lc2023aGernika und die Spitze des Eisbergs

2023. Kurz vor dem 87. Jahrestag der Vernichtung der baskischen Stadt Gernika durch die nazi-deutsche Legion Condor jährt sich zum 50sten Mal der Todestag von Pablo Picasso. Gernika, Condor, Picasso – eine historische und fatale Dreiecksbeziehung. Nachkriegs-Deutschland hielt seine direkte Beteiligung am Spanienkrieg mittels der Legion Condor lange verborgen. Für seine mühsame Aufarbeitung der Interventions-Geschichte hat Deutschland mehr Lob erhalten als verdient. Viele KZ-Opfer mussten klagen.

Legion Condor, Vernichtung von Gernika, Picassos Bild, Unterstützung der Nazis für den Militärputsch in Spanien, Aufarbeitungs-Versuche – Ansatz einer Bilanz im Internet-Portal CTXT.

Anlässlich des 50. Todestages von Pablo Picasso aus Málaga, einem der universellsten und bekanntesten Maler der Kunstgeschichte, wurden in diesen Wochen zahlreiche Artikel veröffentlicht. Auch in Deutschland. In all diesen Berichten wird auf eines seiner berühmtesten Werke Bezug genommen: das Gemälde "Guernica", benannt nach der baskischen Stadt Gernika, die von den Nazis im Spanienkrieg ausgelöscht wurde.

Das Gemälde stellt den Schmerz des Krieges während des "Spanischen Krieges" oder “Spanienkrieges“ dar, alternative Bezeichnungen zum Begriff Bürgerkrieg, die von mehreren deutschen Historikern verwendet werden, um den Charakter des Interventionskrieges zu betonen, gegenüber der vorherrschenden Vorstellung eines Bürgerkrieges. Von der demokratisch gewählten spanischen Republik für die Pariser Weltausstellung 1937 in Auftrag gegeben, ist "Guernica" für viele Deutsche zum einzigen Bild für die Beteiligung Hitler-Deutschlands am Militärputsch von General Franco und anderen Militärs geworden.

lc2023b"Zum ersten Mal in der Geschichte wurden Zivilisten ohne Vorwarnung aus der Luft bombardiert", heißt es in einer Dokumentation des deutsch-französischen Senders ARTE mit dem Titel “Picasso ohne Legenden“ über das Gemälde (Anm: Gernika wurde am 26.4.1937 zerstört). Diese Behauptung trifft nicht zu. Die Bevölkerung wurde von Beginn des Krieges an bombardiert. Zum Beispiel in Nerva, Huelva, Andalusien, wo die Bomben bereits einen Monat nach Kriegsbeginn fielen, wie der Historiker Miguel Ángel Collado Aguilar in seinem Artikel "Luftterror über der Cuenca Minera de Riotinto vom 20. bis 26. August 1936" berichtet. (Anm. Baskultur: Im Bizkaia-Ort Otxandio wurde vier Tage nach dem Militärputsch vom 18.7.1936 ein Massaker angerichtet, als ein Franquisten-Bomber seine tödliche Last abwarf auf eine ahnungslose Dorfbevölkerung; auch die Hauptstadt Bilbao wurde ab September 1936 regelmäßig bombardiert.)

An diesem Ort in Andalusien, wie auch an vielen anderen in Spanien, gab es Bombardierungen, deren Zuordnung aufgrund des Verlusts des Legion-Condor-Archivs während des Zweiten Weltkriegs und des Fehlens spezifischer Studien schwer zu bestimmen ist. Die Republik verfügte nur über wenige Flugzeuge. Die faschistisch-italienische Aviazione Legionaria hatte einen Monat vor dem Angriff auf Gernika auch zivile Ziele in der baskischen Stadt Durango in Bizkaia bombardiert (am 31.3.1937), kaum 20 Kilometer von Gernika entfernt.

Das “Guernica" ist für viele Deutsche zum einzigen Bild für die deutsche Beteiligung an Francos Staatsstreich geworden

Die Süddeutsche Zeitung verweist darauf, dass der Maler "die zivilen Opfer des von General Franco befohlenen Luftangriffs auf die deutsche Legion Condor in der nördlichen Stadt" würdigt, bei dem am 26. April 1937 rund 2.000 Menschen starben. Man beachte die Betonung der Verantwortung des spanischen Diktators. Auch die Vorstellung, Deutschland habe “auf Wunsch Spaniens“ interveniert, ist falsch, denn die Regierung der Republik war die einzige demokratisch gewählte Regierung (nicht die Putschisten). Die Wochenzeitung “Die Zeit“ schreibt, dass "Picasso aus der Mode gekommen ist" und erwähnt nicht einmal die Legion Condor, die die namensgebende Stadt Gernika-Guernica bombardiert hat. Die Zeitung spricht nur beiläufig von "seiner großen pazifistischen Leinwand" und kommt so aus der Patsche.

Erst 1997 und nicht ganz zufällig entschuldigten sich der deutsche Bundestag und der damalige Bundespräsident Roman Herzog offiziell bei der Bizkaia-Stadt Gernika, genau sechzig Jahre nach dem Massaker. Die baskische Stadt und die Angehörigen der Opfer hatten diese Geste gefordert. Deutschland seinerseits hielt dies für ausreichend: "Die Tatsache, dass sich das politische Interesse auf Gernika konzentriert hat, ist nicht zufällig, da es wie eine Rauchbombe wirkt, um die Möglichkeit einer öffentlichen Debatte über die Verantwortung Deutschlands für die Zerstörung des demokratischen republikanischen Regimes und über das Ausmaß seiner illegitimen Intervention in Spanien zu blockieren", erklärt David Alegre Lorenz, Professor für Geschichte an der Autonomen Universität von Barcelona, gegenüber CTXT.

Die Tatsache, dass sich das politische Interesse auf Gernika konzentriert hat, wirkt wie eine Nebelkerze

lc2023cDie Legion Condor kam im August 1936 in Spanien an, bestand aus "deutschen Freiwilligen" und sollte "den Putschistenführer General Francisco Franco im Kampf gegen die spanische Republik militärisch unterstützen", erklärt die Website des Lebendigen Museums Online (LeMO), ein Gemeinschaftsprojekt des Deutschen Historischen Museums, der Stiftung Haus der Geschichte und des Bundesarchivs.

(Anmerkung Baskinfo: Diese Beschreibung ist – aus welchen Gründen auch immer – nicht korrekt. Die Aufständischen waren davon ausgegangen, dass ihr Staatsstreich auf allen Ebenen erfolgreich sein würde – das war nicht der Fall. Stattdessen brach ein Krieg aus, die Lage für die Faschisten war schlecht. Francos Truppen waren zum Teil in der Kolonie Marokko und auf den Kanaren stationiert und kamen nicht zum Einsatz. An dieser Stelle leisteten die Nazis eine erste elementare Hilfestellung. Mit der bis dahin größten Luftbrücke in der Militärgeschichte brachten sie die Truppen auf die Halbinsel und verhinderten die Niederlage der Faschisten. Nicht jedoch unter dem Namen Legion Condor. Doch auch das war aus Putschisten-Sicht zu wenig, um den nun laufenden Krieg für sich zu entscheiden. Die Nazis wurden um direkte militärische Interventions-Hilfe gebeten. Im November 1936 wurden Flugzeuge zerlegt, per Schiff in Putschisten-kontrollierte Häfen gebracht, wieder zusammengebaut und einsatzfähig gemacht. Vor Dezember 1936 flogen die Nazis, die sich von Franco den Oberbefehl über alle Luft-Streitkräfte hatten sichern lassen, keine Angriffe. Danach wurde die Legion Condor genannte Truppe unter dem Befehl von General Hugo Sperrle und Oberstleutnant Wolfram von Richthofen zum kriegsentscheidenden Faktor.)

(In einem von baskisch-deutschen Kulturverein Baskale in Bilbao produzierten Dokumentarfilm von 23 Minuten ist der historische Vorgang der Nazi-Intervention gut beschrieben. Unter dem Titel “Legion Condor“ beschreiben die Historiker Hubert Brieden, Angel Viñas, Ingo Niebel, Xabier Irujo sowie die Historikerin Oiane Valero die Beweggründe und Vorgehensweisen der Verantwortlichen der Legion Condor und die Zerstörung von Gernika. Der Dokumentarfilm ist frei zugänglich und ist auf Baskisch, Spanisch und Deutsch synchronisiert.)

"Das Lebendige Museum Online (LeMO), ein gemeinsames Projekt des Deutschen Historischen Museums, der Stiftung Haus der Geschichte und des Bundesarchivs, erklärt: "Rund 20.000 Wehrmachtssoldaten beteiligten sich im Rahmen von Truppen-Rotationen an der spanischen Militär-Operation. Das Museum erinnert daran, dass die Diktatoren Adolf Hitler und Benito Mussolini "die Intervention mit ihrer Entschlossenheit im 'Kampf gegen den Bolschewismus'" begründeten, aber auch, um "neue Waffensysteme, insbesondere der Luftwaffe, zu testen". Diese "siegreichen Soldaten der Legion, nach der demütigenden Niederlage von 1918, waren ein Vorbild für die Jugend", wird erklärt. Für die Soldaten selbst habe der Spanienkrieg "einen abenteuerlichen Charakter" gehabt.

Die vollständige Beschreibung des Textes enthält keine größeren Fehler (obwohl es auffällig ist, dass in einem anderen Artikel mit dem Titel "Deutsch-spanische Beziehungen zwischen 1936 und 1945" angegeben wird, dass die Zahl der entsandten Deutschen nur halb so hoch war, nämlich 10.000). Doch fehlen Informationen über die Opfer, die spezifischen Ziele der Bombardierungen und vor allem darüber, was diese Intervention für die Zukunft der Kriegsführung bedeutete. Außerdem wird auf der Website erklärt, dass die Franco-Diktatur Rohstoffe nach Deutschland lieferte, ohne zu erwähnen, dass es sich dabei um die Bezahlung – sprich Plünderung – für die vorherige militärische Condor-Unterstützung handelte. Das Wörterbuch ist natürlich keine Fachpublikation, aber seine Beschreibung sagt viel darüber aus, wie sich Deutschland die Einmischung in den “spanischen Bürgerkrieg“ vorstellte.

(Anm: Tatsache ist, dass in den Bombenflugzeugen des 2. Weltkriegs, die Warschau, Antwerpen oder Coventry angriffen, fast immer Spanien-erfahrene Piloten saßen.)

Das Museum hat die Biografie über Francisco Franco im vergangenen Februar auf Antrag der Autorin dieses Artikels korrigiert. In der vorherigen Version (die mit dem immer noch online verfügbaren Foto illustriert war, das Franco in vollem Ornat auf einer der Legion Condor gewidmeten Postkarte zeigt) wurde nicht einmal erwähnt, dass er ein Diktator war. "Politiker und Militär", so der Titel. Die Biografie erwähnte nicht die Opfer der Diktatur, die Existenz von Konzentrationslagern, die Verfolgung von Dissidenten, Hinrichtungen, gestohlene Babys oder Zwangsarbeit. In seiner Antwort auf den Brief betonte das Museum, dass "LeMO sich als deutsch-sprachiges Online-Portal in erster Linie mit der deutschen Geschichte befasst, auch im Verhältnis zu anderen Ländern". Man erklärte, dass der spanische Bürgerkrieg und die spanisch-deutschen Beziehungen während des Nationalsozialismus in anderen Artikeln ausführlich behandelt werden und entschuldigte sich: "Es ist bedauerlich, dass es uns hier offenbar nicht gelungen ist, den Charakter der Franco-Regierung als Diktatur nachvollziehbar zu machen und möchten dies in einem Rückblick verbessern". Ein Versprecher. Sie haben jedoch nachgegeben und auf Druck zumindest einige Aspekte aufgenommen.

lc2023d"Keine (postfranquistische) spanische Regierung hat sich entschlossen gezeigt, von ihren deutschen Amtskollegen die Anerkennung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu fordern

"Reparationen ist fast immer diplomatisch-politischer Druck des geschädigten Landes vorausgegangen, um Reparationen von Deutschland zu erhalten", erklärt David Alegre Lorenz, Experte für Kriegs- und Faschismus-Forschung. "Keine spanische Regierung hat jemals einen klaren Willen gezeigt, von ihren deutschen Amtskollegen die Anerkennung der von deutschen Staatsbürgern auf spanischem Territorium begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verlangen", fügt er hinzu. In den 1970er Jahren hätte dies dem Selbstverständnis des Franco-Regimes widersprochen, erklärt er, denn "das Regime kam nur zustande dank dieser deutsch-italienischen Unterstützung, die mit der Niederlage der Achsenmächte im Zweiten Weltkrieg aus der Geschichte verschwanden".

Dies machte den Krieg, so der Historiker, "einerseits zum Sieg der vermeintlich gesunden Elemente der spanischen Gesellschaft und zum anderen zum Sieg der westlichen Zivilisation in einer Art Kreuzzug gegen den Bolschewismus". Der spätere Übergang zur Demokratie führte Alegre Lorenz‘ Meinung nach zur Etablierung eines Diskurses des "wir waren alle schuldig", der von Francos eigenem Regime ausging und der "die Verantwortung der Putschisten für das, was in Spanien im Rahmen einer Aggression gegen einen rechtmäßig konstituierten Staat geschah, zu verwässern suchte".

Antonio Muñoz Sánchez, Forscher an der Universität Lissabon, stimmt dem zu. "Die Legion Condor ist das Vakuum schlechthin", versichert er. "Die Basken waren es und nicht die Zentralregierung, die die Initiative ergriffen haben, um Deutschland zu drängen, das Verbrechen von Gernika während des spanischen Übergangs (1977-1982) anzuerkennen", erklärt er gegenüber CTXT. "Deutschland hat es getan, und zwar gut. Aber dabei blieb es: Damit war Deutschland sozusagen zufrieden, es hat die Quote der Anerkennung seiner Verbrechen in Spanien bereits erfüllt." (Anm: Gemeint ist das wachsweiche Eingeständnis des damaligen Präsidenten Roman Herzog zum 60. Jahrestag der Bombardierung von Gernika, sein Land sei in den Angriff involviert gewesen).

Muñoz Sánchez, der die Geschichte der spanischen Zwangsarbeiter in Deutschland und ihren Kampf um Entschädigung erforscht hat, erklärt, dass das Land "nie wieder Druck von irgendeiner anderen Region oder von der spanischen Zentralregierung erhalten hat, um diese Schuld zu bereinigen, damit die Deutschen Ausstellungen, Studien oder Entschädigungen für die Verbrechen der Legion Condor in Spanien fördern".

Wie passt das zu der Vorstellung, dass Deutschland das Land ist, das oft als Beispiel für gute Praxis in Sachen historischer Erinnerung angeführt wird? Es gibt rühmliche Ausnahmen in der Erforschung der Legion Condor, wie Stephanie Schüler-Springorum, Direktorin des Zentrums für Antisemitismus-Forschung an der Technischen Universität Berlin, die 2021 auf einer Konferenz in Berlin sagte, dass in der Bundesrepublik "bis heute nicht verstanden wird, dass ihre Verantwortung für den spanischen Schmerz weit über den Fall Gernika hinausgeht". In der Tat ist das Thema weder für die öffentliche Meinung noch für die Presse von Interesse.

In deutschen Medien wird nicht einmal über Nachrichten von gewisser Bedeutung in Spanien berichtet. Die Studie von Professor Xavier Irujo mit seinem “Atlas der Bombenangriffe im Baskenland von 1936-1937“ war nicht von Interesse. Der Dokumentarfilm “Experimento Stuka“ von 2018, der in Spanien diskutiert wurde, wurde in Deutschland nicht zur Kenntnis genommen. Nur wenige Menschen in Deutschland wissen, dass die Legion Condor auch Flüchtlings-Karawanen bombardierte, wie es zwischen dem 6. und 8. Februar 1937 in der "Desbandá" zwischen Málaga und Almería geschah. Dabei wurden mehr als 3.000 Menschen getötet.

"Die Deutschen sind stolz darauf, wie gut sie ihre dunkle Vergangenheit aufgearbeitet haben", erklärt Muñoz Sánchez, der 2021 in Berlin eine Ausstellung präsentierte über die Zwangsarbeit der “Rotspanier“, wie die spanischen Republikaner von den Nazis genannt wurden. Sie ist dieser Tage in Frankfurt zu sehen. "Die enorme Infrastruktur an Museen, Ausstellungen, Denkmälern, aber auch die ständige Präsenz der Naziverbrechen im Fernsehen, im Radio, in den Zeitungen ist wirklich beeindruckend", betont er. "Das historische Verantwortungs-Bewusstsein im wiedervereinigten Deutschland ist gründlich und aufrichtig, das ist wirklich beispielhaft."

Er erinnert aber auch daran, dass "der Weg dorthin ein sehr langer, beschwerlicher und keineswegs neutraler Weg war". Für den Experten haben "das offizielle Deutschland und seine Institutionen seit den 1980er Jahren durch Proteste, Kritik und die Wirkung von Filmen auf die öffentliche Meinung Fortschritte bei der Konstruktion einer demokratischen Erinnerung gemacht". Dies berichtet er in seinem Artikel "Kampf der ehemaligen spanischen Zwangsarbeiter des Dritten Reiches um Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus (1956-1972)".

In dieser von Leerstellen gezeichneten Geschichte gibt es zudem beschämende Kapitel, wie die Pensionen für die "Helden", die Spanien bombardiert haben, während die Kämpfer der Internationalen Brigaden erst seit den 1970er Jahren eine Rente erhielten. Auch die Soldaten der (von Franco in den Krieg gegen die Sowjetunion geschickten) “Blauen Division“ erhielten deutsche Renten, während den spanischen Opfern des Nationalsozialismus diese verweigert wurden und sie vor Gericht ziehen mussten.

Die Bewunderung für die verbrecherischen deutschen Putsch-Helfer dauerte in der Bundeswehr selbst in offizieller Form bis 1998, bis der Bundestag beschloss, dass es an der Zeit sei, die Verehrung für den Piloten Werner Mölders zu beenden. Die Autorin dieses Artikels war jedoch 2015 Zeugin einer Zeremonie zu seinen Ehren auf dem deutschen Friedhof in Berlin, wo er begraben ist, an der mindestens ein Offizier der Bundeswehr teilnahm. In einer Kaserne stand damals ein Monolith zu seinen Ehren, eine andere gab eine nach ihm benannte Zeitschrift heraus.

lc2023e"Es gibt eine gewisse Tendenz, die angebliche Fähigkeit Deutschlands, mit seiner traumatischen Vergangenheit umzugehen, zu idealisieren

"Die deutsche Reparationspolitik stand in einem ganz bestimmten Kontext, nämlich dem der letzten dreißig Jahre des 20. Jahrhunderts, der mit dem Warschauer Kniefall und der so genannten Ostpolitik von Willy Brandt eingeleitet wurde", erklärt David Alegre Lorenz. "Die Entscheidung, was repariert wird und was von den Behörden eines Staates anerkannt wird, hat viel mit dem Bild zu tun, das wir von unserem Land in der Welt vermitteln wollen", sagt er. Die Bundesrepublik habe in jenen Fällen, die in den Medien am deutlichsten sichtbar sind, die Schuld auf sich genommen.

"Spanien hat in dieser politischen Tagesordnung nie eine große Rolle gespielt, vor allem wegen des Desinteresses der verschiedenen demokratischen Regierungen, sich von den am Ende der spanischen Diktatur ausgearbeiteten Narrativen zu lösen. Der Historiker ist der Ansicht, dass "es eine gewisse Tendenz gibt, die angebliche Fähigkeit Deutschlands als Staat und der Deutschen als Gesellschaft, mit ihrer traumatischen Vergangenheit verantwortungsvoll umzugehen, zu idealisieren".

Tatsächlich, so erinnert Muñoz Sánchez, "fehlte dem NS-Entschädigungs-Gesetz der 1950er Jahre der tiefe und aufrichtige Wunsch, die Opfer und ihre Familien zu entschädigen. Vielmehr es ging darum, ein gutes Bild der Bundesrepublik nach außen zu vermitteln". Viele Opfer hatten es schwer, entschädigt zu werden, erklärt er. "Ein Beispiel waren die spanischen Zwangsarbeiter, die vor Gericht ziehen mussten, weil Deutschland sich strikt weigerte, sie zu entschädigen. Er sinniert darüber, dass man in Deutschland wagte, sie so zu behandeln, weil man wusste, dass Franco nicht protestieren würde.

"Selbst als sie den Rechtsstreit gewannen, erhielten sie keine symbolische Anerkennung, obwohl sie die ersten Zwangsarbeiter des Dritten Reiches waren, die offiziell als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt wurden. Als Deutschland in den 1990er Jahren, auch aufgrund von Filmen wie “Schindlers Liste“ und der anschließenden öffentlichen Kritik, die Zwangsarbeiter des Reiches "entdeckt" wurden, war man gezwungen, Entschädigungen in Millionenhöhe an Polen, Ukrainer und Russen zu zahlen: "Niemand erinnerte sich daran, dass dreißig Jahre zuvor auch die Spanier eine Entschädigung erhalten hatten", betont Muñoz Sánchez.

David Alegre Lorenz weist auf einen wichtigen Punkt hin: "Die deutsche Gesellschaft hat nicht nur begonnen, gleichgültig zu werden gegenüber den Verbrechen, die im Namen ihres Landes begangen wurden. Infolge des heutigen Ultra-Diskurses, den es in allen Ländern gibt, existiert eine Tendenz, immer stärker jenes Leid zu betonen, das die Deutschen selbst im Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit durchgemacht haben, mit Massenvertreibungen und Flucht, bei willkürlichen Bombenangriffen auf die Zivilbevölkerung (Anm: Pforzheim, Dresden), bei Vergewaltigung und Mord".

Der Einsatz der Legion Condor "wurde jahrelang so aufgenommen und verdaut, wie ihre Protagonisten sie erklärten: als ein schönes Abenteuer". Für Muñoz Sánchez "rühmt sich Deutschland seines demokratischen Gedächtnisses, verkauft es in ganz Europa als vorbildlich, blickt verächtlich auf Spanien herab, empört sich über franquistische Kreuze, über die ungeöffneten Massengräber, über das Fehlen einer demokratischen Erinnerung in Spanien ... Aber die deutsche Intervention im Bürgerkrieg, daran erinnert man sich kaum".

Im Juni letzten Jahres hat die Regierung von Asturien auf Initiative der Podemos-Partei in Deutschland um Informationen über die Aktionen der Legion Condor in der Region gebeten. Die Zentralstelle der Landes-Justiz-Verwaltungen für die Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen mit Sitz in Ludwigsburg antwortete, dass es keine Ermittlungen in dieser Angelegenheit gebe, da diese nicht von Amts wegen geführt werden. Solange es keine offizielle Beschwerde gibt, wird es auch keine Ermittlungen geben.

Es ist auch möglich, dass Deutschland die Untersuchung seiner illegalen Einmischung in den Spanischen Bürgerkrieg deshalb nicht fördert, weil bereits mehrere Konflikte in Bezug auf historische Wiedergutmachung offen sind. Die polnische Regierung fordert nicht weniger als 1,3 Milliarden Euro an Kriegsreparationen von Deutschland. Auch Italien und Griechenland fordern, auch wenn dies nicht im großen Stil bekannt ist, Entschädigungen für die von den Nazis in diesen Ländern begangenen Verbrechen. Im Falle Spaniens haben sie sich nicht einmal dafür entschuldigt, dass sie eine entscheidende Rolle beim Sturz einer der ersten Demokratien Europas gespielt haben.

"Spanien hat eine Demokratie ohne Erinnerung an den Bürgerkrieg und den Franquismus aufgebaut", erinnert Muñoz Sánchez. "Deshalb wurde Deutschland nie zur Verantwortung gezogen. Niemals wurden erst Bonn und dann Berlin ermutigt, gemeinsame Initiativen zu fördern, wie etwa eine einfache Ausstellung über die unselige gemeinsame Vergangenheit von Nationalsozialismus und Franquismus". Bestes Beispiel ist eine Allee in Berlin, die bis heute der verbrecherischen Legion Condor gewidmet ist, der sogenannten “Spanischen Allee“. Der Historiker erklärt, dass im Juni 1939 "Tausende von Soldaten der Legion Condor, die eben aus Spanien gekommen waren, unter dem Brandenburger Tor und entlang der Prachtstraße Unter den Linden vor dem Führer aufmarschierten". Die Feier, die den deutschen Beitrag bei der Niederlage des Bolschewismus" verherrlichte, wurde von der Berliner Stadtverwaltung durch die Umbenennung der Straße (von Wannsee Allee) in Spanische Allee verherrlicht.

Der in Berlin lebende spanische Wissenschaftler und Aktivist der “Izquierda Unida“ und der Partei “Die Linke“, Jaime Martínez Porro, arbeitet seit 2019 erfolglos an der Umbenennung der Straße. Die bisherige Lösung ist eine lebendige Metapher für das Problem, das dieser Artikel zu erklären versucht: Die Allee behält den Namen, den sie 1939 bei der Militärparade zu Ehren der Kriegsverbrecher der Legion Condor erhielt, einer Nazi-Luftwaffe, die Tausende von Spanier*innen ermordete und zur Beseitigung der spanischen Demokratie beitrug, während eine angrenzende Kreuzung ganz bescheiden und unbemerkt Gernika-Platz heißt.

ANMERKUNGEN:

(1) “50 aniversario de la muerte de Picasso – El Guernica o la punta del iceberg” (50ster Todestag Picassos – Das Guernica-Bild oder die Spitze des Eisbergs) CTXT, Autorin: Carmela Negrete, 2023-04-01 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Legion Condor (twitter)

(2) Legion Condor (bundesarchiv) Bildunterschrift: Ein deutscher Offizier der Legion Condor instruiert nationalistische Infanteristen in Ávila, Januar 1939. Koloriertes Bild. Deutsches Bundesarchiv

(3) LC Empfang (cadena ser)

(4) Spanische Allee (twitter)

(5) Legion Condor (cadena ser)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-04-21)

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