aliment1Manifest für Ernährungs-Souveränität

Die Metropole Bilbao, die vom Endlauf des Flusses Nervion-Ibaizabal durchquert wird, ist an ihren Hängen umgeben von Wiesen und Bergen, mit weitläufigen Grünflächen. Eigentlich ein schönes Bild. Doch dahinter verbirgt sich eine Konsum-Gesellschaft, die das Land Euskal Herria und die Provinz Bizkaia als bloße Ware betrachtet und das Leben kommender Generationen nicht berücksichtigt. Um dieses fatale Verhältnis zu kippen, kursiert in den sozialen Medien ein Manifest zum Kampf um die Ernährungs-Souveränität.

Ernährungs-Souveränität beinhaltet nicht nur das mittlerweile bekannte Modell “Null-Kilometer“ zwischen Herstellung und Konsum von Lebensmitteln. Es bedeutet auch die ökologische und solidarische Kontrolle über den Prozess von Produktion, Verteilung und Konsum von gesunden Lebensmitteln.

Ernährungs-Souveränität bedeutet nichts anderes als Eigenkontrolle der Lebensmittel, die wir als Gesellschaft konsumieren, darin enthalten ist das Wissen, wie und von wem diese Lebensmittel produziert werden. Sind sie auf ökologisch vertretbare Weise hergestellt? Und können die Produzent*innen von dieser Arbeit leben? All das sind Fragen, die wir uns in der Eile des Alltags selten stellen. Dabei geht es um das, was wir jeden Tag im Körper aufnehmen. Essen ist nicht gleich essen.

Ein fettes Schweineschnitzel ist nicht gleichzusetzen mit einem Soja-Gericht, ein Burger nicht mit einem Spinat-Hamburger. Von allem werden wir satt, doch vieles interlässt zerstörerische Spuren und Ablagerungen in unseren Körpern. Das und einiges andere zu ändern ist das erklärte Ziel des Manifests zu Ernährungs-Souveränität, zur ökologischen Veränderung und Kontrolle des Lebensmittel-Kreislaufs. Es handelt von Bilbao, gilt jedoch für jede andere Stadt in gleicher Weise.

Das Manifest

Im Vorwort des Manifests wird daran erinnert, dass viele baskische Vorfahren auf der Suche nach Arbeit aus ihren Dörfern ausgewandert und in die Städte gezogen sind. Sie haben ihre harten, naturverbundenen Arbeiten auf dem Land hinter sich gelassen, um stattdessen in Büros, Werkstätten, in Fabriken oder der Dienstleistung für ihren Lebensunterhalt zu sorgen.

“Heute haben ganze Generationen, vor allem von jungen Menschen, den Kontakt zu unseren Dörfern und zum Land selbst verloren. Viele von uns wissen nicht einmal mehr, woher die Lebensmittel kommen, die wir jeden Tag auf unsere Teller schöpfen. Mehr als 90% der Produkte, die wir konsumieren, kommen heutzutage von außerhalb unseres Landes. Mit dem Ziel, diese Situation umzukehren, in unserem eigenen Land wieder zu verwurzeln und einen alternativen, lokalen und gesunden Konsum zu fördern, machen wir uns dieses Manifest für Ernährungs-Souveränität zu eigen und verpflichten uns gleichzeitig, diese Idee so weit wie möglich zu verbreiten“.

1. Für ein agrar-ökologisches Produktions- und Konsummodell.

Wir geben dem Konsum lokaler und ökologischer Produkte den Vorrang und lehnen ein Modell ab, das die ökologische Produktion und Versorgung untergräbt und stattdessen auf industrielle Produktion und die verschwenderischen Strategien großer multinationaler Unternehmen setzt. Agrarökologie betrachten und fördern wir als einzige Möglichkeit, das Überleben von landwirtschaftlichen Betrieben zu sichern sowie ihre tragende Rolle in der künftigen Nahrungsmittel-Produktion.

2. Für Direktverkauf-Strukturen

aliment2Wichtig sind kurze Vermarktungswege, die einen direkten Transport vom Bauernhof auf unseren Tisch ermöglichen. Auf diese Weise gewährleisten wir eine direkte und enge Beziehung zwischen Produktion und Verbrauch, im Gegensatz zum vorherrschenden Modell des Transports von Produkten über große Entfernungen (manchmal interkontinental), das schädliche Folgen für die Umwelt und das Überleben der lokalen Produktion hat.

3. Schutz und Pflege der biologischen Vielfalt

Die biologische Vielfalt der Natur muss als Grundlage für ein gesundes Leben verteidigt werden: Der Verzehr von pestizid- und herbizid-freiem Gemüse und Obst ist von grundlegender Bedeutung für das Wohlergehen der Menschen. Wir ermutigen alle Bürgerinnen und Bürger, sich für ein gesundes Ernährungsmodell einzusetzen, das auf der Pflege der biologischen Vielfalt beruht.

4. Das Recht auf gesunde Ernährung verteidigen

Gesunde Lebensmittel sind ein kollektives Recht. Wir fordern daher die öffentlichen Verwaltungen auf, verantwortungsvoll zu handeln, indem sie lokalen Lebensmitteln und solchen aus dem agrar-ökologischen Modell den Vorrang geben und grundsätzliche ökologische Kriterien durchsetzen, insbesondere in allen Lebensmittel-Diensten und bei allen öffentlichen Maßnahmen (wie zum Beispiel Essen in Schulen).

5. Soziale Gerechtigkeit gegen Kommerzialisierung von Lebensmitteln

Da Lebensmittel ein Grundbedürfnis aller Menschen sind, müssen sie ein universelles Recht, eine universelle Dienstleistung sein. Es darf keinen Hunger geben. Aus diesem Grund lehnen wir es kategorisch ab, dass Lebensmittel zu einem Wirtschafts-Sektor geworden sind. Auf der Grundlage von Kriterien der sozialen Gerechtigkeit fordern wir, dass Lebensmittel für alle Bürgerinnen und Bürger erreichbar sein müssen, während gleichzeitig diejenigen, die sie produzieren, eine faire Entlohnung und gesellschaftliche Anerkennung ihrer Arbeit und ihrer sozialen Funktion erhalten sollten.

6. Das Leben im Mittelpunkt des sozio-ökonomischen Systems

Der Aufbau eines gerechten gesellschaftlich-wirtschaftlichen Modells erfordert die Beseitigung von Ungleichheiten und Machtverhältnissen, die sich aus dem kapitalistischen und hetero-patriarchalen Modell ergeben. Wir befürworten daher ein Modell der ökologischen Landwirtschaft und der lokalen Produktion, Vermarktung und des Konsums. Ein Modell, das auf feministischen Werten und Praktiken beruht und die Bedeutung des Lebens in den Mittelpunkt aller kulturellen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Prozesse stellt.

7. Gegen den Klimanotstand

Die Ernährungs-Souveränität ist eine der größten Herausforderungen im Zusammenhang mit der Klimakrise. Ihre Förderung und Entwicklung ist einer der wichtigsten Beiträge, die wir individuell und kollektiv leisten können, indem wir unsere Essgewohnheiten ändern und unsere Körbe und Teller mit saisonalen, lokalen und agrar-ökologisch erzeugten Produkten füllen.

8. Für eine soziale, solidarische und transformative Wirtschaft

aliment3Das in diesem Manifest vorgeschlagene Modell der Produktion, der Vermarktung und des Verbrauchs basiert auf einem fairen Preis für die landwirtschaftlichen Erzeuger*innen, für die Mitarbeiter*innen eines solidarischen Vertriebs und für die Verbraucher*innen. Aus diesem Grund fördern wir ein Modell der sozialen, solidarischen und transformativen Wirtschaft durch lokale Projekte, die den Menschen und der Umwelt Vorrang vor Profit, Gewinn-Maximierung und der Schaffung von Ungleichheiten geben.

9. Eigenverpflichtung zu gegenseitiger Kooperation und gemeinsamer Arbeit

In Bilbao gibt es eine Vielzahl von Projekten zur Förderung der Ernährungs-Souveränität, zur Stärkung der Selbstorganisation der Verbraucher*innen in gemeinnützigen Projekten, zur Förderung neuer Formen der Beziehung zum Produktionssektor und zur Innovation gerechter Vermarktungswege. Wir setzen uns dafür ein, diese Projekte bekannt zu machen, die Kommunikation und die gemeinsame Arbeit zwischen ihnen zu fördern und Praktiken der Zusammenarbeit zu entwickeln, um diese Bewegung wachsen zu lassen.
 

ANMERKUNGEN:

(*) Publikation in baskischen sozialen Medien

ABBILDUNGEN:

(1) Lebensmittel (agriculturers)

(2) Biodiversität (biodiversidadla)

(3) Landwirtschaft (tierra viva)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-05-12)

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