Urzeitliche Baskenstadt
Moderne Techniken wie Geomagnetismus, Georadar, elektrischer Widerstand und Geoarchäologie haben die Existenz einer urzeitlichen Siedlung bestätigt, die im Norden von Navarra in der ausgedehnten Hochebene von Auritz begraben liegt. Alle bisherigen Funde deuten in die Richtung, dass es sich um die vaskonische Stadt Iturissa handeln könnte, die bereits vom berühmten griechischen Historiker und Philosophen Claudius Ptolemäus vor 1.900 Jahren erwähnt wurde. Ein definitiver Beweis steht noch aus.
„Für den ehrenwerten Cesar Flavio Valerio Constancio Pio Feliz Augusto“. Diese Worte stehen auf einem zweitausend Jahre alten Meilenstein, der auf der Gemarkung der Gemeinde Aurizberri im Norden Navarras gefunden wurde. Diese Entdeckung nährte erneut die Spekulationen um den legendären baskischen Ort Iturissa. Gefunden hatte den Meilenstein Juan Mari Martínez Txoperena, von Beruf Restaurateur und zeitlebens mit einer Ader für die Archäologie ausgestattet. Bereits mehr als 50 Jahre ist er Mitglied der wissenschaftlichen Gesellschaft Aranzadi. Das Datum seiner Entdeckung ist ihm in der Erinnerung eingebrannt: der 28. August 2011. „Ein paar Steine provozierten meine Aufmerksamkeit, ich entdeckte, dass einer davon eine Aufschrift trug“, erinnert er sich. (1) (2) (3) (4) (2016-01-29)
Mythos Iturissa
In jeder Geschichte der Region Navarra wird früher oder später die römische Stadt Iturissa genannt, ein Ort, der einen stark militärischen Charakter gehabt haben mag, weil er an der Römerstraße von Astorga nach Bordeaux lag. Es wird davon ausgegangen, dass dort mehrheitlich Vasconen mit ihren Familien lebten (5), die als Hilfskräfte in der römischen Armee dienten. Bei Ausgrabungen seit 1985 wurden Begräbnisstätten gefunden, sowie verschiedenste Reste von Zivilisation. Aus früherer Zeit stammen Dolmen und Cromlechs, die Reste von Bunkern sind aus der Kriegszeit des 20. Jhs.
Dieser von Martínez Txoperena entdeckte Meilenstein stand genau an der allgemein als Mugarriluze bekannten Stelle (6) neben der alten Römerstraße (7), die weiterführt nach Orreaga-Roncesvalles (8). Über den Ibañeta-Pass auf tausend Metern Höhe folgt diese alte Pflasterstraße der Wasserscheide vom Atlantik zum Mittelmeer. Martínez Txoperena fand heraus, dass dieser Römerweg zur nahen Begräbnisstätte von Otegi führt. Er selbst hatte die Otegi-Nekropolis im April 1985 entdeckt und darin eine römische Münze (Dinar) gefunden. Drei Jahre zuvor, im August 1982, war die Begräbnisstätte Ateabaltsa gefunden worden, nur 800 Meter östlich davon. Alles wies darauf hin, dass dort zwischen den Dörfern Auritz und Aurizberri (span: Burguete und Espinal) eine bedeutende Siedlung existiert haben musste.
Martínez Txoperena, in Aurizberri (Espinal) geboren und wohnhaft, folgte dem Verlauf der Römerstraße und sah, dass Maulwürfe Reste von Keramik und Scherben an die Oberfläche beförderten, in einer Zone rechts von der heutigen Straße, die vom Campingplatz Urrobi nach Auritz (Burguete) führt. „Im September 2012 machten wir Probegrabungen von vier Quadratmetern, es erschienen Reste von Gebäuden, ein Ofen, herrschaftliche Keramik. Die Funde waren phantastisch“. In einigen Medien wurde bereits davon gesprochen, dass es sich um die vaskonische Stadt Iturissa handele, doch Martínez als erfahrener Archäologe mit seinen 71 Jahren auf dem Buckel wollte lieber vorsichtig sein und auf definitive Beweise warten.
Im Jahr 2013 hatten sie bereits eine ungefähre Vorstellung von der Ausdehnung der Stadt, die dank der natürlichen Entwicklung über zwanzig Jahrhunderte hinweg unter der Erde lag. Im September jenen Jahres wurde eine etwas breiter angelegte Probegrabung mithilfe von Geomagnetismus (9) durchgeführt, doch musste die Forschergruppe feststellen, dass mit dieser Technik nicht alle vorhandenen Reste unter der Erde erfasst werden konnten.
Im September 2014 wurden geoarchäologische Arbeiten (10) durchgeführt, mit Hilfe von Drohnen kam Fotometrie (11) zum Einsatz, sowie erneut die Methoden Geomagnetismus und Georadar (12). Alles teure Techniken, die jedoch komplettere Ergebnisse liefern. So wurde eine dreidimensionale unterirdische Landkarte angefertigt, das heißt, es wurde auch die Tiefe der Bodenschichten gemessen.
Bei diesen Probegrabungen beteiligten sich Mitglieder des Archäologischen Museums London, die in Großbritannien als die erfahrensten Experten gelten was Ausgrabungen aus der römischen Epoche anbelangt. Bei den bisher erfolgten Ausgrabungen wurden große Mauern zu Tage gefördert, sowie Säulen, ein Abwasserkanal, ein Schmelzofen, Backsteine, Keramiken, eine Amphore und Mosaiksteine. Damit bestand kein Zweifel mehr, dass vor zweitausend Jahren an dieser Stelle eine bedeutende Siedlung existiert hatte.
Der große Teil der Gebäude, laut Martínez aus Holz gebaut, waren rund um eine riesige römische Villa gebaut. So ist es auch kein Zufall, dass der Fundort bis heute „Jauregiaroztegi“ genannt wird, ein direkter Bezug zu jener Villa („jauregi“ bedeutet auf Baskisch Burg, „tegi“ bedeutet Ort).
Eine weitere Tatsache deutet auf die Existenz von Resten dieser Siedlung vor sieben Jahrhunderten hin. Dabei handelt es sich um ein Dokument aus dem 13. Jahrhundert, das im Archiv von Orreaga (Roncesvalles) gefunden wurde und in dem von der Schenkung dieser Ländereien die Rede ist: der navarrische König Teobaldo II vermachte sie den Bewohnerinnen dieser Zone. „Mit dieser Schenkung erlaubt der König den Bewohnern die Nutzung des Bodens, doch stellt er die Bedingung, dass es dort kein Ackerland geben dürfe, sondern eine andere Nutzung erfolgen müsse“. Das deutet laut Martínez Txoperena darauf hin, dass dem König bekannt war, dass es dort viele Steine gab.
Nach fünf Jahren von Probegrabungen fehlt noch immer der entscheidende Beweis, dass es sich um die mythische vaskonische Stadt Iturissa in den Pyrenäen handelt. Das könnte zum Beispiel eine Inschrift sein, in der der Name Iturissa enthalten ist. Die Suche ist nicht einfach, doch geben die Archäologen von Aranzadi nicht auf. Im Laufe des Jahres 2016 sollen die Ausgrabungen fortgeführt werden, dafür wurden bei der Regionalregierung Navarra Genehmigungen beantragt. „Dank der Sondierungen und Ausgrabungen sind wir große Schritte voran gekommen, doch bleibt noch viel zu erforschen. Als nächstes muss die Gegend eingezäunt werden, um sie zu schützen“, sagt Martínez Txoperena.
Die Mitglieder der Archäologie-Gruppe des Museum of London Archeology (MOLA) wissen von der herausragenden Qualität der in der Zone bisher gefundenen Reste, deshalb haben sie den Wunsch geäußert, über zwei Monate hinweg neue Untersuchungen anzustellen. Doch ist ihre erneute Anwesenheit konditioniert von der Knappheit finanzieller Mittel.
Meilensteine, Römerstraßen, Siedlungen und Begräbnisstätten
Die Entdeckung eines Meilensteins kann entscheidend sein für eine Entdeckung von größerer Dimension. Meilensteine (sp: miliario, bsk: mugarri) waren große Steine, die im Abstand einer römischen Meile aufgestellt wurden, das heißt alle 1.481 Meter. Wenn es gelingt, dem Verlauf einer solchen Pflasterstraße zu folgen –was alles andere als einfach ist – ist am Ende in der Regel ein Ort mit einer entsprechenden Nekropolis zu finden.
Im Fall der mutmaßlichen vaskonischen Stadt Iturissa durchquert die Pflasterstraße die Siedlung von Süd nach Nord und führt weiter in Richtung des Ibañeta-Passes, auf der sonnigen Südseite der Berge. Das war der einfachste und bequemste Weg zur späteren Grenze zwischen Luzaide und Donibane Garazi. (13)
Eine Hochebene von privilegierter Lage in den navarrischen Pyrenäen
Von den Gipfeln der Berge Ontzanzurieta und Menditxuri aus ist die weite, im Süden von Auritz liegende Hochebene schön zu übersehen. Eine Hochebene, die der navarrische Ethnologe Jimeno Jurio „Errozabal“ nannte, indem er einen alten Namen wieder aufgriff, von dem sich auch Roncesvalles ableitet, die spanische Bezeichnung für Orreaga. Die Ebene ist die ausgedehnteste auf der Südseite der Pyrenäen, in ausgezeichneter Lage am Aufstieg zum Ibañeta-Pass. Sie liegt auf ca. 900 Metern Höhe und hatte seit Urzeiten eine große Bedeutung. Beweis dafür ist die Vielzahl von Monumenten aus der Steinzeit. Auf der Ebene laufen verschiedene ursprüngliche Wege des Viehtriebs zusammen, dort zogen die urzeitlichen Gemeinschaften mit ihren Zuchttieren entlang. Vor 2.000 Jahren wurden die Vaskonen, die diese Gegend besiedelten, von den Römern als „Hilfskräfte für den Schutz der Wege des Territoriums“ angestellt, erklärt Martínez Txoperena.
Tatsächlich treffen sich dort die beiden bedeutenden Wege aus Astorga und Zaragoza, die dann vereint der Ibañeta-Pflasterstraße Richtung Bordeaux folgen. Auch diese Pflasterstraße wurde von dem erfahrenen Archäologen aus Aurizberri entdeckt. Die primitiven römischen Häuser wurden mit der Zeit erweitert, und verwandelten sich zu Haltestationen und Herbergen. In regelmäßigen Abständen richteten die Römer auf ihrem Wegenetz im Norden von Pamplona solche Häuser ein. So steht es in der großen Enzyklopädie Navarras. „Dort muss eine Garnison mit Hiilfstruppen existiert haben, das zeigt allein die Ausstattung, die in den Begräbnisstätten gefunden wurde“.
Orreaga (spanisch: Roncesvalles, französisch: Roncevaux) bedeutet in wörtlicher Übersetzung: Täler der Dornensträucher), es handelt sich um einen der wenigen Zugänge zur Überquerung der navarrischen Pyrenäen. Orreaga liegt am südlichen Fuß des Ibañeta-Passes, die Bekanntheit des Ortes ergibt sich zum einen aus seiner Eigenschaft als heutzutage wichtige Pilgerstation am Jakobsweg (camino Santiago), zum andern durch die Schlacht bei Roncesvalles am 15. August 778. Dabei wurde die Nachhut der Truppen Karls des Großen unter der Führung von Roland durch die ortsansässigen Basken vernichtet, als sie von Feldzügen in Aragon zurück kamen – ein Ereignis, das die historische Grundlage für das Rolandslied bildete.
ANMERKUNGEN:
(1) Ein Meilenstein, Miliarium (griechisch als Fremdwort μιλιάριον, Plural: miliaria) war im Römischen Reich eine Distanzsäule an einer Römerstraße (Meilenstein). Steine dieser Art gab es bereits seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. Beim Straßenbauprogramm des Gaius Sempronius Gracchus erlebten sie offenbar einen ersten Höhepunkt (Plut. C. Gracchus 7), ihre eigentliche Blüte erreichten sie in der Kaiserzeit. Doch hat es, wie es scheint, nicht an allen Straßen Miliaria gegeben. (Wikipedia)
(2) Die Wissenschaftliche Gesellschaft Aranzadi wurde 1947 gegründet als Ersatz für eine von den Franquisten verbotene Forschungs-Gesellschaft. Namensgeber ist der gipuzkoanische Anthropologe Telesforo Aranzadi. Heute beschäftigt sich Aranazadi neben archäologischen Arbeiten im Auftrag der baskischen Regierung auch mit der Hebung von Massengräbern aus dem Spanischen Krieg von 1936.
(3) Die Informationen zu diesem Artikel stammen aus der Publikation “Sacan a la luz la supuesta ciudad vascona de Iturissa“, aus der baskischen Tageszeitung GARA vom 2016-01-24 (Mutmaßliche Vaskonen-Stadt Iturissa entdeckt)
(4) Im Namen Iturissa steckt das baskische Wort iturri = Quelle, Brunnen
(5) Vaskonen: spanisch vascones, ist der Name, den die römischen Eroberer den Stämmen gaben, die zwischen Ebro und Pyrenäen lebten, einer Region, die heute in etwa Navarra entspricht, mit Teilen von Aragon und der Rioja.
(6) Mugarriluze: baskisches Wort, das langer Grenzstein bedeutet (mugarri = Grenzstein, luze = lang)
(7) Die Römerstraßen sind Straßen, die in der Zeit des Römischen Reiches erbaut und unterhalten wurden. Viele von ihnen ziehen sich über tausende Kilometer kreuz und quer durch Europa. Ihr genäherter Verlauf samt den wichtigsten Verkehrsknoten wurde in der historischen Tabula Peutingeriana kartiert. (Wikipedia)
(8) Orreaga – Roncesvalles: Roncesvalles (französisch: Roncevaux, wörtliche deutsche Übersetzung: Täler der Dornensträucher) ist ein Ort in der Autonomen Region Navarra in Spanien.
(9) Die geomagnetischen Pole der Erde sind im Unterschied zum tatsächlich gemessenen magnetischen Nord-und Südpol theoretische Pole des Erdmagnetfeldes. Sie werden aus dem mittleren Verlauf der Feldlinien berechnet. (Wikipedia)
(10) In der Geoarchäologie wird mit geowissenschaftlichen Methoden archäologischen Fragen nachgegangen. Im Mittelpunkt dabei steht die Rekonstruktion historischer und prähistorischer Landschaften mit Sedimentuntersuchungen, bodengeographischen Untersuchungen und Rohmaterialanalysen. Disziplinäre Anknüpfungspunkte bestehen insbesondere zur Geographie (speziell Geomorphologie, Bodengeographie und Siedlungsgeographie) und Geologie. (Wikipedia)
(11) Mit Photometrie oder Fotometrie werden Messverfahren im Wellenlängenbereich des sichtbaren Lichtes mit Hilfe eines Photometers bezeichnet. (Wikipedia)
(12) Ein Bodenradar, auch Georadar, engl. Ground Penetrating Radar (GPR) oder Radio Echo Sounding (RES), erlaubt eine zerstörungsfreie Charakterisierung des Untergrundes mit hochfrequenten elektromagnetischen Wellen. In der Geophysik dient es im Wesentlichen zur Untersuchung der oberen Schichten der Erdkruste. In militärischen Anwendungen wird es zum Aufspüren von Landminen eingesetzt. (Wikipedia)
(13) Luzaide liegt südlich der Grenze zwischen Süd- und Nord-Baskenland, als letzter Ort auf „spanischer“ Seite, der spanische Name ist Valcarlos. Donibane Garazi ist eine Stadt im nördlichen Baskenland Iparralde, es ist der baskische Name des auf der französischen Seite liegenden Ortes Saint-Jean-Pied-de-Port, Hauptstadt der Provinz Niedernavarra.
FOTOS:
(1) Ausgrabungen Iturissa bei Auritz. Foto: cadenaser.com
(2) Ausgrabungen bei Zaldua. Foto: txoperena.es
(3) Fundort Iturissa. Foto: latunicadenesso.wordpress.com
(4) Schlachten-Darstellung in Orreaga-Roncesvalles. Foto Archiv Txeng – FAT