Regisseur aus Bilbao gewinnt einen Goya
Vom Baskenland ist Gaizka Urresti vor Jahren nach Zaragoza gezogen, wo er an der Universität Filmwissenschaften lehrt. Seit dreißig Jahren im Filmgeschäft produziert er seit 10 Jahren selbst Filme. Verschiedene regionale Filmpreise konnte er für sich entscheiden, wiederholt war er beim spanischen Film-Festival Kandidat für Goya-Preise. Im Jahr 2014 schließlich erhielt er den Preis für den besten Fiktions-Kurzfilm "Agencias abstenerse" (Agenturen nicht anrufen).
"Ich will kein Sklave sein, sondern ein Bürger". Den Goya-Preis in der Hand machte der Filmemacher Gaizka Urresti (Bilbao, 1967) diese Absichtserklärung bei der kürzlich erfolgten Verleihung der Auszeichnung. Urresti hat an der baskischen Universität EHU-UPV Informations-Wissenschaften studiert und ist mittlerweile Produzent, Drehbuch-Autor, Regisseur, Kulturmanager und Dozent für Film und Fernsehen. Der in Zaragoza lebende Urresti ist entschlossen, den Rückenwind des Goya-Gewinns für seine nächsten Projekte zu nutzen: die Komödie "Bendita calamidad" (Gesegnetes Unglück), sowie einen längeren Dokumentarfilm über José María Arizmendiarrieta, den Gründer der Genossenschafts-Bewegung Mondragon.
F: Fast eine Woche nach den Wirbel um die Goyas, was steht nun an?
A: Mit oder ohne Goya sollte meine Karriere weitergehen, denn Ziel ist nicht, einen Preis zu gewinnen, sondern das Filmemachen. In der Tat kann der Preis dabei helfen, angesichts der aktuellen schwierigen Situation. Was du nicht erwarten kannst ist, dass sie dich zu Hause anrufen, nur weil du einen Goya gewonnen hast und dich fragen, was du gerne machen würdest. Du musst dir immer neue Projekte ausdenken, sie vorstellen und sie in die öffentliche Diskussion bringen. Vielleicht hilft der Goya ein wenig, aber darüber spreche ich besser in ein paar Monaten ...
F: Helfen in Hinsicht auf welches Projekt?
A: Seit langem arbeite ich an einem Spielfilm und an einer Komödie (Gesegntes Unglück), und tatsächlich wollte ich mit der Vorstellung des Projekts beim spanischen Fernsehen erst auf die Goyas warten, in der Hoffnung, mit einer Auszeichnung im Rücken ernster genommen zu werden.
F: In welcher Phase ist diese Komödie?
A: Ich bin sehr motiviert - obwohl ich ein Pechvogel bin, mache ich eine Komödie! Ich hoffe, im Sommer mit den Dreharbeiten beginnen zu können. Sie basiert auf dem gleichnamigen Roman, den mein Freund Miguel Mena vor 20 Jahren schrieb und sie ist ziemlich lustig. Erzählt wird die Geschichte von zwei verrückten Brüdern, die auf Rat eines skrupellosen Anwalts die Entführung eines wohlhabenden Geschäftsmanns beschließen, dann aber dummerweise während der Fiestas den lokalen Bischof erwischen ...
F: Gleichzeitig planen Sie einen Dokumentarfilm über den Gründer der Genossenschafts-Bewegung Mondragón, den Pater José María Arizmendiarreta.
A: Ich halte ihn für einen Meister der Werte, die heutzutage in der Krise sind. Ein Freund sagte kürzlich, man müsse an diese Persönlichkeit erinnern, denn trotz seines Erfolges sei er ziemlich in Vergessenheit geraten: ein Mann aus einer kleinen Stadt im Landkreis Deba. In den 50er Jahren, also mitten in der Franco-Zeit, begründete er eine Bewegung, die für seine Zeit wirklich revolutionär war. Die Idee stand dem Kapitalismus kritischer gegenüber als dem Kommunismus. Zu allererst setzte er auf Bildung. Nächste Woche reise ich nach Paris, denn eine französische Produktionsfirma interessiert sich für die Co-Produktion des Projekts.
F: Mit dem Goya in der Hand haben Sie sich bei der Preisverleihung ziemlich kritisch geäußert.
A: Natürlich, ich verstehe nicht, warum die Menschen denken, dass wir Kulturschaffenden keine eigene Meinung haben. Ich spreche über das Thema, bei dem ich mich am Besten auskenne, also die Kultur im Allgemeinen und insbesondere das Filmschaffen, mit über 30 Jahren Erfahrung auf dem Rücken. Ich habe deutlich mehr Erfahrung als die meisten der aktuell Regierenden. Und ich fühle mich im Recht – und auch verpflichtet – meine Meinung zu äußern.
F: "Kultur ist nicht entbehrlich, sie macht uns etwas freier", das waren Ihre Worte. Kann es sein, dass dieses Konzept vom "freien Bürger" in der öffentlichen Dskussion gar nicht so sehr interessiert?
A: In diesem Land wird die Kultur als notwendiges Übel verstanden, im Gegensatz zu anderen Ländern wie Frankreich, die ich sehr schätze. Dort wird die Kultur als Schlüsselelement der nationalen Identität und der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung verstanden. Hier dagegen ist Kultur entbehrlich, umso mehr bei dieser Wirtschaftslage, wo es dringend notwendig wäre, dass wir nicht gepfändet werden und uns das Krankenhaus nicht geschlossen wird. Ich strebe nach einem Leben mit etwas mehr Wohlstand, in dem ich Geschichten, Musik, Theater, Kino, Presse genießen kann. Bei der Goya-Gala habe ich meine Worte bestätigt gesehen: ich will kein Sklave zu sein, sondern ein Bürger, und die Kultur hilft uns dabei.
F: Aber wenn um die Frage geht, ein Kino zu schließen oder ein Krankenhaus, dann zieht das Kino in der Regel den Kürzeren ...
A: Sicher, aber ich halte diese Vergleiche für gefährlich. Ich will nicht, dass wir betrogen werden mit der Weisheit, Kultur sei ein entbehrlicher Luxus. Wenn wir diesem Weg folgen, wird am Ende alles Luxus sein, außer der Arbeit und der Luft zum Atmen.
F: Sie meinen also, hinter dieser Prioritäten-Setzung steckt eine schlechte Absicht?
A: Es gibt zwei Möglichkeiten: entweder sind die Regierenden ziemlich dumm oder sie haben schlechte Hintergedanken. Nehmen wir die Kultursteuer als Beispiel, die Experten bezeichnen sie als wirtschaftliche Dummheit. Eine Maßnahme ohne jeglichen Sinn. Frankreich verzeichnet bei den Kinobesuchen ebenfalls einen Rückgang, aber dort wurde beschlossen, die Steuern zu senken. Darüber hinaus hat sich dieses Modell von Sponsoring und Schirmherrschaften, über das so viel gesprochen wird, als Lüge entpuppt. Und wenn wir uns daneben noch Aussagen wie die des Finanz-Ministers oder die Frechheit des Ministers für Kultur vorstellen, dann scheint es, dass diese Herrschaften die Probleme nicht beheben wollen sondern sie verschlimmern. Dabei ist für die aktuelle Situation nicht ausschließlich die gegenwärtige Regierung verantwortlich.
F: Was meinen Sie damit?
A: In Spanien haben immaterielle Werte noch nie eine große Rolle gespielt. Im Land des Don Quijote sind wir alle Sancho Panzas, also Knechte. Die Windmühlen, mein Land , mein Haus ... aber Forschung oder Investition in ein wirtschaftliches Projekt? Das sollen andere machen. Die Krise hat die Situation nur verschlimmert. Es ist ein perfekter Sturm, denn die Kürzungen im Kulturbereich gehen im Gleichschritt mit der technologischen Entwicklung, die freien und kostenlaosen Zugang zu Inhalten ermöglicht ... Inhalte, für die niemand zahlen will.
F: Sie unterrichten in Zaragoza Audiovisuelle Förderung, die ewig "unstrittene Frage"?
A: Das spanische Kino hat vor allem ein Problem beim Wettbewerb mit den USA: die Lücken in der Förderung . Was fehlt sind nicht Talente, sondern Ressourcen. Die Hälfte des Haushalts eines amerikanischen Films sind Ausgaben für die Förderung, dabei geht es um Millionen Dollar. Hier dagegen schaffen wir es gerade mal, einen Film zu produzieren, es bleibt den Medien überlassen, darüber zu informieren und dafür zu sorgen, dass über die Filme gesprochen wird. Das Publikum tendiert im Allgemeinen zum Spektakel, lieber 8 oder 9 Euro Eintritt bezahlen für eine Superproduktion wie "Der Hobbit", mit vielen Spezialeffekten produziert, zum Nachteil von Filmen hoher Qualität, aber bescheidenem Budget. Wir spielen unfreiwillig nach den Regeln der nordamerikanischen Filmindustrie.
A: Das ist ziemlich schwierig. Wenn wir zum Beispiel an den traditionellen Vorführungs-Regeln festhalten. Wir haben nicht die finanziellen Mittel, um in der nordamerikanischen Dynamik des Hit&Run mitzuhalten (nimm das Geld und hau ab). Vor 25 Jahren waren Filme wochenlang in den Kinos, jetzt rotieren sie ziemlich schnell. Wenn der Film in den ersten Tagen nicht gut läuft, wird er aus dem Programm genommen. Außerdem ist der spanische Film voller Klischees: ohne einen Film gesehen zu haben, wird er als schlecht beurteilt, geklagt wird über angeblich zu viele Filme über den Bürgerkrieg, dabei sind es nur zwei oder drei pro Jahr, abgesehen davon laufen die noch am Besten.
F: Für Ihre Komödie "Gesegnetes Unglück" haben Sie auf Crowdfunding zurückgegriffen. Ist dieses Konzept die Rettung für das Kino?
A: Es ist eine interessante Vorgehensweise, hier ist sie noch etwas neu. Nicht schlecht als ergänzendes Mittel zur Finanzierung. Aber ich halte es für unmöglich, einen kommerziellen Film nur über dieses System von Mikro-Spenden zu produzieren. In meinem Fall wäre ich zufrieden, wenn ich 10% des Gesamtbudgets erreichen könnte. Nach mehreren Monaten und viel Arbeit von Seiten einer Firma aus Portugalete, die mir ohne Eigeninteresse geholfen hat, haben wir 5.000 € gesammelt, dank 70 bis 80 Personen, denen ich sehr dankbar bin. Dennoch trägt das Crowdfunding gewisse Gefahren in sich ...
F: Welche zum Beispiel?
A: Einerseits laufen wir Gefahr, dass wir damit nicht dem Kino helfen, sondern dass uns gesagt wird: hört auf hier rumzunerven, haltet euch an das Crowdfunding. Damit wären wir wieder auf den Amateurfilm zurückgeworfen. Gleichzeitig hat es die entwürdigende Komponente, den Bettelhut aufzuhalten – bei allem Respekt für diejenigen, die darauf zurückgreifen. In diesem Sinne bin ich mehr für Crowd als für Funding, das heißt, ich sehe dieses Konzept als Möglichkeit, mit dem Publikum in Verbindung zu treten und Gemeinschaft zu schaffen.
F: Worauf geht diese "Amateur-Konzeption" zurück, auf die Filmemacher zurückgeworfen werden?
A: Das hat eine lange Geschichte, dahinter steckt jene romantische Vision, nach der ein Schöpfer erst hungern und leiden muss, damit seine Arbeit geschätzt und als authentisch angesehen werden kann. Kafka – was für ein großer Schöpfer, weil er an Hunger litt! Mozart hingegen lebte von seiner Arbeit ... Was ich mir vorstelle ist, dass sich eine kreative Gemeinschaft nicht um ihre Grundbedürfnisse kümmern muss. Das Problem ist, vom Film anständig zu leben. Aber trotzdem geht es immer weiter, weil es notwendig ist, dass wir Geschichten erzählen und dass wir welche hören. Die Gesellschaft muss erkennen, dass die Kultur für ihre Entwicklung notwendig ist. Wenn dies laut genug gerufen wird, machen sich vielleicht auch Politiker diese Forderung zu eigen.
Im Jahr 2012 legte Gaizka Urresti den 80-minütigen Dokumentarfilm La vida inesperada" vor, in dem das Schicksal von geistig Behinderten geschildert wird. Der Plott des Goya-Gewinner-Films, "Abstenerse Agencias" (Agenturen nicht anrufen): ein junges Paar, Laura und Guille, suchen am Weihnachtstag die Witwe Amparo in ihrer Wohnung auf, um sie zu kaufen. Die alte Frau ist mehr an Kommunikation interessiert als am Verkauf. Zwischen den dreien entsteht eine folgenreiche Beziehung.
Weitere von Gaizka Urresti als Regisseur, Drehbuch-Autor und Produzent geschaffene Filme: Malicia en el País de las Maravillas (Malicia im Wunderland, 2004), Raíz (Wurzel, 2003), El Corazón de la Memoria (Das Herz der Erinnerung, 2001), Un Dios que ya no Ampara (Ein Gott der nicht mehr schützt, 2010), El Último Guión. Buñuel en la memoria (Das letzte Drehbuch. Erinnerung an Buñuel, 2008), Por qué Escribo (Warum ich schreibe, 2013).
Quelle:
* Wikipedia Gaizka Urresti
* Tageszeitung Deia, 15.2.2014; Originaltitel: "Gaizka Urresti: Que no nos engañen, la cultura no es un lujo prescindible"
* promofest.org
* Übersetzung Baskultur.info
Fotos:
* Tageszeitung Heraldo.es
* Web porqueescribo.com
* Web beewatcher.es