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Free Bilbo: besetzen, kämpfen, streiken

In touristischen Reisezielen stehen sich oft zwei Welten mit recht unterschiedlichen Interessen gegenüber: die Masse der Reisenden, die etwas kennen lernen will, und die Gruppe der Einheimischen, die sich ein Geschäft verspricht und dennoch nicht wie in einem Zoo leben möchte. Eine Stadtteil-Initiative in Bilbao hat sich dieses Widerspruchs angenommen und bietet einen erfrischend kritischen alternativen Rundgang an, der sich unbekannten Themen widmet, die mitunter sogar Tabu-Charakter haben.

Im ersten Teil des alternativen und virtuellen Rundgangs FREE BILBO ging es um Stadtgeschichte und die wirtschaftliche Entwicklung Bilbaos, im vorliegenden zweiten Teil geht es um die Altstadt und das berüchtigte Barrio San Francisco. Das Zirikatzen!-Kollektiv, das diese kostenlose Anwendung für Android-Handys entwickelt hat, besucht im zweiten Teil des Rundgangs die Altstadt von Bilbao, die in den vergangenen 10 Jahren eine nur schwer erträgliche touristische Vermarktungs-Welle erfahren hat und sich stark verändert hat – zum Missfallen seiner Anwohner/innen. Statt Anekdoten und Kirchengeschichten erzählt Zirikatzen! die Geschichte der besetzten Häuser, der Gay- und Lesben-Bewegung, der franquistischen Repression und weitere Themen. Daneben geht es ins Barrio San Francisco, die Wiege der baskischen Arbeiter/innen-Bewegung und die Heimat der bilbainischen Prostitution. Dieses Viertel wird im Tourismus-Büro als No-Go-Area bezeichnet, ist jedoch gleichzeitig von einem Gentrifizierungs-Prozess gefährdet. Denn nach den Migrantinnen, die hier eine Bleibe gesucht haben, macht sich neuerdings eine Boheme-Bewegung breit, die wenig Alternatives im Sinn hat und dem Stadtteil einen neuen Stempel aufdrückt.

Zur Erinnerung: Die von Zirikatzen! (Provozierend!) entwickelte Anwendung kann mit Android-Telefonen einfach heruntergeladen werden. Neben vielfältiger Information beinhaltet sie Links und Karten, die bei der Orientierung hilfreich sind. Der erste Teil des Free Bilbo Rundgangs ist zu finden unter … (Link)
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"Free Bilbo" in der Altstadt und San Francisco

Die Entwicklung Bilbos stand immer eng mit dem Seehandel in Zusammenhang. Im Laufe des 15. und 16. Jhs. stabilisierte sich seine Handelsposition, es wurde zum ökonomischen Zentrum der Provinzherrschaft Bizkaia. In dieser Zeit wurden die Beziehungen zu anderen Hafenstädten Europas verstärkt, der Handel mit den amerikanischen Kolonien weitete sich aus. Damit begann eine Migrationsbewegung, an der Tausende von Bask/innen beteiligt waren. 1511 wurde die Handelskammer von Bilbo gegründet, die sich zur einflussreichsten Organisation der folgenden drei Jahrhunderte entwickelte. Sie übernahm die Verantwortung für alle Hafen-Tätigkeiten, auch Wartung und Verbesserung. Dank dieser Handelskammer war Bilbo der bedeutendste Hafen des kantabrischen Meers, mit den drei wesentlichen Handelsgütern jener Zeit: Eisen, Wolle und die Handelsflotte selbst.

Drei Naturkatastrophen (zwei Überschwemmungen und ein Brand) zwischen dem 16. und 18. Jh. führten zu einer umfangreichen Veränderung der Gebäudestruktur. In weniger als 40 Jahren wurde die mittelalterliche Struktur der Stadt fast vollständig zerstört, eine Neugestaltung begann: Die Stadtmauer wurde abgebaut und die Gebäude fortan aus Stein statt Holz gebaut. Dieses neue Bilbo entwickelte sich rund um die Hauptstraße, zu jener Zeit die Bidebarrieta Straße. Sie führt parallel zur Straße Santiago (heute: Posta / Correos) von der Kathedrale zum Arenal. Diese Zone wurde zum Wohnsitz der Bourgeoisie und der in der Stadt lebenden holländischen und englischen Händler.

Plaza Nueva (Neuer Platz)

Du hast soeben den Plaza Nueva betreten, wie du siehst, ist der Platz gar nicht so neu. Sein Bau in neoklassizistischem Stil dauerte mehrere Jahrzehnte, aufgrund von verwaltungs-technischen Problemen. Bereits 1786 geplant wurde er erst 1851 eingeweiht. Während der Belagerung Bilbos 1936/37 wurde ein Teil des Platzes durch eine von den Faschisten abgeworfene Bombe vollständig zerstört (von den Nazis der Legion Condor). Aufgrund der durch die Bombardierung verursachten Schäden wurde 1940 der fünfte Eingang des Platzes geschaffen, der sich zur Straße Posta-Correos hin öffnet. An diesem Platz hat heute die Euskaltzaindia ihren Sitz, die Akademie der baskischen Sprache, Euskera. Diese Institution entstand 1919 auf Initiative der vier Regionalregierungen Bizkaia, Araba, Gipuzkoa und Nafarroa mit dem Ziel, den Gebrauch des Baskischen zu normalisieren und zu stärken.
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Platz der Brüder Etxebarrieta

Du befindest dich jetzt auf dem Platz Unamuno, auch bekannt als Platz der Brüder Etxebarrieta. Txabi Etxebarrieta (Bilbo 1944 - Tolosa 1968) und Jose Antonio Etxebarrieta (Bilbo 1940 - 1973). Jose Antonio war der Anwalt von Xabier Izko de la Iglesia im bekannten Burgos-Prozess (1970). Beide Brüder waren ETA-Mitglieder, deren intellektuelle Beiträge die politische Strategie der Organisation stark prägten.

In der Partei ANV vereinigte sich vor dem Spanienkrieg 1936-39 die Unabhängigkeits-Bewegung und die baskische Linke. Nach dem Krieg tauchten aus der Diaspora Schriften auf, die die von der ANV begonnene politische Linie stärkten. Am Ende war sie Vorläufer von ETA, die nach dem Krieg, Anfang der 50er Jahre, diese doppelte nationale und soziale Unterdrückung zu ihrem Programm machte. Spannungen und Unstimmigkeiten bezüglich Haupt- und Nebenwiderspruch markierten die Richtung der Organisation. Doch erst in der 5. ETA-Versammlung wurde das revolutionäre Subjekt definiert, das die Befreiung Euskal Herrias erkämpfen sollte: das arbeitende baskische Volk. Subjekt und Idee – ein Konzept, das der doppelten Unterdrückung Nachdruck verlieh. In derselben Versammlung wurde ETA als sozialistische baskische Bewegung zur nationalen Befreiung definiert, der Marxismus wurde somit tragendes Element der Organisation. In diesem Gründungsprozess spielten die Brüder Etxebarrieta eine entscheidende Rolle.

Txabi Etxebarrieta war der erste ermordete ETA-Aktivist. Am 7. Juni 1968 wurde das Auto, in dem er und sein Kollege Sarasketa fuhren, in Aduna (Gipuzkoa) bei einer Kontrolle von der Guardia Civil angehalten. Txabi Etxebarrieta schoss auf den Beamten Pardines Arcay, und die beiden konnten flüchten. Kurz darauf wurden sie von der Guardia Civil gestellt, es kam zu einem Schusswechsel in Benta Haundi (Tolosa). Etxebarrieta wurde getötet, Sarasketa festgenommen. Eine Zeit lang stand eine Büste von Etxebarrieta auf dem Urretxindorra-Platz im Stadtteil Otxarkoaga. Diese wurde vom Rathaus Bilbao im September 2004 entfernt.

Polizeipräsenz

Das Baskische Museum widmet sich der baskischen Geschichte. Das Gebäude war früher ein Kloster und später eine Zeit lang Kommissariat der spanischen Nationalpolizei. Die spanische Nationalpolizei ist eines der vier Polizeiorgane, die in Bilbo vertreten sind, neben der spanischen Guardia Civil, der baskischen Ertzaintza und der Stadtpolizei. Wichtig ist der Hinweis, dass das Baskenland in Europa das Gebiet mit der größten Polizeidichte pro Einwohner/in darstellt: 703 Polizist/innen pro 100.000 Einwohner/innen. Guardia Civil und spanische Nationalpolizei operieren im Baskenland als Besatzungstruppen, in enger Zusammenarbeit mit der Ertzaintza. Daher werden in Euskal Herria die baskischen Polizisten auch Cipayos genannt (in Anlehnung an die indischen Soldaten – Sepoy – der britischen Ostindien-Kompanie).
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Die Kasernen dieser Polizeikräfte in Euskal Herria sind historisch eng mit Folter verbunden. Mehrere Tausend Personen wurden in diesen Kasernen gefoltert, einige starben in Folge der Misshandlungen. Negativ berühmt innerhalb des Stadtgebiets Bilbao sind die Kaserne der Guardia Civil La Salve (gegenüber des Guggenheim-Museums) und das Kommissariat der Nationalpolizei von Indautxu, in dem der politische Aktivist Xabier Kalparsoro 1993 aus einem Fenster im zweiten Stock „fiel“. Erwähnenswert ist die Tatsache, dass der spanische Staat wiederholt verurteilt wurde, weil er Folter-Anzeigen nicht nachgegangen ist.

Kalderapeko

Kalderapeko bedeutet „unter der Schüssel“. Die Kneipe trägt diesen Namen in Erinnerung an die Frauen, die zu Zeiten, als es in den Häusern kein fließendes Wasser gab, täglich mit einer Schüssel auf dem Kopf zum Hundebrunnen (fuente del perro) gingen. Seit einigen Jahrzehnten ist dieses Lokal ein Kulturzentrum und gehört zu AEK, einem Verein, der sich die Alphabetisierung in baskischer Sprache zur Aufgabe gemacht hat. AEK wurde als Bewegung zur Alphabetisierung des Euskara gegründet und ist darüber hinaus auch in den Stadtteilen aktiv und setzt sich für Selbstverwaltung ein. Nach dem Ende des Franquismus war AEK von großer Bedeutung, es entstanden Hunderte von Zentren, die Euskara unterrichten, die sogenannten Euskaltegis. In der Anfangszeit fand der Unterricht abends oder nachts statt, alle Lehrenden waren Freiwillige, die für ihre Arbeit nicht bezahlt wurden.

Die Stärke, die diese Bewegung gewann, brachte die baskische Regierung dazu, eigene Programme zur Förderung des Euskara zu entwickeln. So entstanden öffentliche Schulen in baskischer Sprache. Heute unterhält AEK ungefähr 100 Zentren oder Euskaltegis und organisiert alle zwei Jahre die sogenannte Korrika, einen Volkslauf, der 10 Tage lang ohne Unterbrechung das gesamte Territorium Euskal Herrias durchquert, ungefähr 2.300km (Artikel: „Euskara: Korrika – Laufen für die Sprache“).
http://www.baskultur.info/index.php/kultur/euskara/14-korrika

Ein Volk organisiert sich

Du stehst vor einer Wasserstands-Markierung, den die heftige Überschwemmung von 1983 hinterlassen hat. Die von Bergen umgebene Stadt Bilbo war den Wassermassen des Nervión Flusses schutzlos ausgesetzt, im Laufe der Geschichte hatte sie zahlreiche Überschwemmungen erlebt. Die letzte große Überschwemmung fand im August 1983 statt. Das Flussbett des Nervión konnte die nach schweren Gewittern ansteigenden Wassermassen nicht mehr fassen (500mm pro qm). Am 26. August, mitten in der Festwoche, trat das Wasser über die Ufer und erreichte einen Stand von bis zu fünf Metern. Mehr als 100 Orte wurden zur Katastrophenzone erklärt, in Euskal Herria, Kantabrien und Burgos. 34 Personen starben und fünf galten als verschwunden.

Im August 1983 war Bilbao abgeschnitten, die Stromversorgung und damit die Telefon-Verbindungen wurden unbrauchbar, Lebensmittel und Trinkwasser für die Bevölkerung waren unzugänglich; Panik, Verzweiflung und Angst machten sich breit. Angesichts dieser gravierenden Lage war die Antwort der Bevölkerung klar: die Einwohner/innen Bilbaos organisieren sich genau so schnell wie in allen anderen betroffenen Orten Euskal Herrias. Die Fest-Gruppen begannen gemeinsam mit unorganisierten Teilen der Bevölkerung, Tonnen von Abfällen von den Straßen zu entfernen, die sich teilweise bereits im Verwesungsprozess befanden. Wieder einmal wurden Organisation und Solidarität zwischen Personen zum Schlüssel für die Bewältigung einer dramatischen Situation.
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Hausbesetzung in Bilbo

Du bist in der Straße Banco de España. Im Gegensatz zu dem wenig freundlichen Namen war diese Straße mehrere Jahre lang ein Symbol der Selbstverwaltung und Basisdemokratie. 1985 wurde das Jugendplenum der Altstadt gegründet. Einige Monate später entschied dieses Plenum, dass ein Ort notwendig war für seine Aktivitäten und zur Entwicklung neuer Alternativen. In Ermangelung von Räumlichkeiten wurde das leerstehende Gebäude einer Bank besetzt. Während seiner 7-jährigen Existenz wurde dieses Gaztetxe genannte Jugendhaus von Dutzenden von Kollektiven genutzt. Hunderte von Theater-Aufführungen, Veranstaltungen, Workshops und Konzerten fanden statt. Noch heute können wir CDs hören, die in diesem Gaztetxe aufgenommen wurden, beispielsweise die bekannte CD der Gruppe MCD „Bilboko gaztetxean”.

1992 wurde das Jugendhaus auf Anordnung des Bürgermeisters Josu Ortuondo (PNV) geräumt. Diese Räumung war jahrelang Thema, nicht nur weil damit eines der bekanntesten besetzten Häuser Euskal Herrias geschlossen wurde, sondern auch auf Grund der Berichterstattung der Medien, die der Stadtverwaltung nahe standen. Diese Medien entfachten eine bis dahin unbekannte Hetzkampagne gegen das Jugendplenum. Das Vermächtnis von Orten wie diesem oder dem Kukutza (ein 2011 im Stadtteil Rekalde geräumtes und abgerissenes Sozialzentrum) ist nach wie vor lebendig in den vielen besetzten Räumen der verschiedenen Stadtteile Bilbos (alle sind auf unserer Karte eingetragen).

Ursprüngliches Stadt-Zentrum

Historische und archäologische Forschungen belegen, dass es bereits vor der sog. Stadtgründung im Jahr 1300 Siedlungen beiderseits des Flusses gab. Diese Siedlungen befanden sich an zwei Orten: die erste auf der linken Flussseite, heute bekannt als Bilbao La Vieja / altes Bilbao (Marzana-Häfen, La Merced und die Straße San Francisco). Sie blieb von den großen Überschwemmungen verschont und wird „Barrios Altos“ (Obere Stadtteile) genannt. Die zweite Siedlung an der Flusskrümmung auf der rechten Flussseite war die heutige Altstadt. Dort lebten Fischer mit besonderem Geschäftssinn, sie waren den häufigen Überschwemmungen mit ihren tragischen Auswirkungen hilflos ausgeliefert, siehe Abschnitt „Ein Volk organisiert sich“.

Aufgrund der damaligen Bedeutung von Fischerei und Handel gründete der Provinzherr von Bizkaia, Don Diego López de Haro, im Jahr 1300 die Stadt. Das ursprünglich von einer Stadtmauer umgebene Zentrum der Stadt befindet sich auf der rechten Flussseite, gegenüber der Brücke San Antón. Die drei vor dir liegenden Straßen, die bis zum Fluss reichen, stellten das ursprüngliche Bilbo dar: Dendarikale (Ladenstraße), Artekale (Mittelstraße) und Goienkale oder Somera (Obere Straße). Diese Straßen entwickelten sich entsprechend verschiedener Berufszweige.
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Die Bewegung LGTB

Du stehst vor den Treppen von Solokoetxe. Hier gibt es zwei Ziele: der Stadtteil Santutxu oder das besetzte Jugendzentrum 7Katu, das einzige seiner Art in der Altstadt. In diesem heute besetzten Zentrum befand sich über Jahre hinweg der Sitz von EHGAM, einer Organisation, die seit 1977 für die Rechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen, Transgender und anderen sexuellen Ausdrucksformen eintritt. Dieses Szeneleben verbreitete sich in der Stadt kurz nach Francos Tod im Jahr 1975. Die erste sich bekennende Kneipe ist das bis heute existierende Lamiak, das von Frauen in der Altstadt eröffnet wurde. Erwähnt werden soll auch der sagenumwobene Txoko-Landa. Heute verschwunden, stellte er in den 90er Jahren eine Referenz für die LGTB-Szene der Altstadt dar. Heutzutage gibt es in Bilbo einige Gruppen, die sich dieser Thematik widmen. Kitzikan, Sare Lesbianista oder die bereits erwähnte Gruppe EHGAM sind einige davon. Das Angebot an Lokalen aus diesem Umfeld ist heutzutage breit und vielfältig.

Entwicklung der Altstadt

Das Bilbao des 14.Jhs. profitierte mehr und mehr von seiner Lage an der Flussmündung des Nervión: eine natürliche Bucht in flacher Umgebung auf Niveau des Meeresspiegels zum Festmachen der Boote; die Nähe zu den Eisenerzminen, einfache Verladung und Abtransport in Schiffen; beste Verbindung zwischen der unmittelbaren Umgebung und dem Hochland; und das Zusammentreffen der Nordrouten des Jakobswegs.

Dieses wirtschaftliche Wachstum bringt ein bedeutendes Bevölkerungs-Wachstum mit sich. Das ursprüngliche Bilbao der drei Straßen (Somera-Goienkale, Artekale und Dendarikale), das wir im Abschnitt „Das ursprüngliche Zentrum“ erwähnt haben, beginnt sich auszuweiten. Mitte des 15. Jhs. wird die Altstadt um vier Straßen erweitert, das so entstehende Zentrum wird bis heute „Sieben Straßen“ genannt. Diese Ausdehnung sowie Brände und Überschwemmungen führen schließlich zum Verschwinden der Stadtmauer und der Wehrtürme, die die Stadt in ihren Anfängen schützten. Reste der Stadtmauer sind sowohl hier, in der Straße Ronda, als auch im Bürgerzentrum La Bolsa und in der San Antón Kirche zu sehen. Bemerkenswert, dass aus jener Zeit die Originalstruktur der Cantones bestens erhalten ist. Diese Durchgänge geben den Sieben Straßen, abgesehen von ihrer Funktion des Wasserablaufs, einen speziellen Reiz, gleich nebenan ist der Cantón Alejandro de la Sota zu sehen.

Somera Straße

Du befindest dich vor der Hausnummer 10 der Straße Somera (Goienkale). Diese Straße ist bekannt wegen ihrer Kneipen und ihrer guten Atmosphäre. Dabei gibt es in ihrer Geschichte jedoch einiges, das heutzutage nur wenige wissen. Somera ist eine der sieben Straßen, die sich im mittelalterlichen Bilbao innerhalb der Stadtmauer befanden. Sie beginnt bei der Brücke San Antón mit dem Wehrhaus Legizamon (noch vorhanden) und endet beim Portal de Zamudio, einem der ehemaligen Stadttore, wie bereits unter dem Punkt „Entwicklung der Altstadt“ beschrieben. Dass sich dieser Punkt vor der Nummer 10 befindet, ist kein Zufall. Bei genauer Betrachtung ist leicht zu erkennen, dass sich der Baustil von den anderen deutlich unterscheidet. Das liegt daran, dass das ursprüngliche Gebäude während der Bombenangriffe der Legion Condor auf Bilbao im Krieg von 1936-37 zerstört wurde.
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Salzaufstand

An der Fassade der Kirche San Antón befindet sich eine Gedenktafel zur Erinnerung an die 6 Männer, die wegen einer Mobilisierung der Bevölkerung hingerichtet wurden, bekannt als Salzaufstand. Dieser Aufstand zwischen 1631 und 1634 war eine Reaktion auf die Beschlagnahmung aller Salzvorräte Bizkaias durch das kastilische Königshaus. Wie im Punkt „Die Überreste der Fueros“ der Route „Itsasadarra“ beschrieben, beschränkten die Fueros die Kompetenzen der kastilischen Krone. Unter anderem verfügte Bizkaia über Steuer- und Handelsfreiheit.

Weil zum Führen der imperialistischen Kriege im Norden Europas keine ausreichenden Finanzquellen vorhanden waren, ordnete das Königshaus die Konfiszierung aller Salzvorräte Bizkaias an. So wurde die kastilische Staatskasse zur alleinigen Besitzerin und Verkäuferin von Salz, dazu mit hohen Steuern belegt. Diese Aggression führte im Laufe jener Jahre zu mehreren Aufständen. Bei einer Aktion im Jahr 1632 wurde Domingo de Castañeda (ein hoher kastilischer Beamter) von der Bevölkerung gelyncht, die Wohnhäuser des Bürgermeisters von Bilbao sowie des Handelsbeauftragten wurden gestürmt. Zuguterletzt zog die Krone das Embargo am 12. Mai 1634 zurück, ließ jedoch als Akt der Vergeltung 12 Tage später 6 Männer aus Bizkaia hinrichten.

Zentraler Knotenpunkt

In Bilbo ist der Einfluss der Küstenroute des Jakobswegs von Bedeutung, die vor dir liegende Brücke erlaubt nicht nur die Überquerung des Flusses, sie war auch ein Knotenpunkt für regelmäßigen Handels- und Kulturaustausch. Im Jahr 1310, also 10 Jahre nach Stadtgründung, erweiterte die neue Regentin der Provinz María Díaz de Haro (Nichte von Diego Lope de Haro) die Stadtrechte, um die Handelsrechte auszudehnen. Sie legt fest, dass jeglicher Handel von Kastilien zum Meer über Bilbao erfolgen musste. Der bis dahin wichtige Hafen von Bermeo wurde damit zweitrangig. Der Handelsweg führte von Kastilien durch Bilbo zum Meer, er durchquerte ganz Bizkaia, die Stadt wurde zur Pforte des Warenimports. Doch gleichzeitig auch des Exports von Wolle aus Kastilien nach Zentral- und Nordeuropa, eine Aufgabe, die bis dahin vorwiegend Santander übernommen hatte. Außerdem legte die neue Herrscherin von Bizkaia fest, dass der Handelsweg von Urduña nach Bermeo über die Brücke San Antón führen sollte. Damit erhielt Bilbao direkten Zugang zu allen Waren. Juan I. von Kastilien legte im Jahr 1372 fest, dass Waren für die Stadt und aus der Stadt steuerfrei seien, womit sich der Transport von Eisenerz auf Bilbo konzentrierte. All diese Privilegien führten zu Konflikten mit Nachbarstädten wie Portugalete oder Gemeinden wie Deustu, Abando, usw.

Gegenkultur

Du befindest dich vor DDT Banaketak (DDT Verteilung), dem Laden eines Kollektivs zur Verbreitung von Gegeninformation, gegründet von Personen verschiedener Bewegungen: Fanzines und freie Radios, besetzte Jugendzentren, antimilitaristische Gruppen, Musikszene und andere kreative Widerstands- und Ausdrucksformen, die die gesamte Geografie Euskal Herrias umfassen.
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DDT verfügt derzeit über ein eigenes Lokal, hervorgegangen ist es aus dem bekannten Kollektiv Likiniano (besser bekannt als „La Liki”). Likiniano war in den 90er Jahren der Bezugspunkt schlechthin für verschiedene kritische Ausdrucksformen, Gegen-Kultur und Gegen-Information. 2006 löste sich das Kollektiv auf und eine neue Gruppe mit Namen Gatazka (Konflikt) übernahm das Projekt in ähnlicher Form. 2012 endete jedoch auch diese zweite Etappe. In diesen Räumen, in denen als Referenz der Gegenkultur jahrelang Likiniano und Gatazka untergebracht waren, befindet sich heute Zirika Herri Gunea, das Lokal des internationalistischen Kollektivs Komite Internazionalistak, das Veranstaltungen, Bücher und Workshops anbietet – Kultur im Kontext von internationaler Solidarität.

Gentrifizierung

Dieser Stadtteil, insbesondere diese Straße, ist Musterbeispiel für die Umsetzung von kreativer Ökonomie und der Marke Bilbao. Ende der 90er Jahre startete Bilbo einen Prozess der Regeneration, bei dem Kultur eine wichtige Rolle spielte innerhalb der Strategie der symbolischen Vermarktung der Stadt. Der „Guggenheim-Effekt“ erreichte einen der verkommensten Bereiche des Stadtzentrums, den Stadtteil Bilbao La Vieja, oder San Francisco. Der Prozess der Gentrifizierung in dieser Zone ist klar: ursprünglich ein Stadtteil mit niedrigem Einkommen und hohem Anteil an Einwanderung, daneben eine gewisse Vernachlässigung seitens der Behörden. Doch verwandelt eine neue Stadtpolitik diese Zone in ein Bonbon für den Immobilienmarkt. Dieser Prozess wird von der Stadtverwaltung begünstigt mit Subventionen, der Förderung kultureller Aktivitäten und Lokalen für junge Künstler. Dies gibt es bisher in keinem anderen Stadtteil (in der Zukunft wird dieser Prozess auf andere Stadtteile ausgeweitet werden). Die sozialen Schichten, die wirtschaftlich am schlechtesten dastehen, sehen ihre Zukunft im Stadtteil gefährdet. Drastische Mietpreis-Steigerungen sind Folge der steigenden Nachfrage seitens der neuen Kreativ-Szene und deren Interesse, sich in diesem Barrio niederzulassen, das heute noch mit Etiketten wie „Bohème“ und „Multikulti“ gehandelt wird.

Migration in Bilbo

Du befindest dich im Stadtteil San Francisco, dem für Einwanderung symbolischen Stadtteil. Dieses Phänomen ist nicht neu. Schon immer hat Bilbo Personen aus anderen Kulturkreisen aufgenommen. Die Industrialisierung des 19. und 20. Jhs. hat die Flussmündung Bilbos zu einer der wichtigsten Industrie-Regionen gemacht. Hier entstand zwischen 1876 und 1975 ein Großteil der Metall verarbeitenden Industrie. Gleichzeitig erlebte die Region einen starken Bevölkerungs-Zuwachs, der sich in aufeinander folgenden Wellen von Einwanderung aus anderen Regionen des spanischen Staats speiste (besonders Kastilien, Galizien und Extremadura), wobei die stärksten Bewegungen zu Beginn der Industrialisierung (1876-1900) und an ihrem Ende (1950-1975) zu verzeichnen waren.
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Obwohl in San Francisco heute eine starke schwarz-afrikanische Präsenz auffällt, bestätigen Zahlen von 2014, dass die größte Einwanderungs-Gruppe aus Bolivien stammt. Der Zuzug von Personen in den letzten 10 Jahren entspricht der Notwendigkeit, Arbeitsplätze abzudecken, die von der einheimischen Bevölkerung nicht besetzt werden, diese Arbeits-Eingliederung findet in Sektoren des Arbeitsmarktes statt, die von besonders prekären Bedingungen geprägt sind. Daher kamen in den letzten Jahren der ökonomischen Krise weniger Personen, gleichzeitig haben viele andere entschieden, sich anderswo auf die Suche nach besseren Möglichkeiten zu machen.

Anfänge des Sozialismus

Der Platz, auf dem du stehst –Steinbruch-Platz, Plaza de la Cantera – hat viel mit der Entstehung der ersten sozialistischen Organisationen in Euskal Herria zu tun. Ende des 19.Jhs. lebten im Stadtteil San Francisco und an anderen Orten in Bizkaia viele Leute, die auf der Suche nach Arbeit aus anderen Regionen Spaniens eingewandert waren. Einige davon, u.a. der spätere Gründer der kommunistischen Partei, Facundo Perezagua, begannen sich zu organisieren und gründeten im Jahr 1886 den sozialistischen Verband Bilbao.

Die Sozialistische Internationale in Paris legte den 1. Mai als Tag der Arbeiterbewegung fest, 1890 wurde der 1. Mai in Bilbo zum ersten Mal gefeiert (tatsächlich am 4. Mai). Auf dem Steinbruch-Platz fand das erste öffentliche Meeting mit 3.000 Arbeiter/innen statt. Diese Veranstaltung gilt als die erste wichtige Mobilisierung der Arbeiterbewegung in Bilbo. Zehn Tage später, am 14. Mai, begann der erste Generalstreik, aus Anlass der Entlassung mehrerer Sozialisten in der Erzmine La Arboleda. Der Streik dauerte mehrere Tage und mobilisierte mehr als 20.000 Arbeiter, alle Minen und Fabriken in Bizkaia waren lahmgelegt. Der Streik endete damit, dass die tägliche Arbeitszeit auf 10 Stunden reduziert wurde und der Zwang, in den Läden des Unternehmens einkaufen zu müssen, aufgehoben wurde.

Ein lebhaftes Viertel

La Palanca, Cortes und die angrenzenden Straßen bildeten bis vor ca. 30 Jahren die Prostitutions-Meile von Bilbo. Hier gab es Bordelle, Nachtlokale, Bars und mehr. Viele Personen genossen die feucht-fröhlichen Nächte in diesem Stadtteil, fernab des prüden und verklemmten Bilbo. Obwohl die moralisch dominierende Kultur immer den kriminellen, marginalisierten und nicht empfehlenswerten Charakter des Viertels unterstrich, lebten dort Bardamen, Musiker/innen, Sänger/innen und Künstler/innen, Schmalspur-Ganoven, Zuhälter, Transvestiten und vor allem Prostituierte.

Abgetrennt vom bürgerlichen Teil der Stadt, der sich Ende des 19.Jhs. entwickelte, war die Palanca auch ein Ort, an dem sich republikanische und sozialistische Ideen ausbreiteten, ein von Arbeiter- und Volkskultur geprägter Stadtteil. Der Verfall erfasste den Stadtteil Ende der 70er mit der Ausbreitung von Heroin, der Zunahme von Diebstählen und Übergriffen, der Schließung eines Großteils der Lokale, sowie der Transformation im Sinne der neuen Stadtplanung und auch der Bevölkerungs-Struktur durch eine neue Welle von Einwanderung, in diesem Fall aus anderen Kontinenten.

Die Prostitution wird vom Mittelpunkt des Stadtteils zum Nebenprodukt. Die Dynamik ist „tot“ oder wurde zum Sterben verurteilt. Die Gründe sind vielseitig: die Deindustrialisierung der 80er, die Vernachlässigung des Stadtteils von Seiten der Verwaltung, bestimmte Interessen oder der Mangel an Interesse führten das Viertel in Armut, Drogenabhängigkeit, Kriminalität, Kriminalisierung und Stigmatisierung.
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130 Jahre Prostitution

Dieses Viertel ist seit jeher bekannt für Prostitution. Diese Prostitution war einst wichtiger Bestandteil der Stadt, musste sich aber gleichzeitig gegen Kriminalisierung, Stigmatisierung und fehlender Unterstützung wehren. Eine Prostitution, die kämpfte. Am 10. November 1977 fand zum ersten Mal ein Streik der Prostituierten und Travestis statt. In mehr als 130 Jahren gab es nur wenige Auseinandersetzungen zwischen Prostituierten und der Polizei wie die vom November 1977, als das franquistische Gesetz „Gefahr für die Gesellschaft” noch in Kraft war. Der Anlass: der Tod von María Isabel Gutiérrez Velasco im Gefängnis von Basauri, unter seltsamen Umständen.

Gutiérrez-Velasco, in Santander geboren und 23 Jahre alt, wurde von der spanischen Polizei festgenommen, weil ein Nachbar sie wegen Diebstahls von Gebäck angezeigt hatte. Ein Richter sprach sie vom Diebstahl frei, brachte sie jedoch ins Gefängnis, weil sie ein Verfahren offen hatte wegen „vermeintlich unmoralischer Aktivitäten”. Während in einer aufgewühlten Atmosphäre 28 Gefangene in Basauri (nahe Bilbo) mit Selbstverletzungen die Abschaffung des besagten Gesetzes forderten, wurde María in der Nacht des 8. Novembers tot in ihrer Zelle gefunden. Zwei Tage später, nach der Beerdigungsfeier in der Kirche Corazón de María, gingen Hunderte von Prostituierten auf die Straße. Die Demonstration wurde angeführt mit einem Transparent des Frauenplenums Bizkaia. Es kam zu einem weiteren Streik und mehreren Mobilisierungen, sowie zur Gründung einer Plattform zur Verteidigung der Interessen dieser Frauen. Die Polizei unterband einige dieser Protestaktionen mit Schusswaffen.

Bergbau in Bilbo

Im Stadtteil Bilbao La Vieja gibt es noch Relikte, die an den Erzabbau erinnern. Über einen langen Zeitraum hinweg war Erzabbau die zentrale wirtschaftliche Aktivität Bizkaias. Eines der Relikte ist der hinter einer Tür verborgene Eingangsstollen, über den das Erz zur Verladung am Fluss gebracht wurde. Das zweite Relikt ist der Kalzinationsofen, in dem Eisen vom Stein getrennt wurde. Bis Mitte des 19.Jhs. galten die Erzvorkommen als allgemeines Gut, seit diesem Zeitpunkt jedoch wurden diese Rechte limitiert. Als die Minen zu Privateigentum wurden, weitete sich der Erzabbau aus. Häuser wurden für die Eröffnung von Minen abgerissen, der Berg wurde abgetragen, die angrenzenden Zonen zu Siedlungen von Arbeitern. Die Ausbeutung dieser Minen endete 1987. Das internationale Kapital verlagerte seine Bedürfnisse in andere Regionen des Planeten. 1995 schloss die letzte Mine im Großraum Bilbo.

Repression gegen Bask/innen

An diesem Platz in Bilbao La Vieja sind etliche Wimpel an den Balkonen zu sehen. Viele davon fordern die Rückkehr der von Repression betroffenen Baskinnen und Basken. In Euskal Herria gibt es viele Personen, die aus politischen Gründen Repression erleiden: politische Gefangene, Flüchtlinge, Verbannte, Versteckte. Die politischen Gefangenen befinden sich in Gefängnissen des spanischen und französischen Staates. Aktuell gibt es ca. 370 Gefangene, die einer Politik der Verteilung auf den gesamten Staat ausgesetzt sind, Hunderte von Kilometern vom Baskenland entfernt. Als Folge dieser Politik starben 16 Freunde und Verwandte bei Verkehrsunfällen.

Verbannte sind Personen, die in ein Land abgeschoben wurden, das sie nicht mehr verlassen können, ungefähr 100 Personen wurden in den 80er Jahren nach Südamerika und Afrika gebracht. Flüchtlinge sind Personen, die Euskal Herria verlassen mussten, weil sie Verfolgung ausgesetzt waren. In den 70er und 80er Jahren fanden sie Exil in Iparralde, dem nördlichen Teil des Baskenlandes auf französischem Staatsgebiet. Später wurden sie dort jedoch auf Druck des spanischen Staates ebenfalls verfolgt, deshalb befindet sich der Großteil heute in Südamerika. Versteckte sind Personen, die im Untergrund leben müssen.

Die Solidarität mit von Repression Betroffenen ist im Baskenland groß und führt regelmäßig zu massiven Mobilisierungen. Jedes Jahr im Januar gibt es in Bilbo eine Großdemonstration für die Rechte der von Repression Betroffenen, zu der bis zu 130.000 Personen anreisen. Aber auch die Solidarität wurde vom spanischen Staat verfolgt und mit Illegalisierungen und Gefängnisstrafen belegt. Diese Erinnerung und der Ort hier stellen zusammen mit einem Drink einen perfekten Abschluss dieser Tour dar. Wir hoffen, es hat dir gefallen. Herzlichen Dank.

 

FOTOS:

(1) In 30 Jahren wurden in der Altstadt verschiedene Häuser als Sozialzentren besetzt (FAT)

(2) Die LGTB-Bewegung ist aktiver Teil der sozialen Bewegungen Bilbaos (FAT)

(3) Der Hundebrunnen ist eine der Anekdoten bei Stadtführungen (FAT)

(4) Markierungen zeigen den Hochwasser-Stand von 1983 (FAT)

(5) Gedenk-Plakette für den Salzaufstand an der San Antón Kirche (FAT)

(6) Migration ersetzte nach der Minenschließung in San Francisco die Proletarier (FAT)

(7) Teile des Straßenstrichs sind noch präsent in Sanfran (FAT)

(8) Graffiti zur Erinnerng an die Kämpferinnen im Krieg von 36 (FAT)

(9) Wenig erinnert am Cantera-Platz an die Arbeiter-Versammlungen vor 120 Jahren (FAT)

(10) San Francisco ist gentrifikations-gefährdet (FAT)

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