Von Waffen, Sexismus, Fischzucht und Folter
Zu den wichtigsten Themen im Baskenland 2017 gehörten Ereignisse, die sich „außerhalb“ abspielten: die Schließung des AKW Garoña direkt vor der Grenze und das Unabhängigkeits-Referendum in Katalonien. Und was noch? Die Waffenabgabe von ETA war ein großer Schritt im „Friedensprozess“, aber auch der einzige. Sonst: Schnellzug wird weitergebaut, AKW wird zu Fischfabrik, ein Folterbericht und ein Vergewaltigungsprozess machen Furore, Massentourismus steht heftig zur Debatte, Korruption ist überall.
Der Nachrichtenblog Baskinfo hat einen Jahresrückblick auf die baskischen Ereignisse 2017 publiziert, der an dieser Stelle von Baskultur reproduziert wird. Auf beiden Webseiten ist Hintergrund zu den Rückblicks-Themen zu finden.
AHT Hochgeschwindigkeitszug Nach Jahren der Stagnation während der sog. Wirtschaftskrise, in denen die spanische Regierung keine Mittel bereitstellte, hat der Bau des Hochgeschwindigkeitszugs wieder Dynamik erlangt. Nun geht es um die großen Bahnhöfe der HG-Linie in Y-Form. Weil es nur vier sein werden – drei Hauptstädte und ein Knotenpunkt – ist das Projekt umstritten, es bedient allein die Paris-Madrid-Verbindung und lässt den baskischen Nahverkehr links liegen. Für die großen Bahnhöfe sind gigantische Bau- und Spekulationspläne in der Diskussion. Derweil hat sich die neue Regierung in Navarra vom Projekt distanziert, sodass diese Linie allein in Händen von Madrid liegt.
AKW Garoña Nach langer Schließung wegen fortwährender Störfälle und polemischer Diskussion wurde das älteste AKW des spanischen Staates definitiv geschlossen. Garona liegt an der Grenze zwischen dem Baskenland und Burgos. Ein Großteil der Bewegung, die seit Jahrzehnten seine Schließung forderte, kam aus der baskischen Südprovinz Araba. Wer nun für die Abwicklungskosten zuständig ist und unter welchen Bedingungen sie ablaufen, ist nicht geklärt.
Altsasua Die in eine nächtliche Kneipenschlägerei mit der Guardia Civil verwickelten Jugendlichen aus dem navarrischen Ort sind mittlerweile mehr als ein Jahr eingesperrt, die Staatsanwaltschaft fordert eine drakonische Strafe wegen „Terrorismus“.
Baskische Linke Die baskische Linke ist nach wie vor auf der Suche nach einem geeigneten Organisations-Modell. Der aus dem Gefängnis entlassene Arnaldo Otegi wurde als Erneuerer bei der Sortu-Partei gefeiert, mittlerweile hat er den Krisenjob bei der Wahlkoalition EH Bildu angetreten. Der Koalition fehlt es bislang an politischer Kontur, deshalb wurde sie nun zur Partei mit eigenen Mitgliedern umfunktioniert, Doppelmitgliedschaften sind möglich. Eine der vier Bildu-Komponenten hat daraus Konsequenzen gezogen und sich selbst aufgelöst: die Partei Aralar war 2001 entstanden als Abspaltung von Herri Batasuna, sie hatte sich von ETA distanziert und daraus ihre politische Botschaft gemacht, bis diese Botschaft insgesamt mehrheitsfähig wurde. Offen ist, ob die anderen Bildu-Elemente diesem Beispiel folgen werden.
Bilbao Dass Bilbao mit dem prestigeträchtigen internationalen „Urbanism Award“ für seine Baukunst ausgezeichnet wurde, hat die Stadtoberen begeistert, ist aber ein Zynismus. Der Preis ist eine Auszeichnung für ein paar Vorzeigebauten, die Millionen gekostet haben, ansonsten ist die halbe Stadt baufällig. Natürlich nur jener Teil, in den sich keine Touristen verirren. Insofern gilt der Preis einem Entwicklungsmodell, das voll auf Massentourismus setzt, San Sebastian überholen und Barcelona kopieren will. Der Preis dieses Modells ist Armut, Prekarisierung, und langsame Vertreibung der Bewohner*innen aus den für Tourismus attraktiven Stadtteilen. Spekulation und Erhöhung der Immobilienpreise sind die Folge. * Der Zeit werden in Bilbao drei große Hotels gebaut, für das kommende Jahr sind erneut Makro-Spektakel vorgesehen: ein Rockfestival, das Finale der Rugby-Championsleague und die MTV-Gala. Für 2019 sind laufen bereits Planungen, die Tour de France soll her. * Kurz vor seinem Beginn steht das Großprojekt Zorrotzaurre, wo eine ganze Halbinsel neu bebaut wird. Der neue Hauptbahnhof für den Hochgeschwindigkeitszug stellt erneut ein Spekulationsobjekt erster Güte dar. Mit ihm werden die benachbarten bisherigen Armutsviertel gentrifiziert. Gegen all das formiert sich langsam eine Basisbewegung, die ihren Lebensraum zu verteidigen sucht.
Hausbesetzung In die Schlagzeilen geraten ist das größte Besetzungsprojekt, das das Baskenland jemals gekannt hat: Errekaleor. In der Hauptstadt Gasteiz wollte die Stadtverwaltung ein randständiges Barrio entvölkern und abreißen lassen, dem kamen bereits vor einiger Zeit Dutzende von Besetzer*innen zuvor. Sie besetzten 8 der 16 großen Gebäudeblocks. Zur Jahresmitte schickte die Verwaltung Polizei und Stromtechniker, um dem Projekt – illegalerweise – den Saft abzudrehen. Die Besetzer*innen reagierten mit Crowdfunding und installierten mittlerweile eine 80.000 Euro teure Solaranlage, um über den Winter zu kommen. Die Stadt insistiert und hat bereits eine Abrissfirma beauftragt, ein heißes Frühjahr darf erwartet werden.
ETA-Auflösung Vor sechs Jahren, am 20.Oktober 2011, hat die Untergrund-Organisation ETA ihren definitiven Gewaltverzicht erklärt. Dennoch sitzen in spanischen Gefängnissen noch mehr als 300 Gefangene, die wegen „Mitgliedschaft“ verurteilt wurden. Die Hälfte davon war nie an bewaffneten Aktionen beteiligt. Weitere Prozesse stehen noch aus, bei denen lange Haftstrafen zu erwarten sind. Alle Gefangenen müssen ihre Strafe bis auf den letzten Tag verbüßen und sind bis heute in weit entfernten Knästen eingesperrt. Die im Untergrund verbleibenden ETA-Mitglieder haben eine Diskussion über die Auflösung der Organisation begonnen, die unter den erschwerten Bedingungen der Klandestinität stattfindet. Die Auflösung von ETA gilt als sicher, doch erschwert die Blockadehaltung der spanischen Regierung und Justiz die Entscheidung.
ETA Entwaffnung Was die mächtigen Regierungen nicht geschafft haben (oder nicht wollten), hat eine Gruppe von nordbaskischen Aktivist*innen in die Wege geleitet: am 9. April übergab ETA den sogenannten „Friedenshandwerkern“ eine Liste mit den Waffenverstecken. Die Liste wurde an die französische Polizei weitergeleitet, die die Arsenale untersuchte und leerte. ETA ist damit eine unbewaffnete Organisation. Rechte Presse und ultrarechte Opferverbände stellen die komplette Waffenabgabe in Frage, internationale Menschenrechts-Organisationen widersprechen diesen Zweifeln.
Falange Vasconavarra Nach Jahren der relativen Ruhe im Bereich Neonazis hat sich die neo-franquistische Falange in der Öffentlichkeit zurückgemeldet, in diesem Fall unter dem Namen Falange Vasconavarra. Seit Sommer bedient sie einen hyperaktiven Twitter-Account. Drohungen gegen linke Treffpunkte und Aktivist*innen wurden ausgesprochen, eine Reihe von Lokalen (freie Radios, Parteien, Stadtteilzentren) wurden angegriffen oder besprüht.
Flüchtlings-Bewegung Im gesamten Baskenland – vor allem in Bilbao und Bizkaia – hat sich eine Pro-Flüchtlings-Bewegung formiert, die die sofortige Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus Irak und Syrien fordert. Diese Forderung wird von den wichtigsten baskischischen Institutionen unterstützt. Nach einem Besuch in Griechenland im Jahr 2016, schickte die Bewegung 2017 eine Delegation in den spanischen Süden, wo über die Meerenge bei Gibraltar viele Flüchtlinge aus Marokko ankommen. Tourist*innen fragen sich bei Aufenthalten in Bilbao oft, was die vielen gelben Fahnen zu bedeuten hätten mit der Aufschrift „Ongi Etorri Errefuxiatuak“ – sie sind der Ausdruck dieser Bewegung: „Herzlich willkommen Flüchtlinge“. Um zu verstehen, weshalb diese Bewegung gerade im Baskenland so stark Fuß gefasst hat, reicht ein Blick in die jüngere Geschichte. Vor 80 Jahren, angesichts der brutalen Repression der Franquisten, mussten Zehntausende flüchten, kaum eine Familie bliebt verschont, wenn sie nicht zur Unterdrückerseite gehörte. Ein Umstand, der sich tief eingegraben hat im kollektiven Unterbewusstsein vieler Baskinnen und Basken.
Folterbericht Das Baskische Institut für Kriminologie hat im Auftrag der baskischen Regierung einen offiziellen Bericht über Folterpraxis in den Jahren 1960 bis 2014 erstellt. Darin sind mehr als 4.000 Fälle von Folter und Misshandlung in Polizeigewahrsam dokumentiert. Die Dunkelziffer von Folter dürfte um das Doppelte höher liegen. Von den dokumentierten Fällen wurden 202 besonders intensiv untersucht und nach dem wissenschaftlich fundierten Istanbul-Protokoll analysiert, um die Glaubhaftigkeit zu überprüfen. Gefoltert wurde zu etwa gleichen Anteilen von der Guardia Civil und der Nationalpolizei, in geringerem Maß von der baskischen Ertzaintza. Der Einschluss dieser Polizeitruppe der baskischen Regierung ist die eigentliche Sensation des Berichts, weil somit deutlich wird, dass selbst Basken in den Kerkern schmutzige Arbeit verrichteten. Ablehnung zum Bericht kam wie erwartet von den spanischen Parteien PP und PSOE, in deren Auftrag die Polizei folterte. Dementis kamen von seiten der Polizeigewerkschaften. Von Opferseite wird kritisiert, dass der Beginn des Untersuchungszeitraums willkürlich gewählt sei, mitten im Franquismus, so als hätte es vor 1960 keine Folter gegeben. Der Folterbericht ist ein wichtiges Element für jene, die beim baskisch-spanischen Konflikt von einem politischen Hintergrund ausgehen. Die spanische Seite hingegen will nur die Gewaltverbrechen von ETA in die Geschichtsbücher aufnehmen.
Friedensprozess Der baskisch-spanische Friedens-, oder besser Normalisierungs-Prozess nach dem Ende von ETA ist weiterhin ein Vorgang, der nur von einer Seite vorangetrieben wird. Internationale Beobachter*innen haben mehrfach zum Ausdruck gebracht, diese Einseitigkeit sei einmalig in der weltweiten Geschichte von Konfliktlösungs-Prozessen. Was bedeutet einseitig oder unilateral? Es heißt, dass eine Konfliktpartei Schritte unternimmt, konkrete Maßnahmen, Versprechen eingeht – und die andere Seite so tut, als wäre nichts geschehen, statt dessen aber immer neue Forderungen auf den Tisch legt. Auf der einen Seite ist die Rede von ETA und der baskischen Linken – auf der anderen Seite von der spanischen Regierung, in abgeschwächter Form auch von der französischen. * Nach dem definitiven Gewaltverzicht vor 6 Jahren (2011) hat ETA im April 2017 die Standorte ihrer Waffenarsenale an eine zivile nordbaskische Plattform bekannt gegeben und gilt nunmehr als unbewaffnete Organisation. * Die spanische Regierung hat ihre Position bisher keinen Millimeter verändert. Im Gegenteil: die Situation der politischen Gefangenen ist schlechter denn je, sie sind weiter als je zuvor von ihren Wohnorten entfernt. An vorzeitige Entlassungen ist nicht zu denken. Die Lage der Gefangenen ist schlechter als in den 1980er Jahren, als ETA bei Attentaten bis zu 100 Todesopfer provozierte. Internationale Beobachter stehen nach eigenen Aussagen vor einem Rätsel, weil die Blockadehaltung der Regierung keinerlei Logik entspricht.
Guggenheim Museum Das Museum am Fluss ist der Ursprung des bilbainischen Massentourismus, den die Stadtverwaltung von Bilbao seit den 1990er Jahren konzipiert hat. 2017 feierte die bis heute in der Bevölkerung umstrittene Einrichtung mit viel Pomp und Glitter ihr 20-jähriges Bestehen. Im Laufe der Jahre wurde aus dem Guggenheim-Effekt der Bilbao-Effekt. Die europäischen Großveranstaltungen geben sich in Bilbao mittlerweile die Klinke in die Hand, vor der Tür stehen ein europäisches Rugby-Finale, die MTV-Preisverleihung und die Tour de France. Im abgelaufenen Jahr wurde zum ersten Mal scharfe Kritik laut an einem Tourismus-Modell, das verkauft was zu verkaufen geht und mittlerweile die Lebensgrundlagen der Bevölkerung in Frage stellt: Veränderung der Ladenszene, Steigerung der Immobilienpreise, Prekarität total in der Gastronomie und im Tourismus-Gewerbe. Von Politik und rechter Presse wurde dafür der polemische Begriff „Tourismusphobie“ kreiert.
Ibon Iparragirre Der ETA-Gefangene Iparragirre hat AIDS im Endstadium, wird aber trotz seines problematischen Gesundheitszustands nicht aus dem Gefängnis entlassen. Stattdessen hat die spanische Justiz die Regel aufgestellt, dass kranke Gefangene generell nur dann entlassen werden sollten, „wenn sicher ist, dass sie nur noch zwei Monate zu leben haben“. Das klingt wie ein makabrer Witz, reflektiert jedoch die fatale Gefängnispolitik des spanischen Staates. * Insgesamt sind es elf schwerkranke Gefangene, die dringend entlassen werden müssten, auf französischer wie auf spanischer Seite. * Ein Gefangener starb 2017 nach einem Herzschlag, er hatte 12 von 13 Jahren Haft abgesessen. Unabhängige Mediziner wiesen darauf hin, dass die Situation im Knast in psychischer und physischer Hinsicht eine Höchstbelastung darstellt. Insofern seien plötzliche Todesfälle kein Wunder. * Bei Fahrten von Angehörigen und Freund*innen in entfernte Gefängnisse kam es erneut zu einer Reihen von teilweise schweren Verkehrsunfällen, keiner davon tödlich. Deshalb wird von Angehörigen, Menschenrechts-Organisationen und dem baskischen Parlament nach wie vor die Verlegung der Gefangenen in baskische Gefängnisse gefordert.
Iparralde Das nördliche (zum französischen Staat gehörende) Baskenland hat seit einem Jahr seine erste alleinige Verwaltungsstruktur. Iparralde ist mit anderen Gemeinden zusammen in der französischen Verwaltungseinheit Departement Pirenées Atlantiques organisiert. Seit Januar 2017 haben die baskischen Gemeinden mit Zustimmung von oben eine eigene Verwaltungseinheit gebildet, den Gemeindeverbund Iparralde (Mankomunidad Única), zu dessen wenigen Aufgaben die Entwicklung der baskischen Sprache in Iparralde gehört. Präsident der Mankomunidad ist der Bürgermeister von Bayonne (Baiona) Jean-René Etchegaray, der sich inzwischen auch für die baskischen politischen Gefangenen in Frankreich einsetzt.
Katalonien Nirgendwo anders hat die katalanische Bewegung für Republik und Unabhängigkeit im vergangenen Jahr so viel Solidarität und Unterstützung erlebt wie im Baskenland. Es kam zu zwei Großdemonstrationen, mit bis zu 33.000 Teilnehmer*innen in Bilbao. Viele waren am Referendums-Tag in Katalonien präsent, ebenso am Tag der erzwungenen Wahlen im Dezember. Die baskischen Christdemokraten kritisierten die Einseitigkeit des Prozesses und fordern von der spanischen Regierung die Bereitschaft zu einem Dialog mit Katalonien. Gleichzeitig äußern sich viele Bask*innen zufrieden mit dem eigenen Autonomie-Statut, obwohl dabei 37 Kompetenzen noch nicht übertragen wurden, weil sich die spanische Regierung – trotz gültigem Vertrag – weigert.
Meinungsfreiheit in Gefahr Nach der Verabschiedung des „Maulkorb-Gesetzes“ (ley mordaza) durch die spanische Regierung vor drei Jahren häufen sich nun die Verfahren gegen Journalist*innen, Marionettenspieler*innen, Blogger*innen. Vorgeworfen wird ihnen: Hassvergehen, Verherrlichung von Terrorismus, Verunglimpfung von Opfern des Terrorismus oder von staatlichen Instanzen. Es genügt ein Tweet, eine Karikatur, eine Provokation, ein falsches Wort. Drei Personen wurden bereits inhaftiert, verschiedene Prozesse sind anhängig. Expert*innen sehen die Meinungsfreiheit in Gefahr. Bislang wurden keine Neonazis oder Ultrarechten wegen solcher Vorwürfe vor Gericht gestellt – was die Stoßrichtung des Maulkorb-Gesetzes deutlich macht.
Korruptions-Justiz Obwohl er nach eindeutiger Beweislage zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, muss der Schwiegersohn / Schwager des spanischen Königshauses (Urdangarin) nicht hinter Gitter. Derweil wurde er in der baskischen Hauptstadt beim Umtrunk mit PP-Abgeordneten auf der Straße gesehen. * Die Situation in der postfranquistischen Partei PP – sie stellt die spanische Regierung – ist folgende: unter den hohen Funktionären der Partei sind jene, die kein Verfahren wegen Korruption oder Steuerflucht anhängig haben, in der Minderheit. * In weniger starkem Maße ist die sozialdemokratische PSOE betroffen (Andalusien). Gegen zwanzig Politiker*innen der baskischen Christdemokraten (PNV) beginnt aktuell ein Prozess wegen Korruption.
Lemoiz Das Anfang der 1980er Jahre fertig gestellte, aber nie in Betrieb genommene AKW Lemoiz an der bizkainischen Küste solll definitiv einer anderen Nutzung zugeführt werden. Die Provinz-Regierung hat das Gelände vom Energiekonzern zurückgekauft. Das Gelände soll allerdings nicht renaturisiert werden wie es viele Ökolog*innen fordern, vielmehr soll dort eine große Fischzucht-Anlage gebaut werden, um das zerstörte Tal zu nutzen – in der Zukunft sicher Anlass zu mannigfaltigem Spott.
Massengräber – Exhumierungen Im Baskenland und in Navarra werden weiterhin Massengräber aus der Kriegszeit 1936-1939 (und danach) geöffnet und Leichen exhumiert. Über DNA-Vergleiche wird versucht, die Identität der Toten zu recherchieren. Im Staat liegen nach Schätzungen der UNO noch 110.000 Leichen, Insider sprechen von 140.000 – die spanische Regierung ignoriert das Problem.
Massentourismus Nach dem zahlenmäßigen „Erfolg“ des Großevents „Europäische Kulturhauptstadt 2016 in San Sebastian“ ist Massentourismus definitiv zum Problem und polemischen Thema geworden. Die Altstadt von Donostia (San Sebastian) ist kaum mehr bewohnbar, die von Bilbao droht ebenfalls in der AirBnb-Welle unterzugehen. Bisher landschaftlich reizvolle Gegenden wie Urdaibai, Gesaltza, Gaztelugatxe wurden durch Touristenmassen derart überschwemmt, dass nun Restriktionen drohen, die für alle gelten, auch für Einheimische. Weil auch entlegene Gegenden massiv auf Tourismus setzen, sind künftig nicht nur die Metropolen gefährdet, sondern das Land insgesamt. Im Sommer kam es zu ersten Protestaktionen gegen Massentourismus und Vertreibung der Bevölkerung aus Stadtteilen, in denen die Wohnungspreise in einem Jahr um 40% gestiegen sind. Dennoch wollen die politisch Verantwortlichen nichts wissen von der Problematik und haben den Begriff „Tourismophobie“ erfunden für alle, die die Exzesse des Tourismus mit Namen nennen. Ein eskalierender Konflikt für die nächsten Jahre ist vorprogrammiert.
Müllverbrennuung Nach dem Versuch der vormaligen linken Provinzregierung Gipuzkoas, Müll zu reduzieren und zu recyceln setzt die neue rechte Exekutive auf Müllverbrennung. Dafür wurde ein teures Projekt in Zubieta beschlossen, das eine Millionenverschuldung auf Jahrzehnte bedeutet und in der Bevölkerung auf Widerwillen stößt, weil giftige Emissionen zu befürchten sind.
Kulturszene Wie alle Jahre war das Baskenland Bühne für eine reichhaltige Auswahl an Kultur, auch ohne das Zugpferd „Europäische Kulturhauptstadt San Sebastian“. Dort herrscht Katzenjammer, weil offenbar wurde, dass die Tourismusmassen von 2016 für diese eher mittelgroße Stadt schlicht zu viel waren. * Das bekannte alternative Musikfestival Euskal Herria Zuzenean (EHZ) ist dem Regen zum Opfer gefallen. * Im zweiten Jahr etabliert hat sich ein Kunst- und Kulturfestival der ganz besonderen Art. „Azken Muga“, letzte Grenze genannt, weil sich der Großteil der Aktivitäten an der vormals bewachten Grenze zwischen Gipuzkoa und Navarra abspielt, auf einem Bergplateau nahe Azkarate: Tanz, Musik, Ausstellungen, Feste, Bertsolarismus, sowie Kunst im öffentlichen Raum. Ein Festival, dass auf Qualität, den Erhalt lokaler Kultur und die Beteiligung der Nachbarschaft setzt, nicht auf Massen und Konsum. Im abgelaufenen Jahr kam es zu einer Beteiligung aus dem bundesdeutschen Wendland, die im Mai 2018 mit einem Gegenbesuch bei der Kulturellen Landpartie beantwortet wird.
Ökologie Wo rechte und sozialdemokratische Parteien mit neoliberalem Politikverständnis in Regierungs-Verantwortung stehen, ist in Bezug auf Ökologie nichts Positives zu erwarten. * In Gipuzkoa wird auf Müllverbrennung statt Müllvermeidung und Recycling gesetzt, eine millionenteure Anlage ist im Bau. * Das Projekt Hochgeschwindigkeits-Zug AHT ist ökologisch und volkswirtschaftlich eine Katastrophe und löst keine Transportprobleme. * Im Urdaibai Naturschutzgebiet soll ein zweites Guggenheim-Museum gebaut werden, um noch mehr Tourist*innen anzuziehen. * In Pasaia (Gipuzkoa) ist der Plan noch nicht vom Tisch, einen großen Außenhafen zu bauen, dem die dortige Küstenlandschaft zum Opfer fallen würde.
Paris Mobilisierung Die spanische Regierung ist – trotz langem Gewaltverzicht von Seiten von ETA – zu keinerlei Entgegenkommen in Bezug auf politische Gefangene bereit, die französische Regierung zeigt sich etwas kompromissbereiter, insbesondere nach der Waffenabgabe durch ETA. Eine Reihe von zivilen Organisationen (Friedensfreunde, Friedenshandwerker) verhandelt deshalb mit der Regierung in Paris. Als Rückendeckung für diese Gespräche wurde am 9. Dezember in Paris eine Demonstration durchgeführt, zu der Tausende von Baskinnen und Basken in die französische Hauptstadt fuhren. Wehmutstropfen, dass sich Tage danach herausstellte, dass ein französischer Politiker an der Demonstrationsspitze gegangen war, dem sexistische Übergriffe vorgeworfen werden. Der Demo-Organisation waren die Vorwürfe bekannt, sie äußerte sich dazu jedoch nicht. * Bereits im Januar war es in Bilbao zu der schon traditionellen Demostration für die Rechte der politischen gefangenen gekommen, zu der in diesem Fall „nur“ 85.000 Menschen aus allen Teilen des Baskenlandes kamen , einzelne Delegationen auch aus Madrid, Galicien, Okzitanien und Andalusien.
Navarra Die sozialliberale Vierer-Koalition in Navarra, an der Parteien beteiligt sind, die sonst nirgendwo koalieren, hält sich trotz Reibungsverlusten auch nach zwei Jahren wacker. Gemeinsamer Nenner war, die korrupte navarrische Rechte abzulösen, in Pamplona wie in der Region. Die beiden bisherigen Jahre waren von Aufräumarbeiten und Schadensbegrenzung geprägt, die jahrzehntelange rechte Politik hatte ein fatales Erbe hinterlassen. Wie zukunftsfähig das Vierer-Projekt ist, wird sich in der verbleibenden Legislatur zeigen.
Politik im Baskenland Podemos im Baskenland scheitert nicht am politischen Establishment, sondern an sich selbst. Ständige Spaltungen, Machtkämpfe und autoritäres Gehabe der Altvorderen in Madrid nehmen der Partei das Personal und immer mehr auch den Kredit, mit dem sie vor fünf Jahren als Ausdruck einer breiten Protestbewegung ins Rennen gegangen war. * Die baskische Mehrheitspartei PNV hat sich auf der Suche nach neuen Koalitionspartnern auf spanische Parteien festgelegt. In sämtlichen Stadt-, Provinz- und in der Regional-Regierung arbeitet sie mit der PSOE zusammen, mit der rechten PP als Mehrheitsbeschafferin. Der Partei steht wegen Korruption der größte Prozess ihrer Geschichte bevor. * Für die baskische Linke wird die Luft dünner, weil sie angesichts der Neuorientierung der baskischen Rechten kaum mehr Chancen hat, über Koalitionen Mehrheiten zu erlangen. Das Projekt Unabhängigkeit brennt auf Sparflamme. * Der Arbeitsmarkt im Baskenland hat sich erholt, die Arbeitslosigkeit sinkt, neue Arbeitsplätze werden geschaffen, dabei ist Prekarität das prägende Element, keine Verträge ohne Befristung. * Fatale Auswirkungen wird die allgemein verbreitete Tendenz haben, überall kriterienlos auf Massentoruismus zu setzen.
Rosa-Luxemburg-Konferenz Auch im dritten Jahr in Folge erlebte das Baskenland (in Bilbao) eine eigene Rosa-Luxemburg-Konferenz. Thema waren in diesem Jahr die patriarchalen Strukturen, die es innerhalb der linken Bewegung gibt: der Widerstand gegen den Feminismus in den eigenen Reihen. Dazu waren interessante Referentinnen eingeladen. Die Konferenz wird von drei kleinen Gruppen organisiert und erfreut sich mittlerweile einer Bekanntheit über Bilbao hinaus. Thema für die Konferenz 2018 (Januar) ist die Militärindustrie im Baskenland.
Sexismus, Vergewaltigung, Patriarchat Es vergeht kein Tag ohne Bericht über Vergewaltigung oder Frauenmord in den baskischen Medien. Sexismus in allen Varianten sind Dauerthema in der baskischen Gesellschaft. Mehr denn je zuvor zeigen Frauen sexistische Gewalt an. Manche sehen darin ein Anwachsen der Taten, andere interpretieren es als Ergebnis einer Sensibilisierung der Gesellschaft und verneinen einen Anstieg der Verbrechen gegen Frauen. Der Prozess in Pamplona gegen fünf Vergewaltiger hat richtungsweisenden Charakter. * Seit 2003 wurden im Baskenland und Navarra 43 Frauen ermordet, die Mehrheit von ihren Partnern oder Expartnern, im gleichen Zeitraum wurden im Staat 919 Frauen ermordet. Unter jungen Männern werden verstärkt patriarchale Verhaltensweisen festgestellt und Tendenzen zu Gewalt.
Sport Ein gewisser John Rahm aus dem bizkainischen Barrika macht derzeit in der Golfwelt Schlagzeilen mit seinen Erfolgen bei Profiturnieren. * In den Schlagzeilen steht auch die Tennisspielerin Garbine Muguruza, kurzzeitig die Nummer 1 der Weltrangliste. Als in Venezuela geborene Sportlerin werden ihre Erfolge in ihrem Heimatland, in Spanien und im Baskenland gefeiert, denn Vor- und Familiennamen könnten baskischer gar nicht sein. * Im baskischen Fußball hat sich die Zahl der Erstliga-Teams von 8 auf 6 reduziert. Bei den Frauen stieg Oiartzun in die zweite Liga ab, bei den Männern Osasuna. Alaves aus der baskischen Hauptstadt Gasteiz-Vitoria erreichte das spanische Cup-Finale, Bilbao und San Sebastian hingegen die Europa-League. Die Nachricht des Jahres in der Fußballwelt war, dass Alvaro Yeray, Spieler von Athletic Bilbao, zwei Mal von einem Hodenkrebs geheilt werden konnte.
Vergewaltigungsprozess Nach 17-monatiger Ermittlungszeit wurde in Pamplona ein Prozess wegen Mehrfach-Vergewaltigung durchgeführt. Im Juli 2016 hatten fünf Sevillaner bei den Sanfermin-Fiestas eine junge Frau vergewaltigt, seither sitzen sie in Haft, darunter ein Soldat, ein Guardia Civil und ein Rechtsradikaler. Der Prozess wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt, war von verschiedenen Skandalen begleitet, sowie von geheimer Information, die der Presse zugespielt wurde. Die Staatsanwaltschaft fordert mehr als 20 Jahre Haft, die Verteidigung Freispruch. Im gesamten Staat wurde der Prozess mit größtem Interesse verfolgt, weil er als symptomatisch für die generell verbreitete Gewalt gegen Frauen angesehen wird. Dem Urteil – wie auch immer es lautet – wird richtungsweisende Bedeutung beigemessen, erwartet wird es im Januar oder Februar.
(Wir weisen darauf hin, dass es zu allen Themen sowohl bei BASKULTUR.INFO wie auch bei BASKINFO.BLOGSPOT.COM lesenwerte Hintergrundartikel gibt, die tiefer in die Thematiken einführen.)
ABBILDUNGEN:
(1) AKW Lemoiz (FAT)
(2) Spekulations-Objekt Zorrotzaurre (FAT)
(3) Pro-Flüchtlings-Bewegung (OEE)
(4) Rosa-Luxemburg-Konferenz (FAT)
(5) Falangist (elboletin)
(6) Hochgeschwindigkeitszug (FAT)
(7) Azken-Muga-Festival (FAT)
(8) Yeray Alvarez (soccermania)