orue1Franquistische Repression in Bilbo

Frauen, die 1937 in Bilbao franquistische Repression erlitten oder gar ermordet wurden – bei einer Gedenk-Veranstaltung im Stadtteil Santutxu wurde eine Geschichtstafel vorgestellt, die an das Schicksal jener faschistischen Unterdrückung von politisch aktiven Frauen erinnert. Im Blickpunkt die Villa Orue, von den Franquisten zu einem provisorischen Frauengefängnis umfunktioniert: fünf Jahre Gefängnis, später eine Klinik, Ende der 1960er Jahre Abriss. "Mit Erinnerung wird Würde wieder hergestellt".

Nach dem Einmarsch der Faschisten in Bilbao im Juni 1937 wurden Kirchen, Klöster und Fabriken zu Gefängnissen gemacht. Die Villa Orue im Stadtteil Santutxu wurde zu einem provisorischen Frauengefängnis.

María, Elvira, Teresa, Cecilia, Ana, Juana, Berta, Adelina, Feliciana, Juana und Leónides, aus Gemeinden wie Bilbo, Barakaldo, Sestao und Castro Urdiales stammend, waren zwischen 24 und 53 Jahre alt, als sie erschossen wurden, nachdem sie vorher im heutigen Bilbo-Stadtteil Santutxu inhaftiert waren. Sie waren Tagelöhnerinnen, Fischverkäuferinnen, Hausangestellte oder Journalistinnen. Mit der späten Ehrung am 26. November 2022 hat die Stadt Bilbo einen wichtigen Teil ihrer Geschichte aufgearbeitet. (1)

orue2Die elf ermordeten Frauen waren in einem der damaligen Frauengefängnisse eingesperrt, die sich in Santutxu befanden: im Frauentrakt des Provinzgefängnisses Larrinaga, im Frauengefängnis La Galera, oder in der Villa Chalet Orue in der Zabalbide-Straße. 1937 war Santutxu noch nicht mit den heute charakteristischen Wohnblocks bebaut. Bei der Villa Orue handelte es sich um ein mehrstöckiges Gebäude mit einer umgebenden Grünfläche. Es gehörte der Bürgerfamilie Orue, die das Haus bereits vor dem Krieg mit unbekanntem Ziel verlassen hatte. Die Bürgervilla Orue war nur 400 Meter vom Provinz-Gefängnis Larrinaga entfernt, weitere 50 Meter daneben das alte Frauengefängnis La Galera. An keinem anderen Ort im Baskenland konzentrierte sich die Repression derart gegen Frauen. Männer und Frauen wurden aus den Knästen geholt und an der Friedhofmauer von den Franquisten erschossen. An einem neu angelegten Blumenbeet am ehemaligen Orue-Standort wurde nun von der Stadtverwaltung eine Gedenktafel angebracht, zwischen den Straßen Zabalbide und Tenor Fagoaga, um an das Schicksal dieser Frauen zu erinnern.

Öffentlicher Gedenkakt

Vertreterinnen verschiedener Parteien und von Gewerkschaften wie der CNT und der UGT legten vor der Gedenktafel Kränze und Blumen nieder, ebenso die historische ANV (Acción Nacional Vasca) und antifaschistische Gruppen. Txistulari-Musiker intonierten das Lied “Txoria Txori“ von Mikel Laboa. An der Veranstaltung nahmen unter anderem Persönlichkeiten wie Denis Itxaso (Zivilgouverneur der spanischen Regierung), Itxaso Atutxa (Präsidentin des Bizkai Buru Batzar der PNV), Aintzane Ezenarro, Direktorin des Gogora-Erinnerungs-Instituts und Bürgermeister Aburto von Bilbo teil.

"Mit dieser einfachen, aber bewegenden Veranstaltung versuchen wir, die Erinnerung an die Frauen wiederherzustellen, die während des Krieges und der Diktatur zu Opfern wurden. Mehr als 2.500 Frauen durchliefen die Gefängnisse von Larrinaga und die Villa Orue in Bilbo. Die genannten elf Frauen wurden dort abgeholt und dann erschossen. Sie wurden inhaftiert wegen ihrer politischen Überzeugungen. Wir wollen ihnen ihre Würde zurückgeben. Wenn wir über Kriege sprechen, reden wir in erster Linie über Männer, dies ist eine erste Ehrung für die weiblichen Opfer des Krieges", sagte Bürgermeister Juan Mari Aburto.

Die Veranstaltung ist Teil eines städtischen Kalenders zur Aufarbeitung der Geschichte der franquistischen Diktatur in der Stadt. Die Initiative geht auf einen Antrag von antifaschistischen Erinnerungsgruppen zurück. Die Stadtverwaltung erinnerte daran, dass zwischen 1937 und 1942 Hunderte von Frauen, manchmal mit ihren Kindern, unter unmenschlichen Bedingungen wegen ihrer politischen Ideen inhaftiert waren oder aufgrund der bloßen Tatsache, Frauen zu sein, in vielen Fällen wurden sie gefoltert, vergewaltigt und auf andere Weise öffentlich erniedrigt und ermordet.

Hinlänglich bekannt ist die Geschichte der Gefängnisse Larrinaga und La Galera, deren Einrichtung bereits ins 19. Jahrhundert zurückgeht. Über das Chalet Orue (Villa Orue) hingegen war und ist bis heute wenig bekannt. Nicht einmal eine eindeutige Fotografie lag bis vor Kurzem vor. Der baskisch-deutsche Kulturverein Baskale entwickelte deshalb ein historisches Forschungsprojekt, um Informationen zu Orue zu sammeln. Ergebnis waren verschiedene Interviews mit Frauen, die als junge Mädchen in der Gefängnis-Villa Besuche machten, um ihre Tanten, Mütter oder Großmütter zu sehen.

Oiane Valero von Baskale

orue3Oiane Valero vom 2010 gegründeten Kulturverein Baskale, erklärte im Anschluss an die Veranstaltung gegenüber der Presse: "Wir sind froh, dass der Stadtrat das Thema aufgenommen hat. Es ist höchste Zeit, dass diese Frauen 85 Jahre danach ihre verdiente Anerkennung erhalten. Sie sollen in den Schulbüchern und auf unseren Straßen endlich eine Rolle spielen. Denn wir sind, was sie waren, und sie werden sein, was wir sind", sagte sie. Oiane Valero erinnerte daran, dass dieses Gefängnis später in eine Klinik umfunktioniert wurde, bevor es abgerissen wurde, um Wohnungen zu bauen. Da das Stadtviertel Santutxu praktisch neu ist (errichtet in den 1940er und 1950er Jahren), wussten viele Menschen zwar von der Klinik, aber nicht, dass es dort vorher ein Gefängnis gab. Diese 11 Frauen wurden aus unterschiedlichen Gründen ermordet. Die einen, weil sie kriegsfeindliche Nachrichten veröffentlichten, andere, weil sie ihre Ehemänner verließen. “Ihnen wurden andere Strafen auferlegt als den Männern. Das Verbrechen der aus Olabeaga stammenden Feliciana war Ehebruch. Mit ihrem Gefährten zusammen wurde sie zwei Jahre später verhaftet, sie wurde erschossen, er überlebte".

Opfer-Präsenz

Bei der Veranstaltung anwesend waren auch Angehörige von Frauen, die im Chalet Orue inhaftiert waren. Maialen Lizarralde Altuna ist die Enkelin von Matxalen, die zwei Jahre lang inhaftiert war. Während ihrer Zeit im Gefängnis lernte sie den Mann kennen, der später ihr Ehemann werden sollte. "Es war sehr emotional. Wir haben uns an das Leid erinnert, das sie erfahren haben, aber ich freue mich darüber, dass das Schweigen über diese Zeit gebrochen und die Würde wiederhergestellt wird. Es ist wichtig, dass alles ans Licht kommt, damit sich das Geschehene nicht wiederholt“. Auch die Tante von Carmen Zarate, die mit ihrer Tochter Maite Zarate gekommen war, war in Orue inhaftiert. "Sie war Lehrerin, die auf allen Ebenen unterdrückt wurde, in ihrem Beruf als Lehrerin wurde ihr kein Gehalt mehr gezahlt. Ihr ganzes Leben lang litt sie unter Racheakten, sie war eine Linke, eine Aktivistin der linken UGT-Gewerkschaft. Ihre Geschichte, ihr guter Name und ihre Ehre müssen wiederhergestellt werden. Und dafür ist es wichtig, dass das Geschehene anerkannt und bekannt wird", sagte Maite auf Baskisch.

Das Provinzgefängnis Larrinaga und das provisorische Frauengefängnis in der Villa Chalet Orue bildeten neben dem ebenfalls in Santutxu gelegenen Frauengefängnis La Galera die grundlegende Struktur für die strafrechtliche Unterdrückung von Frauen in Bizkaia, wo zwischen 1937 und 1942 schätzungsweise 3.000 Frauen inhaftiert waren. Die Villa Orue war ein mehrstöckiges Haus, das mit gefangenen Frauen völlig überbelegt war. Nach seiner Schließung wurde das Gebäude ab Mitte der 40er Jahre

zur bekannten medizinischen Spezialklinik Santa Marta umfunktioniert. Zwischen 1967 und 1968 wurde es abgerissen, um die heutigen Wohnhäuser der Gruppe Monsignore Remigio Gandasegi zu bauen.

Die Todesopfer

orue4Die 11 ermordeten Frauen waren: * María Fernández García aus Barakaldo, 53 Jahre alt, Verkäuferin von Beruf und Mitglied der UGT * Elvira Martínez Pascual aus Bilbao, 48 Jahre alt, unbekannter Beruf und Mitglied der PSOE * Teresa Chiches Ledesma aus Bilbao, 26 Jahre alt, Fabrikarbeiterin, Mitglied der CNT * Cecilia Idirin Garate aus Basauri, 24 Jahre alt, Beruf und politische Zugehörigkeit unbekannt * Ana Naranjo Martín aus Sestao, 54 Jahre alt, unbekannter Beruf und Sozialistin * Juana Mir García aus Bilbao, 32 Jahre alt, Journalistin und baskische Nationalistin * Berta Peña Parra aus Sestao, 42 Jahre, Hausangestellte und Sozialistin * Adelina Fernández Pérez aus Bilbao, 48 Jahre, Fischhändlerin und CNT-Mitglied * Feliciana Echave Artola aus Bilbao, 39 Jahre, Hausangestellte und unbekannte Zugehörigkeit * Juana Abascal Nicolás aus Castro-Urdiales, 29 Jahre, Tagelöhnerin, politische Zugehörigkeit unbekannt * Leónides Antruejo Lorenzo aus Sestao, 35 Jahre, Hausangestellte und Sozialistin.

Fotoserie

Im Auftrag des baskisch-deutschen Kulturvereins Baskale wurde von Foto-Archiv-Txeng (FAT) eine Bilderserie von der öffentlichen Veranstaltung erstellt, die über den folgenden Link einsehbar ist. (2)

ANMERKUNGEN:

(1) Information aus: “Emotivo homenaje en Santutxu a 11 mujeres asesinadas por el franquismo: Se está recuperando la dignidad“ (Emotionales Gedenken in Santutxu an 11 vom Franquismus ermordete Frauen: Die Würde wird wiederhergestellt), Tageszeitung El Correo, 2022-11-26. Der Text wurde bearbeitet und ergänzt. (LINK)

(2) Fotoserie Gedenkveranstaltung Frauen-Orue am 26.11.2022 in Bilbao-Santutxu. Unter Quellenangabe können die Fotos frei kopiert, benutzt und reproduziert werden. (LINK) 

ABBILDUNGEN:

(*) Chalet Orue (FAT)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-11-27)

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