Der brutale baskische Kolonisator
Der aus Gipuzkoa stammende Seefahrer und Soldat Lope de Aguirre war ein baskischer Konquistador in Diensten der spanischen Krone, der sich während einer Expedition auf der Suche nach dem legendären Goldland “El Dorado“ gegen die Krone auflehnte und unter seinen Mitverschworenen und Reisegefährten ein Terrorregime errichtete. Aguirre war berüchtigt wegen seiner extremen Grausamkeit, die er gegen die eigenen Leute wie gegen Ureinwohner praktizierte. Werner Herzog drehte einen Film über Aguirres Wirken.
Der baskische Kolonisator Lope de Aguirre (1511-1561) wurde zu einem der bekanntesten Protagonisten in der unrühmlichen Geschichte der Eroberung Amerikas, die für die kastilischen Herrscher zu einem Bad in Gold und für die Ureinwohnerinnen zu einem Blutbad wurde.
Biografisches
Über den familiären Werdegang von Lope de Aguirre (baskische Schreibweise: Agirre) ist wenig bekannt. Er entstammte vermutlich einem adligen Geschlecht und hatte einen kirchlichen Richter als Vorfahren. Unklar ist sein Geburtsdatum, das zwischen 1511 und 1515 vermutet wird, Geburtsort ist jedenfalls der kleine Ort Araotz in Gipuzkoa, der zum Landkreis Oñati gehört und in unmittelbarer Nähe des berühmten Klosters Arantzazu liegt. Genauer überliefert ist sein Todestag am 27. Oktober 1561 in Barquisimeto, im heutigen Venezuela. (1)
Wahrscheinlich 1536 oder 1537 (auch hier existiert keine Klarheit), also 45 Jahre nach dem Beginn der kastilischen Eroberung durch verschiedene Expeditionen unter Kolumbus, erreichte Lope de Aguirre Peru. In der Folgezeit war er an verschiedenen politischen Intrigen beteiligt. Denn damals kam es zwischen konkurrierenden Gruppen von Konquistadoren immer wieder zu kriegsähnlichen Auseinandersetzungen, während die kastilische Krone durch Entsendung königlicher Beamter versuchte, das neue Territorium unter ihre Kontrolle zu bekommen. (2)
In die "Neue Welt"
Neue Gesetze, welche die Versklavung von Indianern verboten, sorgten unter den brutal agierenden Eroberern für besonderen Unmut. Einige Rebellen argumentierten, die Eroberung Perus sei ein Privatunternehmen gewesen, die kastilische Krone habe daher keinen Anspruch auf die neuen Territorien. Auch Aguirre protestierte in mehreren Briefen an den kastilischen König gegen die Zustände in der Kolonie. In diesen Briefen, die zum Teil noch erhalten sind, greift er den spanischen König Philipp II. scharf an, an einer Stelle bezeichnet er ihn mit “schlimmer als Luzifer“.
Aguirre verdiente sich seinen Unterhalt zunächst mit Pferdezucht und nahm dann an einer Expedition gegen den Indianerstamm der Chunchos teil. 1541 kämpfte er auf der Seite von Pedro Álvarez Holguín (3) gegen Diego de Almagro (4), danach auf Seiten des Vizekönigs Blasco Núñez de Vela (5) gegen Gonzalo Pizarro (6). In beiden Auseinandersetzungen stand er somit auf Seiten der Krone und wirkte an der Niederschlagung der Rebellionen mit. Zwischenzeitlich floh er nach Mittelamerika (ins heutige Nicaragua) und kam erst 1548 nach der Hinrichtung Gonzalo Pizarros nach Peru zurück. Es fehlen Nachweise, dass Aguirre 1553 an der Rebellion von Sebastián de Castilla (7) gegen die kastilische Krone teilnahm, jedoch wird davon ausgegangen. Im Jahre 1554 erließ der Vizekönig einen Gnadenerlass für alle ehemaligen Rebellen, die sich der Armee von Alonzo de Alvarado anschlossen, um den Aufstand von Francisco Hernández Girón niederzuschlagen. Aguirre nahm an diesen Kämpfen auf der Seite des Vizekönigs teil, im Mai 1554 wurde er in der Schlacht von Chuquinga verwundet und hinkte seitdem.
Von 1554 bis 1558 trieb sich Aguirre ohne konkrete Beschäftigung in Peru herum. Zwischenzeitlich soll er zusammen mit seinem Freund Lorenzo de Salduendo wegen Verschwörung gegen die Krone inhaftiert gewesen sein (eine weitere Vermutung). Einer Verurteilung entgingen beide angeblich dadurch, dass sie sich zu einer Expedition des aus Navarra stammenden Pedro de Ursúa (8) meldeten. Dabei nahm Aguirre seine Tochter Elvira mit, deren Mutter eine Indigena war, Ergebnis einer der in jener Zeit üblichen Vergewaltigungen von Soldaten gegen Ureinwohnerinnen.
Gier nach dem Gold-Land El Dorado
Pedro de Ursúa plante eine Expedition ins Territorium des Omagua-Volkes im Süden des heutigen Venezuela, wo damals das sagenhafte El Dorado vermutet wurde. Diese Annahme beruhte auf Berichten des deutschen Konquistadors Philipp von Hutten (9). Dass dieses Gold-Land in Wirklichkeit überhaupt nicht existierte, war damals noch nicht bekannt. Denn das Gold, das bei einigen Amazonas-Völkern gefunden (und geraubt) worden war, gab Anlass zu der Illusion, El Dorado sei ein reales Königreich.
Ursúas Expedition verzögerte sich aus Geldmangel mehrfach. Bis die königliche Verwaltung schließlich einen größeren Zuschuss gewährte, weil man froh war, so viele potenzielle Unruhestifter weit weg von Peru zu wissen. Das noch fehlende Geld besorgte sich Ursúa zum Teil mit Gewalt. Er erpresste mehrere Geistliche und zwang sie anschließend zur Mitreise, damit sie ihn nicht anzeigen konnten. Schließlich verließ die Expedition Lima im Februar 1559 mit 300 bewaffneten Kastiliern, mehreren hundert indianischen Hilfskräften, 20 afrikanischen Sklaven und 27 Pferden (plötzlich eine sehr exakte Angabe). Im September 1560 erreichte die Expedition den Amazonas und begab sich mit Schiffen flussabwärts in den kaum erforschten Urwald.
Der Expedition hatten sich zahlreiche Unzufriedene angeschlossen in der Hoffnung, Ursúa würde seine Truppen für einen Aufstand gegen den Vizekönig einsetzen. Für diese Krieger war es eine Enttäuschung, als die Expedition dann jedoch tatsächlich in den Urwald aufbrach. Ursúa war gewarnt worden, bekannte Unruhestifter mitzunehmen, darunter Lope de Aguirre. Doch hatte er die Warnungen ignoriert. Zudem soll sich Ursúa während der Reise durch seine tyrannische Führung und brutale Strafmaßnahmen unbeliebt gemacht und Eifersucht wegen seiner jungen Frau erregt haben, einer reichen Mestizin, die ihn auf der Fahrt begleitete.
Ermordung von Ursúa
Als im November der Mittellauf des Amazonas erreicht war und sich das angebliche Goldland immer mehr als Illusion erwies, vermehrte sich die Unzufriedenheit unter den Expeditions-Teilnehmern. Aguirre, Salduendo und einige andere Unterführer zettelten eine Verschwörung gegen Ursúa an. In der Nacht zum 1. Januar 1561 ermordeten sie ihn gemeinsam und setzten den 25-jährigen andalusischen Edelmann Fernando de Guzmán (10) als neuen Expeditionsführer ein.
Guzmán hatte verkündet, er wolle die Suche nach dem nicht existierenden Reich der Omagua aufgeben und stattdessen nach Peru zurückkehren, um dort den Kampf gegen den Vizekönig und seine Beamten aufzunehmen. Daraufhin wurde er im März 1561 von der Mehrheit der Expeditions-Teilnehmer als neuer Anführer bestätigt. Auf Vorschlag Aguirres wurde Guzmán wenige Tage später zum Herrscher ausgerufen und sollte bei Rückkehr nach Peru zum König gekrönt werden. Ein von Aguirre aufgesetztes Dokument, in dem sich die Rebellen vom kastilischen Königreich lossagten, wurde von den meisten Expeditions-Teilnehmern unterzeichnet, nicht allen.
Rebellion gegen Kastilien
An einen Rückmarsch durch den Urwald war nicht zu denken, deshalb ließen Guzmán und Aguirre seetüchtige Schiffe bauen. Auf den Spuren des Konquistadoren Francisco de Orellana wollte man den Amazonas bis zur Mündung hinunterfahren, um dann per Schiff über Panama zurück nach Peru zu gelangen. Aguirre hoffte, in Panama und Nicaragua die Rebellenschar durch Anwerbung weiterer unzufriedener Kastilier und Cimarronen (geflohene Sklaven) weiter zu vergrößern.
Auf der Weiterfahrt kam es zu einem Machtkampf zwischen Aguirre und Salduendo, vor den Augen Guzmáns ermordete Aguirre seinen ehemaligen Freund. Guzmán kamen daraufhin Bedenken an dem Unternehmen, und er ließ sich von mehreren Offizieren Unterstützung bei einem geplanten Vorgehen gegen Aguirre zusichern. Aguirre erfuhr jedoch durch Spitzel davon. Er ließ Guzmán und seine Anhänger am 22. Mai 1561 umbringen und rief sich selbst zum neuen Führer aus. Einige Soldaten, die seine Vorgehensweise kritisierten, ließ er ebenfalls töten, desgleichen die Witwe Ursúas, um deren Besitz nach dessen Tod immer wieder Streitigkeiten unter den Konquistadoren entbrannt waren.
Unterwegs wurden indianische Siedlungen rücksichtslos geplündert und ihre Bewohner*innen umgebracht. Als die Expedition schließlich die Mündung des Amazonas erreichte, ließ Aguirre die etwa 100 überlebenden “peruanischen“ Indianer im Urwald aussetzen, da die Lebensmittel nicht für die weitere Mitnahme per Schiff ausreichten. Die Expedition erreichte am 20. Juli 1561 die vor der Küste Venezuelas gelegene Insel Margarita. Sie wurde im Handstreich besetzt, alle königlichen Beamten festgenommen, die Gerichtsakten verbrannt. Aguirre errichtete eine über 40 Tage dauernde Schreckensherrschaft auf der Insel, der sowohl Einheimische zum Opfer fielen als auch von ihm als unzuverlässig betrachtete eigene Männer. Er konnte aber auch neue Anhänger gewinnen, von der Aussicht auf Beute angelockt.
Aguirres nächstes Ziel, die Landenge von Panama, konnte er nicht mehr erreichen. Mehrere seiner Anhänger waren desertiert und hatten die königlichen Behörden auf dem Festland vor der drohenden Gefahr gewarnt. Unter Führung von Francisco Fajardo (12) landeten in kastilischem Sold stehende indianische Krieger auf der Insel Margarita und schlossen die Truppe von Aguirre ein. Dieser ließ die als Geiseln festgehaltenen königlichen Beamten ermorden und segelte dann zum Festland.
Aguirre landete in der Ortschaft Burburada und ließ die Schiffe verbrennen, um Desertionen aus seiner Gefolgschaft zu verhindern. Da sein nächstes Ziel, Panama, den kastilischen Behörden bekannt war, versuchte er nun, auf dem Landweg über das Gebiet des heutigen Venezuela, Kolumbien und Ecuador nach Peru zu gelangen. Er hoffte weiterhin, seine Truppe durch Anwerbung unzufriedener Siedler vergrößern zu können. Die nächsten kastilischen Siedlungen, durch die sie marschierten, wurden jedoch verlassen vorgefunden. Mehrere von Aguirres Anhängern desertierten, andere wurden bei Fluchtversuchen getötet.
Aguirres Ende in Venezuela
Im der ebenfalls menschenleeren Ort Barquisimeto trafen am 27. Oktober 1561 Aguirres Leute auf königstreue Soldaten. Die waren zahlenmäßig und waffentechnisch unterlegen und zogen sich zurück, hinterließen aber Begnadigungsbriefe des Gouverneurs von Venezuela für Überläufer. Bei einem weiteren Scharmützel blieben Aguirres Anhänger erneut siegreich, doch immer mehr liefen zum Gegner über. Aguirre blieb schließlich so gut wie allein zurück, nur sein Munitionsmeister Llamoso blieb an seiner Seite. Von den 300 bewaffneten Teilnehmern der Expedition Ursúas hatten bis zu diesem Moment 174 überlebt, 66 Männer waren im Verlauf der Fahrt ermordet worden oder gewaltsam gestorben, 60 Mann an Krankheiten oder Hunger zugrunde gegangen. Fluktuationen durch Desertionen und Neuzugänge bleiben in dieser Rechnung unberücksichtigt. (13)
Von seinen Leuten verlassen, erstach Aguirre in der Herberge des Ortes seine Tochter Elvira. Gegenüber der Zofe, die ihm das Gewehr aus der Hand riss, als er in den Wohnraum stürmte, rechtfertigte er die “Verzweiflungstat“ mit seiner Befürchtung, Elvira könnte zur “Matratze von Schönlingen“ und als Tochter eines Verräters behandelt werden, sie könnte sein Andenken “beschmutzen“. Danach ergab er sich den königlichen Soldaten. Bevor er eine Erklärung abgeben konnte, wurde er von zwei seiner ehemaligen Anhänger erschossen, seine Leiche anschließend geköpft und gevierteilt.
Neben Wut auf den tyrannischen Führer könnte bei diesem Lynchmord an Aguirre auch eine Rolle gespielt haben, Aussagen Aguirres zu verhindern, die andere überlebende Teilnehmer belastet hätten. In einem posthumen Prozess wurde Lope de Aguirre des Majestäts-Verbrechens für schuldig befunden und sein gesamter Besitz zugunsten der kastilischen Krone eingezogen. Die Amnestie des Gouverneurs Vollato für Aguirres Anhänger wurde zunächst vom kastilischen Gerichtshof bestätigt, dann aber durch einen Erlass von König Philipp II. vom 3. Oktober 1562 wieder aufgehoben.
Aguirres Rezeption in der Nachwelt
Die meisten Berichte über die Rebellion Lope de Aguirres stammen aus den Gerichtsakten. Außerdem sind einige seiner Briefe erhalten. Auf diese Dokumente geht etwa die Darstellung der Ermordung Fernando de Guzmáns und anderer Mitglieder der Expedition zurück. Wie glaubwürdig Lope de Aguirres Schilderungen sind, lässt sich nur schwer beurteilen. Vieles in seinen Briefen erscheint übertrieben; sie enthalten groteske und teils wenig glaubhafte Details. So behauptet er beispielsweise, als er von der Reformation in Deutschland hörte, habe er als spontane Reaktion einen Deutschen namens “Monteverde“ in Stücke schlagen lassen. Der offenbar übersetzte Name (Grünberg) soll einigen Interpreten zufolge die Glaubwürdigkeit der Episode in Frage stellen.
Das Andenken an Lope de Aguirre überdauerte hauptsächlich in den Archiven Venezuelas und Kolumbiens. Von den meisten Chronisten der Kolonialzeit wurde er als wahnsinniger Mörder und Tyrann dargestellt. Dieser Ruf blieb auch nach dem Erfolg der lateinamerikanischen Unabhängigkeits-Bewegungen im 19. Jahrhundert erhalten. Zwar gab es vereinzelt Versuche, Aguirre – der sich von Spanien losgesagt hatte und insoweit als Vorbild der Unabhängigkeits-Kämpfer gelten könnte – positiv zu zeichnen, aber die neuen Machthaber betrachteten ihn zum großen Teil als brutalen Repräsentanten gerade jener Kolonialmacht, die man endlich losgeworden war. Aguirre wurde auf diese Weise zum Bestandteil der nationalen Abgrenzungs- und Selbstfindungs-Prozesse der beiden genannten Staaten. (1)
Simón Bolívar plante im Jahre 1821 aus propagandistischen Gründen eine Veröffentlichung der Briefe Aguirres an den spanischen König. Ob die Veröffentlichung erfolgte, ist nicht mehr nachzuweisen. Eine spürbare Wirkung hinterließ dieser Versuch aber erst sehr viel später, als Aguirre unter Bezugnahme auf Bolívar von verschiedenen Autoren des 20. Jahrhunderts zum Vorkämpfer für die Unabhängigkeit Lateinamerikas stilisiert wurde. Baskische Autoren entdeckten ihn in der Folge ebenfalls als Modell für ihren eigenen Widerstandskampf gegen spanische Unterdrückung. Beide Interpretationen gelten als historisch unhaltbare Vereinnahmungen. Tatsächlich war Aguirres Rebellion lediglich das letzte Aufbegehren zu kurz gekommener Konquistadoren gegen die Installation der neuen absolutistischen Ordnung in den kastilischen Überseegebieten. (1)
Baskische Erklärungsversuche
Eine besondere Erklärung für Aguirres gewalttätige Raserei will der baskische Politiker und Artikelschreiber Iñaki Anasagasti (Mitglied der christdemokratischen PNV) gefunden haben. “Später reiste Lope nach Potosí, wo er aus unbekannten Gründen einen Konflikt mit dem Bürgermeister hatte. Ein kaiserlich ernannter Bürgermeister einer Stadt von solchem Rang, wie es Potosí zu jener Zeit war, wie weit würden die Arroganz und der Hochmut des Ratsherrn gehen! Er ließ Aguirre verhaften und in Ketten legen, Aguirre verlangte eine Erklärung. Wegen Aguirres Verhalten ordnete der Bürgermeister an, Aguirre zweihundert Peitschenhiebe zu verabreichen.“
Anasagastis Interpretation: “Man darf nicht vergessen, dass Aguirre aus dem Baskenland stammt, wo die Menschen-Achtung Jahrhunderte früher als in den zivilisierten Ländern in den Gesetzbüchern verankert war. Diese Peitschenhiebe haben Aguirre keine nennenswerten körperlichen Schmerzen verursacht. Aber es war ein Affront gegen seine Würde als Mann, ein Skandal ohnegleichen. Aguirre forderte, dass die Peitschenhiebe durch den Galgen ersetzt werden sollten. Das geschah nicht, er schwor Rache und hat nie verziehen. Von da an begann er zu hassen und zu verfolgen.“ – “Ich werde nie wieder ein menschliches Leben führen, bevor ich nicht Tropfen für Tropfen den Affront gerächt habe, den er mir angetan hat“, soll Aguirre gesagt haben. (14)
Aguirre oder kolonialistischer Wahnsinn
Über das "Kolonial-Abenteuer" von Lope de Aguirre, der als Verrückter, Verräter, Pilger und Befreier bezeichnet wurde, ist viel geschrieben und gesagt worden. Für Miguel de Unamuno war er "ein verzweifelter Mann, der sich seiner Verzweiflung bewusst ist"; für Pío Baroja erweckte seine Geschichte "ein wenig den Eindruck, den Guignol-Kinder haben, wenn sie den Gendarmen verprügeln und den Richter aufhängen. Trotz seiner Verbrechen und Gräueltaten war mir Aguirre fast sympathisch" (Las inquietudes de Shanti Andía). Ramón J. Sender, Giovanni Papini, Caro Baroja, Otero de Silva, der erste Fernando Savater, Abel Posse waren einige der vielen Schriftsteller und Essayisten, die sich mit dieser faszinierenden Figur befasst haben, die nach dem Film von Werner Herzog das delirierende Gesicht des Schauspielers Klaus Kinski erhielt.
Obwohl Aguirre seit Langem zu den "Verdammten" der Geschichte gezählt wird, kann niemand die Eloquenz von jemandem unterschätzen, der den furchterregenden Amazonas bereiste und eine Gruppe von Männern anführte, die alle in Rüstung gekleidet waren, kaum Schlaf hatten und auf kaputten Flößen segelten. Aguirre kam bis zum Meer, kämpfte gegen die Städte von König Philipp II., dem er den Krieg erklärte, weil er ungerecht und verbrecherisch war, er gründete Städte und wurde selbst gefürchtet und respektiert, weil seine Wildheit und Grausamkeit keine Grenzen kannte.
Die Eroberung und Kolonisierung Lateinamerikas war eine historische Episode voller Größe und ungeheurem Elend, dessen Ziel Gold, Besitz und die Missionierung eines gigantischen, mit allen denkbaren Schwierigkeiten versehenen Gebiets war. Damals, Ende des 16. Jahrhunderts, war die Teilnahme an der blutigen Eroberung ein enormer Anziehungspunkt für alle, die reich werden wollten, auch wenn dies mit Entbehrungen verbunden war. Die Protagonisten waren vor allem Abenteurer, Soldaten, Bürgerliche, Entwurzelte, Gescheiterte, Verbrecher, Missionare, von der Justiz Verfolgte, Leute, die vor ihrer Umgebung flohen und versuchten, etwas Besseres zu finden: Reichtum, Macht und Einfluss. (15)
Interpretationen
“Aber wer war Lope de Agirre?“ wird im Artikel einer baskischen Tageszeitung gefragt. Ein Verbrecher, ein Wahnsinniger, ein Bandit oder ein Vorläufer. Das Leben dieser wahnsinnigen und umstrittenen Persönlichkeit aus dem 16. Jahrhundert erregt gleichermaßen Ablehnung und Bewunderung, sowohl bei Historikern und Chronisten als auch bei denjenigen, die sich der Geschichte der europäischen Invasion des amerikanischen Kontinents nähern.
Für einen Zeitgenossen, den Priester Reginaldo de Lizárraga, war er “die grausamste Bestie und der grausamste Tyrann, den es je in unserer Zeit oder in der Vergangenheit gegeben hat. Er tötete viele. Wenn sie lachten, tötete er sie. Wenn sie traurig waren, tötete er sie“. Simón Bolívar wollte ihn als Vorläufer der spanisch-amerikanischen Unabhängigkeit sehen und schrieb, dass "Aguirres Rebellion die erste Unabhängigkeitserklärung einer Region Amerikas war". Miguel Otero Silva seinerseits beschreibt ihn in seinem Roman als "Fürst der Freiheit", der Filmemacher Herzog stellt ihn als Instrument des göttlichen Zorns dar. Ein unbeugsamer Geist, rebellisch und boshaft, dessen Gier nach Ruhm und Herrschaft ihn in ein tragisches Abenteuer führt. "Die amerikanische Geschichte brauchte Abenteurer wie Lope de Aguirre, um eine unendliche Anzahl unsäglicher schwarzer Passagen zu verbergen. In den von den Siegern geschriebenen Chroniken muss es einen Schuldigen für alle begangenen Missbräuche geben, um das Symbol der Integrität sauber zu halten".
Die meisten Historiker sind sich einig, dass Lope de Aguirre im Stadtteil Oñati in Araotz geboren wurde und als zweiter Sohn einer Adelsfamilie auf der Suche nach Glück nach Sevilla gehen musste, von wo aus er sich in die “Neue Welt“ einschiffte. “Es stimmt, dass seine Persönlichkeit, die ebenso grausam wie suggestiv ist, weiterhin ihren Schatten auf die Geschichte wirft. Die Erinnerung an ihn ist nicht in der Zeit verloren.“
Neben Romanen, Theaterstücken, Essays und Filmen ist der Ort auf der Insel Margarita (Venezuela), an dem er mit seinen Leuten an Land ging, noch heute als “Bucht des Verräters“ bekannt. In Tucuyo wird der Todestag von Aguirre jeden 27. Oktober gefeiert. Die vielleicht einzige Aguirre-Statue steht hier in einem Museum. Und in Barquisimetro, so sagen die Bauern, erscheint sein Geist von Zeit zu Zeit. Zumindest interpretieren viele von ihnen das natürliche Phänomen der Phosphorit-Feuer in dunklen Nächten so. Aguirre hat auch mitten im peruanischen Dschungel seine Spuren hinterlassen, und zwar am Salto de Aguirre, wo er, als er in Gefahr war, geheimnisvolle Symbole in einen Stein geritzt haben soll. Neben Oñati gibt es noch weitere Städte im spanischen Staat, in denen eine Straße dem "Verrückten" gewidmet ist, wie Roquetas de Mar (Almeria), Torre Pacheco und Pozo Estrecho (Murcia). (16)
Aguirre ambivalent
Von einigen Historikern wird darauf hingewiesen, dass die von Aguirre begangenen Verbrechen sich nicht allzu sehr von den allgemein üblichen Grausamkeiten seiner Zeit abhoben. Die von ihm und seinen Anhängern verübten Morde wurden von Zeitgenossen vor allem deswegen als besonders schrecklich und skandalös empfunden, weil sie im Rahmen einer Rebellion gegen die königliche Gewalt begangen wurden. Diese These ist jedoch umstritten, da es im 16. Jahrhundert auch andere Aufständische und Rebellen gegen die Krone gab, die ebenfalls als grausam geschildert werden und in Quellen in ungünstigem Licht erscheinen. Keiner von ihnen wird aber als geisteskranker Schlächter dargestellt. Vielmehr zeigen sich im Falle Aguirres schon in seinen überlieferten Briefen Ansätze zu einer sadistischen Selbststilisierung. In der Tat ist in einigen novellistischen Rezeptionen der Geschehnisse hingegen das Bemühen spürbar, Aguirre als wahnsinnigen Mörder im Kontrast zu Pedro de Ursúa zu zeichnen, der entgegen den Quellen als ritterlicher Edelmann dargestellt wird. Diese unhistorische Charakterisierung hat auch Eingang in die Verfilmungen gefunden. (1)
Dem 1972 entstandenen Kinofilm “Aguirre, der Zorn Gottes“ von Werner Herzog, in dem Klaus Kinski den Abenteurer verkörpert, dienten das Leben und die Berichte Aguirres als Inspiration für die (im Wesentlichen aber fiktive) Handlung. Der Titel ist einem Lope de Aguirre zugeschriebenen Zitat entlehnt. Als er sich im März 1561 zum Herrscher von Peru, Tierra Firme (Isthmus von Panama) und Chile ausrief, soll er gesagt haben: “Ich bin der Zorn Gottes, der Fürst der Freiheit, Herr von Tierra Firme und den Provinzen von Chile“.
Literatur
(*) Ingrid Galster: Aguirre oder Die Willkür der Nachwelt. Die Rebellion des baskischen Konquistadors Lope de Aguirre in Historiographie und Geschichtsfiktion (1561–1992). Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-89354-075-X (*) Ingrid Galster: Aguirre o La posteridad arbitraria. La rebelión del conquistador vasco Lope de Aguirre en historiografía y ficción histórica (1561-1992). Ed. Universidad del Rosario und Ed. Universidad Javeriana, Bogotá 2011, ISBN 978-958-738-204-4. (*) Alfred Antkowiak: El Dorado. Die Suche nach dem Goldland. Verlag Volk und Welt, Berlin 1976. (*) Miguel Otero Silva: Lope de Aguirre, Fürst der Freiheit. Roman. Aus dem Spanischen von Wilhelm Plackmeyer. Aufbau-Taschenbuch-Verlag, Berlin 1992, ISBN 3-7466-0143-6. (*) Arturo Uslar Pietri: El Camino de El Dorado, 1947 (Deutsch von Maria Bamberg: Rauch über El Dorado, 1966)
Verfilmungen
(*) “Aguirre, der Zorn Gottes“ (1972 mit Klaus Kinski als Aguirre, Regie: Werner Herzog) (*) “El Dorado – Gier nach Gold“ (1988 mit Omero Antonutti als Aguirre, Regie: Carlos Saura)
ANMERKUNGEN:
(1) Lope de Aguirre, Wikipedia deutsch (LINK)
(2) Bei Wikipedia wird fälschlicherweise wiederholt der Begriff "Spanische Krone" benutzt. Tatsächlich handelte es sich jedoch um die "Kastilische Krone" und das "Kastilische Imperium". Der Begriff "Spanien" (oder spanisch) stammt aus einer späteren und neueren Zeit um 1800.
(3) Pedro Álvarez Holguín (Cáceres, Extremadura, 1490 / Peru, 1542) war ein Militär und Konquistador, der vor allem an der Vernichtung des Azteken- und des Inka-Reiches beteiligt war. (Wikipedia)
(4) Diego de Almagro (Almagro, 1475 - Cuzco, 1538) war ein spanischer Konquistador. Er nahm an der Eroberung Perus teil und gilt offiziell als der erste, der Chile erreichte, er war auch der erste Europäer, der in militärischer Begleitung das heutige Bolivien erreichte. (Wikipedia)
(5) Blasco Núñez de Vela I Marqués de Blasco (Ávila, 1495 / Iñaquito, 1546) war ein kastilischer Militär und Politiker, Generalkapitän der kastilischen Armee. 1530 war er der erste Kapitän der “Indischen Flotte“, die den Atlantik überquerte und Gold- und Silberladungen für König Karl I. von Spanien transportierte, ohne dabei von Korsaren bedroht zu werden. (Wikipedia)
(6) Gonzalo Pizarro Alonso (Trujillo, 1510 / Cuzco, Peru, 1548) war ein kastilischer Konquistador, jüngerer Bruder väterlicherseits des bekannten Konquistadoren Francisco Pizarro und einer der Hauptakteure bei der Eroberung Perus und den Kriegen zwischen den Konquistadoren. Er führte den Encomendero-Aufstand von 1544 gegen die kastilische Krone an, um gegen die Verabschiedung der Neuen Gesetze zu protestieren. Er wurde zum Gouverneur von Peru (1544-1548), von Pedro de la Gasca in der Schlacht von Jaquijahuana (1548) besiegt, gefangen, zum Tode verurteilt und enthauptet. (Wikipedia)
(7) Sebastián de Castilla: Eroberer und Rebell in Peru. Sohn des Grafen von La Gomera kam mit der Armee 1541 nach Peru, wo sein Bruder Baltasar bereits stationiert war, und nahm an den Kriegen teil, wo er auf der Seite der Krone gegen den Aufstand von Gonzalo Pizarro diente. (Wikipedia)
(8) Pedro de Ursúa (Arizkun, Navarra, 1526 / 1561, Amazonas) war ein baskischer Konquistador in Diensten der kastilischen Krone. Er gründete den kolumbianischen Ort Pamplona. Wurde auf einer Expedition auf der Suche nach El Dorado von Aguirre ermordet. (Wikipedia)
(9) Philipp von Hutten (1505, Unterfranken / 1546 Venezuela) war ein deutscher Konquistador, der in den Jahren von 1535 bis 1538 als Hauptmann an einer Expedition der Augsburger Welser-Gesellschaft ins Landesinnere Venezuelas teilnahm, um dort nach Gold zu suchen. Ende 1540 wurde er von Karl V. zum militärischen Oberbefehlshaber der von den Welsern verwalteten spanischen Überseeprovinz Venezuela ernannt. Auf dem Rückweg von einer zweiten Expedition, die Hutten zwischen 1541 und 1546 anführte, ließ ihn sein spanischer Rivale Juan de Carvajal ermorden. (Wikipedia)
(10) Fernando de Guzmán (ca. 1540 / 1561, Amazonas), Kastilischer Konquistador. Er nahm an der El Dorado-Expedition von Ursúa. Der Verräter Lope de Aguirre ernannte ihn zum Prinzen von Peru und ermordete ihn später. (Wikipedia)
(11) Francisco de Orellana (Trujillo, Extremadura; 1511 / Amazonas, 1546) war ein spanischer Entdecker und Konquistador zur Zeit der kastilischen Kolonisierung Amerikas. Er nahm an der Eroberung des Inka-Reiches teil und wurde anschließend zum Gouverneur mehrerer Städte ernannt. Er galt als einer der reichsten Konquistadoren seiner Zeit. Im Jahr 1537 gründete er die Stadt Guayaquil neu, die zuvor mehrfach von Indianern zerstört und von verschiedenen Kolonisatoren verlegt worden war. Nach dem Wiederaufbau der Stadt, organisierte er zusammen mit Gonzalo Pizarro eine Expedition, die mit der Entdeckung des Amazonas endete. (Wikipedia)
(12) Francisco Fajardo (Margarita-Insel 1528 / Provinz Neu-Andalusien 1564) war ein Mestize aus Margarita und Kolonisator im heutigen Venezuela, der mehrere Orte gründen ließ. Im Jahr 1555 unternahm er eine Eroberungs- und Kolonisierungs-Expedition der Region Caracas und landete in Chuspa. (Wikipedia)
(13) Iakob Zvanev: “Lope de Aguirre, el Príncipe de la libertad“ (LdA, der Prinz der Freiheit), spanisch. (LINK)
(14) “Lope de Aguirre y su venganza“ (LdA und seine Rache), Iñaki Anasagasti 2018-08-01 (LINK)
(15) “Aguirre oder kolonialistischer Wahnsinn“, Pepe Gutiérrez-Álvarez, 12. Juli 2019 (LINK)
(16) “La leyenda de Lope de Aguirre“ (Die Legende von LdA), Diario Vasco, 2011-10-31 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Aguirre, Kinski (tiempodecine)
(2) Lope de Aguirre
(3) Aguirre, Kinski
(4) El Dorado (okdiario)
(5) Aguirre (diario vasco)
(6) Aguirre (elespañol)
(7) Film (tecno culturas)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-08-11)