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Textilkunst, Weberei und Grafik

Das Lebenswerk der deutsch-amerikanischen Textilkünstlerin Anni Albers ist Gegenstand einer Ausstellung im Guggenheim Museum Bilbao. Die Schau umfasst sieben Jahrzehnte von Werken der Künstlerin, die als Anneliese Fleischmann im Jahr 1899 in Berlin geboren wurde und aufgrund der Verfolgung durch die Nazis in die USA emigrierte. Dort unterrichtete sie Weberei am Black Mountain College in North Carolina und arbeitete bis zu ihrem Tod 1994 als Textilkünstlerin und Grafikerin in Orange, Connecticut.

Die Deutsch-Amerikanerin Anni Albers (1899-1994) war eine bekannte Textilkünstlerin, Weberin und Grafikerin. Als Künstlerin und Lehrerin war sie beim Bauhaus aktiv, musste vor den Nazis in die USA fliehen, wo sie als Professorin und Künstlerin tätig war.

anni02Anneliese Fleischmann wurde in Berlin-Charlottenburg geboren. Ihr Vater war Möbelfabrikant, ihre Mutter stammte aus der deutsch-jüdischen Verlegerfamilie Ullstein. Bereits während der Schulzeit erhielt Anni privaten Kunstunterricht. In Sten Nadolnys „Ullsteinroman“ heißt es: „Anni … wollte Bohémienne sein, Revolutionärin, Künstlerin.“ Im Alter von siebzehn Jahren begann sie eine dreijährige Ausbildung im Bereich Malerei und Plastik in Berlin. Nachdem sie, als Frau in der Kunst, keine Zulassung an die Dresdner Akademie für Malerei erhielt, ging sie 1919 nach Hamburg an die Kunstgewerbeschule. (1)

1922 begann sie schließlich ein Studium am Staatlichen Bauhaus in Weimar wo sie sich rasch der Weberei zuwandte. Ab Mitte der zwanziger Jahre richtete sich die Weberei des Bauhauses zunehmend auf die industrielle Verwertbarkeit von Textilien. In diesem Zusammenhang ist die Diplomarbeit der Künstlerin zu sehen, die sie 1929/30 fertigstellte. Sie entwickelte hierfür einen Spannstoff: „ein lichtreflektierendes, schalldämpfendes und leicht zu reinigendes Material aus Baumwolle und Cellophan für die Fenster einer Aula“.

1925 heiratete Anni Fleischmann den Künstler und Kunstpädagogen Josef Albers, der Meister des Bauhaus-Grundkurses war. Nachdem die Künstlerin ihre Abschlussarbeit fertiggestellt hatte, übernahm sie 1931 vorübergehend als Nachfolgerin von Gunta Stölzl die Leitung der Weberei am Bauhaus und unterrichtete in Dessau.

Nach der Machtergreifung Hitlers im Jahre 1933, musste das inzwischen nach Berlin übergesiedelte Bauhaus endgültig schließen. Gemeinsam mit ihrem Mann emigrierte die Künstlerin in die USA. Am Black Mountain College, North Carolina lehrte sie von 1939 bis 1949 als Assistant Professor Weberei. Zudem arbeitete sie als selbständige Textildesignerin von handgewebten und maschinell gefertigten Stoffen.

anni03Mehrfach reiste das Ehepaar nach Mexiko und Südamerika um die traditionellen Webmuster und –techniken der dort lebenden Völker zu studieren. Diese Muster hatten fortan großen Einfluss auf ihre künstlerische Arbeit, sowohl auf die Arbeit mit Stoffen und Webrahmen als auch auf ihre grafischen Arbeiten.

In den 1960er Jahren verabschiedete sich Anni Albers immer mehr von der Weberei, da sie diese angesichts der technischen Produktionsprozesse für eine mittlerweile überholte angewandte Kunst hielt und wandte sich der abstrakten Grafik zu. 1961 wurde sie vom American Institute of Architects (AIA) für ihre handwerkliche Arbeit mit einer Goldmedaille geehrt.

Die Bilbao-Ausstellung

Die Ausstellung mit dem Titel „Anni Albers: tocar la vista", umfasst mehr als 180 Werke aus 70 Schaffensjahren der Künstlerin. Zusammengestellt wurde die Auswahl an Kunstwerken vom Guggenheim-Museum Bilbao, in Zusammenarbeit mit der Stiftung Josef und Anni Albers in Connecticut. Ausgestellt sind unter anderem Werke, die der Öffentlichkeit nie zuvor gezeigt worden waren und direkt aus dem Besitz der Albers-Stiftung stammen. Daneben sind Werke zu sehen, die von mehreren Museen in den USA zur Verfügung gestellt wurden. (2)

Die in chronologischer Zeitfolge aufgebaute Ausstellung führt von den frühen Werken Anni Albers in den zwanziger Jahren bis hin zu ihren letzten künstlerischen Arbeiten Ende der 80er Jahre in den USA. Ausstellungskommissar Manuel Cirauqui hob das Werk mit dem Titel „Epitafio" besonders hervor, erstellt im Jahr 1968 aus Leinen, Plastik, Wolle und Baumwolle. Es handelt sich um die letzte Arbeit, die die Künstlerin, bereits 69jährig, mit ihren eigenen Händen schuf, eine Art Abschlusswerk ihrer Karriere als Weberin.

Danach widmete sich Anni Albers ausschließlich der Grafik, deren Technik deutlich weniger körperliche Anstrengung verlangt als die Arbeit am Webstuhl. Ob in grafischer Hinsicht oder in der Textilarbeit, in beiden Bereichen schuf Albers Werke großer abstrakter Schönheit. Ihre Kunst wurde stark inspiriert von der Bewunderung des Kunsthandwerks der präkolumbischen Kulturen. Diesen Einfluss übertrug sie in den Bereich moderner Künste, mittels geometrischer Zeichnungen abstrakten Charakters und durch die Kombination von Stoff, Plastik und Metall in vielen ihrer Gestaltungen, die Werke von zerbrechlich wirkender Schönheit und Originalität zum Ergebnis hatten.

Die aktuelle Ausstellung umfasst Werke aus beiden künstlerischen Phasen, der frühen und der späten. Die Entwicklung des kreativen Denkens der Künstlerin wird dabei mehr als deutlich. Die Auswahl von Werken aus der Bauhauszeit beinhalten sowohl Zeichnungen zur späteren Umsetzung auf Textil (einige davon hat sie erst Jahrzehnte später realisiert oder teilweise re-produziert), als auch viele Beispiele ihrer Forschungsarbeiten für die Entwicklung schlichter und funktionaler Gewebe.

anni04Andererseits zeigen die während der 40er Jahre geschaffenen Werke einen freieren Geist, beeinflusst durch das Leben inmitten der Kunstgemeinde des Black Mountain College, wo die zuvor rationalistischen Konzepte eine unerwartete und intuitive Lyrik entfalten. In dieser Zeit prägt Albers den Begriff des Stoffgemäldes, womit sie sich auf die Wandteppiche bezieht, die sie in Handarbeit auf ihrem Webstuhl herstellt. Was die Formen betrifft, ist ein Übergang von rechten Winkeln zu freieren Motiven zu beobachten, bei denen die Textur direkt mit der Farbe in Dialog tritt und teilweise spirituelle Visionen oder imaginäre Landschaften heraufbeschwört. Diese Auswahl von Werken wird ergänzt durch einige Arbeiten, die Albers in den fünfziger Jahren entwickelte und durch einen Bereich, der die stimulierenden Reisen mit Ehemann Josef nach Lateinamerika dokumentiert und einige antike Textilien zeigt, die das Paar auf Reisen erworben und in privater Sammlung aufbewahrt hat.

Texte und Stoffe: der Weg des Fadens

Die vibrierende US-amerikanische Kunstszene war ein entscheidender Faktor für ihre Öffnung hin zu neuen Formen und Praktiken und führte zur Konsolidierung ihrer Webkunst. 1949 fand ihre Arbeit als Künstlerin Anerkennung in einer großen und ihr allein gewidmeten Ausstellung im Museum of Modern Art in New York, MOMA. Diese Werkschau machte im Anschluss eine lange Reise durch viele Museen der Vereinigten Staaten.

anni05Nach ihrem Umzug nach New Haven, Connecticut, wo Anni Albers den Rest ihres Lebens verbrachte, kombinierte sie weiterhin künstlerische Tätigkeit mit pädagogischer Arbeit und schrieb parallel dazu einige grundlegende Texte zur modernen Textilkunst. Dieser Teil der Ausstellung besteht aus einer Auswahl ihrer späteren Wandbilder, die neue grafische Motive aufweisen, an antike Schriften erinnern und zu einer rhythmischen Lektüre inspirieren. Die Werke sind Mischungen zwischen Text und Stoff, zwischen Leinwand und Buchseite, vereinigt in einem Medium, das Komplott und Verkettung bedeutet. In dieser Weise experimentierte Anni Albers bis sie die Weberei im Jahr 1968 definitiv aufgab.

Parallel dazu hatte die Künstlerin damit begonnen, das Papier ihrer Zeichnungen und Gouache-Malerei, mit denen sie die Arbeiten am Webstuhl vorbereitete, neu zu überdenken. Ihre Experimente mit grafischen Techniken führten im Jahr 1964 zu ihrer ersten wichtigen Lithografieserie unter dem Titel Line Envolvements. In den verschiedenen Techniken der Druckgrafik fand Albers einen neuen Spielraum visueller Forschung, der letztlich ihre Textilarbeit komplett ersetzte. Dieser ersten Serie ist eine Auswahl von Skizzen und Schaubildern beigefügt, sowie einige Fotos, die im Zusammenhang mit Anni Albers theoretischen Ausführungen stehen wie zum Beispiel ihrem Buch über das Weben „On Weaving“ aus dem Jahr 1965.

Reflexion und Verteilung: das grafische Terrain

Mittels Aguatinta, Lithografie, Siebdruck und Offset-Technik konnte die Künstlerin visuelle Konzepte studieren, die bereits in ihren Textilarbeiten vorhanden waren. Ihre Experimente mit verschiedenen chemischen Prozessen von Druckverfahren verliefen parallel zu ihrer Mitarbeit in den bekanntesten Druckereien jener Zeit. Auf diese Weise fand sie ein Mittel zur Reflexion über ihr gesamtes Werk, was sie mit dem Portfolio „Connections“ zum Ausdruck bringt. Darin präsentiert sie eine Synopse der großen visuellen Errungenschaften von fast sechzig Jahren Arbeit.

anni06Mit dem Druckverfahren fand Albers das ideale Element um neue kompositorische Muster und fast unendlich viele visuelle Variationen auszuprobieren. Auf der Suche nach neuen und komplexeren grafischen Strukturen zwischen Linie und Faden, zwischen Zeichnung und Stoff, griff sie häufig auf dreieckige und rhomboide Figuren zurück. Diese Formen wechselten sich mit verschlungenen Linien ab, manchmal benutzte sie auch die Metapher eines Labyrinths oder formte Knoten und wirre Fadenknäuel. Ihre Entwürfe wurden immer öfter zu Vorlagen für größere Produktionen, die von verschiedenen Fabrikanten übernommen wurden. An dieser Praxis hält die Josef and Anni Albers Foundation auf ausdrücklichen Wunsch der Künstlerin bis heute fest.

Über diese Zusammenarbeit mit der Industrie wollte Albers ihre Gestaltungen auch einem größeren Publikum zugänglich machen und blieb damit dem Gedankengut der Bauhaus-Philosophie treu, die dafür eintrat, dass Kunst einen Platz im Lebensalltag der Menschen haben sollte und Kunstwerke mit Hilfe industrieller Fertigung als Prototyp für Alltagsgegenstände dienen sollten. Diese Art von Demokratisierung der Kunst und eine implizite Kritik des kreativen Individualismus kommen in dieser letzten Schaffensphase der Künstlerin deutlich zum Ausdruck.

Die Ausstellung mit dem Titel „Anni Albers: Tocar la vista“ ist vom 6. Oktober 2017 bis 14. Januar 2018 zu sehen im Guggenheim Museum Bilbao.

ANMERKUNGEN:

(1) Die biografischen Daten Anni Albers sind eine Zusammenfassung aus Wikipedia (Link)

(2) Die Information zur Ausstellung ist eine Übersetzung der Information der Pressemappe des Guggenheim-Museums (Link)

ABBILDUNGEN:

(1) Albersfoundation.org

(2) Anni Albers (Wikimedia)

(3) Albersfoundation.org

(4) Albersfoundation.org

(5) Albersfoundation.org

(6) Albersfoundation.org

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