Nicht nur die Zahl der Toten
Der 1967 im Exil in Venezuela geborene Xabier Irujo ist Geschichtswissenschaftler und Philologe. Seit 2005 leitet er die Abteilung Baskische Studien der Staatlichen Universität von Boise (BSU) im US-amerikanischen Bundesstaat Idaho, wo sich über die Jahrhunderte viele baskische Migrantinnen niedergelassen haben. Hinter sich hat Xabier Irujo eine lange Liste von Publikationen zu verschiedenen baskischen Themen. Er gilt als Spezialist zum Thema Spanischer Krieg und Vernichtung von Gernika.
Zur Erinnerung: die baskische Stadt Gernika wurde vernichtet von der nazi-deutschen Luftwaffen-Einheit Legion Condor, die zusammen mit den kleineren Fliegereinheiten aus Italien und Spanien im Baskenland zwischen Juli 1936 und Juni 1937 mehr als 650 Luftangriffe verübte. Viele davon auf zivile Ziele.
Seit längerer Zeit sammelt Xabier Irujo Daten über die im Baskenland, vor allem Bizkaia verübten Luftangriffe. Dazu greift er auf die Hilfe von Zeitzeugen und Zeitzeuginnen zurück, die aufgrund eigenen Erlebens oder aus Erzählungen von Familienangehörigen wichtige Daten liefern. Denn die Berichte in den Medien der 30er Jahre sind unvollständig oder fehlerhaft, und dienen oft nur als Gegenprobe zu den persönlichen Berichten. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Zeugenaussagen immer weniger werden, denn 78 Jahre nach Ende der Kriegshandlungen im Baskenland sind nur noch wenige am Leben, die den Krieg bewusst erlebt haben und tatsächlich eigene Erinnerungen überliefern können.
Die Suche nach Information, bei der Irujo auf das Material von lokalen Geschichts-Gruppen, von Gemeindeverwaltungen oder auf private Informationsbestände zurückgreift, ist für den Wissenschaftler ein Prozess, der nie zu Ende kommt, weil nach wie vor neue Informationen auftauchen. Oft unerwartet, aus Quellen, mit denen niemand rechnen konnte. Im Fall der Küstenstadt Lekeitio zum Beispiel gab es bisher wenig Information über die dort stattgefundenen Bombardierungen. In manchen Situationen verursacht die mangelhafte Informationslage derart viele Zweifel, dass manche sogar davon ausgehen, dass es solche Bombardierungen nie gegeben hat. Für Lekeitio ist dieser Zweifel nunmehr ausgeräumt. José Iñaki Madariaga Vidal, ein Bewohner des Ortes, der aufgrund seiner jungen Lebenjahre keine eigene Erinnerung hatte, notierte im Jahr 2005 die Erinnerungen eines anderen Dorfbewohners, Manuel Arrizabalagari. Irujo stellte diese ihm zur Verfügung gestellten Daten der Information gegenüber, die er in alten Pressearchiven finden konnte. Das Resultat war zufriedenstellend: viele Namen und Details deckten sich, sodass von einer zuverlässigen Quelle auszugehen ist.
Aus Anlass einer Ausstellung in der bizkainischen Küstenstadt über die Kriegsverbrechen der Legion Condor, organisiert vom baskisch-deutschen Kulturverein Baskale (1), war Xabier Irujo zu einem Vortrag geladen. Selbst einem Publikum mit relativ hohem Kenntnisstand – wie in Lekeitio der Fall – wusste Irujo neue und unbekannte Aspekte, Hintergünde und Details zu berichten.
In den 20 Jahren vor dem spanischen Krieg hatten die technologischen Möglichkeiten, einen Krieg aus der Luft zu führen einen riesigen Sprung gemacht. Im 1.Weltkrieg war es nur vereinzelt zu Bombardierungen aus der Luft gekommen, Flugzeuge wurden vor allen Dingen zur Aufklärung der militärischen Lage eingesetzt. Einer der ersten bekannten Fliegerpiloten war der Deutsche Manfred von Richthofen, von dem berichtet wird, dass er im Mai 1915 seine Ausbildung als Flieger antrat und im Juni 1915 in die Feldflieger-Abteilung an der Ostfront kommandiert wurde. Er hatte den Auftrag, Aufklärungsflüge über russische Truppenbewegungen in Russisch-Polen und Galizien durchzuführen. Bei den Aufklärungsflügen bekämpfte Richthofen mehrfach russische Frontsoldaten in ihren Stellungen. Im August 1915 folgten seine Verlegung von der Ost- an die Westfront und seine Kommandierung zur Brieftauben-Abteilung Ostende.
"Diese Einheit war das erste Kampfgeschwader, dessen Zweck darin bestand, Bombenangriffe gegen England zu fliegen. Da die Reichweite der zur Verfügung stehenden Bomber (...) nicht ausreichend war, musste man sich mit Einsätzen im Kanal sowie im französischen Hinterland begnügen. Im September 1915 beantragte Richthofen seine Versetzung zur Brieftauben-Abteilung Metz. Auf der Eisenbahnfahrt nach Metz lernte er im Speisewagen Oswald Boelcke kennen" (2). Mit diesem Boelcke ist bereits die Verbindung zur Legion Condor geschaffen, denn Boelcke war der Namensgeber des Traditions-Geschwaders, das von Wunstorf und Langenhagen aus in den spanischen Krieg (üblicherweise Bürgerkrieg genannt) geschickt wurde und dort unter dem Namen Legion Condor agierte.
Zur Verdeutlichung der Bedeutung neuer Militärstrategien durch den Einsatz von Bombenflugzeugen erinnerte Xabier Irujo an das Jahr 1919 und einen Aufstand in Afghanistan, der dadurch beendet wurde, dass die britische Kolonialmacht über der Hauptstadt von einem einzigen Flugzeug aus Bomben abwerfen ließ, was die Afghanen stark einschüchterte und zur Aufgabe ihrer Rebellion bewegte. In diesem Sinne sieht Irujo in den Luftangriffen jener Zeit vor allem den Angst-Effekt, der Titel seines Vortrags lautet "Die Verwaltung des Terrors".
Einsatz im Spanischen Krieg von 1936
Die Initiative für den Einsatz von Nazi-Militärs in Spanien fand kurz nach dem Aufstand der faschistischen Generäle Franco, Mola, Queipo de Llano und Sanjurjo gegen die demokratisch gewählte republikanische Regierung statt. Das große Problem der Aufständischen war, dass auf dem iberischen Festland nur jene militärischen Kräfte zu ihrer Verfügung standen, die sich dem Aufstand angeschlossen hatten – zu wenig, um den angezettelten Krieg für sich entscheiden zu können. Der Großteil der Franco-Truppen befand sich jedoch in der spanischen Kolonie Marokko und auf der Kanareninsel Teneriffa. Nur eine Luftbrücke konnte diese Einheiten an die Gefechtsorte auf der Halbinsel befördern.
Um die Nazis zur Hilfe zu bewegen, suchte der in Deutschland stationierte spanische Hauptmann Arranz Hitler in Bayreuth auf, wo dieser sich gerade eine Siegfried-Vorstellung anschaute. Hitler soll – hingerissen vom Eindruck der Nibelungen-Vorstellung – schnell zugesagt haben, was anderen Nazigrößen wie Goebbels, Blomberg, Göring und Keitel fürs erste nicht gefiel. Göring nutzte allerdings den Einsatz gegen die Republik, um sich in der Nazi-Hierarchie nach oben zu katapultieren. Innerhalb eines Jahres wurde er die Nummer zwei des Regimes. Als Befehlshaber der Luftstreitkräfte war ihm wichtig, dass bei dem Einsatz der Legion Condor (ab November 1936) vor allem republikanische Schiffe versenkt wurden. Sein Ziel war, mit diesen Erfolgen die Bedeutung der Luftwaffe gegenüber anderen Armeeteilen zu betonen.
Der Einsatz der Nazis im Spanischen Krieg wurde durch ein Abkommen geregelt, das General Franco die oberste Befehlsgewalt über alle Entscheidungen einräumte, die Bombardierungen aus der Luft betrafen, d.h. er entschied, welche Orte bombardiert werden sollten. Diese Frage ist bis heute von Polemik begleitet, weil sich aus ihr eine direkte Verantwortung der Nazis für die Vernichtung Gernikas ableiten lassen könnte – oder eben nicht. Laut Irujo lag die Befehlsgewalt formal bei Franco. Tatsache ist jedoch, dass dieser nie einen Einsatzbefehl unterschrieb, weder im Falle Gernikas noch in anderen Fällen – eigentlich ein Verstoß gegen das Abkommen.
Gemäß den Nachforschungen des Arbeitskreises Regionalgeschichte Neustadt, der die Geschichte der Ursprungsorte der Legion erforschte (Wunstorf und Langenhagen), hatten die Nazis nicht nur das Oberkommando über die Legion Condor, sondern gleichzeitig auch über die italienischen und die spanisch-franquistischen Luftstreitkräfte (3). Irujo schließt aus, dass der Angriff auf Gernika allein von den Verantwortlichen der Legion Condor (Stabschef Wolfram von Richthofen und Kommandeur Hugo Sperrle) angeordnet worden sein könnte (4).
Dafür sprechen nach seiner Interpretation verschiedene Aspekte. Zum einen gab es Wochen vorher ein Treffen aller Veranwortlichen auf hoher Ebene (mit Franco, Mola, den Italienern und den Nazis), bei dem die Verschärfung der Terroraktionen beschlossen wurde, um die Bevölkerung einzuschüchtern. Zum zweiten waren am Angriff auf Gernika immerhin 20% der im ganzen Staat verfügbaren Flugzeuge beteiligt (59 Flugzeuge). Die Koordination eines solch großangelegten Einsatzes muss wenigstens drei Wochen gedauert haben, eine Zeitspanne, die keinen Raum für Überraschungen ließ, insofern muss auch Franco Bescheid gewusst haben. Worin die Nazis freie Hand hatten, waren die Details des Angriffs, denn wie genau die Attacke auf Gernika (wie auch andere Angriffe) vonstatten gehen sollte, dass oblag der Kompetenz der deutschen Kommandeure. Irujo wies jedoch darauf hin, dass es vereinzelt Fälle gab, in denen Franco nicht informiert wurde (u.a. eine Bombardierung auf Ibiza), was prompt zum Streit führte.
Gründe für den Angriff auf Gernika
Xabier Irujo sieht acht Gründe, die die Befehlshaber der Legion Condor dazu bewogen haben, gerade Gernika anzugreifen und zu vernichten:
1. die überschaubare Größe der Stadt und somit die Möglichkeit einer Totalvernichtung,
2. die Bevölkerungsdichte und die Tatsache, dass an jenem Montag Markttag war und sich Menschen aus anderen Orten ebenfalls in Gernika aufhielten,
3. die längliche Anordnung der Altstadt,
4. die Tatsache, dass der Stadt keinerlei Möglichkeiten der Abwehr zur Verfügung standen,
5. gutes Wetter,
6. die Nähe zur damaligen Front, die eine schnelle Einnahme der Stadt nach dem Angriff versprach,
7. die Tatsache, dass Gernika ein Symbol für die Basken und ihre Freiheitsrechte darstellte,
8. die Nazis, allen voran Göring, wollten Hitler ein Geschenk zum Geburtstag machen (20.April) – ein mehr als zynisches Argument, das jedoch verschiedene Vorläufer in der Geschichte hat.
Der Angriff
Die Beschreibung des Angriffs auf Gernika bei Wikipedia liest sich fast wie der reduktionistische Artikel des Militär-Magazins "Militär und Geschichte" zum selben Thema (5). Wiederholt werden Behauptungen, die in seriösen Historikerkreisen niemand mehr zu äußern wagt. "Ziel des deutschen Angriffs auf Gernika war die Zerstörung einer Steinbrücke über den Fluss Oca, die das Zentrum mit dem östlichen Stadtteil Rentería verband. Dadurch sollte die Infrastruktur zerstört und den Truppen Francos ein leichteres Erobern der Stadt ermöglicht werden. Am Morgen des 26. April 1937 (...) meldete die Besatzung einer Dornier (...) fälschlicherweise größere Truppenansammlungen am Rande Gernikas. In Wirklichkeit handelte es sich um Zivilisten auf dem Weg zum Markt. Der Stabschef der Legion Condor, Wolfram von Richthofen, sah hierin eine taktische Gelegenheit, die vermeintlichen 'Reserven´ des Gegners – man vermutete hier 23 baskische Bataillone – zu isolieren und zu vernichten und erhielt die Angriffsfreigabe von Oberst Vigón, dem Stabschef von Emilio Mola. Die Kommunikation zwischen von Richthofens Kommandoposten und dem Hauptquartier der Nationalen in Burgos soll nicht einwandfrei funktioniert haben und so kam es stattdessen zum direkten Angriff auf Gernika" (6).
Für das Wissensportal Wikipedia eine peinliche Legende. Erstens konnten 23 Bataillone der feindlichen Aufklärung nur schwerlich entgehen, zweitens ist es absurd, von einem Überraschungsangriff zu sprechen, an dem 59 vollbepackte Flugzeuge teilnahmen. Irujo nennt dies in einem Dokumentarfilm "Schwachsinn", diese Legende sei nichts als Ablenkungsmanöver, denn aufgrund vieler erforschter Tatsachen sei es völlig klar, dass der Angriff in mörderischer Absicht geplant war. Das beweisen zuallererst die Tagebuch-Aufzeichnugnen von Richthofens. Der Nazi-Oberst Jaenecke schrieb in einem internen Bericht an den Planungsstab des Einsatzes: "An und für sich war Guernica ein voller Erfolg der Luftwaffe. Die einzige Rückzugsstraße der ganzen roten Küste war durch den Brand und durch zwei Meter hohen Schutt in den Straßen völlig versperrt" (7).
Xabier Irujo stellte fest, dass von Richthofen an verschiedene Adressaten verschiedene Versionen schrieb, die Aufzeichnungen in seinem Tagebuch decken sich nicht mit dem Bericht, den er an seinen Vorgesetzten Sperrle schickte. Nachdem die Meldung von der Vernichtung Gernikas in internationalen Medien verbreitet wurde, fiel den Angreifern nichts besseres ein als die Basken selbst für die Vernichtung ihrer Stadt verantwortlich zu machen: die Roten hätten Gernika angezündet, war die offizielle Version, an die heute nicht einmal mehr die Militärhistoriker glauben. Über Gernika kamen nach Irujos Kalkül zwischen 31 und 41 Tonnen Bomben zum Einsatz, 80% davon waren Brandbomben. Das Warnsystem vor Fliegerangriffen funktionierte über Posten auf nahe gelegenen Bergen, die Signale sandten an mögliche Zielorte, dort wurde dann über Sirenen und Glocken Alarm ausgelöst. Der Angriff auf Gernika wurde deshalb vom Meer her gestartet, das nur 9 Kilometer entfernt ist. Dadurch wurde die Vorwarnzeit verkürzt, der Überraschungseffekt war größer, viele Leute hatten kaum eine Chance, sich in den sowieso knappen Schutzräumen zu verstecken.
Die erste Angriffswelle ging dennoch nicht von Nord nach Süd (aus Meer-Richtung), sondern quer von Ost nach West, um das etwas außerhalb liegende Wasser-Reservoir zu zerstören und die Wasserversorgung zu unterbinden. Die Angriffspause nach der ersten Welle hatte zum Ziel, den Menschen Zeit zu geben, sich ins Zentrum zu bewegen, in die wichtigen Orte, Hospitäler, um Angehörige zu suchen, zu helfen und sich zu orientieren. Die Folge war eine Konzentration von Menschen, die von den Angreifern in der zweiten Angriffswelle genutzt wurde, um eine größtmögliche Schlächterei zu veranstalten. Dieser zweite Angriff bestand aus zwei Bewegungen, zum einen vom Meer her in Nord-Süd-Richtung, zum andern kreisten einige Jäger über der Stadt und machten die Leute orientierungslos. Diese Strategie läßt nur die Interprätation zu, dass Opfer geradezu gesucht wurden. Unterstützt wird diese Analyse durch den folgenden Tiefflieger-Angriff mit Maschinengewehren und Schüssen auf fliehende Personen.
Unbeschädigte Objekte
Nicht einmal beschädigt wurde die später von den Angreifern offiziell zum Ziel des Angriffs erklärte Rentería-Brücke. Ebensowenig wurden die Gebäude der Waffenfabrik (Astra) zerstört, die keine 20 Meter von der komplett zerstörten Altstadt entfernt standen. Ebenfalls nicht beschädigt wurden die Häuser von Franquisten-Freunden in der Altstadt-Linie. Unbeschädigt blieb außerdem die legendäre Eiche von Gernika und das daneben liegende Parlamentsgebäude, möglicherweise aus Rücksicht auf die navarrischen Requete-Truppen (ein Teil der Franco-Armee), die in Gernika durchaus ebenfalls ein Symbol sahen. Die Spur der Vernichtung hinterließ eine gerade Linie von Tod und Leben, eine Art von "chirurgischem Eingriff" wie es in der modernen Kriegsberichterstattung heutzutage zynischerweise heißt. Auf der einen Seite eine vermeintliche Ungenauigkeit (die Brücke), auf der anderen Seite eine schnurgerade Linie der Vernichtung.
Die einzige Interprätation aus diesen Beobachtungen ist für Xabier Irujo ein genau ausgearbeiteter Plan von Vernichtung und Nichtvernichtung. Die Absicht der Nazis war es, einen groß angelegten Versuch zu unternehmen, mit welcher Bombenmischung die Vernichtung von Häusern funktionieren könnte, die denen in Polen ähnlich waren. Gleichzeitig wollten sie nicht vernichten, was ihnen kurze Zeit später in die Hände fallen könnte (Fabriken). Sie widersetzten sich damit dem Wunsch des faschistischen Befehlshabers an der Nordfront, General Emilio Mola, der die komplette Vernichtung der Industrie in Bilbao gefordert hatte. Denn in der Industrie und dem daraus folgenden Reichtum sah er eine Ursache für den baskischen Nationalismus und für die Entstehung der sozialistischen Arbeiterbewegung.
Das Ergebnis des dreistündigen Angriffs war die Vernichtung von 85% der Gebäude in der Altstadt, 99% wurden beschädigt. Über die Zahl der Opfer gibt es bis heute heftigen Streit. Im Wikipedia-Beitrag zur Bombardierung ist von 200 bis 300 Toten die Rede (6). Geschichts-Revisionisten wie Pio Moa versuchten die Zahl auf 15 herunter zu schrauben. Die baskische Regierung sprach am Tag nach dem Verbrechen von 1654 Toten. Schwierig wird die Schätzung der Zahl der Toten dadurch, dass erstens im Moment des Angriffs viele Auswärtige im Ort waren, deren mögliches Verschwinden nicht unbedingt mit dem Angriff in Zusammenhang gebracht wurde; zweitens wurden Verletzte u.a. nach Bilbao gebracht, wenn sie dort starben waren sie keine Gernika-Opfer; drittens besetzten die Faschisten zwei Tage später Gernika und vernichteten alle verfügbaren "Beweise" ihres Terrors, darunter Sterbepapiere, Unterlagen der Krankenhäuser, Kirchenarchive, etc.
Xabier Irujo hingegen geht von mehr als 2000 Toten aus. Er belegt dies mit verschiedenen Quellen. Zum einen bringt er Noel Monks (8) ins Spiel, einen relativ unbekannten australischen Journalisten, der die Zerstörung der Stadt aus der Ferne erlebte und als erster ausländischer Reporter in die kaputte Stadt kam. Er berichtete für die London Daily Express, wurde aber seltsamerweise nie so berühmt wie George Steer, sein südafrikanischer Kollege, der am nächsten Tag von der baskischen Regierung geschickt wurde und für die London Times berichtete.
George Steer ist in Gernika ein Denkmal gewidmet. Monks wie auch andere Augenzeugen – Irujo spricht von 39 weiteren Zeugenaussagen, erwachsene Personen verschiedener Berufe – sprachen von wenigstens tausend Toten, die offen in den Straßen lagen. Kein einziger Zeugen spricht von weniger als 1000 Toten. Wohl, weil die Nachricht von der Zerstörung so unglaublich war, wurde Monks von seinen Chefs in London erneut nach Gernika geschickt, um die Geschichte zu bestätigen.
Das Interesse der Medien in aller Welt war groß, neben Monks, Steer und Holms schrieben viele andere über Gernika, immerhin sieben Reporter sahen die zerstörte Stadt mit eigenen Augen, bevor die Franquisten einmarschierten. In den USA wurden – laut Xabier Irujo – vom 27.April bis 12.Juli 1937 mehr als 7000 Artikel zum Thema publiziert, allein in New York waren es 63. Obwohl er mit seinen Ausführungen den Fehdehandschuh des Zahlenkrieges aufnimmt, warnt Irujo davor, die Geschichte von Gernika und des Krieges insgesamt als abgeschlossen zu betrachten. "Immer wieder finden wir neue Informationen, manche ergänzen das, was wir schon wissen, andere widerlegen das, wovon wir bisher ausgegangen sind".
Bomben auf Lekeitio
Der Ort war einer von 35 im Baskenland, die mehrfach bombardiert wurden. Fünf Mal wurde Lekeitio zwischen dem 22. und dem 29.Oktober 1936 angegriffen. Zwar war der Ort weit entfernt von der Front und hatte militärisch kein Bedeutung, dennoch wurde auch dort mit Bomben Terror verbreitet, um die Moral der Bevölkerung zu unterminieren. Am 22.Oktober ereignete sich der erste Angriff. Die Bomben kamen in der heutigen Harbiatx-Straße herunter, gegenüber der Hausnummer fünf. Zwei Mädchen wurden getötet, drei weitere Frauen und ein 12-jähriger Junge verletzt. Am selben Tag wurde auch der Santakataliña Bauernhof bombardiert, ohne menschliche Schäden zu verursachen.
Einen Tag darauf wurde im Hafen das Haus angegriffen, in dem heute die Willow's Tavern ist. Ein Fischer wurde getötet, ein zweiter Mann wurde auf seinem Balkon getroffen und starb sechs Tage später im Krankenhaus. Am Sonntag 25.Oktober wurden zwei Personen durch Bomben verletzt, ein Angriff am 26. blieb ohne Folgen. Am 29.Oktober, einem Donnerstag, wurden sieben Bomben abgeworfen, wahrscheinlich an den folgenden Orten: im Hafen gegenüber der Cafeteria Marina; gegenüber der Sporthalle; vor dem Gebäude Nummer 6 der Uribarri-Straße, dabei durchschlug eine Bombe das Dach, es kam jedoch zu keinen persönlichen Schäden. All diese Daten sind in die historische Forschungsarbeit von Xabier Irujo eingegangen (9).
Ein weiterer Artikel über die Geschichte der Legion Condor erschien bei Baskultur.info unter dem Titel: Was war die Legion Condor?
QUELLEN:
(1) Baskale Elkartea: im Jahr 2010 gegründeter baskisch-deutscher Kulturverein, der mit Ausstellungen, Informations-Veranstaltungen und einem Dokumentarfilm im Bereich der Erinnerungs-Politik aktiv ist und der das Geschichts- und Kultur-Portal Baskultur.info in deutscher Sprache produziert.
(2) Manfred von Richthofen: Freiherr Manfred Albrecht von Richthofen (1892 in Breslau; 1918 bei Vaux-sur-Somme, Département Somme) war ein deutscher Jagdflieger im Ersten Weltkrieg. Er erzielte die höchste Zahl von Luftsiegen, die im Ersten Weltkrieg von einem einzelnen Piloten erreicht wurde. Den bekannten Beinamen "Der Rote Baron" erhielt von Richthofen, der einen Großteil seiner Einsätze in mehr oder weniger rot gestrichenen Flugzeugen flog, erst nach dem Krieg. (Wikipedia)
(3) Aviazione Legionaria: Neben Bodentruppen, die überall im Einsatz waren, schickte Mussolini eine Luftwaffe, die zuerst aus Savoia-Marchetti S.M.81-Maschinen bestand und später durch Jagdflugzeuge mit dem Namen Fiat CR.32 ergänzt wurde. Sie kamen praktisch seit Kriegsbeginn zum Einsatz und beteiligten sich anfangs am Transport der faschistischen Truppen von Marokko auf die Halbinsel. Am 30.Juli 1936 flogen von Sardinien aus 12 dreimotorige Maschinen Richtung Marokko, drei davon gingen verloren, darunter eine, weil sie auf französischem Boden landete, was einen diplomatischen Skandal hervorrief, da die italienische Kriegsbeteiligung gegen den Nicht-Einmischung-Pakt verstieß. Die Aviazione Legionaria hatte bei den Nazis einen schlechten Ruf, sie war u.a. verantwortlich für die verheerende Bombardierung der Stadt Durango (Bizkaia) am 31.3.1937, nur wenige Wochen vor der Attacke auf Gernika. (Link)
(4) Wolfram von Richthofen: (* 1895 in Schlesien) war ein deutscher Heeres- und Luftwaffensoldat. Ab 1923 am verdeckten Aufbau einer Luftwaffe beteiligt. Als Stabschef der Legion Condor war er im Spanischen Bürgerkrieg verantwortlich für die völkerrechtswidrige Zerstörung von Gernika. Im Zweiten Weltkrieg war er ab 1943 (Generalfeldmarschall) der Luftwaffe des Deutschen Reichs. Am 12. Juli 1945 starb er in amerikanischer Kriegsgefangenschaft.
(5) Militär und Geschichte. Zeitschrift zur Militärgeschichte. Nr.69 Juni/Juli 2011, darin: "Guernica 1937, Terrorakt oder reguläre Kriegsführung? Die Wahrheit über den Luftangriff auf die Baskenstadt"
(6) Beschreibung von Angriff und Zahl der Toten in Gernika bei (Wikipedia)
(7) zitiert aus der Broschüre "... ein voller Erfolg der Luftwaffe. Die Vernichtung von Gernika/Guernica am 26.April 1937. Gegenwart und Vergangenheit eines deutschen Kriegsverbrechens", hg. 2010 vom (Arbeitskreis Regionalgeschichte) in Neustadt am Rübenberge
(8) Bericht des australischen Kriegsberichterstatters Noel Monks. Noel Monks was a correspondent covering the civil war in Spain for the "London Daily Express." He was the first reporter to arrive on the scene after the bombing. We join his story as he and other reporters drive along a dusty Spanish road: "We were about eighteen miles east of Guernica when Anton pulled to the side of the road jammed on the brakes and started shouting. He pointed wildly ahead, and my heart shot into my mouth, when I looked. Over the top of some small hills appeared a flock of planes. A dozen or so bombers were flying high. But down much lower, seeming just to skim the treetops were six Heinkel 52 fighters. The bombers flew on towards Guernica but the Heinkels, out for random plunder, spotted our car, and, wheeling like a flock of homing pigeons, they lined up the road - and our car.
Anton and I flung ourselves into a bomb hole, twenty yards to the side of the road. It was half filed with water, and we sprawled in the mud. We half knelt, half stood, with our heads buried in the muddy side of the carter. After one good look at the Heinkels, I didn't look up again until they had gone. That seemed hours later, but it was probably less than twenty minutes. The planes made several runs along the road. Machine-gun bullets plopped into the mud ahead, behind, all around us. I began to shiver from sheer fright. Only the day before Steer, an old hand now, had 'briefed' me about being strafed. 'Lie still and as flat as you can. But don't get up and start running, or you'll be bowled over for certain'. When the Heinkels departed, out of ammunition I presumed, Anton and I ran back to our car. Nearby a military car was burning fiercely. All we could do was drag two riddled bodies to the side of the road. I was trembling all over now, in the grip of the first real fear I'd ever experienced." (...) "I saw the reflection of Guernica's flames in the sky." Monk and his fellow reporters drive on, traveling near Guernica where they can hear what they think may be the sounds of bombs. They continue to the city of Balboa, where after filling his report to London, Monk joins his colleagues for dinner. His story continues as his dinner is interrupted by the news from Guernica: "... a Government official, tears streaming down his face, burst into the dismal dining-room crying: 'Guernica is destroyed. The Germans bombed and bombed and bombed.' The time was about 9.30 p.m. Captain Roberts banged a huge fist on the table and said: 'Bloody swine.' Five minutes later I was in one of Mendiguren's limousines speeding towards Guernica. We were still a good ten miles away when I saw the reflection of Guernica's flames in the sky. As we drew nearer, on both sides of the road, men, women and children were sitting, dazed. I saw a priest in one group. I stopped the car and went up to him. 'What happened, Father?' I asked. His face was blackened, his clothes in tatters. He couldn't talk. He just pointed to the flames, still about four miles away, then whispered: 'Aviones. Bombas. Mucho, mucho.' (...) I was the first correspondent to reach Guernica, and was immediately pressed into service by some Basque soldiers collecting charred bodies that the flames had passed over. Some of the soldiers were sobbing like children. There were flames and smoke and grit, and the smell of burning human flesh was nauseating. Houses were collapsing into the inferno. In the Plaza, surrounded almost by a wall of fire, were about a hundred refugees (...) The only things left standing were a church, a sacred Tree, symbol of the Basque people, and, just outside the town, a small munitions factory. There hadn't been a single anti-aircraft gun in the town. It had been mainly a fire raid (...) A sight that haunted me for weeks was the charred bodies of several women and children huddled together in what had been the cellar of a house. It had been a refugio." (http://www.eyewitnesstohistory.com/guernica.htm)
(9) Zur Bibliografie von Xabier Irujo folgender (Link)
ABBILDUNGEN:
(1) Die ASTRA-Waffenfabrik in Gernika, die bei der Bombardierung durch die Legion Condor verschont wurde, ist heute ein städtisches Kulturzentrum. FAT – Foto Archiv Txeng
(2) Xabier Irujo beim Vortrag in Lekeitio. FAT – Foto Archiv Txeng
(3) Foto der Ausstellung Legion Condor. Vergangenheit und Gegenwart eines Kriegsverbrechens" in Lekeitio. FAT – Foto Archiv Txeng
(4) Foto der Ausstellung "Legion Condor. Vergangenheit und Gegenwart eines Kriegsverbrechens" in Durango. FAT – Foto Archiv Txeng
(5) Ansicht der Küstenstadt Lekeitio. FAT – Foto Archiv Txeng
(6) Foto der Ausstellung "Legion Condor. Vergangenheit und Gegenwart eines Kriegsverbrechens" in Lekeitio. FAT – Foto Archiv Txeng
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2015-06-02)