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Die Farbe der Unendlichkeit

Eine Kunst-Ausstellung der besonderen Art ist seit Ende Juli in der Europäischen Kulturhauptstadt von 2016 – Donostia, San Sebastián – zu sehen. Nicht versteckt hinter Wänden, sondern frei zugänglich unter Regen und Sonne hat der navarrische Künstler und Bildhauer Juan Gorriti die Gärten des Miramar-Palastes, hoch über der Concha-Bucht gelegen, kurzfristig zur Zweigstelle seines Künstler-Ateliers gemacht. Vorwiegend in blauer Farbe setzt sich Gorriti mit der Natur und seiner Umwelt auseinander.

Mit Skulpturen in blauer Farbe, die die Natur und seine ländliche Umgebung reflektieren, verpasst Juan Gorriti der Szenerie der Europäischen Kulturhauptstadt einen bunten Anstrich. “Nirea egitea da, ez hitz egitea”, ist das Motto von Juan Gorriti (*1942) in baskischer Sprache. Was so viel heißt wie: „Das meine ist das Machen, nicht das Sprechen“. Mit dem Hinweis auf eines seiner Werke erklärt er, „wenn ich anfange zu sprechen, fällt mein Werk in sich zusammen“. Das Werk „Baratz meta“ (Garten-Haufen) ist eines der auffälligsten innerhalb seiner Ausstellung mit dem Titel „Aralar itsasmira“, Meeresblick Aralar (1). Der Künstler zieht es also vor, sein Werk für sich sprechen zu lassen, die Betrachterinnen sollen selbst ihre Schlüsse ziehen aus dem, was sie sehen. Sie sollen sich von den Gefühlen leiten lassen, die sie erleben, wenn sie die bunten Werke betrachten, die fest in der Erde und in den baskischen Bräuchen verankert sind. Folgerichtig überließ es Juan Gorriti dem Organisatoren seiner Ausstellung, Jabier Lekuona, wenige Stunden vor der offiziellen Einweihung durch die Ausstellung zu führen und sie zu erläutern. Über dem Concha-Strand von Donostia, in einem Park vor und hinter dem Miramar-Palast ist diese Ausstellung kostenlos zu sehen bis zum 29.September 2016, als Teil des Programms Europäische Kulturhauptstadt DSS2016. Link zur Fotoserie der Gorriti-Ausstellung in Donostia.
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„Das ist wirklich ein Ereignis”, versicherte Lekuona, „in diesem Miramar-Palast ist nie zuvor eine ähnliche Ausstellung gezeigt worden, wenn das funktioniert, kriegen sie vielleicht Lust, in den kommenden Jahren weitere Ausstellungen zu organisieren“ (2). Lekuona ist von Beruf Architekt und einer der vielen Freunde von Gorriti, denen daran gelegen ist, dem Künstler eine Art von Ehrung zukommen zu lassen für „sein Leben, seine Kunst und seine Kreativität“. Von kommerziellen Kreisen war Juan Gorriti zeitlebens weit entfernt, seine letzte Ausstellung in der gipuzkoanischen Hauptstadt liegt lange zurück. 1988 und 1996 stellte er zuletzt im Museum San Telmo aus. Zwanzig Jahre danach kehrt er zurück mit einer großen Montage, die von der Torre-Olaso-Stiftung in Bergara produziert wurde, in Zusammenarbeit mit der baskischen Sommer-Universität UPV/EHU und dem Konsortium Miramar-Palast.

In den Gärten des Miramar-Palastes und in seinem Erdgeschoss ist eine große Anzahl von Werken ausgestellt, die an den Geist der berühmten Kollektiv-Ausstellungen erinnert, die Gorriti in seinem Haus Arribe-Atallu im Araiz-Tal organisierte. Mit dabei waren große Namen und Künstler wie Remigio Mendiburu, Mikel Laboa oder Jorge Oteiza (3). Oteiza, der Vater der baskischen Bildhauerei des 20. Jahrhunderts war es auch, der Gorriti dazu animierte, vom Beruf des Zimmermanns zur Kunst zu wechseln.

Auf diese Art wurde Gorriti zum Erben einer Generation von kreativen Künstlern, die fast verschwunden ist. Deshalb hat er Wohnung und Werkstatt nach Donostia gebracht, dazu einen Bruchteil der Natur aus dem Berggebiet Aralar (4), das einen großen Einfluss hatte in seinem Gesamtwerk. Gorritis Sprachrohr Lekuona verriet auch, dass der Künstler praktisch den ganzen Sommer in der Kulturhauptstadt verbringen werde, konkret im Miramar-Palast. Aber nicht, um seine Ausstellung zu bewachen, sondern um einzelne Details der Werke zu verändern, um neues Material zu bringen und anderes wegzuholen. Und nicht zuletzt, um Workshops für Kinder anzuleiten. So gesehen wird die Ausstellung zu einem lebendigen Erlebnis, das dem Publikum erlaubt, live zu beobachten, wie der Künstler arbeitet und eventuell sogar mit ihm ins Gespräch zu kommen.
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In den Gärten von Miramar

Der Rundgang durch die Miramar-Gärten beginnt mit einer großen blauen Kuh – blau ist für Gorriti die Farbe des Unendlichen und spielt in seinen Werken eine große Rolle. Insgesamt wirken die Werke wie ein lebendiger Wald. Das blaue Tier wurde geschaffen für eine Ausstellung in Deutschland, es steht auf zwei dicken Stämmen mit Zwischenräumen, die wie Weinfässer durch grobe Metallringe zusammengehalten werden und ein wenig an Frida Kalhos berühmtes Bild erinnern. Durch die Zwischenräume ist sowohl das Werk „Peine del Viento“ (Windkamm) von Eduardo Chillida unten an den Klippen von Ondarreta zu sehen, alsauch die „Construcción vacía“ von Oteiza (leere Konstruktion) am anderen Ende des Strandes. Die „behi urdina“ (Blaue Kuh) blickt Richtung Bucht und Richtung Gärten, in denen sich der „Aralar basoa koloretan“, der „Aralar Wald in Farben“ befindet. Dieses Werk ist bereits vom Ondarreta-Strand aus zu sehen. Die Bäume im Garten sind dargestellt durch Stützbalken und alten Dachträgern aus Bauernhäusern. Der leidenschaftliche Sammler Gorriti hat sie über Jahre hinweg gesucht und aufbewahrt.

Ganz in der Nähe befindet sich „Zurginaren txalaparta“, des TischlersTxalaparta. Eine traditionelle Txalaparta besteht aus drei auf Böcken liegenden Holzbalken unterschiedlicher Dicke, die von zwei Personen mit vier Holzklöppeln geschlagen werden und eine ganz besondere Tonkulisse schaffen (5). Diese Tischler-Txalaparta wurde hergestellt aus alten Zimmermanns-Werkzeugen. Auf der Grünfläche Richtung Strand und über dem Straßentunnel liegt quer ein langer blauer Balken, auf dem auf Eisenstäben montierte bunte Hobel tanzen. Daneben erhebt sich „Baratz meta“, (Garten-Raum). Dabei handelt es sich um eine runde Konstruktion von 8 Metern Durchmesser, die von bunten Brettern umsäumt ist. In ihr stehen alte Stühle und Schränkchen, an der Decke aus Drahtgittern hängen Gegenstände aller Art: Bücher, Pullover, Eimer, Schüsseln und ein Fahrrad. Die Besucherinnen können sich in das Werk selbst begeben und von innen ihre Beobachtungen anstellen, anfassen ist hier kein Problem, vielleicht sogar gewollt, hier dürfen auch Regen und Sonne einwirken. Aus ein paar Metern Entfernung macht das Ganze den Eindruck einer phantasievollen Erdkugel. Im hinteren Teil der Gärten, auf der anderen Seite des Palastes, steht das Werk „Gerrarik ez“ (Nein zum Krieg), es besteht aus verkohlten Hausbalken, einige tatsächlich verbrannt, andere vom Künstler. Die Botschaft dieses Werkes ist: „Ja zu Frieden und Freiheit“.
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Im Palast

Auch im Palast und unter seinen Vordächern ist Kunst zu sehen. An einer der Eingangstüren steht das Werk „Malatxalaparta”, ein langer ebenfalls blauer Stamm, auf dem vier große urzeitliche Schneebesen emporragen, sie erinnern an Werkzeuge, die von den baskischen Hirten der Steinzeit zum Rühren von Milch und zur Anfertigung von Käse benutzt wurden. Im Innern des Palastes ist eine große Zahl von Kunstwerken an den Wänden aufgehängt, dazwischen ist zeitweise ein Kunsthandwerks-Markt aufgebaut. Bei Gorritis Werken handelt es sich um kleine Skulpturen aus der Topaketak-Serie (Treffen), herausragend das Wandgemälde „Gure tallerra“ (Unsere Werkstatt), zu dem Arbeitsinstrumente gehören, verschiedene Kleidungsstücke des Künstlers und Kinderschuhe, die darstellen, dass Gorriti seit jeher eine starke Verbindung mit den Kleinen hatte.

An den Wänden des Flurs und verschiedener Säle hängen Bilder mit Papierfiguren, die von Juan Barbe manuell angefertigt wurden. Daneben Zeichnungen in lebendigen Farben, im Zentrum die große Installation „Lur ganbara“ (Erd-Speicher), die aus der Küchenwerkstatt von Roberto Ruiz stammt, dem Chef des Frontón-Restaurants in Tolosa. Auf der hinteren Terrasse, mit Blick auf „Nein zum Krieg“ hat Gorriti eine Reihe von Kästen an Schnüren aufgehängt, mittendrin eine blaue Gitarre. Dieser Raum ist bezeichnenderweise dem Musiker, Künstler und Arzt Mikel Laboa (1934-2008) gewidmet, die Gitarre war bei der Gedenkveranstaltung für Laboa im Victoria Eugenia-Theater aufgestellt worden. (6)

Der Ort der Ausstellung könnte kaum besser gewählt sein: erhaben über der Concha-Bucht von Donostia, von Weitem sichtbar, für alle zugänglich ohne Eintritt und mit der Möglichkeit, Kunst auch einmal anzufassen. Nach dem Sommer wird die Ausstellung, die Wandercharakter haben soll, im Oktober nach Bergara reisen, zwischen November und Januar 2017 wird sie in Wales zu sehen sein.
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Juan Gorritis Biografie

Juan Gorriti wurde 1942 im navarrischen Oderitz geboren. Lange arbeitete er als Zimmermann, bevor er sich der Bildhauerei widmete. Bei diesem Weg vom Holz-Handwerker zum Künstler ist es kein Wunder, dass der Naturstoff aus den Wäldern in Gorritis Schaffen das Hauptelement darstellt. Im Jahr 1975 präsentierte er in Arribe seine erste Ausstellung, danach folgten zwanzig weitere, sowohl kollektive Schauen wie individuelle. Bei seiner Arbeit greift Gorriti häufig auf gebrauchte Gegenstände zurück und versucht, die Formen und Bräuche seiner ländlichen Umgebung aufzugreifen und darzustellen. Gorriti versteht Bildhauerei und Kunst als Medium, sich mit zeitgenössischen Problemen auseinanderzusetzen. Eines seiner Werke ist in Bilbo im Ametzola-Park zu sehen. Es handelt sich um eine große Skulptur, ein Kalkstein von 50 Tonnen, verbunden mit den Resten eines alten Kastanien-Baums von 5 Tonnen, eine Einheit, die von 5 Tonnen Eisen zusammengehalten wird. Das etwa 5 Meter hohe Werk trägt den Namen „Bidea“ (Weg) und ist dem 1984 in Bilbo ermordeten linken Arzt und Politiker Santiago Brouard gewidmet. Zu seiner Farb-Vorliebe sagt Juan Gorriti: „Blau ist die Farbe, die ich fühle, ich habe sie gelebt seit ich klein war“. Zu seiner Biografie: „Ich bin der Sohn eines Waldarbeiters, ich wurde in den Bergen geboren … Mein Volk und die Natur, die mich umgibt, sehe ich als große Galerie ohne Türen. Die große Künstlerin ist für mich die Natur selbst, die Umgebung, in der ich lebe. In meinen Werken seht ihr die vierte Dimension, die Zeit, die Notwendigkeit und die Natur“. (7)

ANMERKUNGEN:

(1) „Aralar itsasmira“ – „Meeresblick Aralar“, ist der Titel von Juan Gorritis Ausstellung, Aralar ist ein Bergmassiv zwischen Gipuzkoa und Navarra, das keine Meerverbindung hat, von dessen höchsten nördlichen Gipfeln der Atlantik jedoch zu sehen ist.

(2) Der Miramar-Palast wurde 1893 im Auftrag des spanischen Königshauses gebaut, traditionell war Donostia seit Ende des 19. Jhs. der Ort, in dem Mitglieder der Königsfamilie den Sommer verbrachten. 1931 wurde das Gebäude von der Republik beschlagnahmt und ging in die Hände der Stadtverwaltung über. Während des Franquismus ging es zurück an die (nicht mehr existierende) Monarchie und wurde 1963 verkauft. Im Palast finden kulturelle Veranstaltungen sowie die baskische Sommeruniversität statt. Bis zur Fertigstellung der neuen Musikakademie Musikene im Sommer 2016 hatte die Insitution hier ihren vorübergehenden Sitz.

(3) Remigio Mendiburu (1931-1990), baskischer Bildhauer, mit Basterretxea, Chillida, Oteiza und anderen zusammen Mitglied der avantgardistischen Künstlerinnen-Gruppe GAUR. Mikel Laboa (1934-2008), baskischer Arzt, Liedermacher und Künstler, der mit seiner Arbeit im Franquismus begann. Jorge Oteiza (1908-2003) gilt als der Vater der baskischen modernen Kunst, unumstrittene Referenz in der baskischen Kunst-Philosophie.

(4) Bergmassiv Aralar, zwischen Gipuzkoa und Navarra, Naturschutzgebiet mit Gipfeln von 1.400 Metern, Standort des Klosters San Miguel de Aralar, viele Höhlen und prähistorische Begräbnisstätten.

(5) Txalaparta ist ein baskisches Perkussionsinstrument aus einem Satz von über einem Baumstamm gespannten Klanghölzern, ähnlich der rumänischen toaca und dem griechischen semantron. Es wird mit 50 cm langen Stöcken (baskisch: makilak) geschlagen. Ähnlich dem Xylophon erklingt je nach Anschlag ein anderer Ton. Das Txalaparta-Spiel begleitet in der baskischen Volksmusik oftmals andere Instrumente, wie zum Beispiel das Trikitixa-Akkordeon.

(6) Der vorliegende Artikel geht zurück auf eine Publikation in der baskischen Tagsezeitung Deia vom 5. Juli 2016: „Gorriti lleva su casa a Donostia“ (Gorriti bringt sein Haus nach Donostia)

(7) Die Webseite arte1512 bezieht sich auf künstlerische Aktivitäten zum Anlass des 500. Jahrestages der militärischen Eroberung und Zerschlagung des baskischen Königreichs Navarra durch die kastilische Monarchie. (Link)

FOTOS:

(*) alle Fotos stammen aus der Ausstellung Juan Gorriti im Rahmen des Programms Europäische Kulturhauptstadt 2016 in Donostia, San Sebastián (Foto Archiv Txeng – FAT)

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