graf1Meinungsstreit in Gasteiz

Werke von Banksy und Obey, zwei Street-Art-Künstler, die ihr Handwerk auf der Straße gelernt haben und mittlerweile auf dem Kunstmarkt gehandelt werden, könnten in Vitoria-Gasteiz von Reinigungskräften übermalt werden, sollten sie an einer Hauswand erscheinen. Urbane Kunst ist seit ihrem Entstehen mit Illegalität behaftet. Darauf pocht der Bürgermeister. Doch kaum jemand bezweifelt, dass es sich um Kunst handelt. Graffiti-Künstler*innen, Wandmaler*innen und Expert*innen sprechen über "Straßenkunst".

Ob Street Art und Graffitis nun Kunst sind oder Vandalismus, ist ein alter Streit, bei dem sich kreative Künstlerinnen, Behörden und Sauberkeits-Fanatiker gegenüber stehen. Auch in Gasteiz, der baskischen Graffiti-Stadt schlechthin.

Der Bürgermeister von Gasteiz, Gorka Urtaran, kündigte in der vergangenen Woche (Februar 2022) eine Kampagne zur "Jagd auf Graffiti-Künstler" an, da er genervt sei von der "Bombardierung" der Stadt mit Graffitis. In einer Nachricht auf Twitter warnte er: "Kriminologen, Graphologen, Polizei und Reinigungskräfte widmen sich gemeinsam dieser Aufgabe. Wir haben schon einige erwischt und werden nicht aufhören, bis wir alle Sprüher und ihre Malereien identifiziert haben. Sie werden dafür bezahlen. Das ist keine Kunst, das ist Dreck, der Vitoria-Gasteiz beschmutzt". (1) (2)

Abgesehen von den Zielen, die mit dieser Kampagne verfolgt werden, überrascht diese Aussage des Bürgermeisters einer Stadt, die geradezu ein Freilicht-Museum für urbane Kunst oder Straßenkunst ist. Tatsächlich gibt es hier sogar einen "Rundgang der Wandmalereien". Realität ist, dass auch in Großstädten wie Paris urbane Künstler*innen verfolgt werden, in anderen wie Berlin haben sie ihren zugewiesenen Raum. Mehr als die Graffitis selbst sind es die Tags oder Unterschriften, die stören. Auf diese Weise entstand die Graffiti-Bewegung Mitte der 70er Jahre in der U-Bahn von New York, mit Teenagern, die nachts ihre Zeichen auf den Nachtzügen hinterließen und sich aus dem Staub machten. Später wurden Bilder gemalt, auch Wandbilder. So "reifte" die Street Art, eine Bewegung, die sich wie Sprühfarbe an den Wänden in der ganzen Welt ausbreitet, von Brasilien bis Indien. Auch im Baskenland.

Wir sprachen mit Egoitz Konte, mit dem Künstlernamen "Ojodekuerbo" (Rabenauge), einem Graffiti-Künstler und Architekten aus Gasteiz; mit der Künstlerin Irantzu Lekue, ebenfalls aus Gasteiz; und mit Alban Morlot, dem Leiter des renommierten Street-Art-Festivals “Points de Vue“ in Bayonne (Baiona). Unsere Frage: Ist Graffiti Kunst? Die Antwort lautet eindeutig ja. Ohne jeden Zweifel.

graf2Gasteiz hat viele Mauern

Egoitz Konte unterschreibt mit "Ojodekuerbo". In einem Anflug von Sarkasmus gesteht er, dass er sich ein wenig zurückgezogen hat, weil er "älter geworden ist". Er ist Teil des Kollektivs “Fil In Culture“, einer der Gruppen, deren Graffitis die Wände einiger Stadtteile von Gasteiz zieren. Darunter sind Kollektive und Namen wie Extralargos, Nada Serio, MP1 oder Duda X. Die letztgenannten sind vielleicht die Pioniere der Straßenkunst in der Stadt. Zu all jenen hat sich zuletzt eine neue Generation gesellt. "In Gasteiz haben die Leute schon immer gesprüht, es ist eine ziemlich friedliche Stadt zum Malen. Aber immer schon gab es diesen Kampf zwischen Graffiti-Künstlern und der Stadtverwaltung, wenn auch nicht so extrem wie anderswo. Manchmal sind wir die Bösewichte im Film, manchmal diejenigen, die die Stadt schmücken und verschönern", stellt er humorvoll fest. Er interpretiert die Kampagne des Bürgermeisters als "eine Art, sich zu profilieren".

Immer am Rande der Illegalität – das ist der hauptsächliche Unterschied zwischen Wandmalerei und Graffiti. Wie viele Bußgelder Egoitz getroffen haben? Keine einzige, er ist immer davongekommen oder hat mit den "Behörden verhandelt". Er hat sogar Kollegen, die wegen der Arbeit an einer (legalen) Wand zu Geldstrafen verurteilt wurden ... und anschließend wurden sie von den Eigentümer mit dem Streichen der Wand beauftragt. Widersprüche des Lebens.

Zwischen Wandmalerei und Graffiti

"Wenn du die Stadt mit Graffitis ‘bombardieren‘ willst (wie dies im Sprayer-Sprachgebrauch genannt wird), hast du mehr Probleme als bei anderen Arten von Graffiti", fügt er hinzu. Mit anderen Worten, es gibt viele Wände in Fabriken oder verlassenen Gebäuden, “an denen du ausdrücken kannst, was in dir steckt, ohne dass du geschnappt oder bestraft wirst“. Er warnt: "Es ist unmöglich, Graffiti zu kontrollieren, denn es handelt sich nicht um ein Kollektiv, sondern um den Wunsch einer Person, eine Sprühdose in die Hand zu nehmen und auf die Straße zu gehen, um zu malen. Ich habe da meine Theorie: in Gasteiz wurden Graffitis vor allem in den Arbeitervierteln (Zaramaga, Santa Lucía, Aranbizkarra) gemalt, weil die Passant*innen dort zu Fuß unterwegs sind und diejenigen, die gemalt haben, ebenfalls. Da blieb mehr Zeit für die Arbeit an der Wand. In Bilbao zum Beispiel wird schnell gemalt, weil die Leute, die die Bilder sehen, auch schnell vorbeigehen und es sich nicht lohnt, Details zu betonen. Ich denke, dass Graffiti ein Spiegelbild der Stadt ist, eine Art von Indikator, in der Regel tauchen sie in heruntergekommenen Zonen auf. Für mich ist es ein ‘Klang‘ oder ‘Lärm‘ der Stadt. Es ist wie mit Hunden. Manchmal scheißen sie mitten auf den Bürgersteig, und das gefällt niemandem, dann siehst du sie im Park und sagst: ‘der ist aber nett‘. Graffiti ist also letztendlich nur ein weiteres Spiegelbild dessen, was in der Stadt vor sich geht“.

Aber ist es Kunst? "Ja, jeder Ausdruck, der aus deinem Inneren kommt und den du zum Ausdruck bringst, ist Kunst. Ob das nun mehr oder weniger ausgefeilt ist“. Ob Graffiti einen Zugang zu Museen hat? “Das kann ich nicht beantworten. Die Street Art würden an Ruhe gewinnen, aber sie würde ihre Spannung verlieren. Auf jeden Fall glaube ich, dass Graffiti in 20 bis 30 Jahren an den Universitäten studiert werden kann", prophezeit er. Es bleiben Zweifel. Was unterscheidet Graffiti außerdem von Wandmalerei? "Graffiti ist Propaganda für das Ego. Street Art ist eine Kunstform, die mit der Stadt kommuniziert und sich mit ihr in Verbindung setzt. Auch auf der technischen Ebene gibt es Unterschiede: Bei Graffiti wird vorwiegend Sprühfarbe verwendet, bei Street Art vor allem Schablonen und Plakate. Beides geht Hand in Hand, trotz der Unterschiede. Wie in der Musik, wo es ebenfalls ein breites Spektrum an Stilen gibt".

graf3Malen auf dem Berg

Die Künstlerin Irantzu Lekue ist auf dem Berg anzutreffen bei der Arbeit an einem Wandbild. Im Huecomadura-Tunnel der ehemaligen Bahnlinie zwischen dem Baskenland und Navarra, einem Tunnel in der Nähe des Ortes Uribarri Jauregi in Araba (span: Alava). Es ist das zweite Projekt von "Bidearen aztarnak" (Spuren des Weges). Das erste wurde vor zwei Jahren durchgeführt. Im eben entstehenden Bild werden die Erinnerungen der Menschen vor Ort festgehalten, sie nehmen aktiv am Entstehungsprozess teil. Ein Werk, das "der Straßenkunst und der Geschichte des Graffiti sehr nahe kommt", räumt Irantzu ein.

Wir haben ihr dieselbe Frage gestellt: Ist Graffiti Kunst? "Es ist eine Ausdrucksform, eine Technik und der Wunsch, Kunst auf die Straße zu bringen. Vor vielen Jahren wurde damit begonnen, in New York Züge zu bemalen, und jetzt sind die Werke in Kunstgalerien zu sehen. Kunst ist subjektiv, man kann Gefallen finden oder nicht. Aber niemand kann sagen, das sei keine Kunst. Selbst für Künstler ist es schwer zu definieren. Vielleicht könnte man so etwas wie das John-Lennon-Museum in Budapest vorschlagen (3), also nicht verbieten, sondern Räume schaffen, in denen die freie Meinungsäußerung gewährleistet ist. Denn darum geht es ja, obwohl ich nicht weiß, ob eine solch wilde Kunst sich in diese Form einpassen würde“.

Irantzu Lekue verweist auf Marga Danysz und ihre "Anthologie der städtischen Kunst; vom Graffiti zur kontextbezogenen Kunst“ (Antología del arte urbano; del grafiti al arte contextual; Promopress). Jene französische Galeristin mit Räumen in Paris, London und Shanghai ist eine der weltweit führenden Spezialist*innen für urbane Kunst. Sie ist überzeugt, dass die urbane Kunst "die letzte gestalterische Bewegung des 20. Jahrhunderts ist" und dass "das Publikum nicht mehr in Galerien und Museen gehen muss, sondern sich einfach durch die Straßen der Stadt bewegen kann. Galerien und Museen sind die alten Kirchen, in denen die Menschen leise reden. Es ist wichtig, die Kunst auf die Straße zu bringen, um sie zu entsakralisieren". In einem kürzlichen Interview in "Le Figaro" hat Marga Danysz übrigens bekannt gegeben, dass "Collage nach Graffiti und Street Art die dritte Revolution ist". Die Stadtverwaltungen sollten sich das hinter die Ohren schreiben.

graf4"Banksy, ein Vandale?"

Für Alban Morlot, den künstlerischen Leiter des Street-Art-Festivals “Points de Vue“ in Baiona, ist dies "vielleicht eines der größten künstlerischen Phänomene aller Zeiten. Denn früher gab es zwar große Bewegungen, aber sie waren geografisch begrenzt. Street Art hingegen gibt es weltweit". In Bezug auf die Äußerungen des Bürgermeisters von Gasteiz: "Ich habe den Eindruck, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben, um die Menschen darüber aufzuklären, was Straßenkunst in der heutigen globalisierten Gesellschaft bedeutet".

"Man darf Malereien nicht mit Graffiti und Street Art in Verbindung bringen, es ist nicht dasselbe. Wir müssen erklären: woher kommt das, warum, was steckt dahinter ... in vielen Städte ist das verstanden worden. Aber es gibt andere, die es nicht kapiert haben, also müssen wir weiter erklären. Street Art ist breit gefächert, genauso wie die zeitgenössische Kunst, es gibt Verbindungen zu anderen künstlerischen Praktiken und ist schwer zu definieren". Die Grenze ist nicht immer sichtbar. Morlot nennt das Beispiel von Banksy, dem heute berühmtesten Künstler auf diesem Gebiet, der immer "illegal" arbeitet, ohne Genehmigung: "Ich weiß nicht, ob der Bürgermeister von Gasteiz Banksys Arbeit für Vandalismus hält. In der Kunstwelt hat er einen solchen Bekanntheitsgrad, dass es heutzutage unverständlich ist, einen Künstler dieses Niveaus als Vandalen zu bezeichnen".

Einer der Indikatoren für die Anerkennung dieser Kunst ist die Einrichtung zahlreicher Festivals, bei denen Künstler engagiert werden, um auf der Straße zu arbeiten, wie im Fall von “Points de Vue“. Aber in vielen Fällen schaffen die großen Künstler auch weiterhin in Räumen ohne Erlaubnis. Albert Morlot versichert, dass beide Varianten perfekt nebeneinander existieren können, weil sie sich ergänzen. "Als diese Art des künstlerischen Ausdrucks entstand, war sie nicht offiziell, sie hatte aufstrebenden Charakter, alternativ oder als eine Form von Neben-Kunst. Aber wie bei allen künstlerischen Bewegungen entwickelt sie sich über Konfrontation. Street-Art-Künstler spielen damit: Sie können auf institutioneller Ebene an Festivals teilnehmen, aber sie gehen immer noch nicht genehmigten Praktiken hinterher: "als Vandalen". Das ist ihr Ursprung, sie wollen ihn nicht verlieren, um deutlich zu machen, dass sie ihre Seele nicht verkauft haben", schließt er.

ANMERKUNGEN:

(1) “El grafiti es arte, no una cochinada que desluce“ (Graffiti ist Kunst und kein abgenutzter Dreck) Gara, 2022-02-06 (LINK)

(2) “Graffiti-Stadt Vitoria-Gasteiz – Kontroverse um moderne urbane Kunst“, Baskultur.info 2018 (LINK)

(3) John-Lennon-Museum Budapest, der inhaltliche Zusammenhang der Aussage wird nicht klar … (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Graffiti Gasteiz (ayto)

(2) Graffiti Gasteiz (flickr)

(3) Graffiti Gasteiz (gasteiz hoy)

(4) Graffiti Gasteiz (FAT)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-02-20)

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