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1937: Keine Evakuierung baskischer Kinder

Spanienkrieg im Baskenland. Als sich bei der baskischen Regierung im Frühjahr 1937 die Einsicht durchsetzte, dass der Krieg nicht zu gewinnen war, griff sie zu einer ungewöhnlichen Maßnahme: Tausende von Kindern wurden in nicht-faschistische Länder gebracht, um sie zu schützen und zurückzuholen, sobald die Kriegsfolgen absehbar wären. Zu den Zielländern gehörten Belgien, Frankreich, die UdSSR, Mexiko und England. Auch die USA, dort gehörte Albert Einstein zum Aufnahme-Komitee für die baskischen Kinder.

Drei Jahre, nachdem er selbst vor den Nazis flüchten musste, setzte sich der Nobelpreisträger Albert Einstein 1937 für die Versorgung baskischer Flüchtlingskinder in den USA ein.

Nicht nur die baskische Regierung, die erst seit Oktober 1936 im Amt war, entschied sich dafür, Kinder und Jugendliche zu ihrem Schutz ins Ausland zu schicken, auch die republikanische Regierung in Madrid begann im Februar 1937 mit der Verschiffung von Kindern. Auf diese Art landeten Zehntausende von Kindern in Frankreich, Belgien, Großbritannien und in der Sowjetunion. Auch die Schweiz, Mexiko und Dänemark gehörten zu den Ländern, die vermittelt über das Internationale Rote Kreuz jugendliche Flüchtlinge aufnahmen (1).
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Die „Kinder von Guernica“

Insgesamt waren es mehr als 20.000 Kinder, die in jenen entscheidenden Kriegsmonaten ohne elterliche Begleitung aus dem Baskenland ins Ausland gebracht wurden – die Betroffenen wurden „Kinder des Krieges“ genannt, oder symbolisch auch „Kinder von Guernica“, in Erinnerung an die Vernichtung der bizkainischen Stadt Gernika durch die nazi-deutsche Luftwaffen-Einheit Legion Condor. Die Verschickungen sollten nicht von Dauer sein, sobald sich die Kriegssituation geklärt hätte sollten die Kinder zurückkommen. Viele kehrten tatsächlich zurück, andere jedoch nie.

Auch in die USA sollten Kinder geschickt werden, ursprünglich war die Rede von 500 Mädchen und Jungen, die über den Ozean gebracht werden sollten. Doch die humanitäre Angelegenheit verkomplizierte sich. In New York übernahm das von baskischen Migratinnen gegründete Baskisch-Amerikanische Zentrum die Aufgabe, die Aufnahme der Kinder zu organisieren. Die Mitglieder des baskischen Zentrums wurden aufgefordert, zu prüfen, ob sie die Möglichkeit hätten, Kinder aufzunehmen. Überraschenderweise meldeten sich 2.700 Familien, um ihre Bereitschaft zu signalisieren. Daraufhin wurden nicht nur für 500, sondern für 2.000 Kinder Anträge auf Einreise gestellt.

American Board of Guardians for Basque Refugee Children

Neben dem Baskisch-Amerikanischem Zentrum wurde für die politische Begleitung der Fluchtaufnahme die Organisation „American Board of Guardians for Basque Refugee Children“ gegründet, die sich für das Exil der jungen Flüchtlinge einsetzte und sich an der Organisation beteiligte. In diesem „Amerikanischen Komitee der Wächter für baskische Flüchtlings-Kinder“ sammelten sich prominente liberale und linke Persönlichkeiten (2). Das American Board sollte sich um ein Schiff kümmern, um die baskischen Flüchtlinge nach New York zu bringen, weitere Aufgabe war die Beantragung entsprechender Einreise-Genehmigungen. Die einflussreiche Eleanor Roosevelt, Ehefrau des US-Präsidenten, konnte für den Ehrenvorsitz des Komitees gewonnen werden

Unter den Mitgliedern des „American Board of Guardians for Basque Refugee Children“ befanden sich mehrere bekannte Universitäts-Professoren, die berühmte Journalistin Dorothy Thompson (3) und der deutschstämmige Physiker Albert Einstein. Auch Einstein (1879-1955), der für seine Relativitätstheorie den Nobelpreis erhalten hatte, kam somit in den Zusammenhang dieser düsteren politischen Epoche des Baskenlandes. Drei Jahre zuvor war Einstein selbst zum Flüchtling geworden, als er Nazi-Deutschland den Rücken kehren musste und sich in den USA niederließ. Das Engagement Einsteins für die baskischen Kinder ist festgehalten in einer Publikation des US-Journalisten Fred Jerome (4), der in seinem Buch „The Einstein File“ (Die Einstein-Akte) in englischem Wortlaut schreibt: „Einstein war freiwilliger Mitarbeiter eines Komitees, das Flüchtlinge unterstützte, insbesondere Kinder aus dem Baskenland“. Der Autor des Buches beschreibt den Vater der modernen Physik als Pazifisten, Sozialisten und aktiven Antirassisten.
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Die Akte Einstein

Der in Ulm an der Donau geborene Physiker unterstützte Opfer, die vor dem Totalitarismus von Hitler, Mussolini und Franco flüchteten, darunter die während des Spanienkrieges in sichere Drittländer Europas gebrachten Mädchen und Jungen aus dem Baskenland. Bei diesem Engagement für die Kinder, die in Länder geschickt wurden, die damals nicht im Krieg standen, war dem Humanisten seine eigene Flucht aus Nazideutschland sicher präsent.

Der Autor Jerome beschreibt, dass das FBI den Physiker schnell ins Visier nahm. Gleich nachdem Einstein auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus in die USA einreiste, wurde eine Akte angelegt, die politische Polizei trug Information über ihn zusammen, in der Absicht, ihn in Misskredit zu bringen und seinen guten Ruf zu zerstören. Federführend bei diesen Anstrenungen war der exzentrische Direktor des FBI, J. Edgar Hoover, der davon besessen war, jenem berühmten Mann jüdischer Abstammung etwas anzuhängen, der zeitlebens bekräftigte, Agnostiker zu sein. Dabei schreckte das FBI auch vor illegalen Methoden nicht zurück: sein Telefon wurde abgehört, seine Post geöffnet, es wurde versucht, ihn mit Sowjet-Spionen in Verbindung zu bringen und ihm seine US-Bürgerschaft abzuerkennen. In der Tat führte diese Besessenheit dazu, dass die Untersuchungen sogar über Einsteins Tod hinaus andauerten.

Fred Jerome bezog seine Informationen aus deklassifizierten FBI-Unterlagen, die der Öffentlichkeit Jahrzehnte später schrittweise zugänglich gemacht wurden (auch wenn bestimmte Stellen geschwärzt blieben). Die Akte Einstein umfasst mehr als 1.400 Seiten, Hoover und das FBI versuchten zu beweisen, dass der Physik-Nobelpreisträger des Jahres 1921 ein Risiko für die innere Sicherheit der USA darstellte.

Der gefürchete J. Edgar Hoover

J. Edgar Hoover (1895-1972) war im Jahr 1924 der erste Direktor des FBI. Er setzte alles daran zu beweisen, dass der Neu-Amerikaner Albert Einstein in „mehreren hundert pro-kommunistischen Gruppen“ mitarbeitete. Dass er Unterstützer „spanischer Flüchtlinge“ und speziell „baskischer Kinder“ war, sowie „Mitarbeiter des Komitees exilierter Schrifsteller“ half Hoover dabei, seine Verschwörungsthese am Leben zu halten. Hoover starb an einem Herzinfarkt während der Regierungszeit des korrupten Richard Nixon.

Der Chef des FBI untersuchte unter anderem die Internationalen Brigaden des Spanienkriegs, speziell die Brigade Abraham Lincoln, die in seinem Land zusammengestellt worden war „wegen der kommunistischen Ideologie ihrer Mitglieder“. Nach Hoovers Überzeugung hing Albert Einstein ebenfalls diesem „Dogma“ an, genauso wie viele andere bekannte Persönlichkeiten, wie zum Beispiel der Schauspieler und Regisseur Charles Chaplin. Sogar die Schauspielerin Marilyn Monroe geriet in Verdacht wegen ihrer Ehe mit dem linken Schriftsteller Arthur Miller und wegen ihrer Beziehungen zum Kennedy-Clan, dessen Angehörige zu den ewigen Rivalen des Chefspions zählten.
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Besuch im Baskenland

Einer weiteren bibliografischen Referenz, in diesem Fall von Thomas F. Glick, ist zu entnehmen, dass Albert Einstein im Februar 1923 Bilbao besuchte, als er im spanischen Staat unterwegs war (5). Bei einem einwöchigen Besuch konnte Einstein Einblick in die politische Realität des spanischen Staats nehmen, empfangen wurde er vom damaligen Staatsoberhaupt König Alfons XIII. Er besuchte Barcelona, Madrid und Zaragoza, als er am 27. Februar 1923 vom baskischen Kulturausschuss eine Einladung erhielt, der er spontan nachkam. Glick erwähnt in seinem Buch „Einstein y los españoles: Ciencia y sociedad en la España de entreguerras” (Einstein und die Spanier: Wissenschaft und Gesellschaft im Spanien zwischen den Kriegen), dass der Bilbao-Besuch des Physikers durch verschiedene veröffentlichte Artikel in der baskischen Presse belegt sei. Thomas F. Glick widmete dem Nobelpreisträger im Jahr 2014 ein weiteres Buch: „Einstein in Spain: Relativity and the Recovery of Science.“

Keine baskischen Kinder nach New York

Dass trotz der großen Aufnahmebereitschaft der baskischen Community in New York am Ende keine Kinder-Flüchtlinge den Weg über den Ozean antreten konnten, lag nicht zuletzt am Einfluss der katholischen Kirche. Der Kardenal O´Connell aus Boston erhob lauten Einspruch gegen die Evakuierungspläne, indem er sie als Untersützung für das „kommunistische Spanien" brandmarkte. In einer Kampagne wurde die baskische Gesellschaft insgesamt als kommunistisch und anti-katholisch definiert. Im Hintergrund dieser Kampagnen stand die katholische Kirche Spaniens, die den Putsch der faschistischen Generäle um Franco offen unterstützte, die sicher stellte, dass sie vom Vatikan gedeckt wurde und ihren Einfluss auch auf der anderen Seite des großen Teiches geltend machte.

Eleanor Roosevelt als Ehrenvorsitzende des „American Board of Guardians for Basque Refugee Children“ war zu Beginn des Evakuierungs-Ansinnens als hilfreich betrachtet worden. Doch stellte sich die Beteiligung der einflussreichen Politikerin bald als kontraproduktiv heraus. Nach den antikommunistisch gefärbten Kampagnen der katholischen Kirche machte sie einen Rückzieher und sagte bei einer Pressekonferenz, dass es wohl keine so gute Idee sei, Kinder ohne ihre Eltern so weit von zu Hause entfernt unterzubringen. Am 25. Juni 1937 zog das US-Außenministerium nach und teilte mit, dass keine Visa ausgestellt würden für die baskischen Kinder und ihre Begleiter/innen. Zu diesem Zeitpunkt war Bilbao bereits seit sechs Tagen in den Händen der Franco-Faschisten, ein riesiger Flucht-Treck bewegte sich vom Baskenland Richtung Westen, über Kantabrien nach Asturien.

(Publikation Baskultur.info 2016-12-18)

ANMERKUNGEN:

(1) Grundlage des Artikels sind zwei Publikationen: (a) eine Reportage von Iban Gorriti unter dem Originaltitel „Einstein y los vascos“ (Einstein und die Basken), Deia 11.12.2016, (b) „Einstein eta euskal ume errefuxiatuak, FBI-ren helburu“ (Einstein und die baskischen Flüchtlings-Kinder, Ziel des FBI), Gara 11.12.2016.

(2) Zu „American Board of Guardians for Basque Refugee Children“, Information aus dem Buch „Basque Diaspora: Migration and Transnational Identity” von Gloria Totoricagüena, Center for Basque Studies, University of Nevada, 2004.

(3) Dorothy Thompson (1893-1961) war die bekannteste Journalistin ihrer Zeit und Verfechterin des Frauenwahlrechts. Nach dem 1.Weltkrieg ging sie nach Wien, 1924 nach Berlin, wo sie den Aufstieg der NSDAP hautnah erlebte. Sie machte Bekanntschaft mit Künstlern wie Thomas Mann, Bertolt Brecht, Stefan Zweig, Fritz Kortner, Carl Zuckmayer. 1928 besuchte sie die Sowjetunion, das Ergebnis war ein Buch mit dem Titel „The New Russia“, in dem sie die Unterdrückung der Religion, die Zensur und die Allmacht der Geheimpolizei beschrieb. 1932 interviewte sie Adolf Hitler. Im August 1934 musste Dorothy Thompson innerhalb von 24 Stunden Deutschland verlassen, sie war die erste der Auslands-Korrespondentinnen, die aus Berlin verschwinden mussten. Befreundet mit Eleanor Roosevelt, machte Dorothy Thompson ihren Einfluss bei der Einbürgerung deutscher Emigranten wie Fritz Kortner, Thomas Mann und Carl Zuckmayer geltend. Im Juni 1939 war sie als „einflussreichte Frau in den USA nach Eleanor Roosevelt“ auf der Titelseite des Magazins Time. (Ausschnitte aus Wikipedia)

(4) Fred Jerome: „The Einstein File: J.Edgar Hoover´s Secret War Against the World´s Most Famous Scientist“, St. Martin´s Press, 2002. Das Buch wurde bisher nicht in deutscher Sprache veröffentlicht. Eine Buchrezension in deutscher Sprache findet sich unter (Link).

(5) Thomas F. Glick (Ohio, 1939) ist Professor für mittelalterliche Geschichte an der Universität von Boston und Hispanist. Er veröffentlichte das Buch „Einstein y los españoles: Ciencia y sociedad en la España de entreguerras”, Madrid, Editorial CSIC, 2005.

FOTOS:

(1) Albert Einstein (Wikipedia)

(2) Baskische Flüchtlings-Kinder (Wikipedia)

(3) Baskische Flüchtlings-Kinder (Wikipedia)

(4) Die US-Journalistin Dorothy Thompson (Wikipedia)

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