Archäologie des Alltags
Jesus Ramon Elosegi Irazusta (span: Jesús Ramón Elósegui Irazusta) war Ethnograf und Archäologe. Der 1907 geborene und 1979 verstorbene Elosegi zählte zu den Gründern der Wissenschaftlichen Gesellschaft Aranzadi, die seit 1947 die baskische Kulturgeschichte und Urgeschichte erforschte. In den ersten Jahren war er deren Generalsekretär. Nebenbei machte Elosegi Fotos, insbesondere im ländlich-bergigen Umfeld, die wegen ihrer Qualität und Seltenheit aus heutiger Sicht von unschätzbarem Wert sind.
Der Archäologe, Ethnograf und Höhlenforscher Jesus Ramon Elosegi Irazusta aus Tolosa (1907–1979) machte im Laufe seines Lebens um die 20.000 Fotos, unter anderem über die ländliche Kultur, die mittlerweile einen einzigartigen Schatz im baskischen Kulturerbe darstellen. Über Aranzadi wurde er zum Mitarbeiter von Barandiaran, dem Urvater der baskischen Archäologie, einige Dolmen und Cromlechs entdeckte er selbst.
Elosegis Leben
Jesus Elosegi wurde in Tolosa geboren, der einstigen Hauptstadt von Gipuzkoa, 40 Kilometer südlich von San Sebastián gelegen (bask: Donostia). Er unterbrach sein Studium als Industrie-Ingenieur und widmete sich ab 1932 einer Arbeit als Fotograf. Eine Fotoausrüstung zu besitzen war in jenen Zeiten eine Ausnahme, die nur halbwegs Wohlhabenden zustand. Themen seiner Fotografie waren Sport, Kultur und vor allem Naturwissenschaften. Er schrieb regelmäßig für die Zeitungen und Zeitschriften Munibe, El Día, Argia, Pyrenaica und andere Medien. In den ersten Jahren seit Tätigkeit als Fotograf bildete er Menschen aus seinem Umfeld ab, verschiedene Persönlichkeiten, die Hirten aus den Aralar-Bergen, die Überschwemmungen von Tolosa und verschiedene Unfälle. (1)
Krieg und Exil
Nach dem Militärputsch vom Juli 1936 und der baskischen Besetzung durch die Franquisten musste Elosegi über den Bidasoa-Fluss auf die andere Seite der Grenze flüchten. Dort machte er die Fotografie aus einem Hobby zum Beruf. Die Faschisten nutzten seine Abwesenheit, um sein Labor in Tolosa zu zerstören. In der Zeit seines Exils war er in einem Chor aktiv und in der Tanzgruppe Eresoinka, die Tourneen organisierte durch Frankreich, Großbritannien, Belgien, Holland und andere europäische Länder. Auf einer dieser Touren lernte er den ersten baskischen Ministerpräsidenten von 1936 kennen, José Antonio Agirre (span: Aguirre), der sich mit den Mitgliedern seiner Regierung ebenfalls im Exil befand. Seine Fotokamera hatte Elosegi immer dabei. So wurde er fotografischer Zeuge des Empfangs, den der Lehendakari Agirre im französischen Belloy-en-France für seinen katalanischen Amts- und Schicksals-Kollegen Lluís Companys organisierte. (2)
Im Jahr 1940 kehrte Elosegi in seine Geburtsstadt Tolosa zurück. Wegen seiner Sympathie für die baskisch-nationalistische Partei PNV, die im Krieg auf Seiten der Republik gestanden hatte, wurde er umgehend festgenommen und in ein Arbeitslager geschickt. Zuerst ins Konzentrationslager Miranda del Ebro in der spanischen Provinz Burgos, wo eine Unzahl von Basken eingesperrt war, und später nach Oiartzun (span: Oyarzun) in Gipuzkoa, zumindest heimatnah. Nach 10 Monaten in verschiedenen Arbeitskolonnen wurde er entlassen. Seinen Wohnort verlegte er nach Pasaia (span: Pasajes), eine Hafenstadt vor den Türen von Donostia. Seinen Lebensunterhalt verdiente sich Elosegi in dieser Zeit über den Handel mit Öl aus Kabeljau-Leber. Im Jahr 1947 war er dann an der Gründung der Wissenschaftlichen Gesellschaft Aranzadi beteiligt (3). Sie stellte eine Neugründung der 1918 gegründeten “Gesellschaft für Baskische Studien“ dar (Sociedad de Estudios Vascos), die in den Jahren der franquistischen Diktatur verboten war.
Aranzadi-Gründung
Im Exil hatte Elosegi die Gelegenheit, José Miguel de Barandiarán kennenzulernen. 1948 ernannten Elosegi und das weitere Gründungsmitglied Tomás Atauri den noch im Exil befindlichen Barandiaran (4) zum Ehrenmitglied von Aranzadi. Bei einer Reise im selben Jahr nach Sare, Barandiarans Exilort im französischen Baskenland, überredete Elosegi den Priester und Ethnologen, die Leitung der Abteilung Urzeitliche Forschung von Aranzadi zu übernehmen. Fünf Jahre später brachte Elosegi Barandiaran heimlich von San Juan de Luz in Iparralde (bask: Donibane Lohizune) nach Pasaia bei San Sebastian (Pasajes), wo er vorerst versteckt blieb.
Ein Foto zeigt die Anfänge der Wissenschaftlichen Gesellschaft Aranzadi in der Herberge von Igaratza in den Aralar-Bergen von Gipuzkoa: Jesus und Pedro Elosegui, Pilar Sansinenea, Reyes Corcostegui, Jose Maria Thomas, Francisco Español, Ramón Margalef, Joaquin Mateu, Estefania Elizalde, sowie Manuel Laborde.
Die Entscheidung Aranzadi zu gründen wurde entwickelt in der Igaratza-Herberge, den der Kulturverein “Freunde von Aralar“ dort unterhielt. Hier wurden wissenschaftliche Themen vertieft und gleichzeitig Freundschaften gepflegt mit Wissenschaftlern aus Katalonien, die Elosegi zur Gründung der Gesellschaft animierten.
Während der Jahre 1942 bis1952 und 1960 bis 1972 war Elosegi Generalsekretär von Aranzadi. Er leitete die Gründung einer ganzen Reihe von Abteilungen in die Wege, darunter Vorgeschichte, Vogelkunde, Insektenkunde und Höhlenforschung. Letzteres war Elosegis Lieblingsthema.
Die Zeit nach Aranzadi
Nach 25 Jahren Arbeit bat Elosegi 1972 um die Ablösung als Generalsekretär von Aranzadi. Hinter ihm lag eine Arbeit in der Stille und abseits der franquistischen Öffentlichkeit, effizient und zukunftsorientiert. Eine schwierige Arbeit, denn Aranzadi bewegte sich von Beginn an zwischen Verbot, Untergrund und Halblegalität – dies waren die Bedingungen, die der Franquismus zuließ. 1979 widmete die Zeitschrift Munibe ehrenhalber eine Sonderausgabe für ihren Gründer und Förderer. Trotz seines Rückzugs im Jahr 1972 schrieb Elosegi weiterhin Bücher und Artikel, unter anderem 1974 über die Kupferminen von Aralar. In seiner letzten Lebensetappe widmete er sich insbesondere der Archiv-Forschung und Themen, die mit der baskischen Sprache Euskara in Verbindung standen. Dafür nahm er an Arbeitsgruppen bei Kardabeaz und Euskarazaintza teil.
Fotografisches Werk
Über lange Phasen seines Lebens verband Elosegi seine wissenschaftliche Arbeit mit der Fotografie. Nach seinem Tod kümmerte sich der Archivar Juan Jose Agirre von der Benediktiner-Gemeinschaft des Ortes Lazkao um die fotografische Sammlung. Zwischen 2002 und 2006 wurde dieser Bilderschatz von Aranzadi digitalisiert, es handelte sich um 18.000 Fotografien. Im Jahr 2007, 100 Jahre nach Jesus Elosegis Geburt, publizierte Aranzadi das Buch “Jesus Elosegi 1907-1979“ und organisierte im Aranburu-Palast seiner Geburtsstadt Tolosa eine Ausstellung mit den interessantesten Bildern.
Aus heutiger Sicht – mit Millionen von Handys und professionellen Kameras in den Händen von Fotoamateuren – ist die Bedeutung von Elosegis Werk nur schwer nachvollziehbar. Wer konnte sich damals eine Kamera leisten – wenn nicht ein Mitglied der bürgerlichen Klasse. Weshalb sollte sich ein halbwegs wohlhabender Bürger um die Hirten in Aralar, um Prozessionen zwischen entlegenen Dörfern, um Kohlemacher in der Einöde, um Bauern in zerrissenen Kleidern oder um andere ländliche Berufe kümmern, die heute fast vergessen sind.
Der Wissenschaftler, Naturfreund, Nationalist, Ethnograf und begeisterte Fotograf Jesus Elosegi brachte diese Voraussetzungen und Interessen zusammen. Dazu sprach er die Sprache der Leute in den Bergen, das Euskara – eine unverzichtbare Basis für den Kontakt mit der damaligen Landbevölkerung. Denn Spanisch konnten die “ungebildeten“ Bäuerinnen und Bauern im Aralar damals nicht. Viele waren nie zur Schule gegangen.
18.000 Fotos umfasst Elosegis fotografische Hinterlassenschaft – alle auf Papier und mit den entsprechenden Negativen verbunden. Im digitalen Zeitalter der Speicherung auf Festplatten ist dies eine unfassbar große Menge. Elosegi schaffte es trotz widriger Zeiten sogar, diese Sammlung in geordneter Form zu hinterlassen.
Öffentlicher Zugang
Im Juli 2009 unterschrieb Aranzadi einen Vertrag mit der Abteilung für Kultur und Euskara der Provinz-Regierung Gipuzkoa, durch den die fotografische Elosegi-Sammlung über das Internet-Portal GureGipuzkoa.eus der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wurde (5). Zu sehen sind Bilder von Alltagssituationen, Portraits, Gruppenfotos, Bergwanderungen, Höhlenbesichtigungen, Volksessen, Dolmen, Cromlechs – eine unendliche Vielfalt von alten Fotos in schwarz-weiß. Oft sind es Fotos von schlechter Qualität, in denen sich bewegende Subjekte zu Verwischungen führen. Anderes ließ die damalige Technik nicht zu, wenn es nicht gerade um vorbereitete Gruppenbilder ging, bei der alle stillhielten oder solche, bei denen ein Blitz zum Einsatz kam. Alle Bilder sind mit einer ausführlichen Beschreibung der abgelichteten Orte und Personen verbunden – ein einmaliges Juwel in der Geschichte der baskischen Traditionen und Lebensweisen des 20. Jahrhunderts.
Bei Wikipedia sind verschiedene Links zu Quellen in baskischer und spanischer Sprache zu finden, insbesondere zum 100-jährigen Geburtstag von Jesus Elosegi. (1)
ANMERKUNGEN:
(1) Teilübersetzung eines Beitrags bei Wikipedia mit Ergänzungen der Redaktion (LINK)
(2) Lehendakari – baskisches Wort für Ministerpräsident
(3) Aranzadi - Die Wissenschafts-Gesellschaft Aranzadi wurde 1947 gegründet mit der Absicht, die Arbeit der im Franquismus verbotenen Gesellschaft für Baskische Studien fortzuführen. Ihr Zweck ist die wissenschaftliche Erforschung von Natur und menschlichem Wirken. Ihren Namen hat die Gesellschaft von Telesforo de Aranzadi, einem Anthropologen und Ethnologen (1860-1945). Besondere Bedeutung kommt Aranzadi heutzutage bei der Aushebung von Massengräbern aus der Zeit des Spanienkriegs und der Identifizierung der dabei gefundenen Opfer des Faschismus zu. Kürzlich hat Aranzadi eine Aufsehen erregende wissenschaftliche Expertise erstellt, in der die systematische Folter spanischer Polizeikörper seit den 1960er Jahren geprüft und bestätigt wurde.
(4) Jose Miguel Barandiaran – Artikel bei Baskultur.info; Barandiaran – Baskische Archäologie“ (LINK)
(5) GureGipuzkoa.eus – Webseite mit der Fotosammlung von Jesus Elosegi (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1 - 8) Foto Jesus Elosegi
(Publikation baskultur.info 2019-09-19)