adelina1Wegweisende Mädchen-Bildung vor 100 Jahren

Die Lehrerin Adelina Méndez de la Torre war eine Pionierin in zahlreichen Bereichen der Unterrichtsgestaltung und Ausbildung für Lehrkräfte. Anfang des 20. Jahrhunderts setzte sie sich für eine gleichberechtigte Schulausbildung für Mädchen ein. Gleichzeitig plädierte sie für ein kostenloses, öffentliches Schulsystem und schlug eine zweisprachige Erziehung vor, die das soziokulturelle Umfeld der Kinder widerspiegelt. Ihr Ansatz kann als Grundlage des heutigen baskischen Lehrplans betrachtet werden.

Trotz der eindeutigen Spuren, die Adelina Méndez de la Torre für das baskische Schulwesen hinterlassen hat, ist sie weitgehend unbekannt – nicht untypisch bei Frauen, die häufig wenig Anerkennung finden, historisch schon gar nicht.

Adelina María Dolores Méndez de la Torre y Rodríguez wurde am 7. Februar 1871 in Castropol, Asturien geboren. Sie war die Tochter von Niceto, einem Stadtbediensteten und späteren Militär, und Rita, einer Arbeiterin. Ihr Bruder Emilio war Schriftsteller und ihre Schwester Elvira war Lehrerin an den Fortbildungsinstituten für Lehrer*innen in Ávila, Segovia und Toledo. (1)

Adelina Méndez de la Torre studierte in Madrid Lehramt und schloss ihr Studium am 30. September 1893 mit hervorragenden Noten ab. Vier Jahre später, im Jahr 1897, erhielt sie eine Stelle als Lehrerin an der neu gegründeten Grundschule des Bezirks 7 in Bilbao in der Calle General Concha. Von da an wohnte sie zeitlebens in Bilbao und übte ihre gesamte pädagogische Tätigkeit in dieser Stadt aus.

Am 23. Dezember 1899 heiratete sie den aus Abando stammenden Juan de Goicoechea Vidaurrazaga, der als städtischer Bauleiter im Rathaus von Bilbao tätig war und mit dem bekannten städtischen Architekten Ricardo Bastida (1878-1953) zusammenarbeitete. Ihr erstes Kind starb früh. Ihr zweites Kind, eine Tochter, besuchte in einer Zeit, als dies für Mädchen relativ unüblich war, die Sekundarstufe am Instituto Vizcaíno (für Kinder von 12 bis 16 Jahren).

adelina2Ausbildung von Mädchen

Adelina Méndez de la Torre setzte sich während ihrer ganze Lehrtätigkeit für Bildung und Ausbildung von Mädchen und Frauen ein. Das zeigt ein am 15. Juli 1902 in der Zeitung El Nervión veröffentlichter Artikel, in dem sie feststellt, dass "die Mädchen die Schule genau dann verlassen, wenn sie sie betreten sollten, und deshalb sind nicht wir es, die sie erziehen, sondern die Welt, und wir alle schweigen, ohne dagegen zu protestieren, dass sie schutzlos sich selbst überlassen werden“. In Kenntnis der Situation in anderen Ländern, in denen die Grundschulbildung für Jungen und Mädchen in gleicher Intensität und Form erfolgt, sprach sie sich für die Einrichtung von Berufsschulen aus, in denen Mädchen ab dem 14. Lebensjahr unterrichtet werden könnten, und nannte als Beispiel „andere Nationen wie die Vereinigten Staaten, Frankreich, England, die Schweiz oder Deutschland, die den unseren in allen Bereichen des menschlichen Lebens weit überlegen sind, was vor allem auf die intelligente Mitarbeit der Frauen zurückzuführen ist”.

Adelina ging mit gutem Beispiel voran und organisierte die Sonntagsschule für Erwachsene an der Concha-Schule, bei der sie im Schuljahr 1898/99 unentgeltlich unterrichtete. In El Nervión schrieb sie über die geringen Erwartungen junger Mädchen, die trotz guter Noten und ausreichender intellektueller Fähigkeiten ihr Studium nach der Grundschule nicht fortsetzten. Sie schlug daher die Gründung einer Vereinigung von öffentlichem und privatem Lehrpersonal vor, um jugendliche Mädchen kostenlos zu unterrichten und appellierte über die Presse an den Bürgermeister der Stadt Bilbao, eine Abendschule für Erwachsene zu eröffnen, was dann auch geschah.

Europäische Einflüsse

Adelina Méndez de la Torre kam in einer Zeit des industriellen Aufschwungs nach Bilbao, in der sich die Stadtverwaltung für die Bildung engagierte, Schulen baute und verschiedene innovative pädagogische Aktivitäten förderte, die damals in Europa aktuell waren. Die Lehrerin Méndez de la Torre, eine Kennerin der modernsten pädagogischen Erkenntnisse ihrer Zeit, förderte verschiedene Bildungsinitiativen mit großer Wirkung in den Schulen der Stadt.

Adelina war über die internationalen pädagogischen Trends ihrer Zeit im Bilde. Aus diesem Grund erhielt sie 1903 zusammen mit María Cantero und Aniceto Gil auf Vorschlag der Entwicklungskommission des Stadtrats von Bilbao ein Stipendium, um an der Schule von Ripatransone (Italien) Kurse in pädagogisch-künstlerischem Gestalten zu absolvieren, mit der Verpflichtung, ihre Kolleg*innen nach ihrer Rückkehr auszubilden.

1908 verlängerte sie ihr Studium und erhielt ein Stipendium der Junta de Ampliación de Estudios JAE (öffentliche Institution zur Förderung der Wissenschaften in Spanien. Sie existierte von 1907 bis 1939. Anm. Übersetzerin), um in Mailand, Paris und Genf vier Monate lang experimentelle Pädagogik zu studieren. Nach ihrer Rückkehr legte sie einen Bericht vor, in dem sie die in den besuchten Städten beobachteten Praktiken der experimentellen Pädagogik sowie die Aspekte der Sonderpädagogik beschrieb.

1905 Schuldirektorin

Im Jahr 1905 wurde sie zur Direktorin der Grundschule für Mädchen in der Schule La Concha ernannt, an der sie bis zum 31. März 1922 tätig war. Im selben Jahr, 1905, fand in Bilbao die Nationale Schulausstellung statt, bei der die von den Schülerinnen und Schülern produzierten Materialien gezeigt wurden. Sie war Mitglied und Rednerin der Kommission, die mit der Organisation und Ausarbeitung der Grundlagen der Ausstellung beauftragt war. Im August wurde sie mit großem Erfolg durchgeführt. Für diese Arbeit wurde Adelina mit der "Goldmedaille" der Stadtverwaltung und dem "Ehrenpreis" des Ministeriums für öffentliche Bildung ausgezeichnet.

Im Jahr 1907 begann Adelina Méndez mit der Ausarbeitung der so genannten Cuadernos Pedagógicos (pädagogische Hefte), die ihr Unterrichtssystem beschreiben, in dem die Schüler*innen eine aktive Rolle beim Lernen ausüben sollten. Sie war eine innovative Lehrerin, die sich neben der Nutzung von Mehrzweckräumen und Tageslicht-Projektionen für einen Unterricht einsetzte, bei dem Kinder praktische Dinge lernten, selbst Museen gestalten oder an Schulausflügen teilnehmen sollten, die darauf abzielten, Interesse an einem echten und praktischen Wissen zu wecken. Im Jahr 1910 wurde sie zum Mitglied der Sektion für pädagogische Studien der Asociación Nacional del Magisterio Primario (staatlicher Zusammenschluss von Grundschullehrerinnen- und lehrern) ernannt.

adelina3Schulkantine als soziales Projekt

In Kenntnis der Situation der Schulkantinen in Europa gründete sie 1911 einen comedor in der Schule La Concha, der einen großen Einfluss auf die allmähliche Entstehung des Kantinendienstes in den Schulen von Bilbao hatte. Die Kantine wurde mit Spenden aus der Bevölkerung und festen Beiträgen einiger wohlhabender Persönlichkeiten aus Bilbao und Bizkaia in Betrieb genommen. In den vierzehn Jahren, in denen Adelina die Einrichtung leitete, blieb sie bei ihrer anfänglichen Haltung, was den Umgang und die persönliche Betreuung der Mädchen und später der Jungen und Mädchen anbelangt. Sie unterwies die Kinder gleichermaßen in hygienischen Belangen, gesunder Ernährung und guten Umgangsformen. Die Kantine ist wahrscheinlich ihr persönlichstes Projekt. Es war eine Initiative mit großen sozialen und pädagogischen Auswirkungen auf die Grundschul-Ausbildung in der Stadt.

Einsatz für die baskische Sprache

In Adelinas Vortrag von 1918 auf dem ersten Kongress für Baskische Studien, beschrieb sie die beiden wesentlichen Notwendigkeiten der Schulen im Baskenland: die Stärkung ihres Unterrichts-Charakters und die Förderung ihrer wissenschaftlichen Kultur. Sie plädierte dafür, für das Baskenland eine eigene Schulform zu schaffen, "und zwar eine eigene oder gar keine". Sie vertrat die Ansicht, dass die Grundschule des Landes den Geist und das Wesen oder die Eigenart der baskischen Kultur widerspiegeln müsse. Es sollte eine Schule sein, die auf ihrer eigenen Sprache, Geschichte und Geographie basiert und in der das Lehrpersonal sich als baskisch definiert.

Für Adelina gibt es historische und kulturelle Gründe, die die Präsenz der baskischen Sprache in der Schule nahelegten, obwohl sie dafür plädierte, dass beide Sprachen (gemeint sind Spanisch und Baskisch; Anm.) in den Grundschulen des Baskenlandes nebeneinander stehen sollten. Adelina war ihrer Zeit eindeutig voraus, denn sie schlug eine zweisprachige Erziehung vor, die, wie in anderen europäischen Ländern praktiziert, in das soziokulturelle Umfeld der Schulkinder eingebettet ist. In diesem Sinne ist die Feststellung wichtig, dass ihr Ansatz in Bezug auf das schulische Curriculum und die darin zu entwickelnden Fächer dem entspricht, was heute als baskisches Curriculum bezeichnet wird.

Ihrer Zeit voraus

Im Alter von 51 Jahren (1922) wurde sie zur Leiterin der Praxis-Schule ernannt, die der Pädagogischen Hochschule von Bilbao im Stadtteil Solokoetxe angegliedert war (Escuela Práctica aneja a la Normal de Maestras de Bilbao). In jenem Jahr versuchte sie, die Praktiken der normorientierten Lehrkräfte zu reformieren. Die Entwicklung der Praktika bestand bisher in der Vorbereitung eines Themas, das den Schüler*innen vorgestellt wurde. Praktiziert wurde dies allerdings selten. Die von Adelina vorgeschlagene Neuformulierung sah dagegen kleine Gruppen von jeweils 16 Schüler*innen und die Reduzierung der theoretischen Stunden zugunsten von praktischem Unterricht vor. Ihr Ansatz kam für seine Zeit jedoch zu früh und fand nicht die Zustimmung des Bildungs-Ausschusses.

Neue gesellschaftliche Hoffnung

Die demokratische Wahl einer republikanischen Regierung im Frühjahr 1931 bedeutete einen großen Fortschritt in Bezug auf die Rechte der Frauen, die sich in allen öffentlichen und privaten Bereichen stärker einbringen konnten. Eines der Ziele der Republik war es, das soziale Recht auf Bildung zu garantieren. In der Verfassung wurden die Grundsätze des öffentlichen, freien, weltlichen, gemischten und obligatorischen Unterrichts festgelegt. Es sollten Schulen geschaffen werden, um das Land von der Last der Unwissenheit und Armut zu befreien.

Das Modell bestand aus einer einheitlichen Erziehung, die auf dem Grundsatz der Gleichheit beruhte. Eine obligatorische und kostenlose öffentliche Schule, die das Verschwinden der Unterschiede zwischen den Kindern und Jugendlichen garantieren sollte. Die Lehrkräfte waren die Seelen der Schule. Es wurde ein neuer Ausbildungsplan erstellt, in dem Männer und Frauen gemeinsam studierten und in dem auch der Lehrkörper zum ersten Mal in der Geschichte gemischt war. Die republikanischen Lehrkräfte (in der Tat vorwiegend Frauen) symbolisierten das soziale und kulturelle Transformations-Projekt der Zweiten Republik.

adelina4Der Militärputsch und seine Folgen

Das Putschregime unter Franco machte die Lehrkräfte dafür verantwortlich, die Gesellschaft mit dem republikanischen Virus infiziert zu haben. Ein großangelegter Säuberungsprozess sollte diese fortschrittliche Bewegung ersticken und die Intellektuellen exemplarisch bestrafen. Mehrere Forscher gehen davon aus, dass spanienweit etwa 60.000 Lehrer*innen entlassen wurden, die Zahl dürfte jedoch weit höher sein, da von dieser Statistik nur die Festangestellten erfasst wurden. Viele von ihnen wurden gefangen genommen, misshandelt und getötet . (2)

Die Repression Francos (nach 1937 im Baskenland / 1939 im spanischen Staat) bedeutete den Verlust eines gut ausgebildeten Lehrkörpers mit modernen und emanzipatorischen Ideen, der durch Mitglieder des reaktionären Klerus und Militärs ersetzt wurde, Lehrkräfte von äußerst schlechter Qualität, ausschließlich auf faschistische Indoktrinierung ausgerichtet.

Auch Adelina wurde, wie viele andere Kolleg*innen, mit 66 Jahren zwangspensioniert, im Jahr 1937, nachdem Bizkaia in die Hände der Frankisten gefallen war. Adelina starb am 20. Januar 1960 in ihrer Wohnung in der Straße Heros im Stadtteil Abando, wenige Tage vor ihrem 89. Geburtstag.

Obwohl der Name Adelina Méndez de la Torre heutzutage im gesellschaftlichen Leben praktisch unbekannt ist, hat ihr Lebenswerk der Modernisierung des baskischen Schulwesens bis heute deutliche Spuren hinterlassen. Es zeichnet sich aus durch den Aufbruch aus verkrusteten Lehrmethoden und die Entwicklung moderner, bis dahin unbekannter Unterrichts-Praktiken. Die führten zur Stärkung der Bildung von Mädchen und Frauen, die damit in einer weitestgehend patriarchalischen Gesellschaftsordnung eine Zukunfts-Perspektive erhielten. Adelinas Modelle brachten einschneidende Veränderungen der Schul-Praxis mit sich, die die Besonderheiten des Baskenlandes berücksichtigten. Sie reichten von der Einführung von Schulkantinen, der Integration der baskischen Sprache in das Bildungssystem bis zu Ernährung, Hygiene und sozialem Zusammenleben.

ANMERKUNGEN:

(1) Bei diesem Frauenporträt handelt es sich um eine Übersetzung des Artikels "Adelina Méndez de la Torre", erstellt von Gurutze Ezkurdia Arteaga, Karmele Perez Urraza, Begoña Bilbao Bilbao (LINK). Nur der Abschnitt über die Pädagogik in der spanischen Republik und die Verfolgung im Frankismus wurde von der Redaktion von baskultur.info ergänzt.

(2) “Das kämpferische Leben der Lehrerin María Camino“ Franquismus in Navarra, Baskultur.info 2018-09-04 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Adelina (wikipedia)

(2) Schulkantine (bilbaopedia)

(3) Adelina (voz de galicia)

(4) Schulkantine (deia)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-01-17)

Für den Betrieb unserer Webseite benutzen wir Cookies. Wenn Sie unsere Dienstleistungen in Anspruch nehmen, akzeptieren Sie unseren Einsatz von Cookies. Mehr Information