Atxurra: der harpunierte Bison
Die 1929 entdeckte Höhle Altxurra bei Berriatua wird nach den neuesten Funden in die Geschichte der baskischen Urzeit-Kunst eingehen. Eine der Darstellungen ist sogar auf dem Weg, europäische Kulturgeschichte zu schreiben. Mit ihrem Revisions-Programm hat die Provinzregierung Bizkaia in 10 Jahren 12 Höhlendarstellungen entdeckt, die Geschichte des Baskenlandes kann vervollständigt werden. Pferde, Bisons, Ziegen, Hirsche, Auerochsen füllen die Forschungslücke zwischen Kantabrien und den Pyrenäen.
Die mehr als 70 Höhlenmalereien, die in Berriatua (Bizkaia) im September 2015 gefunden wurden und deren Alter auf 14.000 Jahre geschätzt wird, stellen ein neues Highlight in der Erforschung der baskischen Urgeschichte dar. Weil in Bizkaia bislang nicht allzu viel Höhlenkunst gefunden wurde, es aber gute Gründe gibt, von weiteren urzeitlichen Darstellungen auszugehen, hat die Provinzregierung Bizkaia vor Jahren ein Programm aufgelegt, mit dem alle bekannten Höhlen mit neuen wissenschaftlichen Techniken erneut untersucht werden. Das hat dazu geführt, dass praktisch im 6-Monate-Rhythmus neue mehr oder weniger spektakuläre Funde gemacht werden, bei denen mitunter auch der Zufall mithilft. Zuletzt waren entsprechende Nachrichten aus Renteria (1) und Lekeitio gekommen (2), wo in den Höhlen Aitzbitarte und Lumentxa urzeitliche Kunst gefunden wurde. (3) (2016-06-09)
Was nun in Berriatua entdeckt wurde, einem kleinen Ort nahe der Küste, kurz vor dem Hafenort Ondarroa gelegen, darf ohne Übertreibung als spektakulär bezeichnet werden. Archäologen und Höhlenforscher müssen eine gute Bergsteiger-Ausbildung haben, sonst hätten Mitglieder des Forschungsteams im vergangenen September die Entdeckung nicht gemacht: auf einem schwierigen und gefährlichen Weg waren sie ca. 500 Meter in die Höhle eingestiegen und fanden an den Wänden mehr als 70 Gravuren und Malereien, deren Kreation für die Jungsteinzeit veranschlagt wird. Dargestellt sind Pferde, Bisons, Ziegen, Hirsche, Auerochsen und möglicherweise ein Rentier ohne Geweih.
Eine der gefundenen Figuren, die vor tausenden von Jahren als Ritual an die Wände Altxurra-Höhle gemalt und graviert wurden, hat beste Aussichten, in die Handbücher der steinzeitlichen Höhlen-Kunst aufgenommen zu werden. Es handelt sich um einen auf der Jagd erlegten Bison, der von wenigstens zwei Dutzend Lanzen oder Wurfspeeren getroffen wurde. Wenn sich diese naheliegende Interpretation bewahrheitet, stellt besagter Bison das einzige Exemplar dieser Art in Europa dar. Die bisher gefundenen Jagdtiere wiesen nur ein, zwei oder drei Lanzentreffer auf. Doch geht der Fund von Berriatua über diesen Beweis des sogenannten „Analogiezaubers“ hinaus (wie es Urzeit-Expertinnen gerne nennen), mit dem die baskischen Vorfahren von übernatürlichen Kräften einen erfolgreichen Jagdtag zu erflehen suchten. (4)
Denn neben den Tierfiguren, die einzeln oder hintereinander dargestellt sind, wurden auf den gut erhaltenen Bodenflächen weitere Entdeckungen gemacht. Offenbar ist der Boden vor den Malwänden in weitgehend originalem Zustand, sodass Instrumente gefunden wurden, die von den Künstlerinnen benutzt wurden, um die Kunstwerke in einer fortgeschrittenen Etappe der Steinzeit anzufertigen: der Splitter eines Feuersteins von sechs Zentimeter Länge, mit dessen Hilfe in die Wände geritzt wurde, sowie Reste von Holzkohle, die entweder zur Anfertigung der Bilder oder zur Beleuchtung des Raumes benutzt wurden.
„Dabei müssen wir in Rechnung stellen, dass wir das letzte Drittel der Höhle noch gar nicht besucht haben. Möglicherweise finden wir dort noch viel mehr“, unterstreicht derArchäologe Diego Garate die Bedeutung des Fundes vom 25. September des vergangenen Jahres, der bisher aus Sicherheitsgründen geheim gehalten worden war. „Was wir gefunden haben ist von außerordentlicher Bedeutung, wir können nachvollziehen, wie diese Figuren zustande kamen. Seit Santimamiñe hatten wir keinen Fund mehr von vergleichbarer wissenschaftlicher Dimension“ (5). Die Höhle von Altxerri in Gipuzkoa zum Beispiel enthält 101 Exemplare von Höhlenkunst, in der Erberua-Höhle in Nieder-Navarra (Iparralde, frz. Baskenland) wurden ungefähr 80 Werke gefunden. „Hier haben wir in vier Expeditionen siebzig Elemente gefunden“, merkte Garate an. Zusammen mit Iñaki Intxaurbe von der Höhlenforscher-Gruppe ADES aus Gernika hat Garate diesen Meilenstein in der baskischen Höhlenkunst entdeckt.
Intxaurbe war der erste Mensch, der nach 14.000 Jahren die Spuren dieser Tiere wieder zu sehen bekam. Sie sind in einem Raum von wenigen Metern Höhe, der in der topografischen Karte der Archäologen Barandiaran und Aranzadi nicht verzeichnet war, die zwischen 1934 und 1935 die ersten Forschungen angestellt hatten, sechs Jahre nach der Entdeckung der Höhle durch Barandiaran.
„Wie ein Verrückter habe ich gerufen, Diego, komm hoch, ich habe Tiere gefunden!“ berichtete Intxaurbe bei der Pressekonferenz, auf der die Untersuchungs-Ergebnisse vorgestellt wurden. Trotz Adrenalin und Euphorie musste erst einmal nüchtern vorgegangen werden, um technisch und wissenschaftlich zu bestätigen, dass der Fundort echt war und keine Fälschung vorlag. Am folgenden Tag wurde die Abteilung Kulturerbe der Provinzregierung Bizkaia informiert. Staub und Kalzit-Funde auf den Vertiefungen der Gravuren waren erste Anhaltspunkte, mit denen die Höhle in die „Champions-League“ der Höhlenkunst aufstieg, so Garates Vergleich.
Sicherheit und ein Gerüst
„Atxurra wird seinen Platz erhalten in den Standardwerken der Höhlenkunst der Steinzeit. Der erlegte Bison wird sicherlich häufig reproduziert werden“, sagte der Archäologe, der die Untersuchungen im Jahr 2014 wieder aufgenommen hatte in der Absicht, den Fundort neu zu bewerten. Die bisher gefundenen Elemente steinzeitlicher Kunst befinden sich auf Konsolen von einiger Höhe, sodass sie schwer zugänglich sind. Das macht die Montage eines Gerüstes und einer Sicherheitsanlage notwendig, um mit den Forschungen fortzufahren. In diesem Sinne, so Lorea Bilbao, die Leiterin der Abteilung Kultur und Euskara der Provinz-Regierung, sieht ein Plan für die nächsten drei Jahre vor, sowohl die Kunstwerke wie auch den Boden zu untersuchen. Je nachdem, was weiter gefunden wird, werden die Forschungen den zwischenzeitlichen Ergebnissen angepasst. In jedem Fall bleibt die Höhle für die Öffentlichkeit geschlossen, aus Gründen der Sicherheit und zum Schutz der gefundenen „Tierwelt“. Dennoch wird das baskische Publikum an der Entdeckung früher oder später teilhaben können, denn es wurde bereits begonnen, die Höhle in drei Dimensionen auszumessen, damit wird (wie im Fall von Santimamiñe) eine virtuelle Reproduktion erstellt.
Bei den Höhlenbildern handelt es sich weitgehend um Gravuren in verschiedenen Varianten, manche sind gekratzt, bei anderen wurde zusätzlich mit schwarzer Farbe gearbeitet, die in schlechtem Zustand ist. An einigen Stellen sind sogar Spuren vom Reiben rötlicher Töne zu erkennen. Leider ist über einer der Pferde-Darstellungen auch ein modernes Graffiti zu sehen, deutlich sind die Initialen J.M.N. zu lesen, Zeugnis eines respektlosen Höhlenbesuchers.
Tatsächlich wurde die Höhle, so Garate, von Leuten aus der Gegend früher viel besucht. Zum Glück für die Teams aus Archäologen und Steinzeitforschern sind die vierzehn dekorierten Wände in einiger Höhe angebracht, der Zugang ist schwierig, was für die Steinzeit-Künstler des Pyrenäenraumes nicht ungewöhnlich ist. Die künftigen Nachforschungen in der Höhle werden auch dazu dienen, die möglichen Verbindungen aufzudecken zwischen den unterschiedlichen Menschengruppen des kantabrischen und des pyrenäischen Raumes vor 14.000 Jahren. „Wir befinden uns hier in der Mitte. Hier kamen sie vorbei, in der einen oder anderen Richtung“, beschreibt der Archäologe, der auch in der Askondo-Höhle von Mañaria gearbeitet hat, bei der ebenfalls Höhlenmalereien gefunden wurden, die auf ein Alter von 24.000 Jahren geschätzt werden.
Die Entdeckung der steinzeitlichen Gravuren in Atxurra steht im Zusammenhang mit dem Forschungsauftrag der Provinzregierung Bizkaia, alle Höhlen erneut zu untersuchen und speziell nach künstlerischen Darstellungen Ausschau zu halten. Dieser Plan hat in den vergangenen zehn Jahren zu Steinzeit-Funden in mehreren Höhlen geführt. Vorher waren drei Höhlen bekannt: Venta Laperra, Santimamiñe und Arenaza – nun sind es stolze fünfzehn: El Rincón, El Polvorín, Antoliña, Askondo, Bolinkoba, Lumentxa, Morgota, Ondaro, Abittaga, Goikolau und Atxurra; mit etwas weniger Sicherheit kann auch Atxuri I dazu gezählt werden.
(Nachtrag: Nur zehn Tage nach Bekanntgabe der Funde von Höhlenkunst in Atxurra konnten die Archäologen von weiteren Tier-Gravuren berichten, die sie nach ihrer Publikation entdeckt hatten. Atxurra scheint tatsächlich noch viele Geheimnisse zu enthalten.)
ANMERKUNGEN:
(1) Renteria / Orereta in Gipuzkoa (Link)
(2) Lumentxa-Höhle in Lekeitio, Bizkaia (Link)
(3) Information aus den Artikeln „Atxurra, pasaporte a la historia del arte rupestre”, DEIA 25.5.2016 und GARA vom selben Tag „Descubiertos más de 70 grabados de hace 14.000 años en Berritua”
(4) Unter Analogiezauber oder Sympathiezauber, auch Sympathetische Magie wird die sehr vielen magischen, religiösen oder therapeutischen Praktiken und Vorstellungen zugrunde liegende Vorstellung bezeichnet, dass zwischen äußerlich ähnlichen Dingen eine Verbindung (Sympathie) besteht und diese sich deshalb beeinflussen. Diese Vorstellung ist weltweit in allen Kulturen verbreitet. Typische Beispiele sind etwa, dass Rot und Blut in Beziehung stehen, oder phallische Objekte und männliche Potenz. Sympathetische Vorstellungen sind besonders in medizinisch-therapeutischen Verfahren und bei dem Umgang mit Naturgefahren häufig. (Link)
(5) Santimamiñe Baskultur (Link)
FOTOS:
(1) Archäologe bei der Erforschung der Atxurri-Höhle in Bizkaia (Foto: El Correo)
(2) Bericht in der Tageszeitung El Correo vom 25.5.2016 (Foto der Zeitungsseite)
(3) Foto des Berichts in der Tageszeitung Berria vom 25.5.2016 (Foto der Zeitungsseite)
(4) Bericht in der Tageszeitung Berria vom 25.5.2016 (Foto der Zeitungsseite)
(5) Bericht in der Tageszeitung El Correo vom 25.5.2016 (Foto der Zeitungsseite)