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Europa korrigiert so gut es geht

Nie hat sich die spanische Justiz aus dem Schatten der Diktatur gelöst. Das politische Sondergericht (AN) blieb bestehen, Parteien wurden verboten, Künstler*innen eingesperrt oder ins Exil getrieben. Insbesondere katalanische und baskische Aktivist*innen sind davon betroffen. Die Generation der franquistischen Richter ist abgetreten, doch die Schule für die neuen Jurist*innen ist fest in ultrarechter Hand. Skandalöse Urteile gibt es nahezu am Fließband. Europa muss gelegentlich korrigierend eingreifen.

Die spanische Justiz kommt nicht aus den Schlagzeilen: Freisprüche für Vergewaltiger, Maulkorb-Urteile gegen Künstler und parteiliche Justiz gegen politische Aktivist*innen sind an der Tagesordnung. Verhältnisse wie in der Türkei. Richter werden nicht nach Kompetenz bestimmt, sondern nach Parteibuch.

Wiederholt hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg spanische Gerichtsinstanzen gemaßregelt, kritisiert oder korrigiert. Zum Beispiel die willkürliche Haftverlängerung von baskischen Gefangenen, die eigentlich schon längst hätten entlassen werden müssen. Oder die fehlende Ernsthaftigkeit bei der Untersuchung von Foltervorwürfen. Oder rein politische Kriterien beim Verbot von Parteien. Oder die Inhaftierung katalanischer Politiker*innen. Oder das Urteil im Prozess gegen sechs Jugendliche in Altsasua.

Die Linie ließe sich endlos fortsetzen. In einem Prozess im Jahr 2017 urteilte ein Richter vier Polizeibeamte als unschuldig, die nach einer Festnahme eine Baskin vergewaltigt hatten – nachdem er vorher von derselben Polizeieinheit einen Ehrenpreis erhalten hatte. Von Unabhängigkeit keine Spur. Skandale wie dieser werden in spanischen Gefilden kaum zur Kenntnis genommen, weil sie von der – ebenfalls parteiischen – Presse gedeckelt werden. In Katalonien rufen sie Protest und Aufsehen hervor, im Baskenland haben sich alle schon daran gewöhnt. Schon im Franquismus galten Bizkaia und Gipuzkoa als „Verräter-Provinzen“, die für ihre Widerständigkeit im Spanienkrieg besonders hart bestraft werden mussten. Daran hat sich nach dem Tod des Generalisimo und dem scheinbaren Einzug der Demokratie nicht viel geändert. Unter dem Motto „Alles ist ETA“ wurde seither auf alles eingeprügelt – und viele Tausende gefoltert – die sich gegen die herrschende postfranquistische Logik regten. Die beiden großen Parteien – Postfranquisten und Sozialdemokraten – besetzen bis heute die entscheidenden Gerichte, damit weiter politische Urteile nach ihrem Geschmack gefällt werden.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte

polju02Der kurz EGMR genannte Gerichtshof in Straßburg hat bereits mehrfach Urteile spanischer Instanzen verworfen. Doch vielen Verurteilten nutzt das wenig. Denn sie müssen immer warten bis der spanische Rechtsweg ausgeschöpft ist, bevor sie sich an europäische Instanzen wenden können. Nach dem ersten Urteil im Staat muss der Nationale Gerichtshof entscheiden, dann der Oberste Gerichtshof und danach das Verfassungsgericht. Erst dann – nach Jahren – ist Europa an der Reihe. Als zum Beispiel im Jahr 2012 in Straßburg festgestellt wurde, dass die Haftverlängerung gegen ETA-Häftlinge illegal sei, hatten einige der Betroffenen bereits bis zu sieben Jahre extra gesessen, mehr als 80 Personen. Im sogenannten Bateragune-Fall wurde erst nach Haftverbüßung –ca. neun Jahre nach dem Urteil – festgestellt, dass die sechs Verurteilten keinen fairen Prozess gehabt hatten.

Derzeit sind es drei Prozesse, die hohe Wellen schlagen und juristische Gerechtigkeit als Utopie erscheinen lassen. Zum einen das Verfahren gegen die katalanischen Politiker*innen, die seit einem Jahr einsitzen und denen über Hochverrat 30 Jahre Gefängnis drohen, weil sie Wahlurnen für ein Referendum aufgestellt hatten. Zum zweiten der Prozess wegen einer Massenvergewaltigung bei den Fiestas in Iruñea (spanisch: Pamplona), der mit einer niedrigen Haftstrafe wegen „sexuellen Missbrauchs“ endete und wütende Proteste nach sich zog. Fünf Männer hatten eine junge Frau mehrfach auf alle vollstellbaren Weisen vergewaltigt – auch patriarchale Justiz ist politische Justiz. Der dritte international Aufsehen erregende Prozess ist jener gegen sieben Jugendliche aus dem navarrischen Ort Altsasua, für die wegen einer Schlägerei mit Polizisten bis zu 60 Jahre Haft wegen Terrorismus gefordert werden.

Ereignisse in Altsasua

Wenn es in Andalusien zu einer Kneipenschlägerei kommt, kann die Angelegenheit mit Bußgeld ausgehen, selbst wenn Polizei mit beteiligt war. Im Baskenland wird daraus Terrorismus gemacht. Der Fall geht auf 2016 zurück, als nachts um vier Guardia Civil Beamte in Zivil in einer Kneipe aufgelaufen waren, in der sie als Dauerrepressoren nicht erwünscht waren. Es kam zu Auseinandersetzungen, die im Anschluss völlig kontrovers dargestellt wurden. Erst acht und mittlerweile vier junge Leute sitzen in Haft, nachdem sie zu hohen Strafen verurteilt wurden.

„Wenn man uns in einigen Jahren recht geben wird, ist es längst zu spät“, werden die Verurteilten auf einer Kundgebung in Iruñea (Pamplona) zitiert. Ainara Urkijo verliest einen Brief von sieben Freunden aus ihrer Kleinstadt Altsasua, die zum Teil seit zwei Jahren in spanischen Gefängnissen sitzen. Auch die junge Frau wurde wegen der Rangelei mit zwei Zivilgardisten erstinstanzlich am Nationalen Gerichtshof in Madrid verurteilt. Ainara erhielt Haftverschonung und mit zwei Jahren eine geringere Strafe. Ihre Freunde bekamen zwischen neun und zwölf Jahre aufgebraten und es könnte noch dicker kommen. (1)

polju03Wie die Gefangenen und ihre Angehörigen verlieren immer mehr Menschen wegen Justizskandalen die Hoffnung in die Justiz. Es ist kein Zufall, dass kürzlich Richter und Staatsanwälte nicht nur für mehr Lohn und bessere Ausstattung der Gerichte gestreikt haben, sondern auch für eine „unabhängige Justiz“. Dass es daran mangelt, war Tenor auf dem zweitägigen Kongress, der Anfang November in Iruñea zum zweiten Jahrestag der Verhaftungen in Altsasua organisiert wurde. (1)

Dabei äußerte sich Garbiñe Biurrun, Richterin am Obersten Gerichtshof im Baskenland. Sie meint, dass es wohl erst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg sein wird, der das Unrecht gerade rücken wird. Sie hofft aber auf „eine neue Generation in der Justiz, um mit solchen Fällen Schluss zu machen“. Wie viele Kollegen hält auch sie die Vorwürfe für überzogen. Sie verweist darauf, dass der Nationale Gerichtshof „sehr zugänglich für politische Interessen“ sei. Die Vereinigung Richter für Demokratie, der sie angehört, fordert immer wieder die Abschaffung des Sondergerichts, das mit dem Fall betraut ist. (1)

Romanhafte Urteile

Die Professorin Soledad Barber sprach davon, dass die Justiz im Fall Altsasua „romanhafte“ Erzählungen aufgebaut habe, die „nicht von Tatsachen gestützt werden“. Die Rechtsexpertin stellte „verschiedene Anomalien“ fest, wie eine unzulässige Anwendung von strafverschärfenden Umständen, mit denen die Urteile begründet werden. Auch ihre Kollegin Olga Rodríguez arbeitete massive Verletzungen von Rechtsgrundsätzen heraus und wies auf etliche Ungereimtheiten und Widersprüche hin. Dabei schaut Rodriguez mit wenig Optimismus nach Straßburg, denn die öffentliche Meinung im Staat sei ohnehin schon vergiftet vom antibaskischen Diskurs. „Da ist es egal, was in Europa in einigen Jahren festgestellt wird“. (1)

Möglich ist, dass die Betroffenen ihre Strafe sogar abgesessen haben, bevor in Europa entschieden wird. So war es im Fall von baskischen Politikern. Mehr als sechs Jahre hatten Arnaldo Otegi, Chef der linksnationalistischen Partei EH Bildu (Baskenland vereinen), und vier Mitstreiter als imaginäre Mitglieder der Untergrundorganisation ETA abgesessen. Seit zweieinhalb Jahren wieder in Freiheit kassierte der EGMR vor zwei Wochen das Urteil, weil sie kein faires Verfahren hatten. Längst ist auch klar, dass sie an der abgeschlossenen Auflösung und Entwaffnung der ETA gearbeitet haben und nicht an deren Reorganisation, wie es ihnen vorgeworfen wurde. (1)

Die Anwältin der Altsasua-Gefangenen kennt das Problem mit Straßburg, wo Spanien immer wieder auch wegen Folter verurteilt wird. Amaia Izko hatte es 2012 geschafft, die Freilassung von Dutzenden Basken durchzusetzen, deren Strafen willkürlich verlängert wurden. Sie glaubte, die spanische Justiz könne nicht noch tiefer sinken, doch „im Fall Altsasua war es der Fall“, sagte sie. Es sei eine politische Frage. Sie hofft auf Druck aus Europa, um die Freiheit der acht jungen Leute zu erreichen. Schützenhilfe erhält Izko von Maite Mola im Europaparlament. „Ihr habt meine vollständige Unterstützung“, sagte die Vizepräsidentin der Europäischen Linkspartei (EL) den Angehörigen. „Altsasua ist ein klarer Angriff auf die Menschenrechte«, erklärte die Kommunistin auf dem Kongress. Sie hofft, dass die Linke geeint auch andere Vorgänge auf die Tagesordnung setzt, wie die Freilassung der inhaftierten katalanischen Politiker*innen. Das sagte sie zu den beiden Parlamentariern der Republikanischen Linken (ERC), die aus Solidarität angereist waren. Denn auch der Parteichef von Gabriel Rufián und Joan Tardá sitzt wegen einer angeblichen Rebellion im Knast: Oriol Junqueras, der bei den Europawahlen 2019 aus dem Gefängnis heraus als Spitzenkandidat antreten will. (1)

polju04Der „Terrorismus“ von Altsasua

„Die spanische Justiz ist ein Repressions-Werkzeug“ – sagt die Baskin Bel Pozueta über das Verfahren. Bel Pozueta ist die Mutter von Adur, einem von acht angeklagten Jugendlichen im Fall Altsasua. Die baskischen Jugendlichen wurden wegen einer Kneipenschlägerei mit zwei Polizisten der spanischen Militärpolizei Guardia Civil, die nicht im Dienst waren, mit einem Terrorverfahren belangt. Ein Interview von Ralf Streck aus der Tageszeitung Neues Deutschland (2):

Was geschah vor gut zwei Jahren in Altsasua in der Bar Koxka?

In der Nacht des 15. Oktober kam es zum Streit. Darunter waren zwei Mitglieder der Guardia Civil. Der Streit verlagerte sich vor die Kneipe, wo geschubst und gestoßen wurde. Ein Beamter brach sich dabei einen Knöchel. Die Regionalpolizei nahm in der Nacht zwei Leute fest, die am Tag darauf vom Haftrichter aber freigelassen wurden. Als eine Info-Versammlung anberaumt wurde, kam es zum Aufmarsch der Guardia Civil, die Altsasua besetzte. Zuvor gab es einen Tweet vom damaligen Regierungschef Mariano Rajoy. „Das wird nicht ungestraft bleiben“, schrieb er.

Erklärte nicht der damalige Innenminister Jorge Fernández Díaz, dass zwar ein „Hassdelikt“ vorliege, dass es aber keinen Zusammenhang zur „kale borroka“ (Straßenkampf) gäbe, den es lange im Baskenland gab? (3)

Das sagte er sogar noch vor einer guten Woche. Auch ein hoher Offizier der Guardia Civil erklärte, das Zusammenleben hier sei einigermaßen normal. Im spanischen Fernsehen wurde aber wirklichkeitsfremd behauptet, wir seien vom Hass beseelt, spanische Beamte würden angespuckt, wenn sie die Kaserne verlassen. Kurz darauf wurde eine Terrorismus-Anzeige am Nationalen Gerichtshof in Madrid eingereicht. Eigentlich wurden die Ermittlungen in Pamplona geführt, wo der Vorgang wie andere Kneipenstreitereien behandelt wurde.

Wie kam es zu den Verhaftungen vor fast genau zwei Jahren?

Sie kamen am 14. November. Im Fall unseres Sohns Adur hatten sie keine gerichtliche Anweisung und zogen wieder ab. Adur fuhr aber sofort nach Madrid, um sich zu stellen. Die Richterin sagte aber, sie habe keine Zeit, er solle in zwei Tagen wiederkommen. Was er auch tat. Trotzdem wurde er wegen Fluchtgefahr eingesperrt. Medien hatten das schon vor der Vernehmung berichtet. Das sagt viel über deren Rolle aus.

Wie sah es bei den übrigen Angeschuldigten aus?

Angeschuldigt wurden elf Personen. Eine Frau, die nachweislich krank im Bett lag, wurde sofort freigelassen. Sie wurde zuvor als Mitglied der Untergrundorganisation ETA diffamiert. Einer, der noch in der Tatnacht festgenommen wurde, kam auch frei.

Acht Angeklagten wurde im Frühjahr wegen Terrorismus der Prozess am Nationalen Gerichtshof gemacht und Haftstrafen bis zu 62 Jahren gefordert. Wie erlebten das die Familien, Freunde und eine Kleinstadt mit rund 7000 Einwohnern?

Mit Angst, Beklemmung, Traurigkeit und Wut. Wir haben uns aber schnell zusammengeschlossen und erhalten viel Solidarität. Das ist sehr wichtig. Sonst hätten wir das nicht durchgestanden. Solche Vorgänge sind im Baskenland nicht neu, aber wenn du es in der eigenen Familie erlebst, ist das schrecklich.

polju05Wie lief der Prozess ab?

Mit vielen Ungereimtheiten und Widersprüchen. Zuvor hatte der Gerichtshof in Navarra, der zunächst ermittelt hatte, klargestellt, dass es keinen Terrorismus gab, weshalb das Verfahren hier geführt werden sollte. Doch das wurde verworfen. Der Nationale Gerichtshof in Madrid lehnte im Vorfeld alle Beweise der Verteidigung ab. Darunter war auch ein Video des baskischen Fernsehens. Es zeigt, dass mein Sohn gar nicht in der Kneipe war, sondern bei einem Ballspiel. Er trug auch kein rotes T-Shirt, wie ein Guardia Civil behauptete. Obwohl das Video auf starken Druck doch zugelassen wurde, wurde Adur als Haupttäter zu zwölf Jahren verurteilt. Ein weiteres Video beweist, dass dem Guardia das Hemd zerfetzt wurde und er nicht blutbeschmiert war, wie er behauptet hatte. Es zeigt ihn nach den Vorfällen mit sauberem Hemd, als er freundschaftlich mit einem der Verurteilten spricht. Jokin Unamuno, der den Handyfilm aufnahm, bekam auch zwölf Jahre, obwohl der Unteroffizier auch ihn in der Nacht nicht identifizierte.

Ist es ein Erfolg, dass es keine Terrorismus-Verurteilung gab?

Vielleicht hätten sie dann weniger bekommen, als für Angriff auf Staatsbeamte, Körperverletzung und Störung öffentlicher Ordnung. ETA-Mitglieder, bei denen Waffen gefunden wurden, bekamen schon mal weniger. Und alles ist offen. Auch die Staatsanwaltschaft ging in Berufung und hält an den Anschuldigungen fest.

Gibt es Hoffnungen?

Wenig. Es ist klar, dass die spanische Justiz ein Repressionswerkzeug ist und von einer Elite benutzt wird. Man kann das auch im Fall Kataloniens sehen. Erstaunlich ist, dass es heute mehr Urteile zu Terrorismus gibt, als zu ETA-Zeiten. Das Baskenland war stets ein Repressionslabor, was hier entwickelt wird, breitet sich über das gesamte Land aus. Alle kritischen Menschen bekommen es zu spüren. (Interview Ende) (3)

Richter und Staatsanwälte streiken für unabhängige Justiz

Ein Justizskandal nach dem anderen kommt im spanischen Staat ans Licht, das führte nun dazu, dass der Präsident des spanischen Kontrollrats der Justiz das Handtuch werfen musste. Weil die Justiz völlig überlastet ist und wegen fehlender juristischer Unabhängigkeit haben kürzlich zum zweiten Mal in der neueren Geschichte Richter und Staatsanwälte im gesamten Land gestreikt. Schon im vergangenen Mai gingen die Jurist*innen erstmals auf die Barrikaden. Obwohl kurz darauf die Volkspartei (PP) gestürzt wurde und in der neuen PSOE-Regierung nun eine Ex-Staatsanwältin das Justizministerium führt, die noch im Mai mitgestreikt hatte, änderte sich nichts. Gut 60% der Richter und knapp 40% der Staatsanwälte haben sich an dem Ausstand beteiligt, zu dem sieben verschiedene Vereinigungen aufgerufen hatten. Es ging den Juristen beim Streik auch um bessere Ausstattung, mehr Personal und höhere Gehälter, da die Gerichte völlig überlastet sind. (4)

Neuester Skandal: Die Sozialdemokraten von Pedro Sánchez hatten sich mit der PP auf die Erneuerung des Justiz-Kontrollrats (CGPJ) geeinigt, indem beide Seiten ihre Parteibuch-Kandidaten zum Einsatz brachten. Ausgehandelt wurde, dass ausgerechnet der PP-Kandidat Manuel Marchena, der bei der Anklage gegen Katalanen durch eine erfundene Rebellion international für Schlagzeilen sorgte, dem CGPJ und dem Obersten Gerichtshof vorstehen solle. Das ist schon deshalb bedenklich, weil es sich um einen klaren Rechtsbruch handelt. Denn das verfassungsausführende Gesetz stellt klar, dass es die 20 Mitglieder des Kontrollrats sind, die ihren Präsidenten wählen. Doch die neuen CGPJ-Mitglieder stehen nicht einmal fest. Also ist klar, dass beide Parteien nur solche Kandidaten nominieren, die sich der Logik unterordnen. (4)

Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sehen anders aus

polju06Fakt ist, dass die PP einen enormen Einfluss auf die Wahl hat, da die Partei aufgrund eines absurden Wahlrechts mit 33% der Stimmen über eine absolute Mehrheit verfügt im Senat, der allein 10 der 20 Mitglieder bestimmt. Dies kritisiert der Europarat schon seit Jahren und mahnte Veränderungen an. Doch statt demokratischer zu werden, zeigt Spanien auch unter der PSOE, wie sogar die geringe Kontrolle und Unabhängigkeit noch ausgehebelt werden kann. Weil viele Jahre nichts geschehen war, hatte die Group of States against Corruption (GRECO) des Europarates im letzten Bericht Veränderungen angemahnt. Darin wurde erneut eine „fehlende Reglementierung objektiver Kriterien und Bedingungen zur Evaluierung für die Ernennung von Kandidaten für Spitzenpositionen in der Justiz“ kritisiert. Richter und Staatsanwälte würden gemäß „politischer Verbindungen" und nicht nach „juristischen Verdiensten und Qualifikationen" ernannt. Festgestellt wurde, dass „keine der elf Empfehlungen" aus dem vorhergehenden Bericht, "zufriedenstellend umgesetzt wurden". (4)

Deal von Postfranquisten und Sozialdemokraten

Um dem ganzen Vorgang zur Ernennung neuer Richter auf Spitzenpositionen noch die Krone aufzusetzen, erschienen am Streiktag Nachrichten des PP-Sprechers Cosidó und trieben die Empörung der Juristen auf einen neuen Höhepunkt. In den Kurzmitteilungen begründet der PP-Politiker gegenüber Parteimitgliedern den Deal mit den Sozialdemokraten. Besonders die Tatsache, dass die PSOE-Kandidaten nun eine Stimmenmehrheit von 11 zu 10 haben sollten sowie die Beförderung des Richters Prada. Denn der hatte einen PP-Korruptionsskandal aufgerollt und viele PP-Korrupte und die Partei selbst verurteilt. Das könne „schlecht klingen", schrieb Cosidó. „Es ist jedenfalls gut, Prada aus dem Nationalen Gerichtshof zu holen", denn es sei besser, der sitzt im Kontrollrat, als „Urteile gegen die PP zu fällen". Der einstige Polizeichef und in den Sumpf des Innenministeriums verwickelte Cosidó hob hervor, dass die PP zwei wichtige Gerichte kontrolliert. Deutlich wird, was er von der Unabhängigkeit der Justiz hält. Warum sind diese beiden Kammern so wichtig für die PP? Die eine ist mit Korruptionsfällen betraut. Das ist für die von Korruptionsfällen zerfressene PP besonders wichtig. Sie wurde wegen des „effizienten Systems institutioneller Korruption" im Gürtel-Skandal verurteilt. Entweder ist es der PSOE egal, dass darüber Korruptionsbekämpfung behindert und Urteile am Obersten Gerichtshof gegen PP-Korrupte ausgehebelt werden können. Oder die Partei ist unfähig. (4)

polju07Warum die PP die zweite Kammer kontrollieren will, liegt ebenfalls auf der Hand. Es ist eine neu geschaffene Sonderkammer, die sich mit Parteiverboten befasst. Damit will die PP, deren neuer Hardliner-Chef Pablo Casado ständig nach dem Verbot von katalanischen Unabhängigkeits-Parteien schreit, die Hebel in die Hand bekommen. Kein Wunder, wenn der ehemalige Chef der baskischen Partei Batasuna darauf hinweist, dass es diese Kammer war, die auch seine Partei verboten hat. Arnaldo Otegi macht deutlich, dass es diese Justiz war, die ihn und weitere vier Politiker illegal für mehr als sechs Jahre inhaftiert hatte. Das Urteil gegen sie, in allen spanischen Instanzen in Spanien abgenickt, hatte vergangene Woche der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kassiert, weil sie kein „faires Verfahren" hatten. (4)

Der Streik der Richter und Staatsanwälte zeitigte in einem Punkt schon einen Erfolg. PP-Richter Marchena wird doch nicht dem Kontrollrat vorstehen. Er hat angesichts der veröffentlichten Nachrichten das Handtuch geworfen. Für die betroffenen Bask*innen ändert sich nichts mehr. Sie haben ihre durch Willkür-Justiz erzielten Haftstrafen längst abgesessen. Lebenszeit zahlt niemand zurück.

(Anmerkung: Kein Zufall, dass für die Zusammenstellung dieses Artikels drei Publikationen des im Baskenland lebenden Journalisten Ralf Streck herangezogen wurden – derzeit gibt es keinen besser informierten Berichterstatter. Ralf Streck schreibt für die Tageszeitung „Neues Deutschland“ und für Telepolis bzw. Heise.de)

(Publikation: Baskultur.info 2018-12-03)

ANMERKUNGEN:

(1) Zitate aus „Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verwirft häufig spanische Urteile“, Ralf Streck in Neues Deutschland; die übrige Information wurde ergänzt und leicht verändert (Neues Deutschland 20.11.2018)

(2) Aus „Die spanische Justiz ist ein Repressions-Werkzeug“, Interview von Ralf Streck mit Bel Pozueta aus Altsasua (Neues Deutschland 20.11.2018)

(3) kale borroka – baskisch für „Straßenkampf“. Kale borroka wurden die Kampagnen von Sabotage-Aktionen genannt, die vorwiegend von jungen Leuten aus dem Umfeld der baskischen Linken ausgeführt wurden. Polizei und Justiz behaupteten, die kale borroka sei von ETA organisiert, insofern wurden alle, die bei Aktionen erwischt wurden, wegen Mitgliedschaft bei ETA zu hohen Strafen verurteilt. Zum Beispiel für das Zerstören eines Bankautomaten oder das Verbrennen eines Müllcontainers, was anderswo im Höchstfall zu einer Bewährungsstrafe geführt hätte.

(4) Aus „Warum Richter und Staatsanwälte auch für unabhängige Justiz streiken“, Ralf Streck, Internetportal Heise.de (Link)

ABBILDUNGEN:

(1) Altsasua Demo-Plakat

(2) Carme Forcadell (cope)

(3) Bateragune-Prozess (naiz)

(4) Protest gegen patriarchale Justiz (argia)

(5) Bel Pozueta, Altsasua (naiz)

(6) Puigdemont (reuters)

(7) Demo Altsasua (afp)

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