Gegen behördlichen Rassismus
Was sich derzeit an der baskisch-baskischen Grenze ereignet ist in mehrfacher Weise abscheulich. Einerseits werden die “weißhäutigen“ Flüchtlinge aus dem Ukraine-Kriegsgebiet mit offenen Armen und allen materiellen Beigaben empfangen. Gleichzeitig stehen “schwarzhäutige“ Migranten vor einer unüberwindbaren und mitunter tödlichen Grenze. Vergangene Woche ertrank der neunte Afrika-Flüchtling in den Fluten des Bidasoa-Flusses beim Versuch, nach Frankreich zu gelangen, um sich seiner Familie anzuschließen.
Aus Anlass des Internationalen Tages der Flüchtlinge – weltweit 100 Millionen – wurde in den baskischen Hauptstädten bei Demonstrationen gefordert, diese ausgegrenzten Flüchtlinge aufzunehmen, unter dem Motto "Wir wollen Zuflucht sein. Aufnehmen ohne Diskriminierung" und zur Verteidigung der Rechte von Flüchtlingen.
Zwei Tage nach dem neunten und bisher letzten Tod eines Migranten in den Fluten des Bidasoa-Flusses demonstrierten am Montag (20.6.2022) Hunderte von Menschen in Bilbao, Gasteiz und Iruñea anlässlich des Internationalen Tags der Flüchtlinge für deren Rechte und forderten "legale und sichere Wege für den Zugang zu Asylverfahren". Am vorangehenden Sonntag wurde in Donostia (San Sebastian) zu einer Mobilisierung aufgerufen unter dem gleichen Motto: "Wir wollen Zuflucht sein. Willkommen ohne Diskriminierung".
Bei den Demonstrationen, zu denen mehr als dreißig Gruppen aufgerufen hatten, forderten die Teilnehmer*innen, dass Migrant*innen und Flüchtlingen der Zugang sowohl zum spanischen Staat als auch zum Baskenland garantiert wird, ohne ihr Leben zu gefährden; und dass legale und sichere Wege für den Zugang zu Asylverfahren geschaffen werden. (1)
Zweierlei Maß
In diesem Zusammenhang erinnerten die Organisator*innen daran, dass die Europäische Union nach der russischen Invasion zum ersten Mal die Richtlinie 2001/55 anwandte, die Ukrainer*innen, die das Land verlassen, allgemeinen vorübergehenden Schutz gewährt. "Wir würden gerne sagen können, dass dies allgemeiner Umgang ist. Aber das ist nicht der Fall. Nie zuvor wurde diese Richtlinie angewandt, nicht einmal bei so ernsten Krisen wie im Zusammenhang mit Syrien oder Afghanistan", wurde hervorgehoben.
Die Realität sieht nach Ansicht der Gruppen so aus, dass "die Mehrheit derjenigen, denen es gelingt, auf der Flucht vor Verfolgung nach Spanien zu gelangen, mit einem Hindernislauf konfrontiert ist, der ihre Eingliederung in unsere Gesellschaft äußerst schwierig macht". So wurde die "Langsamkeit" bei der Durchführung von Asylverfahren kritisiert. Zudem müsste bedacht werden, dass diese Verfahren "üblicherweise mit Ablehnungen abgeschlossen werden", was im Anschluss zu “illegalem Aufenthalt“ führe.
Es handle sich um Flüchtlinge zweiter Klasse – dies wurde festgestellt – die vor vergessenen Kriegen und Konflikten fliehen und mit den geostrategischen, wirtschaftlichen und kommerziellen Interessen der Zielländer kollidieren. "Darunter sind Frauen, die vor patriarchaler Gewalt fliehen, um Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität verfolgt werden. Oder auch um Bevölkerungsgruppen, deren Lebensgrundlage durch die Intervention multinationaler Unternehmen zerstört wird, die ihre natürliche Umwelt zerstören", wurde hinzugefügt.
Der "legalen Mauer", auf die diese Menschen bei ihrer Ankunft stoßen, geht nach Ansicht der Gruppen ein langer und gewalttätiger Transit voraus, der manchmal "auf die schlimmste Weise endet". "Allein im Jahr 2021 starben mindestens 2.126 Menschen an der südspanischen Grenze. Die herrschende Migrationspolitik ist die Ursache für dieses humanitäre Drama. Die Externalisierung (Vorverlegung der Kontrollen in Ausgangsländer wie Marokko oder Libyen) und die Militarisierung der Grenzen, sowie das Fehlen legaler und sicherer Routen zwingen die Menschen, immer gefährlichere Wege zu nutzen, insbesondere für Frauen", wurde bei den Kundgebungen beklagt.
Zudem habe die historische Kehrtwende der spanischen PSOE-Regierung in Bezug auf die Westsahara eine unmittelbare Auswirkung auf "einen Rückgang der Migrationsströme in Ceuta und Melilla" gehabt. Mit anderen Worten: Marokko erpresste den spanischen Staat mit der Nicht-Kontrolle von Flüchtlingsströmen; mit dem Zugeständnis der Kontrolle über die Westsahara wurde diese Kontrolle “zurückgekauft“. "Entgegen dem internationalen Recht stärkt Marokko damit seine Kontrolle über 70% der weltweiten Phosphat-Produktion und die reichen Fischgründe des Gebiets", hieß es.
Forderungen nach Integration
Aus all diesen Gründen fordern die Gruppen ein Ende der illegalen Abschiebung von Menschen, die über Ceuta und Melilla ankommen, sowie ein Ende der Standardkriterien für die Entscheidung bei Fällen, die ganz allgemein auf der Grundlage von Staatsangehörigkeit abgelehnt werden. Stattdessen sollten die Anträge unter internationalen Schutz individuell geprüft werden.
"Es muss Schluss gemacht werden mit einer Grenzpolitik, die im Dienst der wirtschaftlichen Interessen der Aufnahmeländer steht und viele Menschen sowohl in den Herkunfts- wie auch in den Transitländern festsitzen lässt, wo ihre Menschenrechte nicht respektiert werden", hieß es an anderer Stelle. Gefordert wurde ein Ende der "Instrumentalisierung von Migranten und Flüchtlingen", die als politische Druckmittel eingesetzt werden, verlangt wurde, "den Zugang zum Asylrecht für alle Menschen unabhängig von ihrem Herkunftsland" zu gewährleisten.
Die an der Mobilisierung beteiligten Kollektive fordern von der Migrationsbehörden, Migrant*innen und Asylbewerber*innen auch vor der Entscheidung über ihre Anträge den Zugang zu bestimmten Rechten und einem regulären Rechtsstatus zu ermöglichen. Zu diesem Zweck sei es für notwendig, "den Zugang zu Sozialwohnungen, Ressourcen und Sozialleistungen zu gewährleisten". Oder "den Zugang zum Netz der psychiatrischen Versorgung oder zu gruppen-psychologischen Arbeitsmechanismen zu erleichtern, um den Menschen zu helfen, sich von den traumatischen Situationen zu erholen, die sie erlebt haben".
Die Aufrufer*innen sind davon überzeugt, wie wichtig es ist, "diskriminierende und fremdenfeindliche Äußerungen durch präventive Maßnahmen zu bekämpfen" und "Sensibilisierungs-Maßnahmen in der lokalen Bevölkerung durchzuführen, die die Integration und das Zusammenleben mit Flüchtlingen und Migrant*innen fördern, zum Beispiel Strategien gegen (rassistische) Gerüchte".
Dilemma
Doch schon bei dieser Forderung, die an die zuständigen Behörden in Frankreich, Spanien und im Baskenland gerichtet ist, wird ein Dilemma deutlich. Denn dieselben Behörden sind für den “ungleichen Empfang“ verantwortlich, der den Afrikaner*innen im Vergleich zu den Ukrainer*innen beschert wird. Jegliche unterschiedliche Behandlung von Personen aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft ist Rassismus. In diesem Fall ausgeübt von europäischen Behörden und übergeordnet von geostrategischen Interessen, die im Militärbündnis NATO ihren stärksten Ausdruck finden.
Die Behörden in Hegoalde und Iparralde (Süd- und Nord-Baskenland) stehen auf der untersten Entscheidungs-Ebene, sofern hier neben symbolischen überhaupt nennenswerte Entscheidungen getroffen werden können. Darüber stehen die sogenannten Nationalstaaten Frankreich und Spanien, die durchaus relevante Migrations-Politik machen können. Ihre Politik ist jedoch ausschließlich wirtschaftlichen Kriterien untergeordnet, sie schließt aus und ist offen rassistisch. Diese Länder operieren in der Logik eines Neo-Kolonialismus, der die Interessen der Staaten in Afrika (oder anderen “Sub-Kontinenten“) unter rein funktionalen Aspekten betrachtet. Von diesen Regierungen und Behörden ist nichts als Rassismus zu erwarten. An sie zu appellieren mit der Bitte um antirassistische Kampagnen ist mehr als zweifelhaft.
ANMERKUNGEN:
(1) "Las capitales de Hego Euskal Herria piden no olvidar a los refugiados y acoger sin discriminar" (In den Hauptstädten wird gefordert, das Schicksal der Flüchtlinge nicht zu vergessen und sie ohne Diskriminierung aufzunehmen), Tageszeitung Gara, 2022-06-20 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(*) Migration, Rassismus (naiz)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-06-21)