten verließ – das heutige Indien. Erst im fünfzehnten Jahrhundert, nach einer unendlichen Odyssee auf der Suche nach geeigneten Lebensumgebungen, nach einem jahrhundertelangen Aufenthalt auf dem Balkan, in Griechenland, der Türkei und Armenien sollte das Volk Westeuropa erreichen. Die damaligen Machthaber in Westeuropa nahmen die Ankunft der Roma nicht als Bedrohung wahr und boten ihnen Möglichkeiten, ihre Reise fortzusetzen. Doch das war nur eine Atempause in der Geschichte dieser Gemeinschaft, die in den folgenden Jahrhunderten mit viel Härte und Gewalt verfolgt wurde.

Der große Überfall

Die ersten Roma kamen 1425 auf die iberische Halbinsel und ein Jahrzehnt später auch nach Euskal Herria, ins Baskenland. Seit der Herrschaft der “Katholischen Könige“ um 1500 (2) wurden mehr als zweihundert “Anti-Zigeunergesetze“ und Verordnungen erlassen. Die Roma galten damals als Nomaden und hatten den rechtlichen Status von Ausländern, Faktisch bedeutete das, dass sie nicht im Besitz von Bürgerrechten waren. Allein das Roma-Sein an und für sich wurde als Straftatbestand angesehen. In der spanischen Sprache werden die Roma “gitanos, gitanas“ genannt, auf Baskisch “ijitoak“, der Begriff Roma wird so gut wie nie benutzt.

Auch im Baskenland war die Ansiedlung von Roma-Familien nicht gern gesehen. Die Herrschenden setzten mit Unterstützung der Mehrheits-Gesellschaft alles daran, sie aus dem Baskenland zu vertreiben. 1749 startete der spanische Staat eine erneute Repressionswelle gegen die Roma, die den Titel “La gran redada de los gitanos“ erhielt (Der große Roma-Überfall). Zwischen 9.000 und 12.000 Menschen wurden gefangen genommen und in die drei Zentralen der spanischen Marine gebracht (Cadiz, Ferrol und Cartagena). Die bis dahin in diesen Zentren angestellten Bauarbeiter wurden durch Roma ersetzt. Das bedeutete nichts anderes als allgemeines Gefängnis für die Roma-Bevölkerung.

Der Holocaust gegen die Roma in der Zeit vor und während des Zweiten Weltkrieges ist in der Sprache Romanes als “Samudaripen“ bekannt. Es wird geschätzt, dass mehr als 800.000 Roma während der ethnischen Säuberungen durch die Nazis getötet wurden. Am 16. Mai feiert die Gemeinschaft den Roma-Widerstandstag. Denn an jenem Tag im Jahr 1944 befahl der Direktor des “Zigeunerlagers“ Auschwitz II Birkenau (Georg Bonigut) den Insassen, in ihren Baracken zu bleiben. Sein Plan war, sie am nächsten Tag alle in der Gaskammer zu ermorden. Die Gefangenen, insbesondere Frauen und Kinder, bewaffneten sich mit Steinen und anderen Werkzeugen, nachdem sie von einem heimlichen Widerstands-Netzwerk im Lager alarmiert worden waren. Sie verbarrikadierten sich in den Baracken und konnten sich vor der Gefahr der Vernichtung schützen, wenn auch nur für kurze Zeit. “Wir sind die großen Fremden. Ein Volk, das ausgegrenzt und gefoltert wurde, ohne Anerkennung, ohne Heimat“, beklagt Rosa Jiménez, Präsidentin des Verbandes Sim Romi. (3)

“Wir sind baskische Roma“

Während seiner gesamten Geschichte war das Volk der Roma darauf bedacht, seine Kultur, Tradition und Werte zu bewahren. Die bestanden nie im Besitz von Gütern und Gebieten. Dafür wurde ein hoher Preis bezahlt. Im spanischen Staat verloren sie ihre Sprache, das Romanes. Schuld war die von der kastilischen Krone ausgeübte Repression. Vom Caló, einem Derivat aus Spanisch und Romanes, ist nur noch wenig erhalten. Und die Sprache einiger baskischen Roma, das Erromintxela, Ergebnis einer Fusion zwischen Euskera und Romanes, gilt ebenfalls als ausgestorben.

roma03All das sind schmerzhafte Verluste für die Roma-Kultur. Die Repression des spanischen Staates gegen die Identität der Roma hat dazu geführt, dass innerhalb der Gemeinschaft die spanische Sprache dominiert – auf Kosten der eigenen Sprache. In Ipar Euskal Herria (dem französischen Baskenlandes, wörtlich: das nördliche Baskenland) zeigen Dokumente aus dem 17. Jahrhundert, dass die Roma dort Euskara sprachen, also die baskische Sprache. Manche von ihnen galten in jener Zeit als einsprachig, das heißt, sie sprachen ausschließlich Euskara und kein Französisch.

Doch auch die baskische Sprache wurde nördlich und südlich der Pyrenäen zeitweise unterdrückt. Diese Unterdrückung des Euskara betraf die Roma genauso wie andere baskische Familien, die nicht zum Roma-Volk gehörten. Die Nutzung der Sprache ging teilweise auch innerhalb der familiären Umgebung der Roma selbst verloren.

Heute kämpfen baskische Roma über den Weg der schulischen Bildung um Anerkennung. Jennifer Perex Echevarria zum Beispiel bereitet sich derzeit auf das Euskara-Examen vor. Sie hat bei der Korrika, dem Solidaritätslauf für die baskische Sprache das Staffelholz getragen, im bilbainischen Stadtteil Otxarkoaga auf dem von “Kale Dor Kayiko“ gebuchten Kilometer (4) (5). Jennifer hat eine Ausbildung in sozialer Integration und ist diplomierte Pflegehelferin. Sie erzählt, ihre Mutter habe “hart dafür gekämpft“, damit ihre Tochter Baskisch lernen konnte.

“Wir sind baskische Roma, unsere Kinder lernen in der Schule Baskisch. Eine andere Sache ist, dass es uns schwerer fällt im Alltag Baskisch zu sprechen, weil unsere Eltern und Großeltern es nicht gelernt haben“, sagt Pilar García, Sozialarbeiterin und erste Roma, die an der privaten Universität von Deustu einen Abschluss gemacht hat. Auch sie ist dabei, Euskara zu lernen. “Für mich hat es eine große Bedeutung, meinen Kindern zu vermitteln, wie wichtig die baskische Sprache ist“.

Vielfalt ist bereichernd

Die Roma-Kultur ist schwer zu definieren. Einerseits stellt dieses Volk die zahlenmäßig größte ethnische Minderheit der Welt dar. Gleichzeitig ist es durch eine starke Heterogenität gekennzeichnet, die es unmöglich macht, charakteristische Merkmale aller Mitglieder zu beschreiben. Auch wäre es nicht richtig zu sagen, dass die Roma, um ihre Traditionen zu erhalten, immer einen Weg am Rande der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft gegangen wären und sich der Vermischung mit anderen Kulturen widersetzt hätten. Tatsache ist, dass sie immer eine aktive Rolle in der Wirtschaft der Länder gespielt haben, in denen sie sich niederließen, und zwangsläufig auch Bräuche anderer Kulturen übernommen haben. Genau so, wie die Mehrheitsgesellschaft durch die Roma-Kultur bereichert wurde.

Leicht hatten sie es nie, denn die Konstruktion von Stereotypen und Vorurteilen, die sich aus einem historisch strukturellen Rassismus ableiten, reduzieren die Möglichkeiten, sich gleichberechtigt mit dem Rest der Gesellschaft zu sehen. “Die Zusammenarbeit mit dem Rest der Gesellschaft hängt vom Ausgangspunkt ab. Wir beginnen mit einem Nachteil. Damit wir in irgendeiner Weise zur Mehrheitsgesellschaft beitragen können, muss die bestehende soziale Kluft verringert werden. Diese Kluft kennzeichnet die Ungleichheiten, die zwischen der Roma-Gemeinschaft und dem Rest der Gesellschaft bestehen. Das sind Schwierigkeiten, die in allen Bereichen zu finden sind, angefangen bei der Schulbildung, der Art und Weise, wie wir das Leben sehen und verstehen, Bräuche und Verhaltensweisen“, erklärt Ramón Motos Jiménez, Mitglied des Vereins Kale Dor Kayiko.

roma04Einfügen oder Einbeziehen?

“An den Ufern dieses Flusses steht mein Haus, ich spreche die gleiche Sprache wie die Basken, ich trage die gleiche Kleidung, aber trotzdem misstrauen sie mir (...) Ich weiß nicht, was meine Heimat ist, denn wo immer ich hingehe, bin ich ein Fremder“, schrieb der baskische Schriftsteller Pío Baroja in “Die Legende von Juan de Alzate“ (6) und machte die Feindseligkeit deutlich, mit der die Roma bei ihrem Versuch, in der Mehrheitsgesellschaft Fuß zu fassen, konfrontiert wurden.

Der Roma-Verein Kale Dor Kayiko feiert in diesem Jahr sein dreißigjähriges Bestehen. Trotz der von Motos Jiménez erwähnten Schwierigkeiten hat die langjährige Vereinsarbeit und die kontinuierliche Kooperation mit öffentlichen Institutionen und anderen Verbänden dazu beigetragen, dass Roma im Baskenland auf dem Weg zu mehr Sichtbarkeit, sozialer Anerkennung und Gleichberechtigung sind.

Motos Jiménez schlägt vor, die Begriffe Eingliederung und Einbeziehung zu unterscheiden. “Wenn wir über Eingliederung sprechen, denken wir an Arbeitsverhältnisse. Hier gibt es in der Tat eine Realität der Eingliederung. Einbeziehung, oder Inklusion, beinhaltet hingegen andere Faktoren. Sie zwingt dich nicht dazu, deine Essenz, deine Gruppenzugehörigkeit zu verleugnen, um dich anzupassen. Der effektivste Weg wäre, unsere Essenz, unsere Kultur, unsere Lebensweise weiterhin aufrechtzuerhalten und, ohne ihr abzuschwören, am Leben der Gesellschaft teilhaben zu können. Wir setzen somit auf Inklusion“, erklärt er.

Roma-Frauen auf dem Vormarsch

Yomara Barrul, Studentin für Lehramt, weist darauf hin, dass Vielfalt bereichernd ist: “Alle Gesellschaften könnten sich durch unsere Kultur bereichert fühlen. Sie sollten nicht denken, dass wir unsere Kultur aufgeben müssten, um den von ihnen markierten Weg zu gehen. Sie könnten auch denken: “Was ihr macht ist auch schön“.

Am 8. März, dem Tag des feministischen Streiks, las Victoria Giménez bei einer Kundgebung ein Gedicht vor, das sie selbst geschrieben hatte. Sie sagte: “Ich will nicht aufhören, eine Roma zu sein. Ich will nicht, dass mein Weg vorgegeben wird. Ich will nicht kritisiert werden für das, was ich tue oder nicht tue. Ich möchte akzeptiert werden wie ich bin, mit meinem dunkelhäutigen Gesicht, mit meiner schwarzen Mähne, mit meinen langen Ohrringen oder mit meinen knallroten Lippen. Ich will auf meine Art alt werden. Ich will keine Lobrede an meinem Sarg, weil ich getan habe, was andere von mir wollten“.

roma05Der Roma-Feminismus existiert

Giménez sagt, dass Roma-Frauen “keine andere Wahl hatten, als Feministinnen zu sein“. “Wir haben auf der Straße gearbeitet, wir haben Weidenkörbe geflochten. Wir hatten weder Häuser noch sonst was, wir campten an den Flussufern. Wir Frauen brachten die Körbe in die Dörfer, um sie zu verkaufen. Wir arbeiteten immer allein, beim Verkauf, beim Tausch, bei allem“, spielt sie auf eine der vielen Aktivitäten an, die die Roma in der Vergangenheit ausübten. Und weiter: “Wir Frauen werden zu Hause sehr respektiert. Ich weiß nicht, warum das umgedreht wird. Die Mehrheitsgesellschaft glaubt, dass wir Sklavinnen sind, dass wir unter den Ehemännern stehen, dass sie uns nicht schätzen. Aber wir Frauen tragen die Verantwortung für unsere Wohnungen, für die Bildung unserer Kinder, für die Vermittlung unserer Werte, für die Ökonomie“.

Pilar García bekräftigt, dass Roma-Frauen “die tragende Säule“ der Familie sind. “Wir sind diejenigen, die die Werte an die Kinder weitergeben, diejenigen, die Veränderungen im Haus vornehmen. Wenn wir uns ändern, ändert sich die Wohnung, denn wir sind diejenigen, die sie pflegen. Der Roma-Feminismus existiert“. – “Und das ist nichts Neues“, ergänzt Rosa Jiménez, “das Patriarchat hat der Identität ethnischer Minderheiten viel Schaden zugefügt. Es hat mich zu einer ‘Zigeunerin‘ gemacht, weil die Rolle, die uns Frauen zugeschrieben wird, auf der Fürsorge für andere aufbaut. Aber in Wirklichkeit sind die Frauen der Motor der Identität des Roma-Volkes. Die Identität der Roma wurde von Frauen aufgebaut“, erklärt sie.

In Hinblick auf den 8. März 2018 entschied das Frauenkollektiv Afrofeminas, in dem sich schwarze und andere zu gesellschaftlichen Minderheiten zählende Frauen zusammengeschlossen haben, sich nicht am feministischen Streik zu beteiligen, zu dem landesweit viele Frauengruppen aufgerufen hatten. Grund: die Unsichtbarkeit von Frauen ethnischer Minderheiten in dieser Streikbewegung sei “praktisch absolut“. Rosa Jiménez teilte die Meinung des Kollektivs, ging aber an jenem Tag trotzdem auf die Straße: “Ich denke, der Feminismus der Mehrheitsgesellschaft berücksichtigt uns nicht, teilweise reproduziert er sogar Rassismus und hegemonialen Klassizismus. Echter Feminismus kann weder klassizistisch noch rassistisch sein. Denn dann reproduzierst du das Gleiche wie das Patriarchat, das heißt, indem du der anderen Person sagst, was sie tun soll und wie sie sich fühlen soll. Das ist kein Feminismus“. Und Pilar García ergänzt: “Der Roma-Feminismus ist nicht weniger feministisch als andere Feminismen. Wir vertreten einen Feminismus der Vielfalt, der nicht rassistisch ist und kämpfen parallel für den Feminismus und für den Antiziganismus“.

Familie und Betreuung

Die Familie ist die grundlegende Institution der Roma. Sie sorgt dafür, dass der Pflege und Betreuung aller ihrer Mitglieder, seien es Kinder, ältere Menschen oder Kranke, eine besondere Bedeutung zukommt. Dank der durch dieses familiäre Umfeld gebildeten Betreuungsnetze sind Probleme der Vernachlässigung und Isolierung älterer Personen bei den Roma selten zu finden. Der Wert, den sie dem Familienverbund und gleichzeitig seiner Pflege beimessen, ist eines ihrer wichtigsten Instrumente für den Erhalt ihrer Kultur und produziert ein “Gefühl des Stolzes“ auf ihre Identität, wie Jiménez sagt.

Innerhalb dieses Familienkerns, der meist zahlenmäßig recht umfangreich ist, kommt älteren Menschen in der Regel eine besondere Bedeutung zu, wenn es darum geht, wichtige Entscheidungen zu treffen. Es wird davon ausgegangen, dass sie aufgrund ihrer Lebensgeschichte Erfahrung und Wissen erworben haben, die sie ermächtigt, schwierige Situationen zu meistern.

In Hinsicht auf Familienmodelle kritisiert Rosa Jiménez das Bild, das der preisgekrönte Film “Carmen y Lola“ der Bilbao-Regisseurin Arantxa Echeverría zeichnet. Der Film handelt von zwei lesbischen Roma-Frauen in einer Umgebung, die diese Liebe nicht akzeptiert. Der im Kinopublikum überwiegend positiv aufgenommene Film wurde von Roma-Gruppen heftig zurückgewiesen. Die Geschichte wird präsentiert in Form eines Dramas, das suggeriert, gleichgeschlechtliche Liebe sei in Roma-Familien praktisch nicht überwindbar. “Der Film verwendet falsche Informationen. Was mich wütend macht, ist, dass sie denken, es gäbe bei uns keine Lesben. Es gibt Familien, die damit schlecht klarkommen, und andere, die kein Problem mit der Homosexualität haben. Leider sieht die Welt, in der wir leben – das Patriarchat, die Religion – nur eine einzige Daseinsform vor. Aber die Gesellschaft verändert sich. Das Modell der homogenen Familie mit Vater, Mutter, Tochter und Sohn ist nicht mehr gültig.

Wahlfreiheit

Der Dichter José Carlos de Luna schrieb die folgenden Worte, die er einen Roma sagen hörte: “Ich bin reich / weil ich allen Reichtum / Freude und Brot / in meiner Freiheit finde“. Dieser Satz fasst das Gefühl der Roma perfekt zusammenfassen, denn er setzt auf “die Freiheit, zu wählen, wie wir leben wollen, ohne beurteilt zu werden“, erklärt Pilar García. Eine Freiheit, die nicht unbedingt mit der Akkumulation von Kapital verbunden ist, aber gleichzeitig die Einhaltung von Arbeitsrechten fordert, erklärt Rosa Jiménez, denn das Ziel sei “zu leben, und nicht zu überleben“.

roma06“Warum willst du zwei Wohnungen haben, warum zwei Autos?“ fragt sich Victoria Giménez, die seit ihrer Kindheit gearbeitet hat: auf dem Feld, auf dem Markt, in einem Obstladen, den sie selbst eröffnet hat, als Putzfrau und jetzt als Sozialarbeiterin. Sie bekräftigt, dass sie nie dafür gearbeitet hat, materielle Güter zu erwerben. Was sie verdient teilt sie: “Es ist nicht so, dass wir nicht sparen würden, wir teilen lieber“.

Rosa Jiménez, die vor ihrer derzeitigen Tätigkeit im Verein als Pflegehelferin gearbeitet hat, glaubt, dass die vom kapitalistischen System verhängte Definition von Arbeit mit dem Gemeinschaftsleben der Roma kollidiert. “Arbeit ist üblicherweise so strukturiert, dass du eine Erlaubnis brauchst, um einen Verwandten im Krankheitsfall zu besuchen. Es gibt keine Flexibilität für menschliche Belange. Produktion, Produktion, Produktion. Was ist mit der Pflege? Sie existiert nicht”.

Die Herausforderung

Die Personen, die in diesem Artikel zu Wort kommen, bekräftigen, dass sie kein Vertrauen in die Politik haben: “Sie hat uns nie geholfen“. Dennoch sind sie besorgt wegen Ereignissen, die die Grundrechte der Roma direkt in Frage stellen. Sie erinnern sich, als die Regierung von Nicolas Sarkozy im Jahr 2010 begann, Tausende bulgarischer und rumänischer Roma aus dem französischen Staat zu vertreiben. Sie ärgern sich über bestimmte Fernsehprogramme, die “uns nicht repräsentieren“. Sie erinnern daran, dass Ende März diesen Jahres eine Horde von Leuten im französischen Seine-Saint-Denis mehrere Roma angegriffen hat, nachdem sich das falsche Gerücht verbreitet hatte, diese hätten Kinder entführt.

Jetzt, unter der Drohung eines stärker werdenden Rechtsextremismus in Europa, sieht dieses bedrohte Volk seine größte Herausforderung in der Bildung. “Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich mehr lernen und studieren, denn ich weiß, dass Bildung dir die Möglichkeit gibt, dein Volk besser zu verteidigen und ein besserer Mensch zu sein“, erklärt Victoria Giménez.

(Publikation Baskultur.info 2019-06-02)

ANMERKUNGEN:

(1) Quelle: Wochenendbeilage Zazpika (7K) der Tageszeitung Gara vom 12. Mai 2019: “El pueblo Rom, una comunidad en continua resistencia“ (Das Volk der Roma, eine Gemeinschaft in fortwährendem Widerstand), Autorin: Maddi Txintxurreta

(2) Als “Katholische Könige“ wird das kastilische Herrscherpaar Isabel und Ferdinand bezeichnet (ab1475). Unter der Führung von Isabel von Kastilien (1451-1504) und Ferdinand von Aragon (1452-1516) wurden die letzten Araber aus Cordoba vertrieben (Alhambra), Kolumbus wurde mit der Kolonisierungsfahrt beauftragt. Gleichzeitig wurde die jüdische Bevölkerung erst zum Religionswechsel gezwungen und dann vollends vertrieben.

(3) SIM ROMI: Verein von und für Roma-Frauen, der im Jahr 2006 von einer Gruppe von Frauen in Bilbao gegründet wurde. Vor der Gründung dieses eigenständigen Frauenvereins waren die Frauen innerhalb des Roma-Vereins Kale dor Kayiko als eigenständige Gruppe organisiert.

(4) Korrika: Alle zwei Jahre stattfindender 10-tägiger Solidaritätslauf für die baskische Sprache. Siehe dazu Artikel bei Baskultur.info: “Euskara: Korrika – Laufen für die Sprache“ (LINK) und “Korrika 19 – Langer Marsch für eine Sprache“ (LINK)

(5) Kale dor Kayiko: Im Jahr 1989 gegründeter Verein der Roma. Heutzutage in allen drei baskischen Provinzen aktiv.

(6) Pío Baroja y Nessi (1872-1956) wurde in Donostia (San Sebastian) geboren. Sein Vater war Baske und seine Mutter stammte aus der Lombardei. Er studierte Medizin, gab den Arztberuf jedoch früh auf, um sich der Literatur zu widmen, schrieb vorwiegend Romane, aber auch Theaterstücke und gilt im spanischen Staat als einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er wird zu der sogenannten Generation von 1998 gezählt. “La leyenda de Juan de Alzate“ stammt aus dem Jahr 1922.

ABBILDUNGEN:

(1) Roma-Frauen (7K)

(2) Roma-Frauen (7K)

(3) Roma-Frau (7K)

(4) Naziopfer (zentralrat)

(5) Roma-Frau (7K)

(6) Roma-Frau (7K)

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