Arbeitskampf, Klassenkampf
Mehr als 30% aller Streiks im spanischen Staat Euskadi fanden in den letzten fünfzehn Jahren in der Autonomen Region Baskenland (Euskadi) statt. Anfang 2022 stieg dieser baskische Anteil sogar auf 41%, was die Kampfbereitschaft der baskischen Gewerkschaften unter Beweis stellt. Im Hintergrund stehen die Blockade vieler Tarifverhandlungen durch die Arbeitgeber und der zuletzt dramatische Anstieg von Inflation und Preissteigerung, die die Gewerkschaften durch Lohnerhöhungen ausgeglichen sehen wollen.
Politisches Bewusstsein wird im Baskenland seit Langem groß geschrieben. Sprache und Kultur sind in Gefahr, alle positionieren sich für oder gegen die Unabhängigkeit, ETA eskalierte den Konflikt. Ähnliches ist im Gewerkschaftsbereich zu beobachten. Nirgendwo wird mehr gestreikt, Klassenbewusstsein ist noch vorhanden. Für die eigenen Rechte wird gekämpft.
Zu Beginn des Jahres hat das Baskenland unter den Regionen im spanischen Staat seine unangefochtene Führungsposition mit den meisten Arbeitskonflikten gefestigt. Nach letzten Daten für Januar und Februar entfielen in diesen beiden Monaten auf das Baskenland 41% der Streiks im Staat und fast 50% der durch diese Arbeitskämpfe verlorenen Arbeitstage.
Eine Quote, die die größte baskische Gewerkschaft ELA, entschiedene Verfechterin von Mobilisierungen als Druckmittel bei Verhandlungen, mit Zufriedenheit zur Kenntnis nimmt. Die derzeitige Situation ist besonders kritisch, weil die Inflation mittlerweile auf 8,7% angestiegen ist. Dies erschwert die Erneuerung von jenen Tarifverträgen, die im Baskenland seit Jahren nicht erneuert wurden, weil sie von den Arbeitgebern blockiert werden. Zu befürchten ist, dass die Arbeitgeber nicht bereit sind, die Inflation durch Lohnerhöhung auszugleichen und dass die Arbeitnehmerschaft somit an Kaufkraft verliert. Die Proteste für den Ausgleich der Löhne an die Preissteigerung nehmen zu. (1)
Klassenbewusstsein
Auch in anderen spanischen Regionen nehmen die Arbeitskonflikte zu, doch im Baskenland werden sie intensiver geführt. Das ist schon lange so und hat eine Jahrzehnte lange Tradition. In den letzten 15 Jahren fanden im Baskenland mehr als 31% aller Streiks des spanischen Staates statt, nämlich 3.666 von 11.675. Das geht aus den Statistiken des staatlichen Arbeits-Ministeriums hervor. Dieser hohe Prozentsatz erklärt sich größtenteils durch die konfrontative und kämpferische Strategie der Gewerkschaften, allen voran von ELA (bask: Eusko Langileen Alkartasuna, span: Solidaridad de los Trabajadores Vascos). Sie führt Verhandlungen mit den Unternehmen in der Regel mit Blick auf Streiks – doch auch andere baskische Gewerkschaften wie LAB, ESK, STEILAS, SATSE oder die CNT zeigen gerne ihre Zähne. So ist in der Region noch etwas von dem übrig, was Arbeitskonflikte in früheren Zeiten auszeichnete: Klassenbewusstsein.
Im Staat gibt es (im Vergleich zu Deutschland zum Beispiel) noch das Konzept des Generalstreiks und des politischen Streiks, bei denen es um mehr als Arbeitsbedingungen und Lohnerhöhungen geht. Sie werden im Baskenland ebenfalls häufiger praktiziert als im übrigen Staat. Dort zeigen sich die Gewerkschaften weniger konsequent in Hinblick auf ihre eigenen Forderungen und lassen sich – wie es im Baskenland heißt – “eher über den Tisch ziehen“. Aus diesem Grund ist die Zahl der Konflikte in Euskadi sehr hoch, auch wenn in Einzelfällen nur um wenige Arbeitnehmer*innen geht, die den Arbeitskampf führen.
Hintergründe
Die Gewerkschaft ELA rühmt sich, den Arbeitgebern mit ihrer Widerstands-Kasse die Stirn bieten zu können, um Arbeitsniederlegungen aufrechtzuerhalten oder in die Länge zu ziehen, wenn es sein muss. Aber auch bei der Analyse anderer Parameter, wie der Anzahl der durch Streiks verlorenen Arbeitstage in den letzten 15 Jahren, nimmt das Baskenland eine herausragende Stellung ein. Hier werden fast 15% der “Verlusttage“ registriert, obwohl die Bevölkerung weniger als 5% der gesamten staatlichen Bevölkerung ausmacht.
Ein Hintergrund? Die mit fast 40% Anteil bei Betriebsratswahlen größte baskische Gewerkschaft ELA übernimmt gerne die Führung. "Der Grund dafür ist, dass wir gewählt wurden, um der Arbeitgeber-Organisation die Stirn zu bieten, im Gegensatz zur Sozialpakt-Politik anderer Gewerkschaften in anderen Regionen. Und wir haben einen Widerstandsfonds, um Streiks zu überstehen", sagt der ELA-Referent für Tarifverhandlungen, Pello Igeregi. Bei den (ehemals kommunistisch orientierten) Comisiones Obreras (CCOO) wird verwiesen auf "die enorme Schwierigkeit, Tarifverträge zu erneuern", so Juanjo López Díez von CCOO-Euskadi.
Arbeitgeber-Argumente
Der Generalsekretär des Arbeitgeber-Verbands Cebek in Bizkaia, Francisco Javier Azpiazu, kritisiert "das mangelnde Verständnis für die Situation der Unternehmen". Er betont die Notwendigkeit, Vereinbarungen zu treffen, um eine Botschaft des sozialen Friedens auszusenden und Investitionen anzuziehen, letztendlich also die Basis für kapitalistische Ausbeutung zu schaffen, bei der Arbeitnehmer*innen durchweg schlechter wegkommen. Im Moment stehen wichtige Projekte auf dem Spiel, wie z.B. die 1,2 Milliarden Euro, die von Mercedes für die Produktionsstätte in Vitoria-Gasteiz angekündigt wurden (wo der Vito-Bulli produziert wird). Hier steht die Aushandlung eines neuen Tarifvertrages an.
Arbeitsgeber-Argumente sind fast überall dieselben. Einerseits erwirtschaften die Unternehmen Milliarden-Gewinne (Mercedes, Iberdrola, Santander-Bank, Siemens, BBVA). Andererseits wird im Fall von Tarifverträgen Rücksicht und Zurückhaltung von Seiten der Arbeitnehmer*innen gefordert, die einem ständigen Verlust ihrer Kaufkraft ausgesetzt sind.
In der Vergangenheit haben die Spitzen der Arbeitgeber-Verbände die Bereitschaft der Gewerkschaften ELA und LAB (25% Stimmenanteil) zu Konfrontation statt Mäßigung scharf kritisiert. Sie warfen den Arbeitnehmer-Vertreter*innen vor, Streiks dazu zu nutzen, um Mitglieder zu gewinnen, ohne die wirklichen Interessen der Arbeitnehmer zu berücksichtigen. "Sie pervertieren die Streiks", sagte der ehemalige Präsident von Cebek, Iñaki Garcinuño.
Die Gewerkschaften argumentieren, Streiks seien der richtige Weg, um Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen, während die Arbeitgeber davor warnen, dass mögliche Investoren abgeschreckt und so die Schaffung neuer Arbeitsplätze verhindert wird. "Der Konzern, zu dem wir gehören, hat mehrere Werke in Spanien. Doch nach dem Streik, den wir hier erlebt haben, glaube ich nicht, dass sie noch auf uns setzen werden", sagt ein Manager eines Werks, das gerade einen Konflikt erlebt hat (aber lieber nicht genannt werden will).
Illegale Methoden
Die stellvertretende Arbeitsministerin Elena Pérez Barredo von der sozialliberalen Regierungs-Koalition in Madrid verteidigt, dass "Streiks ein grundlegendes Recht sind, um Arbeitsbedingungen zu verbessern, aber sie sollten nicht als Selbstzweck eingesetzt werden". Sie versichert, ihre größte Sorge richte sich auf die "die Schwierigkeiten, Vereinbarungen bei Tarifverhandlungen zu erreichen, was in der Tat eine Besonderheit von Euskadi ist".
Dabei spielen die Arbeitgeber eine tragende Rolle. Vielfach verweigern sie den Dialog mit den Gewerkschaften, setzen Streikbrecher ein, fordern Polizei an und zahlen Streikbrechern zusätzliche Extra-Prämien, obwohl dies von Sozial-Gerichten als illegal gebrandmarkt wurde. Die geschah zum Beispiel beim Streik bei Tubacex (2) in der Provinz Araba (span: Alava), wo 125 Personen entlassen werden sollten. Nach mehr als 240 Streiktagen erreichten die Streikenden einen Großteil ihrer Forderungen, entlassen wurde niemand.
Oder bei Streik der Reinigungskräfte im Guggenheim-Museum Bilbao (3). Um die Einrichtung nicht im Müll versinken zu lassen und offen zu halten, ging die Stadtverwaltung dazu über, Reinigungskräfte aus anderen Bereichen in den Kulturtempel zu schicken – ebenfalls eine illegale Aktion, die das Streikrecht unterhöhlt. In diesem Streik ging es noch nicht einmal um Lohnerhöhungen, sondern ausschließlich um die Veränderung der prekären Arbeitsbedingungen, auch dieser Arbeitskampf endete aus der Sicht der Beschäftigten positiv.
Beide geschilderten Streiks machen im Übrigen deutlich, dass sich die Behörden und Regierungen keineswegs neutral verhalten, sondern sich eindeutig auf Seiten der Arbeitgeber verorten: Im Falle von Tubacex hält die baskische Regierung einen Aktien-Anteil, im Fall des Museums ist die Stadt Bilbao Mit-Arbeitgeberin.
Kein Dialog
Die Arbeitgeber greifen auf alte Strategien zurück, indem sie vor der Gefahr warnen, dass Investitionen abgeschreckt und neue Arbeitsplätze verhindert werden. Das Argument mag einleuchtend wirken, geht jedoch an der Realität vorbei. Denn das (trotz Krise und Deindustrialisierung der 1980er Jahre) nach wie vor stark industrialisierte Baskenland bietet der Industrie eine unvergleichbar gute Infrastruktur; Verkehrswege und Anbindungen, sowie gut ausgebildete Beschäftigte. Das macht eventuelle Verluste durch Streiks offenbar wieder wett. Aus den vergangenen drei Jahrzehnten ist kein Fall bekannt, bei dem ein Unternehmen aus den genannten Gründen die Region verlassen hätte.
Die Blockade bei den teilweise seit Jahren nicht erneuerten Tarifverträgen war der Auslöser für viele Konflikte zu Beginn des Jahres 2022. Denn für 70% der Beschäftigten (etwa 425.000) sind die Tarifverträge noch nicht verlängert oder ungültig worden. Bei einem Verbraucher-Preis-Index (Teuerungsrate) von derzeit 8,7%, den die Gewerkschaften selbstverständlich auszugleichen versuchen, scheint eine Einigung unmöglich. Im Baskenland ist es zudem eher üblich als im übrigen Staat, Lohnerhöhungen durch Tarif-Klauseln an die Inflation zu koppeln (wenn die Inflation steigt, steigen Löhne in gleichem Maß). Die Gewerkschaften sind in dieser Frage unerbittlich.
Die Konflikte häufen sich. In der vergangenen Woche (10.6.2022) wurden Streiks in der Metallbranche in Bizkaia angekündigt, zusätzlich zu den Streiks in der Metallbranche in Araba, im Handel in Bizkaia, im Reinigungsgewerbe. Ganz zu schweigen von Arbeitsniederlegungen in Unternehmen wie beim Apotheken-Zulieferer Novaltia (4), die nun schon seit 1.000 Tagen andauern (fast drei Jahre) und Vulcanizados Zuloaga – beide von ELA geführt – oder dem Fahrzeugbau-Unternehmen Alconza, ebenfalls seit Wochen im Streik.
Klassengegensätze
Azpiazu von CEBEK warnt, dass die Unternehmen “angesichts des allgemeinen Kostenanstiegs und der sinkenden Gewinnspannen“ nicht von einem Lohnanstieg in Höhe der Inflation von mehr als 8% ausgehen können. "Viele sähen ihre Existenzgrundlage gefährdet und würden aus dem Markt gedrängt", sagt er.
Tatsächlich haben spanische Energie-unternehmen in den vergangenen 18 Monaten (mitten in der Pandemie) begonnen, die Strompreise drastisch zu erhöhen. Diese trifft einerseits die ohnehin immer mehr verarmenden privaten Haushalte, aber auch viele Industriebetriebe. Vor allem jene, die zu ihrer Produktion viel Energie benötigen (stromintensive Produktion). Doch die Folgen im eigenen Arbeitgeberlager kümmern die Stromriesen einen feuchten Kehrricht – sie ziehen Milliarden-Gewinne ein, lassen Stauseen leer laufen, wenn mit dem Wasserstrom gerade Spitzen-Preise erzielt werden können – mafiöse Strukturen gegen jegliche Logik von gesellschaftlichen Verantwortung.
Kriegsfolgen
Der Krieg in der Ukraine hat die Gegensätze erneut verschärft. Jeder in Waffengeschenke an jenen Staat investierte Euro macht die Militär-industrie (auch die baskische) reicher und fehlt im Sozialhaushalt. Energiearmut ist längst ein Begriff in den täglichen Nachrichten geworden, immer mehr Menschen können nicht mehr für die Basis-Ausgaben aufkommen. Von der Mittelschicht abwärts haben alle weniger Geld in den Taschen. Die Inflation grenzt an zweistellige Zahlen, die Regierung versucht zwar über Subventionen das Schlimmste abzuschwächen, doch letztendlich sind diese Gelder ein direkter Transfer in die Kassen der Energie-Konzerne.
Die Arbeitnehmerschaft, oder: die Arbeiterklasse trifft an diesen Mißständen keinerlei Schuld. Dennoch soll über die Umverteilung von gesellschaftlichem Reichtum – die Profite bleiben gleich, die Einkommen sinken – die Last auf sie abgewälzt werden. Ohnehin haben die ärmsten Klassen bei der Pandemie weiter an Boden verloren. Wenn es eine Kraft gibt, die dem zumindest minimal etwas entgegensetzen kann, ist es die Organisierung der Ausgebeuteten – in Gewerkschaften. Ihnen kommt die alleinige Verantwortung zu, die Gegensätze nicht größer und die Geldbeutel nicht leerer werden zu lassen. Kein Arbeitgeber-Argument kam je gegen diese Logik an.
Letzte Hoffnung
Die Gewerkschaften weigern sich, dem Arbeitgeber-Argument der Investitionsverhinderung nachzugeben. "Der Verbraucher-Preis-Index ist das Schlachtross, denn wir werden einen Kaufkraftverlust nicht hinnehmen", warnt der ELA-Gewerkschafter Igeregi. "Wir konnten die Tarifverträge seit Jahren nicht mehr aktualisieren", fügt López von CCOO-Euskadi hinzu.
Die Tarifverhandlungen in verschiedenen Sektoren gehen durch schwierige Zeiten. Das gilt auch für verschiedene Unternehmen. Die Gewerkschaft ELA hat in diesem Jahr bisher 100 Streiks verzeichnet, davon 25 in Unternehmen, der Rest in kleineren Betrieben. Es gibt Konflikte, die Rekorde brechen, wie zum Beispiel Novaltia (Zulieferer für Apotheken) mit 1.000 Tagen Ausstand. In anderen Fällen wurde nach hartem Kampf eine Einigung erzielt. Dies war der Fall der Keksfabrik Artiach (fast ausschließlich Frauen), wo das Unternehmen nach fünfmonatigen Streiks schließlich eine Lohnerhöhung von 12% über drei Jahre akzeptiert hat.
Dies geschah letztes Jahr auch bei Tubacex (2), wenn auch mit einem anderen Ergebnis. Hier zeigten sich die Arbeitgeber besonders zynisch. 115 Personen sollten entlassen werden, um das Unternehmen “vor dem Bankrott zu retten“. Nachdem die Entlassung durch den Streik abgewehrt war, wurden von der Betriebsleitung neue Investitionen getätigt – man führte die eigene Argumentation selbst ad absurdum. Bei den Streiks im Gesundheits-Bereich geht es ebenfalls nur am Rande um Arbeit-bedingungen: die Forderung lautet, mehr Personal einzustellen. Hier geht es vollends ums Eingemachte, denn die neoliberalen Regierungen im Baskenland und sonstwo wollen die öffentlichen Angebote reduzieren und das System privatisieren. Gesundheit wird vom Recht zur Ware. Ähnliche Tendenzen existieren im Erziehungsbereich.
ANMERKUNGEN:
(1) Zahlen und Zitate aus: “Euskadi concentra más del 30% de todas las huelgas de España en los últimos quince años” (Das Baskenland war in den letzten fünfzehn Jahren Schauplatz von mehr als 30% aller Streiks im Staat), Tageszeitung El Correo, 2022-06-11 (LINK)
(2) “Streik bei Tubacex – Erfolg nach 236 Tagen“, Baskultur.info, 2022-04-13 (LINK)
(3) “Exito: 9 meses de huelga en el Guggenheim“ (Erfolg: 9 Monate Streik im Guggenheim), Baskinfo-Blog, 2022-03-21 (LINK)
(4) “Novaltia, 1001 Tage Streik – Der längste ausstand Europas“ Baskultur.info, 2022-04-20 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Streik (elcorreo)
(2) Streik (ecuador etxea)
(3) Streik (noticias alava)
(4) Streik (elcorreo)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-06-15)