Mutter und Tochter ringen um Atem
“Man versucht verzweifelt zu atmen“ – so lautet die Aussage einer Person, die Folter mit “der Tüte“ erlitten hat. “Lange Zeit wurde es als in der Gesellschaft und unter politischen Aktivist*innen als gegeben betrachtet, für politische Aktivität jederzeit gefoltert werden zu können. Es gehörte irgendwie dazu“, heißt es in einem Dokumentarfilm, der das Thema Folter baskischer Gefangener durch den spanischen Staat zum Gegenstand hat: “Bi Arnas” (Zwei Atemzüge). Ein Gespräch mit Tomás Elgorriaga Kunze.
“Bi Arnas” (deutsch: Zwei Atemzüge) thematisiert das Thema Folter aus der Sicht einer politischen Gefangenen und ihrer Mutter. Regie: Jon Mikel Fernandez Elorz, 2022, Dauer: 58 Minuten, Originalsprache: Baskisch, deutsche Untertitel.
Interview:
Sie sind gerade im deutschsprachigen Raum unterwegs, um den Film “Bi Arnas” von Jon Mikel Fernandez Elorz zu präsentieren. Wovon handelt der Film?
Von einem indirekten Dialog zwischen der Baskin Iratxe Sorzabal und ihrer Mutter María Nieves Díaz. Die ehemalige ETA-Militante Sorzabal wurde in spanischem Polizeigewahrsam brutal gefoltert. Nach ihrer Flucht und der Auslieferung durch die französischen Behörden sitzt sie heute eine langjährige Haftstrafe ab. Bereits ihr Vater wurde als Anhänger der spanischen Republik gefoltert. Die Dokumentation hat einen ungewöhnlichen Ansatz. Sie verfolgt weniger einen “klassisch politischen”, sondern vielmehr einen “menschlich-militanten”, in dem es speziell um die Beziehung zwischen Mutter und Tochter wie um das Thema sexualisierte Folter von Baskinnen geht. Der Titel “Zwei Atemzüge” bezieht sich dabei auf die Folterpraxis, bei der die betroffene Person eine Plastiktüte über den Kopf gestülpt bekommt und verzweifelt zu atmen versucht.
Ein zentrales Thema ist die Folter in der sogenannten Incommunicado-Haft. Was hat es damit auf sich?
Im spanischen Staat kann der Polizeigewahrsam mit richterlicher Zustimmung bis zu fünf Tage dauern. Währenddessen wird den Gefangenen keinerlei Kontakt gewährt, weder zu den eigenen Anwälten noch zu Vertrauenspersonen oder Angehörigen. In diesen fünf Tagen sind die Betroffenen der Guardia Civil schutzlos ausgeliefert. Da findet die Folter statt. Erst am fünften Tag, wenn man dem Untersuchungsrichter vorgeführt wird, erfahren die Angehörigen vom Aufenthaltsort.
Was wird mit der Folter bezweckt?
Die unausgesprochenen Ziele der Folter sind: 1. die politisch aktiven Menschen während des Polizeigewahrsams zu brechen. 2. Angehörige und Freunde der Festgenommenen zu verängstigen und in ihrem Umfeld Panik zu verursachen. 3. durch Angst und Schrecken jede politische Aktivität zu schwächen. Im Film werden all diese Aspekte angesprochen.
Wer sind die Gefolterten?
Bis zu Francos Tod 1975 wurde jede oppositionelle Person misshandelt. Zwischen 1975 und 2010 wurden vor allem Basken systematisch gefoltert. Jede linke politische Aktivität im Baskenland wurde mit der ETA in Verbindung gebracht. Deshalb wurden neben Militanten auch andere Personen wie Journalisten, Kleinunternehmer und Anwälte massiv gefoltert. Der Fall von Mikel Zabalza ragt besonders heraus. Der Busfahrer, der keinerlei Bezug zu Organisationen der abertzalen Linke hatte, wurde 1985 zu Tode gefoltert und von der spanischen Polizei im Fluss Bidasoa “entsorgt”.
Von wie vielen Betroffenen sprechen wir?
2020 hat die Stiftung Euskal Memoria für die Zeit zwischen 1960 und 2014 im gesamten südlichen Baskenland 5.657 überprüfte Folterfälle dokumentiert. Davon sind lediglich 103 entweder von der spanischen Justiz oder der baskischen Regierung als Folteropfer anerkannt worden. An den direkten Folgen der Folter sind 13 Personen gestorben. Verschiedenen Studien gehen von insgesamt bis zu 8.000 Folteropfern aus.
Wurde der spanische Staat jemals für diese Verbrechen juristisch zur Rechenschaft gezogen?
Der spanische Staat ist in zwölf Fällen vom Europäischem Gerichtshof verurteilt oder von der UNO dafür abgemahnt worden, EU-Recht und internationale Abkommen nicht beachtet zu haben. Dabei ging es in der Regel darum, dass die Justiz Anzeigen von gefolterten Personen nicht nachgegangen ist. Das hatte keine Folgen für die alltägliche Praxis. Unter Folter erpresste Aussagen wurden weiterhin als Beweismittel zugelassen.
Welche Unterstützungsangebote gibt es für die Betroffenen und deren Angehörige heute?
Bis heute wird der psychischen Lage von Folteropfern wenig Beachtung geschenkt. Lange Zeit wurde es als gegeben betrachtet, für seine politische Aktivität jederzeit gefoltert werden zu können. Es gehörte irgendwie dazu. Andererseits erfahren gefolterte Personen ebenso wie politische Gefangene starke Unterstützung seitens großer Teile der Bevölkerung. Seit einigen Jahren gibt es Gruppen von Psychologen, die den Opfern staatlicher Repression ihre Unterstützung anbieten. Das Thema beginnt an Bedeutung zu gewinnen. In den letzten fünf Jahren wurde zunehmend zum Thema der Auswirkung von Folter und Knast auf die Angehörigen der Betroffenen, speziell auf deren Kinder, gearbeitet.
Eine zentrale Forderung der linken baskischen Unabhängigkeitsbewegung war immer die Amnestie oder zumindest eine Verlegung der politischen Gefangenen ins Baskenland. Wie sieht deren Situation heute nach dem Ende des bewaffneten Kampfes der ETA aus?
Die Anzahl der politischen Gefangenen ist seit dem Ende des bewaffneten Kampfes 2011 von ca. 600 auf heute 180 zurückgegangen. Der spanische Staat ist dabei zu keinem Zeitpunkt von seiner Praxis des vollständigen Absitzens der Strafen abgerückt. Selbst die in französischen Gefängnissen abgesessenen Haftzeiten werden im spanischen Staat – gegen jedwede europäische Praxis – nicht anerkannt. Nach langsamen Veränderungen sitzen keine Gefangenen mehr in Isolationshaft. Bessere Bildungs- und Kommunikationsmöglichkeiten hängen leider immer noch von lokalen Entscheidungen ab. Einigen schwerkranken Häftlingen wurde indes Entlassung gewährt. Der größere Teil der Gefangenen wurde mittlerweile in Gefängnisse im Baskenland verlegt. Von der sogenannten Dispersión (Zerstreuung) sind noch 45 Gefangene betroffen. Unter Amnestie versteht man im Baskenland nicht nur die Befreiung sämtlicher politischer Gefangenen, sondern auch den Wegfall der Ursachen für deren Kampf. Solange die Ursachen für den Kampf bestehen, wird es weiterhin politische Gefangene geben. Das heißt, der Kampf um die Unabhängigkeit und für den Sozialismus im Baskenland geht weiter.
ANMERKUNGEN:
(1) Artikel: “Man versucht verzweifelt zu atmen“, Junge Welt, Autor: Jan Tillmanns, 2022-10-11 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Folter (publico)
(2) Folter (amazon)
(3) Folter (viento sur)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-10-12)