Der Baskenland- und Euskara-Forscher aus Berlin
Wilhelm Humboldt bereiste Europa und studierte Gewohnheiten und Sprachen, wie das Euskera. Sein Bruder Alexander fuhr nach Amerika und untersuchte Himmel, Flüsse und Tausende von botanischen Arten. Wilhelm (1767-1835) widmete sich der Anthropologie und reiste durch Europa, um die Sprachen zu lernen und Geschichte und Gewohnheiten der Völker zu studieren. Seine beiden Baskenland-Reisen trugen zum Euskera-Studium bei, er beschrieb das Land, seine Bevölkerung und seine politisch-soziale Struktur.
In den Jahren 1799 und 1801 reiste der deutsche Wissenschaftler Wilhelm von Humboldt zwei Mal ins Baskenland, um Kultur, Sprache und Traditionen zu studieren. Bis heute ist er im Baskenland eine Eminenz.
Die Brüder Wilhelm und Alexander waren sich eng verbunden, nachdem ihr Vater früh verstorben war und ihre Mutter an einer chronischen Krankheit litt. Sie waren zwei Jahre auseinander, beide sollten die höhere Beamtenlaufbahn im preußischen Staat einschlagen, Familien gründen und den geerbten Reichtum erhalten und vergrößern. Die beiden gemeinsame Leidenschaft für Wissenschaft und Reise änderte jedoch die Bestimmung und führte zu einem Leben voller faszinierender Abenteuer, bei dem sie weder Mühe noch Anstrengung scheuten. (1)
Alexander von Humboldt
Der jüngere der Humboldt-Brüder (1769-1859) führte mehrere Expeditionen nach Amerika durch und verwandelte die Natur in ein Kulturobjekt. Er war einer der ersten Wissenschaftler und Intellektuellen, der für den Schutz der Natur eintrat, angesichts des menschlichen Strebens nach Ausbeutung und Produktivität. Um Flüsse, Pflanzen, Himmel und Berge gründlich zu kennen, probierte und analysierte er das Wasser des Orinoco und des Atabapo im amazonischen Regenwald im Süden Venezuelas. Er kaute die Rinden der Bäume, um ihren Geschmack und ihre Struktur zu erfassen. Er maß das Blau des Himmels mit einem Cyanometer und notierte eine Unzahl von Wörtern aus indigenen Sprachen. Er zeichnete die Monumente der Inkas und kopierte ihre Inschriften. Sein Wissensdurst ging soweit, dass er, als er Flöhe hatte, diese unter dem Mikroskop studierte, wie Andrea Wulf in einer 2016 erschienenen und viel gelobten Biografie mit dem Titel „Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur“ erzählt.
Um die beiden Brüder zu verstehen, ist es notwendig, sich die Vision des Reisens vor Augen zu halten, die mit der Reisekultur der Eliten jener Zeit zwischen Aufklärung und Romantik begann. Abgesehen davon, dass die Reisen einen Weg zur persönlichen Bildung darstellten, waren sie auch notwendig, um allgemeines Wissen zu produzieren.
Wilhelms anthropologisches Interesse
Der Anthropologe und Linguist Wilhelm von Humboldt reiste, um die Vielfalt kultureller Äußerungen direkt zu erleben und zu studieren – Alexander reiste, um die fast unerschöpfliche Vielfalt natürlicher Phänomene zu entdecken. Wissenschaftliches Programm und Lebensphilosophie beider Brüder war, das Augenmerk auf die einzelnen Dinge in ihrer jeweiligen Umgebung zu legen und alle Einzelteile wiederum im größeren Zusammenhang zu betrachten, alle Details, die sich gegenseitig stützen und begrenzen. Hierzu waren Bücher zwar notwendig, aber nicht ausreichend. Beide brauchten den lebendigen Eindruck und die Notiz im Reisetagebuch über alles, was ihre Aufmerksamkeit erregte.
Zu ihrer Zeit wurden die beiden Brüder nur von wenigen verstanden. Die deutschen Zeitgenossen überraschte es, dass Wilhelm soviel Energie aufwand, um das baskische Volk und seine Sprache zu studieren, genauso wie es die Basken erstaunte, dass ein reicher aus Deutschland stammender Herr ein so dauerhaftes Interesse an ihnen zeigte. Alexander seinerseits investierte sein ganzes Vermögen in seine Reisen, die er voller Enthusiasmus unternahm und akribisch genau dokumentierte.
Während des 18. und 19. Jhs besuchten viele Reisende aus europäischen Ländern das Baskenland und hinterließen ihre Eindrücke in sehr unterschiedlicher literarischer Form: Reisebücher, Briefe, politische und ethnografische Essays, etc. Dennoch fällt unter allen Wilhelm von Humboldt aus dem Rahmen. Denn im Vergleich zu den anderen Autoren, die beschrieben was sie sahen oder was ihnen erzählt wurde, aus der Perspektive von betuchten Touristen oder Diplomaten, zeugen Humboldts Bemühungen vom wahren Erkenntnis-Interesse eines Wissenschaftlers.
Reisevorbereitung – Forschungsgegenstand
Vor seiner Reise bereitete er sich in Paris intensiv vor, lernte die baskische Sprache und studierte eines der wenigen damals existierenden Euskara-Wörterbücher. Er sprach über die Besonderheit des Euskara in Hinsicht auf Wortbildung und Aussprache und lamentierte, dass auch gebildete Leute diese Sprache nicht ernst nahmen.
Die Sprache, die Foralstruktur (abgeleitet von den fueros, den baskischen Sonderrechten), der physiognomische Aspekt der baskischen Bevölkerung, die Lage zwischen Bergen und Meer, all das bildete laut Humboldt Charakterzüge heraus, die das baskische Volk von anderen unterschieden. Er legte Wert darauf, die Landschaft zu beschreiben, um darüber den „Charakter der Region zu verstehen“.
Das Ergebnis seiner beiden Reisen blieb der Nachwelt in Form einer langen und unvollendeten Reihe von Schriftstücken erhalten. Heute sind manche seiner Beobachtungen sicherlich überholt, obwohl sie doch einen bedeutenden Eindruck von Aktualität vermitteln, weil es Wesensmerkmale gibt, die sich im Lauf der Jahrhunderte nicht verändert haben.
Humboldt brachte ein wissenschaftliches Konzept nach Euskadi, mit dem klaren Urteilsvermögen eines gut gebildeten Akademikers, einem umfassenden philologischen Wissen, einem begeisterten Forschungseifer und einer gewissen Naivität, die hilfreich ist bei der Erfassung der spezifischen Wesens-Merkmale eines eigentümlichen und fremden Volkes. Die enorme Bedeutung dieses schriftlichen Vermächtnisses ist nicht zu leugnen. Miguel de Unamuno (2), verdrossen über die geringe Qualität einer übersetzten Herausgabe in französischer Sprache, fertigte eine direkte Übersetzung aus dem Deutschen ins Spanische an, die heute unter dem Titel „Los Vascos“ vorliegt.
Wilhelm von Humboldts Erkenntnisse
Humboldt schrieb eine unvergessliche Kurzbiografie des baskischen Volkes: Gewohnheiten, Gemeinde-Organisation, Feste und Feierlichkeiten, die Rolle der Frau im Arbeitsleben und in der Gesellschaft, es gab keinen gesellschaftlichen Bereich, der der scharfsinnigen Analyse des Humanisten entging. Mit hundertfünfzig Jahren Vorsprung wandte er bereits, ohne dies als essentiellen Teil seiner Forschungsstrategie formuliert zu haben, Methoden an, die der modernen menschlichen und ökonomischen Geografie ähnlich sind.
„Ganze Dörfer fordern sich in feierlichen Spielen heraus“, schrieb er bezüglich des Pelotaspiels und unterstrich, dass alle, ohne Klassenunterschied, daran teilnahmen und dass unter den Zuschauern an Sonntagen u.a. Bürgermeister, Pfarrer und Frauen zu sehen seien. Er beschrieb detailliert die Abarca-Sandalen, die Schärpen und die Jacken mit langen Volants und Ärmeln. Und er wunderte sich über den Arbeitseinsatz der Frauen. „In Bilbao tragen sie die schwersten Gewichte auf den Köpfen, in Gefäßen aus Eisen; selbst in den Schmieden sah ich sie mit Hammer und Amboss hantieren. Das Bemerkenswerteste aber ist, dass sie parallel zu dieser außergewöhnlichen Stärke gleichzeitig eine beeindruckende Schnelligkeit und Geschicklichkeit zeigen.“
In seinen Ausführungen werden die Frauen, die im Hafen von Bilbao große Lasten trugen, vor unseren Augen fast sichtbar, so präzise sind seine Beschreibungen. Genauso der Ablauf einer Rats-Versammlung im Regional-Parlament von Gernika (span: Guernica) oder die versammelten Großbauern beim Verlassen der Kirche auf einem Dorfplatz bei Durango. Aus dem Auftreten dieser Dorfbewohner mit ihren Spazierstöcken, aufgestellt im Kreis vor der Kirche, an ihrer Körperhaltung und Ausstrahlung, las Humboldt intuitiv ab, welche auch damals schon die echten Landbesitzer waren.
Seine Beschreibungen reichen bis hin zur politisch-strukturellen Organisation der Gesellschaft. So beschreibt er zum Beispiel den Ablauf eines Auswahl-Verfahrens von Personal für politische Institutionen und die Art und Weise, wie die alten Gesetze (die Fueros) auf praktische Weise angewandt und zu einem Mechanismus sozialer Stabilität wurden, zum Instrument, das die Beziehungen zwischen den baskischen Institutionen und der kastilischen Krone regelte.
Seiner Zeit voraus
Mit seinen „Empfehlungen für eine gute Regierung“, stellte Wilhelm von Humboldt Überlegungen an, die eine zeitlose und überraschende Ähnlichkeit mit der aktuell im spanischen Staat geführten Verfassungsdebatte aufweisen. In dieser Debatte stehen sich Argumente für Zentralstaat und Föderalismus entgegen, für eine größere Autonomie der historischen Provinzen und deren staatlicher Unbhängigkeit.
Trotz seines wertvollen und einzigartigen Beitrags zur Analyse der baskischen Sprache und Kultur, ist der Name Wilhelm von Humboldt im Baskenland außerhalb der akademischen Welt wenig präsent. In San Sebastián–Donostia trägt eine Straße im Stadtteil Amara seinen Namen (Humboldt Kalea) und im Europapark von Gernika ist ihm seit 1999 eine Bronzebüste mit der dreisprachigen Inschrift „Euskaldunen Adiskidea - Freund des baskischen Volkes - Amigo de los vascos“ gewidmet, eine Arbeit des Bildhauers Geeruder Micheli.
Biografisches
Friedrich Wilhelm Christian Carl Ferdinand von Humboldt (1767-1835) war preußischer Gelehrter, Schriftsteller und Staatsmann. Als Bildungsreformer initiierte er die Neuorganisation des Bildungswesens im Geiste des Neu-Humanismus und betrieb die Gründung der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin. Er zählt zu den großen, Persönlichkeiten in der deutschen Kulturgeschichte. Seine Forschungs-Schwerpunkte richteten sich auf kulturwissenschaftliche Zusammenhänge wie Bildungsproblematik, Staats-Theorie, die analytische Betrachtung von Sprache, Literatur und Kunst. (Wikipedia)
Die Humboldt-Brüder stammten aus einer bürgerlichen Militär-Familie. Schon als 13-Jähriger sprach Wilhelm fließend Griechisch, Latein und Französisch und war mit wichtigen Autoren der jeweiligen Literatur vertraut. Ab 1785 verkehrten die Humboldt-Brüder in Kreisen der Berliner Aufklärung und studierten u.a. die Schriften von Kant. Beim Studium in Göttingen löste sich Wilhelm aus den von der Mutter vorgegebenen Bahnen und folgte eigenen Impulsen und Interessen. Im Studium widmete er sich der Philosophie, Geschichte und den alten Sprachen und hatte mit Kapazitäten wie Lichtenberg und Heyne zu tun.
Im Sommer 1789 brach er zu einer Reise in das revolutionäre Paris auf. Neben dem Revolutionsgeschehen interessierte ihn die Lage der Pariser Waisenkinder. Nach Napoleons Italien-Feldzug zog es Wilhelm mit Familie für vier Jahre in das noch immer bewegte Paris. Von dort unternahm er 1799 und 1801 zwei längere Reisen nach Spanien, die sich hinsichtlich der sprachwissenschaftlichen Studien des Baskischen als ertragreich erwiesen. 1802 kam er als preußischer Gesandter zum Heiligen Stuhl in Rom. Hier verkehrte er u.a. mit Lucien Bonaparte, einem weiteren Baskenland-Forscher, der eine Landkarte der baskischen Dialekte erstellte.
Im Laufe seines Lebens lernte Humboldt weitere Fremdsprachen: Englisch, Italienisch, Spanisch, Baskisch, Ungarisch, Tschechisch, Litauisch. Seine wissenschaftlichen Untersuchungen galten den Eingeborenen-Sprachen Amerikas (Náhuatl-Mexikanisch, Otomí, Huastekisch, Maya, Tarahumara, Quechua, Muisca, Guaraní u.a.), dem Koptischen, dem Altägyptischen, dem Chinesischen, dem Japanischen, dem indischen Sanskrit, dem Birmanischen, der hawaiischen Sprache und dem Altjavanischen. Wilhelm von Humboldt gehört zu den Begründern der baskischen Sprachwissenschaft. Er nahm als preußischer Abgesandter 1814/15 am Wiener Kongress teil, wurde Botschafter in London und Minister der preußischen Regierung.
ANMERKUNGEN:
(1) Der Artikel basiert auf Informationen aus folgenden Publikationen: (*) „Los Humboldt, la fraternidad de los viajes y el conocimiento“ (Die Humboldts, brüderlich verbunden in Reisen und Wissensdurst) von Iñaki Esteban, veröffentlicht in der Monatszeitung „Bilbao“, Literaturbeilage Pergola, November 2016. (*) „Humboldt, un amigo de los vascos“ (Humboldt, ein Freund der Basken) von Patxi Lázaro, veröffentlicht in der Tageszeitung Deia, 1. März 2016
(2) Miguel de Unamuno (1864-1936) war ein baskischer Philosoph und Schriftsteller und lehrte an der Universität von Salamanca. Der ursprünglich liberale Unamuno schloss sich den Sozialisten an, liebäugelte mit dem Marxismus und war an der Herausgabe der Zeitschrift „Klassenkampf“ beteiligt. Später sympathisierte er mit den Franquisten. Als er deren Brutalität erkannte, versuchte er einen neuen Schwenk, geriet jedoch zwischen die Räder, er wurde seines Rektorenamtes enthoben und strab wenig später. (nach Wikipedia)
ABBILDUNGEN:
(1) Humboldt-Statue Gernika (FAT)
(2) Humboldt-Statue (Taz)
(3) Humboldt-Statue Gernika (FAT)
(4) Humboldt-Briefmarke (wiki-commons)
(5) Humboldt-Statue Gernika (wikipedia)