1942: Kuba, FBI, Doppelagenten
Dokumente von FBI und CIA enthüllen die Irrwege des Schriftstellers Ernest Hemingway in der Karibik. Der Schriftsteller hatte sich baskische Pelota-Spieler an Bord geholt und wollte versuchen, von seiner Yacht aus Granaten auf Nazi-U-Boote zu werfen. Seine Strategie stellte für ein baskisches Spionagenetz, das der baskische Exil-Präsident J.A. Agirre in den USA und in der Karibik ausgebaut hatte, eine starke Bedrohung dar. Mit im Spiel ein baskischer Doppelagent, der für Nazis und FBI arbeitete.
Von FBI und CIA freigegebene Akten haben Einblick gegeben in Spionage-Aktivitäten in der Karibik während des Zweiten Weltkrieges. Die Hauptrolle spielten die US-Polizeibehörde FBI, ein baskisches Spionage-Informationsnetz und der egozentrische Schriftsteller Ernest Hemingway.
Im Jahr 1942 waren Ernest Hemingway und eine Gruppe von Basken auf Kuba die Protagonisten einer der grotesken Geschichten des Zweiten Weltkrieges. Der Schriftsteller holte sich Cestapunta-Pelota Spieler des baskischen Nationalsports Pelota auf sein Schiff, um auftauchende Nazi-U-Boote zu versenken. Diese Mission war Teil einer Fantasie des amerikanischen Schriftstellers: mit einer Gruppe von Amateur-Spionen wollte er von der Karibik aus Hitler besiegen, dafür holte er verschiedene Beteiligte in ein verrücktes Abenteuer. Heute, siebzig Jahre danach, enthüllt eine Untersuchung zum ersten Mal eine Episode, die in den Biografien des Nobelpreisträgers nie erwähnt wurde. (1)
Pelota: Cesta-Punta
Um den technischen Part der Hemingway-Strategie zu verstehen, sind Grundkenntnisse über den baskischen Pelota-Sport wichtig. Pelota ist ein Ballspiel, das auf Plätzen mit zwei Wänden gespielt wird. Prinzipiell gibt es drei Versionen (tatsächlich sind es mehr), 1. Pelota-Pala, gespielt mit einem Holzschläger, 2. Pelota-Mano, gespielt mit einer gut gepflasterten Hand, und 3. Cesta-Punta, eine historische Version des Spiels. Zum Spiel werden den Spielern zwei gekrümmte Körbe an die Hand gebunden, mit denen sie den Pelota-Ball auffangen und wieder an die Wand schleudern (siehe Abbildung). Dabei erreichen die Bälle enorme Geschwindigkeiten, Cesta-Punta (auch “Jai Alai“ genannt, dt: fröhliches Spiel) gilt als das schnellste Ballspiel der Welt, die Spieler tragen zum Schutz Helme. Hemingways Idee war, auftauchende Nazi-U-Boote anzugreifen, indem die Pelota-Spieler mit ihren Körben nicht Bälle, sondern Granaten in die U-Boote werfen sollten. (2)
Mit seinen abenteuerlichen Streifzügen hätte Hemingway beinahe ein baskisches Spionagenetz zerschlagen, das mit dem FBI in Verbindung stand. Die Polizeibehörde kontrollierte versteckte Nazis, die in Bilbao, in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern und im Herzen der USA versteckt waren. Doch mit der Zeit kam bei den nordamerikanischen Geheimdiensten Alarm auf, sie trauten dem Schriftsteller immer weniger und überwachten ihn. Nur wenige Tage vor seinem Selbstmord im Jahr 1961 beschwerte sich Hemingway über die eiserne Kontrolle, der er von Seiten des FBI ausgesetzt war. Diese Überwachung war schon länger bekannt, neuerdings kann der Hintergrund beleuchtet werden.
Freigabe von geheimen Dokumenten
Die Geschichte zu rekonstruieren war möglich dank der teilweisen Offenlegung von Akten von FBI und CIA in den vergangenen Jahren. Bereits seit den 1980ern ist es möglich, die Dokumentation des FBI über den Schriftsteller einzusehen. Vor zwei Jahren publizierte der nordamerikanische Geheimdienst auf seiner Webseite Informationen über das “Baskische G-Projekt“ (Basque G-Project), ein Netz von baskischen Agenten, die vom baskischen Exil-Ministerpräsidenten José Antonio Agirre kontrolliert wurden, der im Kampf gegen die Nazis auf beiden Seiten des Ozeans mit den Nordamerikanern zusammenarbeitete. Die beiden Operationen kamen in Berührung über die Bewunderung, die Hemingway für die Basken hegte. Während seiner Zeit auf Kuba versammelte er einige Basken um sich.
Weltruhm
Die Ereignisse begannen im Jahr 1942, als der Schriftsteller bereits eine weltbekannte Figur war. Einige seiner Bücher hatten globalen Erfolg gehabt. Zum Beispiel sein Roman “Fiesta“ aus dem Jahr 1926, der die baskische Stadt Pamplona in ein Reise-Mekka für US-Touristen verwandelte (3); oder “In einem anderen Land“ (A Farewell to Arms) von 1929, “Die Wahrheit im Morgenlicht” (True As First Light) von 1935, oder “Haben und Nichthaben“ (To Have and Have Not) aus dem Jahr 1937. Abgerundet wurde dieser Erfolg 1940 von “Wem die Stunde schlägt“ (For Whom the Bell Tolls), eine Verfilmung in Hollywood stand kurz bevor, als die vorliegende Geschichte begann.
Auch Hemingways Chroniken über den Spanienkrieg (auch Spanischer Bürgerkrieg genannt), die er als Korrespondent schrieb, wurden in den USA gefeiert. Hemingway war zu einem einmaligen Alpha-Tier geworden. Seine Romanhelden waren unübertreffliche, aber angeschlagene Männer. Sie tranken, prügelten sich, jagten wilde Tiere, nahmen am Stierkampf teil und begingen alle möglichen Gruseltaten, um ihre Seelenverletzungen zu verbergen. In diesem Kontext isolierte sich der Schriftsteller auf Kuba.
Das FBI-Büro in Havanna schrieb einen ersten Bericht über Hemingway im Oktober 1942. Er war Fan von Hochseefischerei und hatte den US-Botschafter auf der Insel (Sprouiller Braden) davon überzeugt, ihm die Genehmigung zur Gründung einer “privaten Armee“ zu erteilen. Dazu gehörten die Pelota-Spieler Patxi Ibarluzea aus Markina und Félix Areitio aus Ermua. Mit zum Abenteuer gehörten auch der Kubaner Paco Garay (mit Familie in Vitoria-Gasteiz) und der aus Bilbao stammende Juan Duñabeitia, Sindbad der Seefahrer genannt (Simbad el Marino). Vervollständigt wurde die Gruppe von ehemaligen US-amerikanischen Marine-Soldaten. Hemingway hatte zwei Ziele: er wollte ein Spionagenetz gründen, das er “Crook Factory“ nannte; und er wollte die “Operation Friendless“ (Ohne Freunde) starten. Deren Ziel war, in der Karibik deutsche U-Boote aufzuspüren. Dafür hatte er seine Yacht “El Pilar“ (Die Säule) in ein schwimmendes Arsenal verwandelt.
Plan gegen Nazis in der Karibik
In der Sommer-2018-Ausgabe der Zeitschrift “Marine Corps History“ wird der Plan Hemingways analysiert und die Taktik erklärt, der er folgen sollte. Der Plan bestand darin, ein U-Boot anzulocken, was halbwegs realistisch erschien, denn gelegentlich erschienen die Nazis an der Oberfläche, um auf der Suche nach Frischwasser Fischkutter zu überfallen. Sollte ein U-Boot seine Lukenklappe öffnen, würden die Pelota-Spieler mit ihren Schleuder-Körben Granaten auf sie werfen, um zu versuchen, ins Innere der Boote zu treffen. Sollte dies noch nicht zur Versenkung führen, würde die Hemingway-Gruppe die Nazis mit Maschinengewehren und Kleinbomben angreifen. John Thomason, Hauptmann der Marine und persönlicher Freund Hemingways, der hinsichtlich der Operation um Rat gefragt worden war, fasste zusammen: “Nicht unmöglich, aber ein Irrsinn“.
Treibstoff gratis
Es scheint, dass die Schifffahrts-Behörde der USA dem Plan zustimmte, weil man an die mögliche Propaganda-Wirkung dachte, sollte der Plan klappen. Das würde die Moral der Truppe steigern. Doch Hemingway traf nie auf ein U-Boot. Kritiker behaupten, seine wirkliche Motivation sei gewesen, kostenlos Treibstoff zu bekommen, um mit seinem Schiff auf Fischfang gehen zu können. Der Vorwand seiner Kriegsmission sei ideal gewesen, um die herrschende Rationierung des Treibstoffs zu umgehen.
Der günstige Moment spielte Hemingway in die Hände. Im Dezember 1941 hatten die Japaner Pearl Harbour angegriffen, die USA waren in den Krieg gegen Deutschland getreten. Kuba wurde somit zu einem der sensibelsten Orte der Karibik, weil es zum zentralen Hafen wurde für die Schiffe, die den Atlantik kreuzten. Die Insel war ein Intrigenherd für Spione, viele davon Flüchtlinge aus dem Spanienkrieg.
Kuba Meltingpot
In Havanna mischten sich baskische Nationalisten mit Mitgliedern der Kommunistischen Partei und Falangisten. Hemingway suchte unter den spanischen Republikanern nach Informanten. Laut Berichten des FBI rekrutierte er in Pensionen und Bars 26 Personen. Was die Mitglieder der Gruppe hörten oder sahen, wurde in Berichten an die Botschaft der USA geschickt. Das meiste waren unbestätigte Gerüchte, leeres Gerede eines Schriftstellers, der sich als Mann der Aktion aufspielen wollte. Er warnte vor einem Staatsstreich gegen den kubanischen Präsidenten Fulgencio Batista, der nie stattfand; er beklagte die Anwesenheit von Faschisten im Hafen, was niemand beweisen konnte. Das FBI – immer auf der Höhe der Ereignisse der Operation – versicherte, dass Hemingways Daten “der Gehalt fehle“.
Am 9. Dezember 1942 nahm die Banalität von Hemingway als “Spion” eine gefährliche Wendung. An jenem Tag, so die kürzlich freigegebene Information, kam er in die größte Bredouille seines Lebens. Der Schriftsteller berichtete der Botschaft, auf einer seiner Patrouillen-Fahrten mit seiner Yacht habe er das spanische Schiff “Marqués de Comillas“ dabei beobachtet, wie es auf hoher See ein U-Boot des Dritten Reiches mit Material versorgt habe. Die US-Diplomaten verständigten die kubanische Polizei und als das Schiff in Havanna anlegte, wurden Besatzung und Passagiere verhört. Niemand hatte etwas gesehen. Also ein weiterer Fehlschlag Hemingways.
Ein geheimnisvolles Schiff
Wenige Leute in der Welt wussten damals, dass das Schiff “Marqués de Comillas“ im Zweiten Weltkrieg eine entscheidende Rolle spielte. Valeriano Peña, der an Bord mitreisende Friseur, war ein Nazi-Agent mit dem Auftrag, Botschaften zwischen den zwei Seiten des Atlantiks zu übermitteln. Auf dem Schiff war es zu einer Operation gekommen, von der nur ranghohe FBI-Beamte wussten und solche von der OSS (Office of Strategic Services), aus der später der CIA-Geheimdienst werden sollte (4). Ein Passagier hatte sich in einem Gespräch mit Peña als überzeugter Franco-Anhänger geoutet, der ihn sofort in seine weitere Planung aufnahm.
Dieser Mann war José Laredogoitia, ein Hirte aus dem Bizkaia-Ort Urduliz, der mit dem Versuch gescheitert war, sich in den USA eine bessere Zukunft aufzubauen. Im Jahr 1912 war er nach Idaho ausgereist und hatte dort schnell eine Reihe von Problemen mit der Justiz. Im Jahr 1941, als er den Nazi-Friseur kennenlernte, war er aus den USA nach Spanien deportiert worden, weil er mit ungedeckten Schecks bezahlt hatte. Als das “Marqués de Comillas”-Schiff in Bilbao ankam, wurde der Hirte dem Abwehrdienst der Nazis vorgeführt, der deutschen Spionage-Abteilung in der baskischen Stadt.
CIA-Dokumente enthüllen, dass Laredogoitia in der Hauptstadt Bizkaias von Nazi-Experten zum Spion ausgebildet wurde. Er lernte, Radios zu benutzen, Codes zu dechiffrieren und unsichtbare Tinte zu benutzen. Seine Ausbildung hatte die Schaffung eines Spionage-Netzes in den USA zum Ziel. Gleichzeitig sollte er Kontakt mit deutschen Netzen in Ländern wie Kolumbien, Venezuela oder Brasilien halten. Als Laredogoitia 1942 den Atlantik überquerte war sein Auftrag, mit der baskischen Exil-Regierung in Kontakt zu treten, um sie an die Nazis zu verraten.
Baskischer Geheimdienst
Das baskische Exil-Präsident (Lehendakari) José Antonio Agirre hatte seinen Sitz zu jener Zeit in New York. Er kontrollierte den baskischen Informationsdienst, ein breites Netz von exilierten Basken, die sich dem US-amerikanischen Geheimdienst zur Verfügung gestellt hatten, um gegen den Faschismus zu kämpfen. Das Juwel in diesem Netz war ausgerechnet dieser Laredogoitia, der schnell zum Doppelagenten geworden war und die Deutschen sabotierte. Seine Rolle war während des gesamten Krieges entscheidend, er vereitelte die Strategie der Nazi-Kriegsmarine, die Schiffskonvois zwischen den USA und Europa versenken wollte.
Im Vergleich zum baskischen Informationsdienst war Hemingways Organisation nichts als eine Gruppe von Einfältigen. Ohne sich darüber im Klaren zu sein, spielte der Schriftsteller mit dem Feuer. Im Januar 1943 berichtete er der US-Botschaft von einem wichtigen Hinweis, das ihm zugespielt worden war. In der Bar “Basque“ in Havanna war eine Kiste mit Geheimdokumenten des internationalen Faschismus angekommen, “lebensnotwenige Information über die Spionage auf der Insel“.
Rückschläge für Hemingway
Hemingway war angesichts seiner ständigen Misserfolge möglichweise bereits außer Kontrolle. Er befahl den Mitgliedern seiner Gruppe, die Kiste zu stehlen und sie zum diplomatischen Sitz zu bringen. So geschah es. Doch als das Paket am nächsten Tag geöffnet wurde, fanden sie nichts als “eine billige Ausgabe des Lebens der Heiligen Teresa de Jesús“. Hemingway war anwesend und bekam einen Wutanfall und beschuldigte den US-Geheimdienst, sich eingemischt zu haben. Die Agenten reagierten hart und er musste klein beigeben. “Er sagte, alles sei nur ein Witz gewesen“, ist in den Dokumenten des FBI zu lesen.
Der Historiker David Mota ist einer der größten Spezialisten zu den Themen “Baskische Regierung im Exil“ und “Baskischer Informationsdienst“. Er versichert, dass sich “das Schiff Marqués de Comillas in ein Agentennest verwandelt hatte“. Er räumt ein, dass noch nicht ausreichend aufgearbeitet sei, ob Hemingways Entgleisungen in Verbindung gerieten mit dem geheimen baskischen Netz, das fast aufgeflogen wäre. Hätte er weitergemacht, hätte er womöglich unbewusst die größte Anstrengung von FBI und OSS in Lateinamerika während des Krieges lahmgelegt. Einige Quellen spekulieren über die Möglichkeit, dass das Santa Teresa Buch in der Kiste tatsächlich Ergebnis einer polizeilichen Intervention gewesen sei.
“Viele Details über die baskische Spionage in jenen Jahren auf Kuba sind bis heute unbekannt“, erklärt Mota. Einige Details, die das FBI über Hemingway sammelte, sind bis heute nicht zugänglich. Zum Beispiel erscheint in einigen zugänglichen Papieren ein Hinweis, die Daten stammten von einem “baskischen Vertrauensmann“, doch der Name ist geschwärzt.
Streit um Freigabe
David Mota führte einen administrativen Streit mit dem US-amerikanischen Justiz-Ministerium, um die Freigabe dieser Dokumente und Informationen zu erzwingen. Er verlor diesen Streit, im April des Jahres 2019 wurde sein Antrag zurückgewiesen. “Es ist nur schwer zu erklären, weshalb all jene Information über die damaligen Ereignisse nach so langer Zeit immer noch geheim gehalten werden“, wirft er den Behörden vor. Eine seiner Hypothesen ist, dass sich unter den Freiwilligen des baskischen Spionagenetzes, deren Identität geheim gehalten wird, auch Jesús Galindez befindet. Der war Vertreter der baskischen Regierung im Exil und Geheimagent des FBI bis er 1956 in New York von Söldnern des dominikanischen Diktators Leónidas Trujillo entführt wurde. Seine Leiche wurde nie gefunden. Es wird angenommen, dass er gefoltert und dann den Haien zum Fraß ins Meer geworfen wurde. Viele von Galindez' damaligen Aktivitäten sind bis heute unbekannt.
Mit der Episode um das Schiff “Marqués de Comillas“ hätte Hemingway leicht wirkliche Spionagenetze gefährden können, während er sich mit den baskischen Pelota-Spielern auf seiner Yacht vergnügte. Es dauerte nicht lange, bis ihm ein erneuter Fehltritt unterlief. Im Sommer 1943 sagte er seinen Freunden, er sei bereit, in einem Buch von seinen Verbindungen mit dem Geheimdienst zu berichten. Als das FBI von diesen literarischen Ambitionen Wind bekam, wurde die Überwachung Hemingways verschärft. Man befürchtete, eine solche Niederschrift mitten im Krieg könnte den Nazis Daten vermitteln, aus denen sie schließen konnten, dass sie in ihren Reihen einen Doppelagenten hatten.
Hemingways Ruin
Der Krieg endete zwei Jahre später, nicht aber die Überwachung Hemingways. Die von J. Edgar Hoover geleitete Behörde schrieb weiter Berichte über seine Streifzüge. Freigegebene Akten machen deutlich, wie Agenten seine Bewegungen verfolgten: seine Verbindung mit Hollywood, die Auseinandersetzungen, die er mit anderen Schriftstellern führte. Im Januar 1961, fast zwanzig Jahre nach dem Vorfall in Havanna, ließ das FBI ein Dossier über die medizinische Behandlung anfertigen, die der Schriftsteller über sich ergehen lassen musste. “Ein Mann kann zerstört, aber nicht besiegt werden“ hatte der Autor von “Der alte Mann und das Meer“ (1952) geschrieben. Zu jener Zeit war Hemingway bereits ein geschlagener Mann, seine Erzählkunst über das Alphatier war in sich zusammengefallen.
Alkohol und Unfälle hatten seinen Körper ruiniert. Zudem befand er sich in einer tiefen Depression, in einer Klinik wurde versucht, sie mit Elektroschocks zu heilen. Im Juni 1961 begann er, seinen Freunden gegenüber zu berichten, dass er Opfer einer unerbittlichen Verfolgung durch das FBI sei. Der Verleger und Romanautor A.E. Hotchner besuchte ihn in seinem Haus in Hetchum, Idaho. Was er dort antraf, machte ihm Angst. Später beschrieb er in einem Buch, der Nobelpreisträger habe sich wie ein Verrückter verhalten, der nicht laut reden wollte, weil er sicher war, dass in seinem Haus und seinem Fahrzeug Mikrofone installiert waren. In jeder Bar, die er besuchte, glaubte er einen Agenten zu erkennen, der ihn ausspionierte. Nach einem nächtlichen Besuch bei seiner Bank sagte er zu Kollegen, das FBI hätte dort seine Konten kontrolliert. Niemand glaubte ihm. Freunde und Familie waren davon überzeugt, dass er komplett den Verstand verloren hatte. Am 2. Juli 1961 holte Hemingway sein Lieblingsgewehr und schoss sich in den Kopf.
Fast zwanzig Jahre nach seinem Tod enthüllten vom FBI freigegebene Dokumente, dass Hemingways Verdacht vielleicht übertrieben, aber nicht frei erfunden war. Sein Tod ereignete sich in Idaho, in der Region im Norden der Vereinigten Staaten, die viele baskische Migrant*innen im 19. Jahrhundert als neue Heimat gewählt hatten. Im Grenzstaat Montana hatte sich Laredogoitia versteckt, der Doppelagent aus Urduliz, der Mann, den Hemingway fast entdeckt hätte. In Montana setzte er sich zur Ruhe und kaufte sich eine Ranch von dem Geld, das er während des Krieges von den Nordamerikanern und den Nazis bekommen hatte. Das Schicksal leitete den Spion und den Schriftsteller auf recht unterschiedliche Wege, nachdem sie sich 1942 in Havanna begegnet waren.
Das FBI über Hemingway
Ein Beispiel für die Kollision zwischen der Amateur-Spionage Hemingways auf der einen und der Profi-Spionage von FBI, OSS und dem baskischen Informationsdienst auf der anderen, ist ein von Edgar J. Hoover im Dezember 1942 unterschriebener Brief nach dem Havanna-Zwischenfall mit dem Schiff. Hoover, der mit der Zeit zu einem der meistgefürchteten Männer der USA wurde, bat darin seine Leute in der Havanna-Botschaft, dafür zu sorgen, dass Hemingway keinerlei Information über die damals laufenden Operationen erhalte. Außerdem empfahl er, den Schriftsteller zu diskreditieren. “Jedwede Information über die mangelnde Zuverlässigkeit Hemingways als Informant soll auf diskretem Weg dem Botschafter zugeleitet werden“, schrieb der FBI-Direktor. Ein späterer von Hoovers Leuten in Havanna geschriebener Bericht drückt es drastischer aus: “Ein Egozentriker, der auf Kritik gewalttätig reagiert“.
ANMERKUNGEN:
(1) Artikel “Hemingway y la red de espías vascos que puso en peligro” (Hemingway und das baskische Spionagenetz, das er in Gefahr brachte), Tageszeitung El Correo 2020-03-09 (LINK)
(2) Jai Alai (baskisch: fröhliches Fest) oder Cesta-Punta (spanisch: Spitzkorb) ist eine Variante des baskischen Pelota-Spiels. Baskische Auswanderer brachten ihren Nationalsport Pelota mit in die USA, wo das Spiel bis heute verbreitet ist. Das Spielprinzip beruht auf dem Werfen des Balles gegen die Wand, wobei der zurückspringende Ball nur einmal den Boden berühren darf, bevor er vom gegnerischen Spieler gefangen und seinerseits wieder gegen die Wand gespielt wird. Diese Spielweise ist am ehesten mit dem im deutschsprachigen Raum bekannteren Squash zu vergleichen. Anstatt eines Schlägers verwendet jeder Spieler jedoch eine schmale korbförmige Verlängerung an seinem Wurfarm, die eine enorme Beschleunigung des Balles ermöglicht. (LINK)
(3) “Fiesta“ ist der erste größere Roman von Ernest Hemingway, der 1926 unter dem englischen Titel “The Sun Also Rises“ erschien und ihn berühmt machte. Der Roman geht auf Erlebnisse Hemingways im Schriftstellermilieu im Paris der 1920er Jahre und im baskischen Pamplona des Jahres 1924 zurück. Hemingway nahm damals an den Stierläufen der Fiesta San Fermin in Pamplona teil. Die Arbeit an dem Roman begann Hemingway Ende Juli 1925 in Valencia, setzte sie im August in Madrid, San Sebastian und Hendaye fort und schloss den ersten Entwurf des Manuskripts am 6. September in Paris ab. Im folgenden Winter nahm er im österreichischen Montafon-Tal umfassende Überarbeitungen und Kürzungen vor, ehe er das Manuskript im April 1926 an Maxwell Perkins vom Scribner-Verlag/New York sandte. (Wikipedia)
(4) OSS – Das Office of Strategic Services (deutsch: Amt für strategische Dienste) war von 1942 bis 1945 ein Nachrichtendienst des Kriegsministeriums der Vereinigten Staaten. (Wikipedia)
ABBILDUNGEN:
(*) Hemingways Kuba-Tour (elcorreo) (Abbildungen aus der Tageszeitung El Correo)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2020-04-08)