Nicht zu fassen: die Bask*innen!
Großereignisse laufen – egal woher sie kommen – mittlerweile über den internationalen Nachrichtenmarkt. Die kleinen Nachrichten hingegen fallen unter den Tisch. Doch oft sind gerade sie es, die einen bezeichnenden Blick werfen auf die Gesellschaft, aus der sie kommen. KURZMELDUNGEN ist der Ort dieser unterbliebenen Nachrichten aus dem Baskenland, Euskal Herria. Skurril, unglaublich, empörend, repressiv, tränen-rührend und fast immer politisch. Meist Ausdruck einer fragwürdigen Normalität.
Kurzmeldungen aus dem Baskenland interessieren sicher ausschließlich Freundinnen und Freunde des Baskenlandes. Einmal die Woche stellt BASKULTUR.INFO das herausragendste Ereignis vor.
EINFÜHLSAME KAPITALISTEN
Die Betriebsleitung des Mercedes-Werks im baskischen Vitoria-Gasteiz hat ihren 5.000 Mitarbeiter*innen empfohlen, beim geringsten Anzeichen von Grippe oder Schnupfen doch besser zu Hause zu bleiben und sich mit den Gesundheitsbehörden in Verbindung zu setzen. Üblicherweise klagen solche Unternehmen über einen hohen Krankenstand und versuchen, jene Angestellten mit den höchsten Ausfallzeiten tunlichst loszuwerden. Woher also die einfühlsame Empfehlung zu Ungunsten des Profits und der kapitalistischen Effektivität? Eigentlich ganz einfach. Mercedes-Gasteiz, wo sie beliebten Vitos und Vianas gebaut werden, will nicht dem Beispiel des Auto-Konkurrenten Hyundai folgen. Der hatte wegen einer Grippewelle kurzzeitig seine Produktion schließen müssen. Dabei handelte es sich nicht um irgendeine Grippe, sondern um den Coronavirus, oder COVID-19, oder wie auch immer. Schade eigentlich. Somit war es doch nichts mit einfühlsamem Kapitalismus, der die Nöte der Arbeitenden in Betracht zieht und Unpässlichkeiten ihren natürlichen Lauf lässt. Hauptsache die Produktion geht weiter. Obwohl es noch keine 19er-Fälle gab im Baskenland – dachten die Verantwortlichen im Moment ihrer Empfehlung. Doch schon einen Tag später war dies Schnee von gestern: drei Fälle in Gasteiz, einer in Donostia – Globalisierung zeichnet sich eben durch Grenzenlosigkeit aus, Euskal Herria eingeschlossen. Und nicht nur die Chefs von Daimler ziehen den Krankenstand dem Stillstand vor. Auch Michelin, der zweite große Arbeitgeber in Gasteiz, hat reagiert. Berufliche Besuche in Asien und Italien wurden untersagt, von privaten Reisen in jene Gegenden wird “dringend abgeraten“ – von Entlassungsdrohung war erst einmal nicht die Rede. Der Unternehmerverband SEA in der Provinz versuchte trotzdem eine beruhigende Nachricht zu verbreiten. Man solle sich doch bitte an die Empfehlungen der Welt-Gesundheits-Organisation halten, auf Hygiene achten, keinen Kontakt pflegen mit infizierten Personen und sich beim Nießen Mund und Nase zuhalten. Wenn Reisen unumgänglich seien, sollten die Leidtragenden zumindest den Kontakt mit Tieren meiden, nur gut gekochte Speisen zu sich nehmen und bis zu 14 Tage nach der Reise ihren Gesundheitszustand genau überwachen. “Wir kriegen das schon in den Griff.“
BASKISCHER SPORTSGEIST
Lionel Messi ist immer gut drauf, wenn es um Eibar geht. Zum zweiten Mal in der Liga-Geschichte traf er gleich vier Mal. Wenn die “Waffenstädter“ kommen, versagt er nicht. Bei SD Eibar nehmen sie es mit Resignation und Eleganz. Als die Trainer nach dem Spiel gerade noch bei der Pressekonferenz ihre Analysen abgaben, publizierte die Clubführung bereits in ihren sozialen Medien: “SD Eibar @SDEibar. Wir erleiden dich. Wir ertragen dich mit Fassung. Es bleibt uns nichts übrig, als aufzustehen und dir zu applaudieren“. Die Botschaft schlug in den Sport-Medien genau so ein wie vorher Messis Treffer. Einmal mehr zeigt sich der baskische Sportsgeist, an dem sich die allermeisten aus dem Geschäft etwas abschneiden könnten.
In 11 Partien hat Messi 20 Tore gemacht gegen das baskische Team. Das hielt den Eibar-Trainer Mendilibar nicht davon ab, ein Loblied auf den Barca-Star zu singen. Jose Luis hat von seiner Bewunderung für den Argentinier nie einen Hehl gemacht. Genießen kann er dessen Spielkunst jedoch nur im Fernsehen. Denn wenn sie sich auf dem Spielfeld begegnen, wird Leo zu seinem Alptraum. Die Spiele gegen Eibar sind für Messi offenbar zum Synonym für Sonder-Vorstellungen geworden. Auch die Kicker sind ehrlich: Messis Spielstreiche sind einmalig und nicht zu bremsen. “Wenn er seinen Tag hat, wird es für uns sehr schwer. Du ärgerst dich und fühlst dich ohnmächtig. Spielzüge, bei denen andere scheitern, bringt er erfolgreich zum Abschluss. Er bewegt sich auf engstem Raum und ist enorm schnell. Verlieren tut immer weh“, sagte einer.
Für die Eibar-Kicker hat der Stürmer von Barca das Spiel allein gewonnen. Wenn andere 5:0 verlieren, ist der Rasen schuld oder der Schiedsrichter. Oder die Fernsehrichter. Die Fans suchen sich den nächstbesten Nichteuropäer, um ihn rassistisch zu beleidigen. Nicht so im Baskenland. Athletic Bilbao verzichtet seit 100 Jahren auf nichtbaskische Spieler, Real Sociedad lädt im Sommer palästinensische Mädchen zum Turnier ein, und Eibar verzichtet darauf, den Rivalen aus Barcelona als Gegner zu bezeichnen. Reste von Moral im schmutzigen Fußball-Geschäft.
HINTER DEN BASKISCHEN MÜLLBERGEN
Vor zwei Wochen geriet eine Deponie im baskischen Zaldibar ins Rutschen – zwei Arbeiter wurden verschüttet, die Halde brennt. Hinter dem Unglück steht die desaströse Müllpolitik der baskischen Regierung. “Ein echter Wahnsinn“, kommentiert Ekologistak Martxan, die wichtigste Ökologie-Organisation, die auch auf spanischer Ebene arbeitet. Wenn die Daten der Umweltschutz-Organisation stimmen – woran kein Zweifel besteht – dann hat sie mit ihrer Einschätzung recht: Bis auf 182 Meter Höhe habe sich der Müll auf der Deponie in der Gemeinde Zaldibar Anfang dieses Jahres getürmt, auf einem Gelände, das bis zu 45 Grad steil abfällt. Vor gut zwei Wochen, am 6. Februar, geschah, was offenbar geschehen musste: Der Müllberg geriet ins Rutschen und kam nach 330 Metern hügelabwärts auf der Autobahn von Bilbao nach San Sebastián zum Halt. Unterwegs hatte er ein kleines Waldstück unter sich begraben. Und zwei Arbeiter. Ihre Leichen sind noch immer nicht gefunden. Es waren eine halbe Million Tonnen Industriemüll, die sich ins Tal hinabwälzten – und in Brand gerieten.
Mülldeponie brennt. Am Dienstag dieser Woche konnte das Feuer endlich gelöscht werden, am Donnerstagabend flammte es allerdings wieder auf, musste abermals gelöscht werden. Die Anwohnerinnen und Anwohner der umliegenden Gemeinden sind besorgt. In Ermua und Eibar wurden Karnevalsumzüge abgesagt, die Schülerinnen und Schüler einer Schule wurden tagelang nicht auf den Pausenhof gelassen, die Behörden warnten vor Sport im Freien, ein Fußballspiel der ersten Liga wurde abgesagt. In der Luft waren erhöhte Dioxin-, Furan- und PCB-Werte gemessen worden. Der baskische Ministerpräsident Urkullu nahm sich zwölf Tage Zeit, um die Fehler zu bedauern, die seine Regierung in dieser “völlig neuen und höchst komplexen Situation“ möglicherweise begangen habe. Im Baskenland wird Anfang April gewählt, und Wahlkampfzeiten sind schlechte Zeiten für tiefgründige Analysen. Die Opposition wirft der Regionalregierung ungenügende Kontrollen der privat betriebenen Deponie in Zaldibar vor. Im vergangenen Sommer entdeckten staatliche Inspektor*innen dort etliche Missstände, die bislang noch nicht behoben wurden. Die mangelnde Stabilität der Halde gehörte allerdings nicht zu den aufgespürten Mängeln.
Zu viel Müll für zu wenig Platz in den Deponien. Hinter dem Unglück im Baskenland steckt ein grundlegendes Problem der Müllpolitik im ganzen Staat: Viel zu viel Abfall landet auf der Deponie und der Deponieraum wird immer knapper. Nach den letzten verfügbaren Zahlen des Nationalen Statistikinstituts Spaniens kamen 2017 noch gut 51 Prozent des spanischen Mülls auf die Halde. Die Tendenz ist von Jahr zu Jahr zwar leicht abnehmend, aber die EU-Vorgabe von weniger als 10 Prozent Deponiemüll bis 2035 ist ohne energische Schritte wohl nicht zu erreichen. Deutschland ist da deutlich weiter. Laut dem Umweltbundesamt lag die sogenannte Ablagerungs-Quote im Jahr 2017 bei 17,6 Prozent. In Spanien machen sich die fehlenden Kapazitäten und der fehlende Wille zur Wiederverwertung oder Verbrennung des Mülls indes auf den bestehenden Deponien bemerkbar.
Die Unglücksdeponie von Zaldibar wurde erst 2011 geöffnet und sollte nach damaliger Voraussicht mindestens 35 Jahre lang in Betrieb bleiben. Anfang dieses Jahres war die Deponie allerdings schon zu 60 Prozent gefüllt. Ähnliche Probleme gibt es zum Beispiel im südlichen Umland der Hauptstadt Madrid. Auch diese Gegend in Mittelspanien stand im vergangenen Jahr vor einem regelrechten Müllnotstand, weil die Deponie von Alcalá de Henares restlos voll war und sich schlichtweg keine andere Gemeinde für eine Müllhalde zur Verfügung stellte. Der Müll wird jetzt auf eine Deponie am Stadtrand von Madrid gebracht. Die ist auch bald voll.
Preise für Deponierung zu billig. Der Müllexperte der Madrider IMF Business School, Álvaro Rodríguez de Sanabria, benennt eines der strukturellen Probleme der spanischen Müllpolitik: Die Preise für die Deponierung sind eindeutig zu niedrig. “In Spanien zahlt man 30 Euro für eine Tonne Abfall, in Deutschland rund 180“, sagte er im Gespräch mit der kostenlosen Tageszeitung “20 Minutos“. Es gibt – vor allem für die Industrie – zu wenig Anreize zur Müllvermeidung. Die Folgen dieser Politik sind Desaster wie jenes im baskischen Zaldibar. Auch in Seseña in der Provinz Toledo zum Beispiel brannten 2016 zwei Tage lang knapp 90 000 Tonnen illegal gelagerte Autoreifen, die Rauchwolke war kilometerweit zu sehen. Zwanzig Jahre zuvor geschah im galicischen La Coruña ein ganz ähnliches Unglück wie jetzt im Baskenland: Ein Müllberg kam ins Rutschen und begrub einen Mann unter sich. Die Geschichte avancierte zu einem nationalen Skandal. Geändert hat sich seitdem wenig. Die Leiche des damals Verschütteten wurde nie gefunden. (Frankfurter Rundschau 22.02.2020)
NEIN ZU RASSISMUS!
Es könnte, nein, es muss das bewegendste Spiel gewesen sein im bisherigen fußballerischen Leben des Iñaki Williams, der das Logo von Athletic Bilbao auf dem Herzen trägt. Nicht nur das Spiel selbst, das als sportlicher Erfolg in den Statistiken der Nachwelt verbucht wird und an Emotionalität kaum zu überbieten ist. Iñaki, Sohn zweier Flüchtlinge aus Ghana, hatte eine problematische Woche hinter sich. Bei letzten Liga-Spiel in der katalanischen Ferne war er mit rassistischen Rufen übelst beleidigt worden. Keine angenehme Situation, auch nicht für einen Fußballer, der viel Geld verdient. Es folgte ein Pokalspiel, gegen ein zweitklassiges Team von einer Insel, mit Spannung aufgeladen. Iñaki stand in der Startformation, wie immer seit vier Jahren ohne Zwischenstopp. Beim Auflaufen zeigten alle seine Mitspieler Trikots mit der Nummer Neun, seiner Nummer, als Zeichen der Solidarität mit ihrem Kollegen und gegen Rassismus.
Das Spiel begann. In der zweiten Spielminute wurde Iñakis Torwartkollege Herrerin nach einem Bodycheck vor dem Strafraum des Feldes verwiesen, für das betroffene Team eigentlich die Höchststrafe bei einem 90 Minuten dauernden Laufspiel. Es kam schlimmer. Beim folgenden Freistoß prallte der scharf geschossene Ball in der Abwehrmauer gegen den Arm von Iñaki – Elfmeter! Der neu eingewechselte Nachwuchs-Torwart hatte in seinem ersten Spiel keine Chance. Zehn gegen elf und ein Tor zurück. Es kam die neunte Spielminute, erneut wurde Iñaki Williams mit Grüßen von der Tribüne bedacht, überraschendweise nicht von den wenigen mitgereisten Bilbao-Fans, sondern von jenen des gastgebenden Teams: Tenerife, Teneriffa, Kanaren. Die hatten sich dafür sogar einen baskisch-sprachigen Slogan auf das Transparent geschrieben: “Iñaki, zurekin gaude“ – Iñaki, wir sind mit dir. Blau-weiß und blau-weiß ist eben nicht dasselbe, der meilenweite Unterschied zwischen Español und Tenerife wurde offenbar.
Dass gastgebende Fans einen auswärtigen Spieler verteidigen, ist im Fußball absolute Mangelware, im besten Fall Privileg eines Legendären wie Messi – umso bemerkenswerter der Vorgang. Iñaki war gerührt. Aber trotz Rassismus-Opfer blieb er Profi und machte für sein Team in Unterzahl zwei Tore, eins in Minute 17, ein zweites in Minute 54, jeweils zum Gleichstand. Das Unentschieden nach 90 Minuten erzwang eine Verlängerung, die zweite für Athletic in einer Woche. In der 3. Minute der Verlängerung musste ein blau-weißer Tinerfeño ebenfalls den Rasen räumen. Die Karten schienen erneut gleich verteilt. Nach 95 Minuten Spielzeit strich Iñaki ermüdet die Segel und erlebte ein erneutes Gastgeschenk der Einheimischen, die ihn (trotz seiner Tore) mit Applaus verabschiedeten. In Minute 104 erhielt Tenerife seinen zweiten (berechtigten) Elfmeter, das Spiel schien entschieden. Nicht für den Basken mit dem Namen von Gagarin. In Minute 118 stellte Yuri erneut Gleichstand her und erzwang ein Elfmeterschießen. Iñaki hatte keine Karten mehr im Spiel, außer dem Daumendrücken.
Der junge Torhüter, dessen Name vorher niemand gekannt hatte, wurde zum Helden. Athletic war eine Runde weiter – Tenerife hingegen eine ganze Dimension. Ganz im Gegensatz zu den Atletico-Madrid-Hooligans, die zwei Wochen zuvor das baskische Eibar unsicher machten und den Kicksport einmal mehr mit Franquismus in einen Topf warfen, setzten Fans von Tenerife ein antirassistisches Denkmal, das in Bilbao so schnell niemand vergessen wird. Egal, in Bilbo oder Tenerife, im Pokal oder in der Liga. Die Sieger des Pokalspiels am 28. Januar 2020 waren ohne Abstriche Iñaki Williams und die Fans von Tenerife. (KM 28.1.2020)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2020-02-23)