Baskische Fahrrad-Sklaven gegen Multis
Baskische Rider haben sich in Genossenschaften zusammengeschlossen, um den großen, im Baskenland dominierenden Firmen Glovo und Deliveroo etwas entgegenzusetzen. In drei baskischen Provinzen wurden Genossenschaften gegründet, die Fahrrad-Kurierdienste auf lokaler Ebene anbieten: Eraman, Botxo Riders und Blokal. Dahinter steckt die Absicht, die miserablen Arbeitsbedingungen der Radlerinnen in diesem schlecht bezahlten Sektor zu verbessern und den Arbeitenden einen angemessenen Monatslohn zu zahlen.
Lieferant*innen und Rider gehören zu den neuen Sklaven auf dem neoliberalen Arbeitsmarkt. Letztere organisieren sich nun, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Einerseits wird geklagt, weil sie keine Kleinunternehmer sein wollen, sondern exklusiv für eine Firma arbeiten und Festverträge haben wollen. Andere haben alternative Unternehmen in Form von Genossenschaften gegründet, um wirtschaftlich zu konkurrieren.
Die Fahrrad-Kuriere sind im Baskenland (Spanien) zumeist als sogenannte Scheinselbstständige tätig, das heißt sie müssen sich wie andere Selbständige selbst versichern, bieten ihre Arbeitskraft jedoch zu 100 % einem einzigen Unternehmen an. Anders ausgedrückt: sie arbeiten für ein Unternehmen, das ihnen weder Sozialversicherung noch bezahlte Urlaubstage zugesteht. Im spanischen Staat gibt es diesbezüglich eine wachsende Zahl von Gerichtsurteilen zugunsten der Arbeitnehmer*innen. (1)
In Anbetracht dieser Situation scheint es logisch, dass sich die Kuriere zusammenschließen und Genossenschaften gründen, um die Liefer-Arbeit selbst zu organisieren und unter menschenwürdigen Bedingungen verrichten zu können. Damit verbunden wird auch der wirtschaftliche Ertrag der Arbeit erhöht. Unter dieser Prämisse wurde (auf europäischer Ebene) die Gruppe “CoopCycle“ geboren, ein Zusammenschluss von regionalen Genossenschaften, denen sich auch einige baskische Initiativen angeschlossen haben: Eraman in Vitoria-Gasteiz und Botxo Riders in Bilbao (eraman ist ein baskisches Verb und bedeutet bringen, Botxo heißt so viel wie Loch, womit die Kessellage Bilbaos ausgedrückt wird). Mit dem gleichen Ziel, aber in Form einer GmbH, schloss sich in Arrasate-Mondragón (Gipuzkoa) auch die Plattform für die Digitalisierung des lokalen Handels Blokal an.
Selbstorganisierung
"Absicht ist, dass wir uns über kleine Genossenschaften – bis zu 10 Mitglieder – in der gesamten Region ausbreiten. Dabei können wir die Technologie von CoopCycle nutzen, mit dem Ziel, eine Transformation des Sektors auf allen Ebenen zu bewirken. Denn Nachhaltigkeit bedeutet nicht nur, Pakete mit dem Fahrrad auszuliefern", erklärt Juan Latorre, einer der drei Gründungs-Mitglieder von Eraman. "Einerseits wollen wir die Arbeitsbedingungen der Fahrrad-Kuriere verbessern, die von den großen Lieferfirmen ausgebeutet werden. Andererseits versuchen wir, den Unternehmen, die mit uns zusammenarbeiten, faire Preise zu bieten. Und schließlich wollen wir zu einer wesentlichen Veränderung der Mobilität in den Städten beitragen", sagt der Jung-Unternehmer.
Im Gegensatz zur Praxis der großen Lieferfirmen, mit denen sie konkurrieren, legen die Genossenschaften durch Abstimmung Bedingungen wie Gehalt, Versicherungen oder Arbeitszeiten fest – sie strampeln etwa 4 Stunden pro Tag. "Wir verstehen nicht, warum die Großen so schlecht zahlen, denn von dieser Arbeit kann man gut leben", sagt Latorre. Und sie verlangen keine Provisionen von bis zu 40 % des Wertes der von ihnen transportierten Waren.
Eraman, gegründet im Mai 2020, ist spezialisiert auf die Auslieferung von Zeitungen und Zeitschriften, von Paketen und Geschenkartikeln sowie von Gastronomie-Produkten. Eraman arbeitet auf Basis einer Flatrate für seine Kunden, sodass der Preis nicht prozentual zu jedem Produktpreis berechnet wird, sondern nach dessen Umfang und Gewicht, sowie der zu fahrenden Strecke, so wie es in der Logistikbranche schon immer üblich war.
Kosten-Berechnung
"Wenn ein Restaurant eine Bestellung von bis zu 15 Euro verschickt, kostet unser Service ähnlich viel wie der von Glovo. Beläuft sich der Preis auf eine höhere Summe, spart das Auftrags-Unternehmen Geld. Bei einer Summe von 30 Euro kostet unser Lieferdienst bereits die Hälfte, und oft bestellen Familien Mahlzeiten im Wert von mehr als 200 Euro", erklärt Latorre. "Der Mehrwert liegt im Transport, nicht in den Kosten des Produkts, das wir transportieren", sagt er.
Ähnliches schlägt die neue Firma Blokal vor, die gegründet wurde, um die Digitalisierung des Handels in den Städten und Dörfern der Provinz Gipuzkoa zu erleichtern. Sie steht kurz davor, ihr Angebot im Hotel- und Gaststätten-Gewerbe vorzustellen und zwar mit einem System, das ebenfalls auf Festpreise setzt. "Unser Ziel ist es, sowohl die Restaurants als auch die Fahrradkuriere nicht zu hetzen. Deshalb bitten wir darum, die Bestellungen etwas länger im Voraus zu machen und damit für die Auslieferung ein bestimmtes Zeitfenster zu planen", erklärt Itziar Artamendi, eine der Gründerinnen.
"Wir müssen vom Modell der Unmittelbarkeit wegkommen, das uns von den Internet-Giganten auferlegt wird. Dabei ist uns bewusst, dass gerade Lebensmittel oft impulsiv bestellt werden und dass unser Modell für die Nutzer*innen weniger attraktiv sein mag", fügt sie hinzu. Im Moment sind die Lieferant*innen Angestellte der GmbH mit festem Gehalt, aber das Ziel ist, mit den Kurier-Genossenschaften zusammenzuarbeiten, damit die Kuriere Mitglied werden.
Die Tyrannei der Algorithmen
Ihering Delirraje, Gründungspartner von Botxo Riders, hat sich vorerst für ein Provisionsmodell entschieden: 25% für Restaurants und feste 3,95 Euro, die der Kunde bezahlt, ein Modell das dem von Deliveroo und Glovo ähnlich ist. Zwei Unternehmen, die er gut kennt, weil er für beide gearbeitet hat. "Ich war der erste Fahrer für Deliveroo in Bilbao. Der Rucksack war noch nicht einmal angekommen, als ich anfing, für sie zu arbeiten. Am Anfang waren die Bedingungen sehr gut. Sie unterstützten uns sogar mit gefälschten Aufträgen, um uns besser zu bezahlen", erinnert er sich. Dann wuchs die Zahl der Kuriere und die Bedingungen verschlechterten sich.
Delirraje hasst die Algorithmen-Berechnungen der großen Lieferdienste. Er denkt, dass sie nur dazu dienen, die Fahrradkuriere zu versklaven: "Wenn du Aufträge ablehnst, geben sie dir Minuspunkte und am Ende bestrafen sie dich, bis du nicht mehr kannst". Aus diesem Grund zögerte er nicht, der Genossenschafts-Idee zu folgen, die in anderen europäischen Ländern entstanden ist. "Unser Ziel ist es, 1.500 Euro netto für eine 36-Stundenwoche zu zahlen. Das finden wir angemessen, um zum Beispiel eine Familie zu unterhalten, die möglicherweise eine Hypothek zu zahlen hat".
Lastenfahrräder
Alle diese Lieferdienste sind von einem gemeinsamen Element geprägt: vom Fahrrad, das sie benutzen. "Bei Eraman haben wir uns für ein Lastenrad entschieden, mit dem bis zu 120 Kilo transportiert werden können. Das erleichtert die Planung, weil es erlaubt, mehrere koordinierte Lieferungen in einer einzigen Fahrt durchzuführen", erklärt Latorre. Diese Räder erwecken so viel Aufmerksamkeit, dass sich die Genossenschaft entschlossen hat, auch offizieller Vertriebspartner dieses Fahrrads zu werden. "In Blokal haben wir einige Dreiräder mit Elektromotor", fügt Artamendi hinzu. Sie betont die Notwendigkeit, alle Facetten des abgenutzten Begriffs der Nachhaltigkeit zu übernehmen.
Botxo Riders (Bilbao) setzt auf Lastenfahrräder wie die von Eraman, verfügt aber auch über elektrische Dreiräder mit einem Ladegewicht von bis zu 250 Kilo, um Produkte des lokalen Handels auszuliefern. "Unsere Klient*innen wissen, dass unsere Arbeit in den Bereich gesellschaftlicher Arbeit fällt und sind sich deren Bedeutung bewusst. Trotzdem werden sie auch von Glovo oder Deliveroo angezogen, weil deren Preis niedriger ist", sagt Delirraje.
"Die Uberisierung der Wirtschaft ist eine Bedrohung für die Gesellschaft", fügt Latorre hinzu. Er kritisiert das langsame Tempo, mit dem sich die Gesetzgebung mit dieser Frage auseinandersetzt. "Aber irgendwann wird dieses Modell sein Ende finden. Im Moment sind wir mit den von den Gerichten ausgesprochenen Urteilen zufrieden. Dabei sind wir nicht der Meinung, dass der Sektor verteufelt werden sollte. Was verbessert werden muss, sind die Arbeitsbedingungen", sagt er abschließend. (1)
Urteile gegen Entrechtung der Rider
Eine große Geißel auf dem spanisch-baskischen Arbeitsmarkt sind die sogenannten “Autonomos“: Das sind Kleinunternehmer, die auf eigene Rechnung und Versicherung arbeiten. Früher waren es vorwiegend Handwerker, die diesen Status innehatten. Mit der Zerschlagung von größeren Betriebs-Belegschaften und der Aussonderung von einzelnen Arbeitsleistungen nahm die Zahl dieser Autonomos stark zu. Betroffen sind vor allem Lieferdienste, früher per Fahrzeug, heute mit dem Rad. Von den Dutzenden von Bediensteten im Guggenheim-Museum – zum Beispiel – ist nur ein kleiner Teil direkt im Museum angestellt. Der Rest über Sub-Unternehmen oder als Autonomos – eine folgenreiche Entrechtung der Arbeitenden, denen jegliche Arbeitsplatz-Sicherung fehlt.
Wie überall wird mit dem Autonomo-Status Betrug betrieben. Die mit beschränkten Dienstleistungen Beauftragten können nicht länger als 6 Monate bei einem Arbeitgeber sub-beschäftigt werden. Sonst würden sie juristisch automatisch als Fest-Angestellte betrachtet. Wer als Autonomo immer für eine einzige Firma arbeitet, gilt somit als “falscher Autonomo“. Genau dies praktizieren aber die Lieferdienste. Folgerichtig haben bereits verschiedene Gerichte entschieden, dass die Autonomo-Rider das Recht auf Festeinstellung haben. Dies bedeutet: mehr Rechte, mehr Zahlungen, Urlaub, Krankengeld, etc.
Rider aus Leidenschaft
Eine wichtige Motivation für viele Rider ist ihre Leidenschaft für das Fahrrad. Die Entscheidung, sich auch für das Rad als Transportmittel und als Arbeitsgrundlage zu entscheiden, basiert aber auch auf dem ökologischen Bewusstsein, die Präsenz motorisierter Lieferfahrzeuge in den Städten zu reduzieren und damit die Verkehrsdichte, den Lärm und die Umwelt-Verschmutzung zu verringern. Die Logistik der letzten Meile, also die Auslieferung einer Bestellung, gilt als der kostspieligste und umweltschädlichste Teil der Lieferkette, und der Einsatz von Lastenrädern wirkt sich positiv auf das Leben von Städten und Gemeinden aus. Fahrräder sind ein schnelles Transportmittel und tragen zur Veränderung der Lebensqualität einer Stadt bei. (2)
Eine Genossenschaft für Fahrradkuriere ins Leben zu rufen ist weder neu noch einzigartig. Es ist ein globaler Trend, mit dem Juan Latorre vor fünf Jahren in Dänemark in Berührung kam, wo er als Ingenieur und Fahrradkurier arbeitete. Jene Erfahrung hat ihn motiviert, ein ähnliches Projekt hier im Baskenland in die Tat umzusetzen.
Eraman und Botxo Riders sind außerdem, wie erwähnt, Teil von Coop-Cycle, einer europäischen Föderation von Fahrradkurier-Genossenschaften, die auf Solidarität und Bündnissen zwischen den verschiedenen Partnern basiert. Dank dieser Struktur ist es möglich ist, dass Kunden, die ein Paket von Vitoria-Gasteiz nach Barcelona schicken wollen, sicherstellen, dass die Zustellung in Barcelona durch einen "lokalen Kurierdienst" erfolgt, dessen Radlerinnen und Radler unter angemessenen Bedingungen arbeiten.
ANMERKUNGEN:
(1) Zitate aus: “Riders vascos se agrupan” (Baskische Rider organisieren sich) Tageszeitung El Correo, 2021-01-31 (LINK)
(2) Quelle: “Eraman apuesta por las bicicletas de carga como alternativa ética de reparto” (Eraman setzt auf Lastenräder als ethische Liefer-Alternative), Tageszeitung Noticias de Alava, 2020-10-30 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Rider (noticias de alava)
(2) Rider (FAT)
(3) Rider (el correo)
(4) Rider (FAT)
(5) Rider (el correo)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-03-30)