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Ein Hakenkreuz über dem Bidasoa

Der Dokumentarfilm “Ein Hakenkreuz über dem Bidasoa“ schildert Anwesenheit und Bewegungsfreiheit der Nationalsozialisten nach der Besetzung Frankreichs, speziell an der baskischen Grenze. Über das Auffinden eines sensationellen Dokuments beschreibt der Film das besondere Interesse der Nazis am baskischen Volk und seiner angeblichen “Rassereinheit“. Die Rede ist von geheimen Treffen zwischen Basken und Nazis, die unterschiedlich interpretiert werden und im Baskenland selbst weitgehend unbekannt sind.

“Ein Hakenkreuz über dem Bidasoa“ (Originaltitel: Una esvastica sobre el Bidasoa) wurde gedreht von den baskischen Filmemachern Javier Barajas und Alfonso Andrés, im Mittelpunkt steht ein weiterer Dokumentarfilm, den der Propagandafilmer Herbert Brieger für die Nazis gedreht hatte.

Dreh- und Angelpunkt des Dokumentarfilms “Ein Hakenkreuz über dem Bidasoa“ ist ein zweiter Dokumentarfilm, der in den Jahren 1941-1942 während des Zweiten Weltkrieges von einem deutschen Filmer gedreht worden war. In diesem 12 Minuten dauernden alten Film geht es um das Leben im Baskenland und um Beschreibungen baskischer Traditionen. Der 2011 gedrehte neue Film, der dem Publikum 2013 beim Filmfestival Zinemaldi in Donostia (San Sebastián) vorgestellt wurde, mischt eine Chronik jener Zeit mit Zeugenaussagen und Analysen von Historikern. (1) (2)

hak2Für die Zinemaldia-Aufführung 2013 versprachen die beiden Filmemacher Barajas und Andrés “Überraschungen“, und sie sollten Recht behalten. “Alle Welt hat schon vieles über die Nazis gehört, aber niemand stellt sie sich im Baskenland vor, niemand denkt daran, dass sie auch hier in Donostia waren“. Die beiden Filmer hatten die Absicht, die Situation während des Zweiten Weltkrieges aus einer anderen Perspektive darzustellen. “Die Rolle einiger Deutscher wird sicher überraschen“, versprachen sie. “Wenn von Hakenkreuzen die Rede ist, bekommt die Geschichte sofort eine krankhafte Komponente, das hat die Menschen jener Zeit beeinflusst.“ Der Dokumentarfilm zeigt auch, wie die Weltereignisse die baskische Gesellschaft beeinflussten.

Videos bei Youtube

Zwei bei Youtube ausgestellte Videos liefern mehr Information über den Dokumentarfilm. Beim ersten handelt es sich um einen Trailer des Dokumentarfilms, bei zweiten um eine Reportage des öffentlichen baskischen Fernsehens über die Filmarbeit von Andrés und Barajas. (3) (4)

Nach der Besetzung Frankreichs drangen die Nazis bis an die Pyrenäen und die spanisch-französische Grenze vor. Orte wie Hendaye (bask: Hendaia), Biarritz (Miarritze), Irún oder San Sebastián (bask: Donostia) wurden mit Francos Erlaubnis zu deren Rückzugs- und Vergnügungsorten, in denen sie sich am Strand oder in Bars tummelten und einen protzigen Lebensstil an den Tag legten. Herbert Riegers Propaganda-Film aus den 1940er Jahren zeigt hohe Nazis, wie sie zwangslos die Grenze zwischen Hendaia und Irún überqueren, oder sich in Straßencafés mit jungen Frauen unterhalten. Auf der besetzten Nordseite begann unterdessen der Terror der Gestapo und der SS-Truppen, insbesondere nach der Wende im Kriegsgeschehen 1942. Jüdische Familien wurden hierher transportiert, auf dem Umweg zu den Vernichtungslagern im Osten.

hak3Basken, Nazis, Franquisten

Wenig bis gar nicht bekannt ist, dass Hitler sich die Option offen hielt, über die baskische Grenzstadt Irún nach Spanien einzudringen, sollte er dies für nötig halten. Nach der Landung der Alliierten in der Normandie nutzten Hunderte von Nazis die Bidasoa-Linie als Fluchtweg. Einer davon war der belgische Faschist Leon Degrelle in Diensten der Nazis (5). Der hatte sich am 7. oder 8. Mai 1945 in Anbetracht der bevorstehenden Kriegsniederlage im Flugzeug des Naziministers Albert Speer aus Oslo abgesetzt und im franquistischen Spanien Schutz gesucht. Das Foto seines am Strand von Donostia notgelandeten Flugzeugs wurde zum Ausgangspunkt der beiden Filmemacher, sich in die Geschichte der Nazis am Bidasoa zu vertiefen.

Was sie fanden waren Aussagen von verbliebenen Zeitzeugen. Die Perle bei der Suche fanden sie hingegen durch einen Zufall im baskischen Filmarchiv in Donostia: die offenbar einzige Kopie eines Dokumentarfilms des Nazifilmers und Propaganda-Spezialisten “Doktor“ Herbert Brieger über die Basken. Er dauert nur 12 Minuten und trägt den deutschen Originaltitel “Im Lande der Basken“. Nach dem Fund dieses Films begann eine dreijährige Suche nach dem Macher dieses Films, an dessen Ende der Sohn des Filmemacher ausfindig gemacht werden konnte.

Das Interesse der Nazis am Baskenland

Der Film dokumentiert die Ansichten der Nazis über das baskische Volk. Brieger war offenbar von den Basken fasziniert und teilte diese Begeisterung mit anderen Funktionsträgern unter den Nazis. Sie waren der Ansicht, die Basken könnten ein guter Ausgangspunkt sein für eine mögliche Intervention in Spanien. Umgekehrt gab es nicht wenige Basken, die in den Nazis mögliche Bündnispartner sahen, das Franco-Regime zu stürzen. Dies bestätigte unter anderem ein ehemaliger Bürgermeister Donostias (1983-1987), Ramón Labayen: “Ich verurteile diese Kontakte nicht. Ein Volk verteidigt sich, wie es eben möglich ist“. Labayen (1928-2013) half den Filmemachern bei der Suche nach Information.

Unterstützung fanden diese auch bei Alberto Bonelli, Sohn des italienischen Konsuls in Biarritz, der Verbindungsmann war zwischen Nazis und Basken. Auch von Felix Löffler, dem Sohn eines Nazi-Soldaten, der Informationen an die französische Resistance weitergab. Und schließlich von Nicolas Brieger, dem Sohn des Nazi-Filmemachers und Film-Autoren von “Im Land der Basken“. Jahrzehntelang wollte Nicolas Brieger nichts über Nazismus in seiner Familie und seinen Vater wissen. Die Arbeit am Dokumentarfilm machte ihm Mut, sich dieser Geschichte zu stellen. “Ich kann nur sagen, dass diese Begegnung ein äußerst zweispältiger Vorgang ist, jetzt so spät, ausgelöst durch diesen Basken-Film.“ Jedenfalls begleitete Brieger Junior die Dokfilmer bei ihrem Auftritt beim Filmfestival.

hak4Von Krieg zu Krieg

Andrés und Barajas wollten die Konsequenzen der Kriegsereignisse auf die baskische Gesellschaft untersuchen, die ja kurz zuvor einen dreijährigen Krieg erlitten hatte und sich in einer blutigen Diktatur befand. “Wir entdeckten, dass die Gegend um den Bidasoa eine Verbindung war zwischen zwei totalitären Regimes. Dazwischen standen die Basken.“ Die Nazis interessierten sich für die “Rassereinheit der Basken“, von der im baskischen Nationalismus nach Auffassung von Sabino Arana Goiti die Rede war (6). Das steigerte ihr politisches Interesse am Thema.

Was eher formale Aspekte anbelangt: beim Dokumentarfilm handelt es sich nicht um eines der üblichen Werke, bei denen eine Stimme durch die Veranstaltung führt. “Ein Hakenkreuz über dem Bidasoa“ überlässt Historikern das Wort, in erster Linie Ludger Mees und Santiago de Pablo von der baskischen Universität UPV/EHU. Der in Deutschland geborene Baske Ludger Mees im Wortlaut: “Einige der Treffen und Kontakte zwischen baskischen Nationalisten und Nazibesetzern jener Zeit sind dokumentiert.“ (7)

Die Filmemacher

Bei der Dokumentamadrid, dem Internationalen Dokumentarfilm-Festival in Madrid 2014, gaben Andrés und Barajas ein ausführliches Interview über ihre Arbeit am Film (8). “Dass wir den von Deutschen gedrehten Film fanden, aus der Zeit zwischen 1941 und 1942, war natürlich entscheidend für unseren Film: die Klammer, die alles zusammenhält. Du kannst Bausteine haben, oder Material, aber dieser Film hat die Dinge in Zusammenhang gebracht. So kam eine Art Drehbuch zustande, der Regisseur und sein Sohn, der sich mit der Persönlichkeit seines Vaters und dessen Funktion im Nazismus auseinandersetzt. Das wurde zur Basis des Projekts. Ein historischer Dokumentarfilm bedeutet archäologische Arbeit. Du musst historische Ereignisse nachzeichnen, aber immer entlang der geschichtlichen Realität. Du kannst nichts erfinden. Gerüchte und Mythen haben da keinen Platz. Du brauchst Dokumente und Aussagen. Wir mussten also Personen suchen, deren Aussagen wir mit den Dokumenten abgleichen konnten, um alles zu bekräftigen. Bei den Aussagen tauchen dann neue Probleme auf, weil nicht jeder gerne vor der Kamera seine Geschichte erzählt. Da geht es um familieninterne Konflikte, Söhne, die sich mit der Rolle ihrer Väter auseinandersetzen vor dem Hintergrund einer Schreckenszeit wie dem Zweiten Weltkrieg. Es ist nicht einfach, solche Geschichten vor der Kamera zu erzählen.“

Unter dem Strich waren die Barajas und Andrés zufrieden mit ihrer Arbeit. Als intensiv und bereichernd bezeichneten sie die Erfahrung. Die Begegnung mit Zeitzeugen war das Interessanteste daran. “Bei den Gesprächen siehst du regelrecht die Geschichte an dir vorbeiziehen. Manche Personen sind enorm motiviert, ihre Geschichte zu erzählen, andere leiden, wenn sie daran erinnert werden“. Barajas und Andrés entdeckten eine Menge Überraschendes bei ihrer Arbeit. Deshalb erwarten sie Ähnliches unter den Zuschauer*innen.

hak5Facetten des Films

Unabhängig vom historischen Moment, den der Dokumentarfilm “Hakenkreuz über dem Bidasoa“ beleuchtet, gibt er auch Hinweise auf den Spanienkrieg, meist unrichtigerweise als Spanischer Bürgerkrieg bezeichnet. Das Baskenland, bzw. die die baskische Regierung unter Führung der christdemokratisch-nationalistischen PNV hatte sich nach dem Militärputsch der Generäle auf die Seite der legitimen Republik gestellt. Diese Positionierung wird heute kaum in Frage gestellt, war aber in damaligen Parteikreisen durchaus umstritten. In ihrer ideologischen Ausrichtung – konservativ, katholisch, antikommunistisch – hatte die PNV gefährliche Überschneidungspunkte mit den Aufständischen. Einzelne Parteimitglieder unterwarfen sich folgerichtig nicht dieser Positionierung, sondern suchten die Reihen der Franquisten.

Was für Parteichef José Antonio Aguirre und sein politisches Umfeld (1904-1960) den entscheidenden Ausschlag für die Republik gegeben haben könnte, war das Versprechen aus dem damaligen Madrid, den Basken die lang ersehnte Autonomie zuzugestehen. 20 Jahre hatten baskische und navarrische Parteien darum gekämpft. Navarra war von dem Vorhaben abgesprungen, die drei übrigen baskischen Provinzen – Euskadi: Araba, Bizkaia, Gipuzkoa – erhielten die Autonomie am 7. Oktober 1936, genau 81 Tage nach der Putsch. Aguirre wurde in Bilbao als Lehendakari (Ministerpäsident) vereidigt, zum damaligen Zeitpunkt war Bizkaia der übrig gebliebene Einflussbereich der parteiübergreifenden ersten baskischen Regierung.

Der Film thematisiert diesen Umstand nicht weiter, er beschränkt sich auf Andeutungen. Wenn zum Beispiel von baskischen Nationalisten die Rede ist, die mit den Nazis kommuniziert oder verhandelt hatten, dann ist, ohne dies explizit zu sagen, die PNV gemeint. Auch kurz vor dem faschistischen Einmarsch in Bilbao im Juni 1937 hatte die Partei versucht, mit den Franquisten zu verhandeln, um die schlimmste Repression zu vermeiden. Insofern kommt der Aussage des Uniprofessors Ludger Mees eine besondere Bedeutung zu, denn er ist PNV-Mitglied.

hak6Ultrarechte Lesart

Das weit rechts stehende Nachrichten-Portal Libertad Digital (Digitale Freiheit) ergänzt die Filmaussagen hinsichtlich einer möglichen Unabhängigkeit des Baskenlandes mit Hilfe der Nazis (9). “Wir mussten endlich einmal auf Seiten der Gewinner stehen“, wird der besagte Ex-Bürgermeister von Donostia, Ramón Labayen (PNV) zitiert. “Wir hatten gewisse Hoffnungen, dass die Nazis uns gegen Franco unterstützen könnten.“ Nach Informationen des Naziführers Werner Best “erwarteten die Basken die Erfüllung zumindest eines Großteils ihrer nationalen Forderungen“. Nach Ansicht des ebenfalls für den Dokfilm interviewten Uni-Historikers Santiago de Pablo unterhielt die PNV “keine strategische Allianz“ mit den Nazis. Die von Aguirre autorisierten Kontakte zeigten vielmehr den politischen Opportunismus der PNV-Führung vor dem Hintergrund eines Krieges, der bis 1942 von den Nazis dominiert war. “Es scheint, sie wollten sich eine Hintertür offen halten, falls die Nazis den Krieg gewinnen sollten, und innerhalb dieser neuen europäischen Landkarte die Unabhängigkeit erreichen“, sagte der Historiker. Laut Ludger Mees war das Ziel der PNV, baskische Gefangene zu retten und den Frankreich-Flüchtlingen Mut zu machen. Mees enthüllte die Existenz deutscher Berichte, in denen zu lesen ist, das baskische Volk sei “überzeugt, dass es nicht vergessen oder missachtet wird“ im neuen Europa, auch wenn die Nazis Zweifel hatten bezüglich der wahren Beweggründe der PNV. Denn die hatte im Krieg von 1936 bis 1939 ja immerhin “mit separatistischen Roten“ kooperiert. (9)

Nachbemerkung

Anzufügen wäre, dass die Exilregierung Aguirre sich auch den Alliierten andiente, um sicherzustellen, dass nach dem Sieg gegen die Nazis das franquistische Spanien nächstes Etappenziel sein sollte. Basken erledigten Spionagedienste für die Briten und integrierten sich in der Resistance. Innerhalb der französischen Befreiungstruppen wurden baskische Brigaden gegründet. So war es das baskische Bataillon Gernika, das 1945 in der sogenannten Medoc-Schlacht die Nazis angriff. Bei diesen Gefechten auf der Halbinsel Medoc südwestlich der Gironde, zwischen Bordeaux und dem Atlantik, bildeten baskische Einheiten die Speerspitze gegenüber den verschanzten Nazis. (10)

ANMERKUNGEN:

(1) Information aus: “Nazis en la Muga“ (Nazis an der Grenze), Tageszeitung Deia, 2013-09-20

(2) Der Bidasoa ist der Grenzfluss zwischen dem französischen und dem spanischen Baskenland, Iparralde und Hegoalde.

(3) Video: ”Una esvástica sobre el Bidasoa”, Youtube (Ein Hakenkreuz über dem Bidasoa, Trailer spanisch) (LINK)

(4) Video EITB, Youtube (spanisch): ”La fascinación de los nazis por los vascos” (LINK)

(5) Léon Degrelle, Wikipedia (LINK)

(6) Sabino Arana Goiti Arana, baskischer Schriftsteller und Politiker (1865-1903), wird zu den Begründern des baskischen Nationalismus gezählt. Arana brach mit dem Karlismus und entwickelte ein neues politisches und soziales Konzept, dem baskischen Volk schrieb er besonderen Rassencharakter zu. Euzkadi war für ihn das "Vaterland der Basken". 1892 erschien sein Werk "Bizcaya por su Independencia"(Bizkaia für seine Unabhängigkeit). Wegen seiner politischen Aktivitäten mehrfach eingesperrt, gründete er zusammen mit seinem Bruder Luis 1895 die Baskische Nationalistische Partei EAJ/PNV (spanisch: Partido Nacionalista Vasco, baskisch: Eusko Alderdi Jeltzalea).

(7) Video: “The Basque Swastika / Una esvástica sobre el Bidasoa”, Youtube (LINK)

(8) Interview der beiden Filmemacher während der Dokumentamadrid (LINK)

(9) “Un documental narra que el PNV negoció con los nazis la independencia vasca” (Ein Dokumentarfilm erzählt von Verhandlungen der PNV mit den Nazis über die baskische Unabhängikeit) Libertad Digital 2013-09-22 (LINK)

(10) “Basken im 2. Weltkrieg – Vergeltung des Gernika-Bataillons“, Baskultur.Info (LINK)

ABBILDUNGEN:

(*) Film: Hakenkreuz Bidasoa (EITB)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2019-12-26)

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