Was sich in der Welt bewegt
Baskultur.info kümmert sich weiter um internationale Nachrichten, die nicht in der Mainstream-Presse zu lesen sind. Schon gar nicht auf den Titelseiten. Dabei blicken wir über den Tellerrand und auch über die Ozeane. Ein erster Blick geht in den kleinen Bundesstaat Rhode Island in den USA, wo an der Universität eine Ausstellung eröffnet wurde, die sich kritisch mit der Masseninhaftierung von Schwarzen und Gefängnis-Industrie befasst und ein schlechtes Licht wirft auf das “freieste Land der Welt“.
Internationale Nachrichten, die in den üblichen Massenmedien nicht vorkommen oder nur als Dreizeiler auf Seite 47. In Verbundenheit mit Franz Fanon, dem Vordenker der Entkolonialisierung, die nach wie vor nicht abgeschlossen ist.
(2023-11-28)
HENKERSMAHLZEIT
Der Waffenstillstand in Gaza wird verlängert. Die Vereinbarung, die militärischen Aktionen im Gazastreifens einzustellen, hat zur Freilassung von 58 israelischen Geiseln und 117 palästinensischen Gefangenen geführt. Dutzende weiterer Geiselaustausche werden erwartet, humanitäre Hilfe wird nach Gaza gebracht werden können. Diese Verlängerung bietet Raum für neue Verhandlungen, denn ein vorübergehender Waffenstillstand ist zwar positiv, aber nicht ausreichend, den Mangel zu lindern: "Es macht keinen Sinn, jemandem ein Abendessen zu geben, wenn er am nächsten Tag unter Bomben sterben wird", kommentierte EU-Außenminister Josep Borrell. Das ist zynisch, doch steckt auch ein Stück Wahrheit dahinter.
Der EU-Vertreter hat die israelischen Siedlungen, die immer mehr palästinensisches Gebiet beanspruchen, als "Verletzung des Völkerrechts" bezeichnet. Das entspricht den Resolutionen der UNO, die vom Staat Israel nicht eingehalten werden. Ansonsten steht die EU stramm hinter dem stattfindenden Völkermord.
In Spanien kritisiert die rechte PP den Regierungschef Sánchez, weil er bei seinem Besuch in Israel einen palästinensischen Staat gefordert hat. Das ist merkwürdig, denn die PP-Regierung mit Rajoy hat Israel bereits gedroht, den Staat Palästina anzuerkennen. Doch jetzt ist es bequem, das zu vergessen. Der Zynismus hinter der PP-Kritik ist noch größer: Die Anerkennung Palästinas war Teil des Wahlprogramms von Feijóo für die diesjährigen Parlamentswahlen. Zwar hat sich der Kontext seither geändert, aber Sánchez ist nicht der einzige europäische Politiker, der sich heute für eine Zweistaaten-Lösung einsetzt.
Neben der Geschichte mit Brot und Bomben gibt es eine zweite Sache, die Fragen aufwirft. Ausgetauscht werden Geiseln gegen Gefangene. Wie die Geiseln zu solchen wurden, ist klar. Aber was ist mit den palästinensischen Gefangenen? Die letzten Wochen war täglich zu hören, dass Israel im „““eigenen Land“ und im Westjordanland soundso viele Menschen verhaftet hat. Gefangene. Die Mehrheit der ausgetauschten Gefangenen war jahrelang in Haft, sie wurden gefoltert aber nicht verurteilt. Administrativhaft heißt das im israelischen Jargon. Die freigelassenen Geiseln bleiben in Freiheit, für die freigelassenen Palästinenser werden morgen wieder andere verhaftet, gefoltert und ohne Prozess eingekerkert. Ein seltsamer Austausch.
(2023-11-14)
ANKLAGE WEGEN VÖLKERMORD
80 führende Politiker aus aller Welt fordern den Internationalen Gerichtshof auf, den israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu wegen Völkermordes anzuklagen. Dazu haben sie das Dokument "Gerechtigkeit für Gaza" eingereicht, in dem sie die Verhaftung von Benjamin Netanjahu und anderen israelischen Politikern fordern, damit diese wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord am palästinensischen Volk vor Gericht gestellt werden können. Die Petition bezieht sich auf Mitglieder der israelischen Regierung, darunter Verteidigungsminister Yoav Galant, Benjamin Gantz, Mitglied des politischen und sicherheitspolitischen Kabinetts Israels, Bezalel Smotrich, der derzeitige Finanzminister, Itamar Ben Gvir, der derzeitige Sicherheitsminister, und Hertzi Halevi, der derzeitige Generalstabschef der israelischen Armee.
Zu den Unterzeichnern des Dokuments gehören die EH Bildu-Mitglieder Pernando Barrena, Diana Urrea, Oihana Etxebarrieta und Irati Jiménez sowie Ione Belarra, spanische Ministerin für soziale Rechte und die Agenda 2030 und Generalsekretärin von Podemos. Auf internationaler Ebene wurde die Petition vom Generalsekretär der belgischen Arbeiterpartei, Peter Mertens, von mehreren Abgeordneten aus Katalonien, Chile, Mexiko und Bolivien sowie von mehreren Europa-Abgeordneten progressiver Kräfte und dem ehemaligen Vorsitzenden der britischen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, unterzeichnet.
Der Antrag, Netanjahu vor Gericht zu stellen, stützt sich auf Artikel 15 des Statuts von Rom (Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, oft auch nur als Rom-Statut bezeichnet, ist die vertragliche Grundlage des Internationalen Strafgerichtshofs, IStGH, mit Sitz in Den Haag). Darin wird der Gerichtshof insbesondere dazu aufgefordert, die 2021 eingeleiteten Ermittlungen gegen Israel wegen Kriegsverbrechen auszuweiten, da seit dem 7. Oktober als Reaktion auf den Hamas-Angriff bewaffnete Aktionen gegen Flüchtlingslager, der Einsatz von weißem Phosphor und die Bombardierung des Al-Ahli Krankenhauses in Gaza stattgefunden haben.
Darüber hinaus enthält das Dokument eine Antwort auf das Unterstützungs-Ersuchen des Anklägers des Internationalen Gerichtshofs, Karim Ahmad Khan, vom 29. Oktober, als er den Grenzübergang Rafah (Ägypten) besuchte und die internationale Gemeinschaft um "Zusammenarbeit und Unterstützung" bat, um die Einhaltung des Völkerrechts in der Region zu gewährleisten.
Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen
Dem Dokument und Quellen von Podemos zufolge haben Netanjahu und seine politische Führung Handlungen begangen, die den Tatbestand des Völkermords, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Kriegsverbrechen erfüllen, wie sie im oben genannten Römischen Statut aufgeführt sind. Als Beispiele werden Angriffe auf ziviles Eigentum, die gewaltsame Verschleppung von Zivilisten durch eine Besatzungsmacht oder die "Verfolgung einer Gruppe oder eines Kollektivs aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen" genannt.
Der Text fordert außerdem eine schnellere und entschlossenere Untersuchung von Kriegsverbrechen, die im Westjordanland, einschließlich Ost-Jerusalem, und im Gazastreifen begangen wurden, sowie die Bereitstellung von finanziellen und personellen Ressourcen für diesen Zweck. Dieses Ersuchen an die Staatsanwaltschaft ist eine Initiative "zur Beendigung der Straflosigkeit der israelischen Regierung für ihre Verbrechen in Gaza".
Diese Angriffe finden ihrer Ansicht nach "in einem Kontext des anhaltenden Völkermords, der ethnischen Säuberung und der Belagerung der im Gazastreifen eingeschlossenen palästinensischen Bevölkerung statt. Sie leidet heute unter den schlimmsten Folgen einer 75 Jahre andauernden Kolonisierung, unter einer Jahrzehnte langen illegalen Besetzung und einer jahrelangen Blockade und Apartheid gegen das palästinensische Volk. Ein Konflikt, der nur mit Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit und Würde für ganz Palästina, vom Fluss bis zum Meer, gelöst werden kann".
"Dies bedeutet, von Israel die Einhaltung des Völkerrechts zu fordern und sich für die Beendigung von Völkermord, Besatzung, Apartheid und die Ausweitung des kolonialen Projekts des Staates Israel einzusetzen sowie Prozesse zur Rechenschaft derjenigen zu unterstützen, die für Verbrechen gegen das palästinensische Volk verantwortlich sind. Heute ist es mehr denn je an der Zeit zu handeln", fügen sie hinzu. (gara)
(2023-11-06)
VERFOLGUNG VON PALÄSTINA-SOLIDARITÄT
»Wir beobachten eine Zuspitzung der Repression« - Grundrechte bei Palästina-Solidarität zunehmend eingeschränkt. Ein Gespräch mit Tobias Den Haan, er arbeitet für das Monitoring Team des European Legal Support Center (ELSC). F: Die Polizei geht gegen die verbotene palästinasolidarische Demonstration auf der Berliner Sonnenallee vor (18.10.2023)
Das European Legal Support Center, ELSC, möchte nach eigenen Angaben »Verfechter palästinensischer Rechte« in Europa »verteidigen und stärken«. Worin genau besteht Ihre Arbeit?
Wir verteidigen europaweit die Grundrechte von Menschen, die sich für Palästina einsetzen. Das bedeutet zunächst, dass wir aufklären, welche Rechte das eigentlich sind. Aber wir vertreten auch Menschen, die konkret von Repression betroffen sind. Daneben führen wir ein Register über einzelne Vorfälle und beobachten, wie sich die Maßnahmen gegen Menschen, die sich propalästinensisch engagieren, entwickeln. Wir arbeiten zum größten Teil in Deutschland, im Vereinigten Königreich, Frankreich, den Niederlanden und Italien.
Was für Repression meinen Sie konkret?
Das ist unterschiedlich. Wir sind seit 2019 aktiv. Die Unterstützung der Belange der Palästinenser wird schon lange staatlich verfolgt. Ich meine damit Menschen, die ihren Job verlieren, weil sie auf Social Media Position bezogen haben, oder Leute, die auf der Straße grundlos von der Polizei angehalten oder festgenommen wurden. Schließlich kümmern wir uns auch um mediale Hetzkampagnen gegen Individuen oder Kollektive, die wegen ihres Engagements für Menschenrechte angegriffen werden.
Was hat sich seit Beginn der aktuellen Kriegshandlungen am 7. Oktober verändert?
Was wir gerade beobachten können, ist eine Verschärfung und Zuspitzung der Repression, aber keinesfalls ein neues Phänomen. Seit mehreren Jahren indexieren wir solche Fälle, aber die Frequenz hat sich drastisch erhöht. Aktuell schaffen wir es nicht, restlos alle Meldungen zu kategorisieren, weil es so viele sind. Das Zusammenwirken von Medien, staatlichen Stellen und zivilgesellschaftlichen Institutionen hat sich seit dem 7. Oktober intensiviert. Es wird versucht, Dissens zu kriminalisieren, Individuen zu verleumden und Protest zu unterbinden.
Waren Sie überrascht über das Ausmaß der Maßnahmen in der BRD?
»Überraschung« ist nicht das richtige Wort. Die aktuelle Entwicklung ist beängstigend und einschüchternd. Polizei und Staat treten uneindeutig auf: Manches wird geahndet, anderes nicht. Das liegt daran, dass die aktuelle Verfolgung sich nicht auf Gesetze stützt. Wir reden hier von Parolen oder Symbolen, aber sie sind nicht verboten. Es gibt kein Gesetz, das das Palästinensertuch oder die palästinensische Flagge verbietet. Und auch keins, das von »From the River to the Sea, Palestine will be free« unter Strafe stellt.
Was ist der Grund für die harten polizeilichen Maßnahmen?
Insbesondere seit 2021 sehen wir in der BRD die Tendenz, propalästinensische Versammlungen schlichtweg zu verbieten. Spitzenpolitiker haben mehrfach erklärt, dass sie die »Sicherheit Israels« als deutsche Staatsräson betrachten. Das hat auch Robert Habeck in seiner Rede bei X betont. Vielleicht ist das, was wir hier auf den Straßen sehen, die praktische Umsetzung davon. Aber trotzdem dürfen demokratische Rechte nicht auf diese Weise eingeschränkt werden.
Wie schätzen Sie die aktuelle Flut von Strafanzeigen und die zahlreichen Demoverbote juristisch ein?
Die Argumentation der Demonstrationsverbote seit 2021 ist eigentlich immer ähnlich und operiert mit rassistischer Sprache. Man erklärt, es handele sich hier um eine »hoch emotionalisierte Untergruppe« der Gesellschaft von arabischstämmigen, palästinensischen oder libanesischen jungen Menschen. Diese würden schneller zu Gewalt oder Ausschreitungen tendieren sowie zu antisemitischen oder gewaltverherrlichenden Aussagen. Diese Argumentation müssen wir ablehnen, denn man kann nicht Tausende Menschen unter Generalverdacht stellen. Das ist verfassungswidrig.
Ob die Gerichte die Kriminalisierung der Solidaritätsbewegung mittragen werden, ist bisher schwer einzuschätzen. Es handelt sich allein in Berlin um 900 erhobene Strafanzeigen. Dazu kommen noch Tausende Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten deutschlandweit. Nach einer Strafanzeige dauert es meist mehrere Wochen oder Monate, bis die Angezeigten Briefe bekommen und die Verfahren beginnen.
Dass wir gegen die drastische Einschränkung der Grundrechte vorgehen müssen, versteht sich von selbst. Wir als ELSC sind da, um Leute zu unterstützen, die ebenfalls dagegen vorgehen möchten. (JW)
(2023-11-02)
KRIEGSTREIBER
Viel ist im Baskenland von Frieden die Rede, von Menschenrechten, von Gernika und den bösen Nazis, die die Stadt vernichtet haben, die Regierung holt diese Geschichten gerne aus dem Schrank. Doch die Realität sieht anders aus. Baskische Rüstungsfirmen verdienen wieder einmal kräftig an den Kriegen, die immer näher angezettelt werden. Sener ist ein Name, den man sich merken sollte. Jetzt geht es um Raketen, die Geld bringen, mit freundlicher finanzieller Unterstützung der baskischen Regierung.
Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan inszeniert sich – nicht zuletzt zur Ablenkung seiner islamistischen Anhängerschaft von der weiterhin prekären Wirtschaftslage im eigenen Land – als stimmgewaltiger Tribun der palästinensischen Sache. Auf einer Kundgebung vor einer Million Teilnehmern verurteilte er das “Massaker an unschuldigen Menschen in Gaza“. Er beschuldigte Israel, Kriegsverbrechen zu begehen und den Westen der Komplizenschaft. Als Reaktion auf die Rede zog Israel seinen Botschafter aus Ankara ab, diesen des Landes zu verweisen, hatte die Erdoğan-Regierung ihrerseits gar nicht erwogen. Denn tatsächlich beschränkt sich die Palästina-Solidarität der regierenden AKP abgesehen von ihrer Freundschaft zur Hamas, mit der sie die Wurzeln in der Muslimbruderschaft teilt, auf starke Worte.
Während diplomatische Verwerfungen zwischen beiden Ländern zyklisch auftreten, sind die wirtschaftlichen Beziehungen gefestigt. Seit 1997 besteht ein Freihandelsabkommen, das Handelsvolumen stieg unter Erdoğans Regentschaft steil an. Für die Türkei stellt Israel einen der zehn wichtigsten Exportmärkte dar. Umkehrt ist das Land Israels sechstgrößter Handelspartner. In Planung sind strategische Energieprojekte, um israelisches Erdgas über türkische Pipelines nach Westeuropa zu leiten.
Israel bezieht 40 Prozent seines Erdöls von der türkische Brudernation Aserbaidschan. Wollte Erdoğan Palästina tatsächlich unterstützen, wäre es ein leichtes, diesen Ölfluss durch die Türkei ans Mittelmeer zu kappen. Doch als Trojanisches Pferd der NATO in der islamischen Welt kommt der Türkei die Aufgabe zu, die Wut der arabischen Straße zu kanalisieren. Verbales Austeilen gegen Israel dient der Steet Credibility Erdoğans. Taten werden keine folgen. Denn Hunde, die bellen, beißen bekanntlich nicht. (jw)
(2023-10-26)
KEINE RECHTE FÜR UREINWOHNER
Führende Vertreter der australischen Ureinwohner haben deshalb zu einer Schweigewoche aufgerufen, nachdem die Mehrheit der Bevölkerung das Referendum über die verfassungsmäßige Anerkennung der First Peoples "bedauerlicherweise" abgelehnt hat. "Die Anerkennung der Nachkommen der ursprünglichen und heutigen Eigentümer Australiens in der Verfassung wäre ein großer Durchbruch für Australien gewesen", beklagten sie in einer Erklärung, in der sie das Ergebnis der Abstimmung als "bittere Ironie" bezeichneten.
Die Erklärung der Aborigines, die das Referendum unterstützten, kritisierte "Menschen, die erst seit 235 Jahren auf dem Kontinent leben und sich weigern, diejenigen anzuerkennen, deren Heimat dieses Land seit 60.000 Jahren oder mehr ist". Darin wurde festgestellt, dass "es jenseits aller Vernunft ist" und dass "es niemals der Wille jener Neuankömmlinge gewesen sei, den wahren Besitzern Australiens die Anerkennung zu verweigern". In diesem Zusammenhang wiesen sie darauf hin, dass "das Referendum eine Gelegenheit für die späteren Neuankömmlinge war, Dankbarkeit zu zeigen, die den Ureinwohner*innen lange Zeit verweigert worden war, und anzuerkennen, dass die brutale Enteignung unseres Volkes all ihre Vorteile in diesem Land untermauert hat".
Dieses Votum "war unsere große Hoffnung auf einen wirklichen Wandel für unsere Familien und Gemeinschaften", argumentierten sie und beteuerten, dass ihre "tiefe Verärgerung über dieses Ergebnis in keiner Weise unseren Stolz und unsere Dankbarkeit für die Haltung derer schmälert, die den moralischen Mut hatten, für diese nun verlorene Sache zu kämpfen". Mehr als 60% der Australier hatten in einem historischen Referendum mit Nein gestimmt, als die Einwohner*innen des Landes gefragt wurden, ob die Verfassung geändert werden sollte, um die Aborigine-Gemeinschaften anzuerkennen und ihnen durch die Einrichtung eines Beratungsgremiums für Indigene eine Stimme zu geben.
(2023-10-19)
GAZA DEFINITIV ANNEKTIEREN
Netanjahu wird den nördlichen Gazastreifen annektieren, nachdem er die dortigen Bewohner*innen vertrieben hat. Der Besuch von Joe Biden in Israel ist unter den gegenwärtigen Umständen eine obligatorische Geste. Aber er ist nur demonstrativ und ohne Inhalt, ein Feigenblatt, mit dem die USA versuchen, die Peinlichkeit ihrer extrem israel-freundlichen Einstellung zu verbergen.
So erklärt sich Biden bereit, die Palästinenser für das Massaker an Hunderten von Menschen in einem Krankenhaus im Gazastreifen verantwortlich zu machen, obwohl seine Diplomaten ihm zweifellos gesagt haben, dass Israel angekündigt hatte, das Krankenhaus zu bombardieren, und dass die Zionisten auf die Evakuierung des Hospitals drängten. Und obwohl Bidens Militärexperten ihm sicher erklärt haben, dass die Kämpfer des Islamischen Dschihad nicht über Raketen verfügen, die stark genug sind, um ein solches Blutbad anzurichten.
Aber was soll's! Was nicht sein darf, ist nicht. Israel darf nicht schuldig sein, denn dann müssten die USA gegen das Land vorgehen. Dass das nicht geschehen würde, war von vornherein eine ausgemachte Sache. Straffreiheit für Kriegsverbrechen. Deshalb wurde das Krankenhaus in Gaza “von Palästinensern bombardiert“, so wie Gernika laut Nazis und Franquisten von den Basken selbst angezündet wurde und der Markt in Sarajewo von den Bosniern selbst bombardiert wurde.
Die konsequent pro-israelische Haltung Washingtons wird oft mit dem vermeintlich allumfassenden Einfluss einer mächtigen Lobby erklärt, die verhindern soll, dass ein US-Präsident das wiederholt, was Eisenhower 1956 während des Suez-Krieges getan hat, nämlich Israel zu zwingen, seine Militäroffensive zu stoppen. Als Israel - zusammen mit Franzosen und Briten - kurz vor dem militärischen Sieg stand. Zudem wurde Israel damals gezwungen, den Sinai und den Gaza-Streifen zurückzugeben.
Der Erfolg der pro-israelischen Lobby lässt sich daran ablesen, dass jeder US-Präsident, der versucht hat, Israel zu widersprechen, am Ende fast immer einen Rückzieher gemacht hat. Washington versucht üblicherweise, den ultrarechten Zionisten jeden Wunsch von den Lippen abzulesen.
Dieses ungleiche Verhältnis mag Anlass zu allerlei Verschwörungs-Theorien geben, doch die Realität ist viel einfacher: Die Pro-Israel-Lobby ist im Grunde ein Ausdruck mächtiger politischer Kräfte innerhalb der USA, in deren Mittelpunkt das steht, was oft als die religiöse extreme Rechte bezeichnet wird. Der alt-testamentarische biblische Hintergrund der meisten ultrakonservativen protestantischen Gruppen ist ein Schlüsselfaktor für ihre bedingungslose Unterstützung Israels, selbst gegen die grundlegendsten Interessen der Vereinigten Staaten selbst.
In Wirklichkeit ist die Israel-Lobby in der Regel die Lobby der Likud-Partei. Wenn in Israel Kräfte der Mitte oder des “progressiven“ Flügels regieren, ändert sich die grundsätzliche pro-israelische Haltung nicht, aber es wird deutlich weniger Leidenschaft wahrgenommen.
Zwei Schlüsselaspekte des israelischen Einflusses in den USA sind: die Durchsetzung der israelischen Interpretation der Ereignisse in den Mainstream-Medien, in Film, Fernsehen, Comics, Videospielen, die jede Andeutung einer Verteidigung des arabischen Standpunkts verteufelt und darüber hinaus jeden Kongress-Abgeordneten, jeden Senator, Gouverneur, Bürgermeister, lokalen Abgeordneten unter Druck setzt und damit droht, im nächsten Wahlkampf ein Vermögen in die Finanzierung der Gegenkandidaten zu stecken, der es wagt, Israel herauszufordern.
Was die arabischen Regierungen betrifft, so gilt: Je weniger gesagt wird, desto besser. Nachdem sie eine militärische Niederlage nach der anderen erlitten haben, gibt es niemanden mehr, der es wagt, sich Israel ernsthaft zu widersetzen. Aufrührerische Rhetorik sollte nicht täuschen: Sie ist nur gespielt. Mittelfristig wird die Frustration der Menschen Konsequenzen haben, aber im Moment kann Israel völlig ungestraft agieren. Nur die Iraner sind etwas ernster, aber sie sind unvorbereitet und geografisch zu weit weg.
Kurzum: Netanjahu wird den nördlichen Teil des Gazastreifens erobern und annektieren, nachdem er die dortigen Bewohner*innen mit brutalster Gewalt vertrieben hat – dazu passt der mörderische Angriff auf das Krankenhaus. Es wird einen schrecklichen Aufruhr in der Welt geben, aber es wird alles nur feuchtes Schießpulver ohne Sprengkraft sein. Eine englische Zeitung berichtet, die USA hätten dem diktatorischen Ägypten angeboten, 45% der Auslandsschulden zu erlassen, wenn das Land im Gegenzug eine große Anzahl palästinensischer Flüchtlinge aufnimmt. Dazu passen perfekt die Panzer, die zum Einmarsch an der Gaza-Grenze bereitstehen. Nicht, um “Hamas zu vernichten“, sondern um den Teil des Streifens definitiv zu okkupieren und zu annektieren.
(2023-10-13)
GEGEN DEN HERRSCHENDEN DISKURS
"Verräter der Republik". Das ist der Vorwurf, den die jüdischen Gemeinden des französischen Staates gegen Jean-Luc Mélenchon erhoben haben, weil er sich nicht der generellen Mainstream-Verurteilung angeschlossen hatte, Hamas sei "terroristisch" und Israel habe das Recht, sich zu verteidigen, auch wenn damit ein neues Massaker im Gazastreifen provoziert werde. Mélenchon tanzte aus der Reihe. Zuvor hatte er die "Steinigung durch die Medien" angeprangert, weil er sich nicht der Einheits-Meinung angeschlossen.
Im Baskenland wissen wir sehr gut, was es bedeutet, internationalistische Solidarität zu kriminalisieren. Der Prozess gegen Aktivisten der internationalistischen Askapena-Bewegung im Jahr 2016 ist ein Beispiel dafür. Leute wie die Madrider Linke Nines Maestro oder die Solidaritäts-Arbeiterin Juani Ruiz in Israel selbst wissen das ebenfalls. Israel versucht seit Jahrzehnten, die Solidarität mit einem Volk zu brechen, das seit Jahrzehnten unter einer nach internationalen Maßstäben illegalen Besatzung leidet. Viel zu leicht wird das häufig vergessen.
Der so genannte "Kampf gegen den Terrorismus" - in diesem Fall Hamas, aber seinerzeit ging es gegen die PFLP oder gegen Arafats Fatah selbst – ist der Schirm, unter dem die Europäische Union droht, die humanitäre Hilfe für Palästina zu kappen. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem der zionistische Staat damit droht, den Gazastreifen dem Erdboden gleichzumachen. Wieder einmal.
Hamas entspricht nicht unserer politischen Kultur im Baskenland. Wir teilen ihr Gesellschaftsmodell nicht. Die Organisation begeht Exzesse, barbarische Akte. Aber sie spiegelt die Reaktion vieler Palästinenser auf eine ausweglose Situation wider, in die die zionistischen Besatzer sie gebracht haben. Die Lage in Gaza ist jetzt schrecklich. Aber sie war schon vor Monaten schrecklich, als noch vom größten Freiluftgefängnis der Welt gesprochen wurde. Die Situation im Westjordanland war schrecklich, weil dort jeden Tag Menschen durch israelische Operationen getötet wurden. Die Lage im palästinensischen Flüchtlingslager Ain el-Hilweh ist entsetzlich, und für die Christen in Jerusalem ist sie erschreckend.
In diesem Zusammenhang muss die Botschaft der Solidarität gegen den vorherrschenden Diskurs ankämpfen, der sich nur auf einen Teil des Konflikts konzentriert, während er die Ursachen des Konflikts ignoriert, und weiteres wahlloses Morden begrüßt und bejubelt. In Bilbo, Gasteiz, Donostia und Iruñea haben Tausende von Menschen ihre bedingungslose Solidarität mit dem palästinensischen Volk auf die Straße getragen, allein in Bilbo waren es zweitausend, darunter viele palästinensische und maghrebinische Frauen, Kinder und Männer.
Die Nachricht des Tages kommt erneut aus dem französischen Staat: alle pro-palästinensischen Kundgebungen wurden dort verboten. Sprich: es darf nicht mehr das zum Ausdruck gebracht werden, was die UNO mehrfach formuliert hat – dass die israelische Besetzung und Kolonisierung Palästinas illegal ist und den allgemeinen Menschenrechten widerspricht.
(2023-10-10)
FÜNF FAKTEN ÜBER GAZA
Das von Armut und Krieg gezeichnete palästinensische Gebiet - der Gazastreifen steht wieder einmal im Rampenlicht der Medien, da ein neuer Krieg mit Israel tobt. Das palästinensische Gebiet, in dem mehr als zwei Millionen Menschen unter Bedingungen totaler Überfüllung leben, leidet unter der Blockade, der Armut und einem ständigen Krieg. Der Gazastreifen, seit Samstag erneut Schauplatz eines Krieges mit Israel, ist eine palästinensische Enklave, die von der islamistischen Hamas-Bewegung regiert wird und unter Konflikten, Armut und Blockaden leidet. Hier fünf wesentliche Fakten.
Armes Gebiet
Der Gazastreifen, der im Norden und Osten an israelisches Gebiet, im Westen an das Mittelmeer und im Süden an Ägypten grenzt, ist ein schmales Gebiet von 360 Quadratkilometern, 41 Kilometern Länge und sechs bis 12 Kilometern Breite. Hier leben mehr als zwei Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser, das sind fast 6.000 Einwohner pro Quadratkilometer, eine der höchsten Bevölkerungsdichten der Welt.
5.000 Jahre Geschichte
Dank der Entdeckung der Fundstätte Tell es-Sakan im Jahr 1998 können Archäologen belegen, dass im heutigen Gazastreifen von 3.200 bis 2.000 v. Chr. eine befestigte kanaanitische Stadt ununterbrochen bewohnt war. Danach stand Gaza nacheinander unter assyrischer, babylonischer, römischer, arabischer und christlicher Herrschaft. Im 20. Jahrhundert kam der Gazastreifen 1948 unter ägyptische Verwaltung, kurz nach der Ausrufung des Staates Israel nach vorherigem Krieg. Zuvor war er Teil des britischen Mandatsgebiets Palästina gewesen. Israel annektierte den Gazastreifen 1967, am Ende des arabisch-israelischen Sechstagekriegs. Am 12. September 2005 zog sich Israel einseitig aus dem Gaza-Streifen zurück, der seit 2007 von der Hamas regiert wird.
Blockade
Im Juni 2006 verhängte Israel als Vergeltung für die Entführung eines israelischen Soldaten, der 2011 freigelassen wurde, eine Land-, Luft- und Seeblockade über die Enklave. Israel verstärkte die Blockade im Juni 2007, als die islamistische Bewegung Hamas die Macht im Gazastreifen übernahm und die Palästinensische Behörde unter Präsident Mahmoud Abbas absetzte. Seit 2018 hält Ägypten den Grenzübergang Rafah, den einzigen Transitpunkt mit der Außenwelt außerhalb der israelischen Kontrolle, die meiste Zeit über offen.
Armut
Der Gazastreifen ist arm an natürlichen Ressourcen und leidet unter chronischem Wasser- und Brennstoffmangel. Die Hälfte der Bevölkerung ist von Arbeitslosigkeit betroffen, darunter drei Viertel der Jugendlichen. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung sind von humanitärer Hilfe abhängig, der gleiche Anteil lebt unterhalb der Armutsgrenze.
Sechs Kriege in fünfzehn Jahren
Ende 2008 startete Israel eine Luft- und anschließend eine Bodenoffensive, um den Raketenbeschuss zu stoppen: 1.440 Palästinenser und dreizehn Israelis wurden getötet. Ende 2012 führte die israelische Armee einen gezielten tödlichen Bombenangriff auf den militärischen Führer von Hamas, Ahmad Jaabari. Bei acht Tage langen Luftangriffen wurden 174 Palästinenser getötet, auch sechs Israelis.
Im Juli 2014 startete Israel die Operation "Protective Edge", um den Raketenbeschuss zu stoppen und in die Enklave gegrabene Tunnel zu zerstören. Der Krieg forderte 2.251 Tote auf palästinensischer Seite, die überwiegende Mehrheit davon Zivilisten, und 74 Tote auf israelischer Seite, fast ausschließlich Soldaten. Damals wurden Bilder von Bewohnern der israelischen Stadt Sderot verbreitet, die den Beschuss des Gazastreifens wie ein Spektakel verfolgten. Im Mai 2021 forderte ein neuer Krieg in Gaza innerhalb von elf Tagen 232 Tote auf palästinensischer und 12 auf israelischer Seite. Zwei Jahre später, im Mai 2023, wurden 35 Palästinenser, darunter Führer des Islamischen Dschihad, in fünf Kriegstagen getötet.
(2023-10-06)
GEOPOLITIK UND EIN BISSCHEN FUSSBALL
Sechs Staaten, drei Kontinente, Geopolitik, Interessen und ein bisschen Fußball: die Fußballweltmeisterschaft 2030 wird von Spanien, Portugal und Marokko ausgerichtet – aber auch Uruguay, Argentinien und Paraguay dürfen den Anstoß von zu Hause aus vornehmen, da sie ihr erstes Turnier-Spiel jeweils in ihrer Heimatstadt austragen können. Verhandlungen, geopolitische Interessen und irrsinnige Kosten für das Veranstalterland sind die Hintergründe für diesen Strategiewechsel.
Die Möglichkeit, dass die Stadien San Mames in Bilbo und Anoeta in Donostia als Austragungsorte in Frage kommen, hat nach Bekanntwerden der Nachricht im Baskenland für die meisten Schlagzeilen gesorgt. Auch wenn sich die Begeisterung merklich in Grenzen hält, weil schließlich kein baskisches Auswahlteam an der WM teilnehmen darf, wie dies seit fast einem halben Jahrhundert gefordert wird. Stellt sich die Frage, wie es möglich geworden ist, dass eine "Weltmeisterschaft" in sechs Staaten und auf drei Kontinenten ausgetragen wird. Die wichtigsten Gründe für den Strategiewechsel liegen auf der Hand, ein Geheimnis wird daraus erst gar nicht gemacht.
Eine Analyse der Bewerbungen für die 100-Jahre-Jubiläums-WM ergibt eine Momentaufnahme des heutigen Fußballs. Ursprünglich, im Jahr 2018, präsentierte der spanische Verband in Person seines wegen Sexismus in Ungnade gefallenen Präsidenten Rubiales seine Bewerbung zusammen mit dem Königreich Marokko des Diktatoren Mohammed des Sechsten. Rabat musste zunächst wegen Überforderung die Segel streichen, stattdessen stieg Portugal ins Bewerbungs-Boot. Der europäische Fußball-Verband UEFA unterstützte die gesamt-iberische Bewerbung. Aber auch China, Südamerika und Saudi-Arabien sowie Griechenland und Ägypten hielten sich ihre Optionen einer Kandidatur offen.
Es kam die Zeit der Diplomatie, oder vielleicht das, was wir als "Geschachere" bezeichnen würden. Das Angebot des Männerstaates Saudi Arabien war die stärkste Konkurrenz für die Iberer, weil im Ölstaat Geld bekanntlich keine Rolle spielt, auch nicht Bestechungsgeld. Der erste Schritt des spanischen Verbandes bestand darin, die Ukraine in seine Kandidatur einzubeziehen, nach dem Motto: wer würde schon zu einem Angebot an das von Russland besetzte Land nein sagen wollen! Doch ganz so einfach liefen die Dinge dann doch nicht, der Vorschlag wurde noch nicht einmal offiziell bekannt gemacht und verlief im Sand. Zweiter Schachzug war dann die künstliche Wiederbelebung von Marokko und seinem Autokraten. Mit dem klaren Ziel, die Stimmen der afrikanischen Länder in der FIFA auf die eigene Seite zu ziehen, da die Mehrheit ansonsten für Saudi-Arabien gestimmt hätte.
China hat seine Bewerbung schließlich offiziell gar nicht eingereicht, und Südamerika hatte ohnehin weniger Optionen, da die Weltmeisterschaft 2026 in Nordamerika von den Vereinigten Staaten, Mexiko und Kanada ausgerichtet werden wird. Die Idee der Verlegung einiger Spiele zu Beginn des 2030er-Turniers auf die andere Seite des Atlantiks erleichterte jedoch das von Spanien gepuschte Projekt. Der Sexismus-Skandal um den spanischen Verbands-Präsidenten hat die Entscheidung der FIFA (entgegen aller Befürchtungen) offensichtlich nicht beeinflusst.
Diplomatie und Kostenteilung
Zwei Gründe werden üblicherweise angeführt, um die neue Tendenz zu erklären, dass eine Bewerbung mehr als ein Land umfasst. Geopolitische Interessen und die Umverteilung der Kosten für die Organisation einer Meisterschaft mit diesen Merkmalen gehören zu den wesentlichsten Argumenten.
Zum ersten Aspekt gibt es in diesem Fall wenig Zweifel. Denn die politische und diplomatische Harmonie zwischen Madrid und Rabat grenzte in den letzten Jahren an die Vollkommenheit, vor allem nach dem endgültigen Verrat der spanischen Regierung gegenüber der Westsahara, die Madrid dem Diktator als Autonomie zum Fraß vorgeworfen hat. Spanien will mit Marokko nicht das gleiche Migrations-Problem haben wie Italien mit Libyen – das bedeutet: während die alawitische Monarchie an Rif und Atlas den Strom der Migranten bremst, kontrolliert die spanische Grenzpolizei die übrig Gebliebenen. Das Einbeziehen der West-Sahara-Stadt Dakhla in die marokkanische Kandidatur wurde vom nordafrikanischen Staat als Neben-Kriegs-Schauplatz genutzt.
Die Kosten einer solche Giga-Veranstaltung sind eine andere Frage. Die Organisation solcher globaler Mega-Events wird immer teurer, und nach Ansicht von Experten ist es für die Gastgeber in den meisten Fällen ein "teurer Luxus". Es gibt also auch wirtschaftliche Gründe für die Aufteilung der Bewerbungen und für den Verzicht auf die Exklusivität, alleine im Scheinwerfer des welt-größten Sportereignisses zu stehen. Die Fußball-Weltmeisterschaft 2002, von Südkorea und Japan ausgerichtet, kostete 8 Milliarden Dollar. Zwölf Jahre später musste Brasilien 15 Milliarden auf den Tisch legen, immerhin 84 Prozent davon kamen aus der Staatskasse. Im vergangenen Jahr investierte Katar sogar 220 Milliarden, weil praktisch die gesamte Infrastruktur von Grund auf neu gebaut werden musste. Die "Weltmeisterschaft" ist ein außergewöhnliches Ereignis. Bisher strebten alle danach, sie alleine auszurichten. Aber angesichts der offenbar ins Unendliche steigenden Kosten verändern sich die Strategien.
(2023-10-02)
AUSSTELLUNG ZU MASSENINHAFTIERUNG
Ein stärker werdendes Bewusstsein für die Massen-Inhaftierungen von Schwarzen in den USA ist insbesondere dem US-Bürgerrechtler Mumia Abu-Jamal zu verdanken. Der politische Gefangene, der selbst seit vier Jahrzehnten eingesperrt ist, hat in seinen Kolumnen immer wieder über dieses Problem und sein Ausmaß geschrieben, das seit den 1990er Jahren zunimmt. In den USA säßen “Millionen von Menschen in Gefängnissen, mehr als irgendwo sonst auf der Welt“, betont Abu-Jamal.
Nun kam es vergangene Woche zu einer regelrechten “Wallfahrt“ in den US-Bundesstaat Rhode Island, weil in dessen Hauptstadt Providence die Ausstellung “Mumia Abu-Jamal. Ein Porträt der Masseninhaftierung“ eröffnet wurde. Es kamen “Hunderte von Menschen aus der Region und der ganzen Welt“, so Jill Kimball von der Pressestelle der Brown University. Die Sonderausstellung über Leben und Werk des früheren Mitglieds der Black Panther Party konnte aus dem Fundus seines persönlichen Archivs schöpfen, das er in der Todeszelle angesammelt hatte. Mehrere Dutzend große Pappkartons hatte Abu-Jamal im Herbst 2022 der John Hay Library (JHL) an der Brown University überlassen. Daraus wurden im Lauf eines Jahres professioneller Archivarbeit rund 80 genormte Archivkartons, deren Inhalt seit dem 28. September 2023 öffentlich zugänglich ist.
Die sorgfältige Systematisierung der Archivalien erlaubte es dem JHL-Team, aus dem Material eine beachtliche Ausstellung aufzubauen. Diese kann ein Jahr lang in der Universität besucht werden. Dazu gehört auch die originalgetreue Nachbildung der Todeszelle, in der Abu-Jamal fast drei Jahrzehnte eingesperrt war und in der er seine Bücher und Kolumnen schrieb. Besucher*innen reagierten fassungslos auf das unmittelbare Erleben der räumlichen Enge und die Vorstellung langjähriger Isolation.
“Willkommen zu einem Abend an der Brown-Uni, an dem wir das Archiv öffnen und damit eine neue Seite der Geschichte aufschlagen“, so begrüßte Abu-Jamal in der vergangenen Woche Zuschauer*innen eines Symposiums zur Eröffnung der Ausstellung. Er sprach dabei mittels eines überwachten Telefonanrufs aus dem Staatsgefängnis Mahanoy in Pennsylvania über den Bühnenlautsprecher. “Es fühlt sich wirklich bemerkenswert an“, so der Gefangene weiter. Es sei nicht “vorherzusehen“ gewesen, ergänzte er anspielend auf die ursprüngliche Befürchtung, das Archivprojekt könnte verhindert werden. Denn nach Bekanntwerden des Vorhabens im Sommer 2022 hatte die rechte Polizeibruderschaft Fraternal Order of Police (FOP) versucht, die JHL medial unter Druck zu setzen. Die FOP wollte so die Integration der Abu-Jamal-Archivalien in den Grundstock der neuen Forschungs-Initiative “Stimmen der Masseninhaftierung in den Vereinigten Staaten“ sabotieren.
Davon ließen sich jedoch weder Universität noch JHL beeindrucken. Im Ausstellungs-Reader heißt es nun, die Präsentation von Gegenständen aus Abu-Jamals Leben in der Haft sowie weiteren Objekten im Zusammenhang mit der Masseninhaftierung biete “eine einzigartige Gelegenheit, sie sowohl mit einem zutiefst persönlichen Blick als auch aus einer ganzheitlichen Perspektive zu untersuchen“. Auf diese Weise entstehe ein “umfassendes Porträt des enormen Einflusses, den der Gefängnisstaat auf die menschliche Erfahrung in den USA“ habe.
JHL-Direktorin Amanda Strauss erklärte, dass sowohl das Symposium als auch Ausstellung und Archivsammlungen darauf abzielten, “den Zugang zu Berichten aus erster Hand über die Masseninhaftierung zu verbessern, um die wissenschaftliche Forschung zu diesem Thema voranzubringen“. Diese Arbeit sei in den Archiven verankert, “in der Bewahrung der Sammlung von Mumia Abu-Jamal und in der Schaffung von Raum für die Bewahrung ähnlicher Sammlungen von Betroffenen und ihren Familien“. Das alles zusammenzufügen, werde “es uns ermöglichen, die Stimmen der Inhaftierten zu hören“, so Strauss. Die umfangreiche Sammlung biete “einen entscheidenden Einblick in das US-Gefängnissystem“. Es liege nun “an den Archivaren, den Wissenschaftlern, den Aktivisten, den Studierenden, den Lehrkräften und den Bürgern“, den Stimmen der Gefangenen öffentliches Gehör zu verschaffen.
Der schwarze Journalist und Aktivist wurde 1982 für einen Polizistenmord zum Tode verurteilt, den er nicht begangen hat. Dennoch wurde er nach einem skandalösen Verfahren voller Rassismus eingekerkert. 2011 musste das Urteil wegen Manipulationen in lebenslang umgewandelt werden. Eine mittlerweile weltweite Solidaritätsbewegung fordert Mumias Freilassung. (JW)
ABBILDUNGEN:
(*) Tagespresse
(ERST-PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-10-02)