Quesada: ETA-Gründer – von Folter vernichtet
Am 29. Januar 1968 – vor 50 Jahren – starb José María Quesada Lasarte, einer der ersten Freiwilligen der zehn Jahre zuvor gegründeten antifranquistischen Untergrund-Organisation ETA, Euskadi ta Askatasuna. Zum Zeitpunkt seines Todes war er 33 Jahre alt. Unzählige Male war er verprügelt und gefoltert worden, meist unter dem Kommando von Meliton Manzanas, einem berüchtigten spanischen Polizisten, der als Gestapo-Kollaborateur bekannt wurde. Quesada starb an den Folgen der Misshandlungen in Polizeikerkern.
Quesadas Geschichte ist die eines antifranquistischen baskischen Widerstandskämpfers, der sein Engagement bei der 1959 gegründeten Untergrund-Organisation ETA mit Prügel, Folter und Tod bezahlte.
Heutzutage wird die baskische Untergrund-Organisation ETA in der Regel als “terroristische Vereinigung” bezeichnet, die im Verlauf ihres Daseins über 800 Menschen umgebracht hat. In Vergessenheit geraten ist, in welcher Zeit diese Organisation entstand, unter welchen politischen Vorzeichen. Denn es waren die dunklen Jahre des Franquismus, der sich mit einem Militärputsch gegen die demokratisch gewählte Republik durchsetzte. Für den Kriegsgewinn organisierte Franco einen Genozid und herrschte 40 Jahre lang mit Gewalt und Terror. Dagegen erhob sich 1959 eine Gruppe von jungen Leuten, die genug hatten vom Durchhalte-Diskurs der baskischen Exilregierung. Die ersten 10 Jahre von ETA waren von symbolischen Aktionen geprägt. Das franquistische Regime antwortete mit brutaler Repression. Die Folge im Jahr 1968 waren die ersten Toten: der ETA-Militante Xabi Etxebarrieta und der Folterpolizist Meliton Manzanas. Diese Namen sind in die Geschichte des baskisch-spanischen Konflikts eingegangen. Nicht so der Name von José María Quesada Lasarte, dessen Geschichte an dieser Stelle erzählt wird. (1)
José María Quesada wurde am 23. Juli 1934 geboren, zwei Jahre bevor die franquistischen Generäle putschten und die spanische Republik in ein Schlachtfeld verwandelten. Seine Eltern lebten damals in der Altstadt von Donostia (San Sebastian) in einer bescheidenen Wohnung der Fermín Calbetón Straße. Zwei Jahre nach ihm wurde seine Schwester Juani geboren. Die Mutter, Teresa Lasarte Imaz, stammte aus Ondarroa in Bizkaia, auf der Suche nach Arbeit war sie nach Donostia gekommen. Der Vater, Eugenio Quesada Urkia, arbeitete bei der Wasserversorgung und stammte väterlicherseits aus Asturien.
Vater Eugenio Quesada meldete sich nach der franquistischen Erhebung sofort bei der baskisch-republikanischen Armee. Nach Angaben der damaligen baskischen Regierung des Ministerpräsidenten Jose Antonio Aguirre starb Eugenio im Mai 1937 während der Schlachten am Bizkargi-Berg (zwischen Gernika und Larrabetzu). Bis heute, 80 Jahre danach, wurde seine Leiche noch nicht gefunden, sein Name steht auf der Liste der Verschwundenen, die von der Wissenschaftlichen Gemeinschaft Aranzadi geführt wird (Sociedad de Ciencias Aranzadi).
Die Witwe Teresa, José María Quesadas Mutter, musste schauen, wie sie die beiden kleinen Kinder durch die schlechten Zeiten bringen konnte. Sie putzte Wohnungen und machte im eigenen Häuserblock im Stadtteil Antiguo von Donostia den Pfortendienst. Hier wuchs José María auf. Früh musste er die Schule verlassen und arbeiten gehen, zu Beginn in einem Lampengeschäft.
In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre entwickelte sich im Barrio El Antiguo eine rebellische Jugend, die jungen Leute bewegten sich im Umfeld der Pfarrkirche „Los Luises“ (San Luis Gonzaga). Die organisierten Bergausflüge wurden zur Flucht aus der franquistischen Enge in der Stadt, es entstand eine Jugendorganisation. Mit seiner Clique war José María Quesada an Aktivitäten beteiligt, die immer stärker politischen Charakter annahmen.
Erste Festnahme
Im Jahr 1958 wurde José María Quesada zum ersten Mal festgenommen. Erst war er im Polizeikommissariat des berüchtigten Folterers Meliton Manzanas, dann kam er ins Gefängnis Martutene von Donostia. Von da an bis 1962 wurde er ein halbes Dutzend Mal verhaftet. Zu Hause hatte er bereits eine Decke zurecht gelegt, die er sich überwarf, wenn die zivilgekleideten Polizei-Inspektoren an der Tür des Ederrena-Hauses klingelten, wo er mit Mutter und Schwester lebte.
Vor zwei Jahren legte der Historiker Mikel Aizpuru ein Dokument aus dem Nationalen Geschichts-Archiv vor. Ein Polizeibericht von 1961 beschreibt die Entstehung von ETA aus franquistischer Sicht. Für den spanischen Geheimdienst war José Luis Álvarez Enparanza, Spitzname „Txillardegi“, der Anführer der Baskischen Jugend (Juventud Vasca - Eusko Gaztedi), zweiter in der Rangliste war José Mari Quesada.
Mitgliederwerbung in Navarra
Nach ihrer Gründung hatte die Organisation ETA im Donosti-Stadtteil El Antiguo die meisten Aktivisten, darunter Txillardegi. Auch die Brüder Rafa und José Antonio Albisu, Pontxo Iriarte, Iñaki Balerdi, Valentín Angiozar, Eduardo Ferrán. Und José Mari Quesada, dem die Führung der Organisation den Auftrag gab, neue Mitglieder zu werben – aufgrund seiner Überzeugungs-Fähigkeiten.
Im Juli 1961 brachte ETA einen Zug mit franquistischen Kriegsveteranen zum Entgleisen und verbrannte zwei spanische Flaggen. Antwort war eine großangelegte Festnahmewelle in Gipuzkoa und Bizkaia, dabei wurde ein Großteil der ETA-Struktur zerstört, insbesondere die aktive sechste Abteilung. Die Organisierung im Untergrund war unübersichtlich und die Polizei konnte nicht genau unterscheiden zwischen Aktivisten von ETA und solchen von Eusko Gaztedi, der ebenfalls illegalen Jugendorganisation der Baskisch Nationalistischen Partei PNV, die im Exil war. Deshalb blieb Quesada in jenem Moment vom Gefängnis verschont. Der Großteil seiner Freunde, einschließlich seiner Clique, endete jedoch im Gefängnis.
Iparralde – Navarra
Die neue Führung von ETA hatte sich mittlerweile in Iparralde im französischen Baskenland etabliert. Quesada wurde mit der schwierigen Mission beauftragt, die chaotische Personalsituation neu zu ordnen, neue Kader in Navarra zu organisieren, wo es bisher nichts dergleichen gab. So wurde Quesada, obwohl er in Donostia lebte, zum Verantwortlichen für das „Alte Königreich“, wie Navarra aufgrund seiner Geschichte genannt wird. Eneko Irigaray hatte in Hernani ein Treffen mit ihm, Wochen später war Julen Madariaga mit Pontxo Iriarte und José Antonio Albisu verabredet, sie alle waren mit Quesada zusammen mit der neuen Struktur in Navarra beschäftigt.
Die Entscheidung, eine organische Verbindung zwischen den Provinzen Navarra und Araba zu schaffen, hatte ETA bei ihrer ersten Versammlung im Mai 1962 getroffen, die im Kloster Belloc in Iparralde stattgefunden hatte. Für Navarra sollten Quesada, Iriarte und Albisu auch mit einer zusätzlichen Zeitung neben „Zutik“ (Aufrecht) ausgestattet werden. „Iratxe“ war ihr Titel (ein Frauen- und Ortsname), die neue Schrift sollte die Propagandaarbeit stärken.
Franco-Attentat
Am 18. August 1962 versuchte eine anarchistische Gruppe – mit Hilfe von ETA – einen Tyrannenmord. Sie hatten Sprengstoff nach Donostia geschafft, um ein Attentat gegen Franco auszuführen, der wie jedes Jahr im Aiete-Palast den Sommer verbrachte (Aiete ist heute das „Haus des Friedens und der Menschenrechte“). Die Bombe explodierte nicht, aber die Konsequenzen waren schrecklich: Dutzende Verhaftungen, schwere Misshandlungen und Folter. Ein Attentat auf den Führer erforderte vom Regime die härteste jeder möglichen Antwort.
In jenem Moment war José Mari Quesada bei der Hochzeit seiner Schwester Juani. Nachts wollten die neu Verheirateten ihre Hochzeitsreise nach Iruñea antreten. Die Polizei stürmte die Familienwohnung und nahm José Mari mit. Im Kommissariat wurde er geschlagen bis er das Bewusstsein verlor, vor allem mit Schlagstöcken und Stangen auf den Kopf. Der Folterknecht Meliton Manzanas wusste bereits, dass José Mari Quesada mit ETA zu tun hatte. Nun sollte ihm die Teilnahme am Attentat gegen den Generalísimo angehängt werden.
Niemand weiß genau, wie lange sich Quesada im Kommissariat von Donostia befand. Einige Genossen sahen ihn in den Folterkellern der Dirección General de Seguridad, DGS in Madrid, nahe des Platzes "Puerta del Sol" in einem erbärmlichen Zustand. Als er ins Carabanchel-Gefängnis gebracht wurde, waren die anderen Gefangenen von seinem Zustand erschreckt. Eduardo Ferrán erinnert sich, dass sein Kopf von den Schlägen völlig verschwollen war, seine Kniescheiben ragten aus dem Fleisch. Er konnte nicht mehr gehen, die Hose klebte an seinen Beinen.
Quesada sollte im Kriegsrat 1.220/62 vor Gericht gestellt werden. Der Vorwurf lautete, an einem Treffen teilgenommen zu haben, bei dem ETA nach den Verhaftungen von 1961 reorganisiert wurde und der Verantwortliche von ETA in Navarra gewesen zu sein. Außerdem sollte er 8.000 Peseten an Angehörige von politischen Gefangenen gegeben haben. Im Urteil stand, dass er Teil einer Organisation war, „die seit Anfang 1959 der erklärte Feind der in Spanien etablierten juristisch-sozialen Ordnung sei, und deren oberstes politisches Ziel die Unabhängigkeit des von ihnen Euzkadi genannten Territoriums sei.“
Das tragische Ende
Das Gefängnis war nichts als eine zusätzliche Folter für den schwer gezeichneten Quesada. Zusammen mit Rafa Albisu verbesserte er seine Euskara-Kenntnisse. Es begann die Zeit der schrecklichen Kopfschmerzen. Was danach geschah, überraschte all jene, die ihn gut kannten: in wenigen Wochen wurden seine Haare grau – dabei war er gerade 28 Jahre alt.
Ende 1963 wurde Quesada aus dem Gefängnis entlassen, aufgrund eines allgemeinen Gnadenerlasses, den das franquistische Regime aus Anlass des Todes von Papst Johannes XXIII beschloss. Doch nichts sollte so werden wie vorher. Quesada blieb bei seinen Überzeugungen, er pflegte die Freundschaften von vorher. Aber seine Gesundheit war schwer beeinträchtigt. Seine Verlobte, vom Bauernhof Txokolatene in Ondarreta (Donostia) erinnert sich an die schrecklichen Kopfschmerzen, an denen er litt, ein regelrechtes Martirium.
Gehirnoperationen
In den folgenden Jahren wurde José Mari drei Mal operiert. Immer ging es um die Folgen der Schläge auf den Kopf, die er hatte einstecken müssen. Zuerst wurde er am Gehör operiert, von Doktor Larre. Die nächsten beiden waren Operationen am Gehirn. Die erste war eine Schädelöffnung, durchgeführt von einem Arzt namens Arrazola, bei der eine Nekrose festgestellt wurde, das Absterben verschiedener Gehirnteile. Beim dritten Eingriff musste eine Infektion gestoppt werden.
Mitte 1967 begannen bei Quesada Gedächtnisprobleme, unerträgliche Schmerzen setzten ein. Ende November wurde er ins Krankenhaus Donostia eingeliefert. Rund um die Uhr wurde er von seinen politischen und privaten Freunden begleitet. Er starb am 29 Januar 1968, ziemlich genau vor 50 Jahren. Seine Freunde nannten ihn „Poxpolio“, weil er das Wort Poxpolo (Streichholz) so seltsam aussprach. Im Untergund war sein Deckname Jaime.
Nachruf
Ein para Genossen schrieben einen Nachruf in „Guia”, der Zeitschrift der „Luises”-Pfarrei von El Antiguo. „Deine Unkompliziertheit wird uns immer in Erinnerung bleiben“. Der Direktor des Krankenhauses übermittelte die Todesnachricht an die Familie mit den folgenden Worten: „Ich kann Ihnen nichts über die Todesursache sagen, aber Sie können es sich schon vorstellen.“
Jene, die den historischen Zyklus überlebten und Quesada kannten, haben fünfzig Jahre danach keine Zweifel, dass es die Folgen der Folter durch Meliton Manzanas und López Arribas in Donostia waren, an denen der Aktivist aus Donostia starb. Ein Übriges taten die unbekannten Polizisten in den Kerkern von Madrid. Seine Agonie zog sich über Jahre hinweg und war schrecklich. Wenige sind es, die mit Quesada zusammen gegen den Franquismus aktiv waren und noch am Leben sind: Iñaki Larramendi, Eneko Irigarai, Eduardo Ferrán, Pontxo Iriarte, sein Schwager Primitivo Lizarrondo und auch seine Lebensgefährtin von damals, Arantza Bereziartua.
ANMERKUNGEN:
(1) Der vorliegende Artikel ist zu großen Teilen eine Übersetzung der Publikation „Quesada, pionero de ETA machacado por la tortura” aus der baskischen Tageszeitung GARA vom 29.01.2018 (Quesada, ETA-Pionier, von der Folter erledigt). Autor ist der baskische Historiker Iñaki Egaña. Artikel-Erweiterungen wurden zum besseren Verständnis des deutschsprachigen Publikums eingefügt. (Link)
ABBILDUNGEN:
(1) Quesada, Jugendbild (naiz.eus)
(2) El Antiguo, Donostia
(3) Zeitungsnotiz Tod Manzanas
(4) Folterer Meliton Manzanas
(5) Zeitungsnotiz Tod Manzanas
(6) Prozess von Burgos, Plakat