Ko-Amtssprachen in Madrid
Die spanische Regierung und ihre Unterstützer-Parteien aus Katalonien und dem Baskenland haben die Geschäftsordnung des Parlaments mit absoluter Mehrheit geändert, und die Benutzung verschiedener Ko-Amtssprachen erlaubt. Die Postfranquisten von der PP und die Faschisten von VOX bezeichneten den Vorgang als "illegal" und verließen den Tagungsraum, als damit begonnen wurde, die ersten Redebeiträge auf Baskisch, Katalanisch, Galizisch zu halten. Das Parlament ist zerstritten, die Legislatur beginnt.
Der Gebrauch von Minderheiten-Sprachen in staatlichen Institutionen sorgt im spanischen Staat weiterhin für böses Blut. Während es für die einen selbstverständlich ist, sich in ihren Muttersprachen auszudrücken, wittern die anderen Verrat und Gefahr für die heilige Nation.
Der sozialdemokratische Abgeordnete für Lugo, José Ramón Gómez Besteiro, ehemaliger Regierungs-Delegierter in Galicien, war am vergangenen 19. September 2023 der erste Parlamentarier in der spanischen Geschichte nach Franco, der im Plenarsaal auf Galizisch sprechen konnte, ohne vom Parlaments-Präsidium verwarnt zu werden. Kurz darauf waren Katalanisch und Baskisch an der Reihe, während Aranesisch, Aragonesisch und Asturisch noch nicht zu ihrem Debüt kamen.
Schauplatz war die erste Plenarsitzung der 15. Legislaturperiode, inmitten einer Atmosphäre, die von territorialen Fragen geprägt war, von denen die derzeitigen Verhandlungen über mögliche Regierungsbildungen geprägt sind. Zu Beginn der Debatte über die Änderung der Geschäftsordnung des Parlaments (Cortes) wurde im Schnellverfahren der Gebrauch der Ko-Amtssprachen beschlossen. Obwohl die neue Regelung erst in wenigen Tagen wirksam wird, waren erste Beiträge dank der Zustimmung des Präsidiums bereits vor der Verabschiedung erlaubt.
Die Abstimmung machte einmal mehr deutlich, wie stark die spanische Rechte und Ultrarechte in franquistischen Dimensionen verhaftet ist. Im Folgenden erinnerten mehrere Redner*innen daran, dass alle Sprachen außer der spanischen (das Castellano) während der franquistischen Diktatur bei Strafe verboten waren. So standen sich in der Kammer zwei verfeindete Hälften gegenüber, obwohl die Abstimmung nach einer Debatte ohne technische Fehler bei der Simultanübersetzung stattfand und mit einer absoluten Mehrheit der Ja-Stimmen endete: 179 Abgeordnete (PSOE, Sumar, Esquerra, PNV, Junts, Bildu, BNG und Coalición Canaria) befürworteten die Zulassung der Ko-Sprachen, 171 Abgeordnete (PP, Vox und UPN) stimmten mit Nein. Die endgültige Verabschiedung der Reform wird am 21. September 2023 beschlossen werden, sechs Tage bevor der Vorsitzende der postfranquistischen Volkspartei PP, Alberto Núñez Feijóo, sich einer ersten Abstimmung stellt, um neue Ministerpräsident zu werden (was bereits ausgeschlossen ist, weil die Koalition aus Rechten und Ultrarechten über keine Mehrheit verfügt).
Ultra-Rechte Ablehnung
Abgesehen von dem historischen Einzug der baskischen, katalanischen, galicischen und drei weiterer Sprachen in den Kongress, war die Plenarsitzung der Auftakt zu einer weiteren angespannten Legislaturperiode mit einem dreifachen Kampf: zwischen Regierung und Opposition, zwischen PP und Vox, sowie innerhalb der Kräfte, die der Bisher-Präsident Sanchez zusammenführen will, um erneut zum Ministerpräsidenten gewählt zu werden.
Obwohl Besteiro als erster Abgeordneter Rederecht hatte, meldete sich die Fraktionssprecherin der Postfranquisten, Cuca Gamarra, gleich zu Beginn der Sitzung zu Wort und prangerte es als "Illegalität" an, dass die Ko-Amtssprachen benutzt werden, obwohl diese Maßnahme "noch gar nicht definitiv beschlossen wurde". Parlaments-Präsidentin Armengol entgegnete, das Präsidium habe für die Verwendung anderer Sprachen grünes Licht gegeben, die geltende Geschäftsordnung enthalte keinen Hinweis darauf, welche Sprache verwendet werden solle.
Zu Beginn von Besteiros Rede verließen die 33 faschistischen VOX-Abgeordneten den Plenarsaal, nachdem ihre Sprecherin Pepa Millán, die zum ersten Mal in ihrer Funktion antrat, den PSOE-Abgeordneten unterbrochen hatte, als er seine ersten Sätze auf Galizisch sprach: "É unha dobre honra estrear o sistema de tradución simultánea na miña lingua materna" (Es ist eine große Ehre, das System der Simultan-Übersetzung in meiner Muttersprache zu eröffnen). Vor dem Verlassen des Plenarsaals warfen die Anhänger von Santiago Abascal ihre Kopfhörer auf den Sitz des Regierungs-Präsidenten Pedro Sánchez, der sich in Abwesenheit auf einer Dienstreise in New York befand.
Die Beschwerden der Faschisten wurden außerhalb des Plenarsaals wiederholt. "Das geltende Recht wird verletzt, die Reform der Geschäftsordnung ist noch nicht verabschiedet, und die Präsidentin hat zugelassen, dass man in den Ko-Amtssprachen spricht. Wir sind Zeugen einer Verschärfung der Konfrontation, mit dem Geld von allen", sagte Millán im Innenhof des Kongresses. Doch ging es gar nicht um eine kleine Regelverletzung, für die Faschisten geht es um viel mehr.
Im Senat abschaffen
Später forderte der Faschist Abascal den PP-Vorsitzenden Feijóo auf, den Gebrauch von Ko-Amtssprachen im Senat (der territorialen Kammer, vergleichbar dem BRD-Bundesrat) abzuschaffen. Dort hat die PP eine absolute Mehrheit, bisher war der Gebrauch dieser Sprachen möglich. "Heute haben im Parlament die Befürworter eines Staatsstreichs mit hauchdünnem Vorsprung die Mehrheit erlangt. Zumindest In Spanien sollte es zumindest eine Kammer geben, in der sich alle Spanier verstehen können", sagte Abascal, ausgerechnet auch noch ein Baske, der sich aber standhaft weigert, auf Baskisch auch nur “Guten Morgen“ zu sagen.
Für Leute wie Abascal ist es unvorstellbar, dass im Staat lebende Personen in anderen Sprachen als der kastilischen aufwachsen und sich darin besser ausdrücken können als in jenem Kastilisch, das vor Jahrhunderten bereits Millionen von Ureinwohner*innen des lateinamerikanischen Subkontinents aufgezwungen wurde.
Die weitere Debatte im Kongress-Parlament verlief ohne Zwischenfälle, abgesehen von dem Gezänk, das in verschiedenen Sprachen stattfand. Marta Lois, Sprecherin der Fraktion Sumar, kombinierte Galicisch mit Spanisch, um die Beschwerden von PP und Vox anzugreifen, und bezeichnete sie als "eine parlamentarische Minderheit" und "das Spanien in Schwarz-Weiß, das unser Land immer zum Scheitern gebracht hat".
Der Sprecher der der katalanischen Sozialdemokratie, Gabriel Rufián (ERC), hielt seine Rede vollständig auf Katalanisch, nachdem er sie mit einem Scherz auf Spanisch begonnen hatte. Er beglückwünschte sich selbst zum Gebrauch der beiden Amtssprachen: "Hier gibt es keine Verlierer, höchstens Ignoranten". Rufián antwortete denjenigen, die im Kongress von einem Mangel an Respekt sprachen, indem er auf "andere Respektlosigkeiten" anspielte, wie den Einstieg des saudischen Staatsfonds bei Telefónica. Es ist ungewöhnlich, dass der republikanische Politiker eine andere Sprache als Spanisch benutzt. Dies erregte die Aufmerksamkeit der PP-Abgeordneten Cayetana Álvarez de Toledo, die in den sozialen Netzwerken den ihrer Meinung nach mangelhaften Gebrauch der autonomen Sprache kritisierte: "Unvorhergesehenes technisches Problem: Rufián muss ins Katalanische übersetzt werden". So kamen auch Ironie und Zynismus zum Einsatz im Parlament.
Baskisch
Die Sprecherin von EH Bildu, Mertxe Aizpurua, bedankte sich erst auf Baskisch und dann auf Spanisch für den "symbolischen Schritt", warnte aber PSOE und Sumar, die mit ihrer Unterstützung eine Neuauflage der Regierungskoalition anstreben, dass Gesten "nicht inhaltsleer sein sollten". Die Abgeordnete der konservativen katalanischen Unabhängigkeits-Partei Junts, Míriam Nogueras, von deren Partei der Erfolg von Sánchez bei einer eventuellen Amtseinführung abhängt, formulierte es härter. Sie zeigte totales Misstrauen gegenüber der Regierung und machte deutlich, dass ihre Partei "Fakten will, denn Worte reichen uns nicht mehr". Sie betonte, "dieses Recht hatten wir schon immer, wie das Selbstbestimmungs-Recht, aber darüber werden wir in einigen Wochen sprechen".
Auch der Wahlkampfsprecher der PP, der in Irun (Gipuzkoa) geborene Borja Sémper, sagte in seiner Rede mehrere Sätze auf Baskisch, um zu betonen, dass "in Bezug auf die Achtung und Förderung der sprachlichen Vielfalt keine europäische Nation ein höheres Schutzniveau als Spanien entwickelt“ habe – eine Lüge, so groß wie ein Fußball-Stadion. Ein Blick auf die Dauerklagen gegen alle Maßnahmen zu Entwicklung der baskischen Sprache, reicht aus, um ihn der Unwahrheit zu überführen. Anschließend verteidigte Sémper nachdrücklich die Verwendung des Spanischen im Kongress als "einzige gemeinsame Sprache" des Landes. Ganz nebenbei zog er mit seinen Einlassungen auf Baskisch den gesammelten Zorn der Neo-Franquisten von VOX auf sich.
Trotz vorheriger Zweifel funktionierte die Simultan-Übersetzung perfekt. Das Unterhaus verfügte während der beschriebenen Parlaments-Sitzung über bis zu 12 Dolmetscher*innen für Katalanisch, Baskisch und Galicisch. Abgeordnete, die auf Aranesisch, Aragonesisch oder Asturisch sprechen wollen, müssen ihre Reden selbst auf Spanisch wiederholen. Angemerkt sei, dass es auf der anderen Seite der Pyrenäen, im französischen Staat, noch düsterer aussieht als im iberischen Süden. Keine einzige Sprache verfügt dort über den Offizial-Status, weder im baskischen, katalanischen, bretonischen oder korsischen Sprachraum selbst, noch auf staatlicher Bühne. (1)
Grenzgänger oder Verräter
Wie emotionsgeladen und hasserfüllt sich die Haltung und Debatte um die ko-offiziellen Sprachen darstellt, machte unfreiwillig der baskische PP-Politiker Borja Sémper deutlich. Nach seiner Rede, in die er ein paar Sätze Baskisch eingebaut hatte, musste er sich schleunigst gegen die ultra-nationalistischen Attacken von VOX verteidigen und feststellen: "Man wird mich nicht aus der PP rauswerfen, weil ich anders denke". Er hätte es wissen können. Dabei denkt er gar nicht so unterschiedlich wie seine rechten und ultrarechten Kollegen. Er argumentiert, er habe lediglich zeigen wollen, "dass die Ko-Amtssprachen nicht das ausschließliche Erbe der Unabhängigkeits-Befürworter sind". Doch genau das ist der Punkt. Das Baskische – wie Katalanisch, Galizisch weniger – wird mit Ablehnung des spanischen Staates in Verbindung gebracht; mit einer eigenen Kultur, die nicht die spanische ist; mit einer eigenen Geschichte, die von der spanischen assimiliert oder nach militärischer Eroberung unsichtbar gemacht wurde. Weil Sprache der offensichtlichste Ausdruck dieser regionalen oder auch “national“ genannten Eigenheiten ist, wird sie bekämpft mit allen Mitteln.
Sémper benutzte das Baskische, um sich gegen seine Verwendung als Ko-Amtssprache im Kongress von Madrid auszusprechen. Das hat ihn ins Zentrum der Kritik gerückt, nicht nur von Seiten der Ultrarechten, sondern auch von seiner eigenen Partei, die mit "Erstaunen" beobachtete, wie ihr Kollege die neue Option der Kammer nutzte, welche die konservative Partei so sehr kritisiert hat. Er verteidigte sich damit, dass in seiner Partei nicht "alle gleich" denken und deshalb "niemand rausgeschmissen" werde: "Wir sind keine Sekte". Gut, dass einer das mal feststellt. Sekte vielleicht nicht, eher schlimmer.
Über die Verwendung der baskischen Sprache empörten sich einige Mitglieder seiner eigenen Partei. Peinlich war jedoch, dass niemand von ihnen Sémpers Worte verstehen konnte, da sie sich geweigert hatten, die Ohrhörer für die Simultan-Übersetzung zu benutzen. Urteilen, ohne zu kapieren, worum es eigentlich geht.
Ein Abgeordneter der christdemokratischen Baskenpartei PNV brachte es – in baskischer Sprache – auf den Punkt: “Früher habt ihr unsere Sprache verboten und uns bestraft, wenn ihr uns beim Baskisch-Sprechen erwischt habt. Heute sind wir offenbar einen Schritt weiter.“ Einen Schritt weiter vielleicht, doch bei vielen ist das Denken im Franquismus stehen geblieben. Deshalb wird Sprache nicht als Mittel zur Kommunikation angesehen, sondern als Ausdruck einer politischen Haltung, einer Botschaft, wie der Aufdruck eines T-Shirts oder ein Pin am Hemdkragen. Vom Verbot zur Inquisition ist es nicht weit. Schon gar nicht in Kastilien.
ANMERKUNGEN:
(1) Information aus: “Las lenguas cooficiales estrenan una tensa legislatura con el Congreso partido en dos” (Die Ko-Amtssprachen beginnen eine angespannte Legislaturperiode mit einem zerstrittenen Kongress), Tageszeitung El Correo, 2023-09-20 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Spanien mehrsprachig (publico)
(2) Spanien mehrsprachig (mundiario)
(3) Borja Semper (youtube)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-09-21)