Kreativer Dialog zweier Giganten
Die Ausstellung "Jorge Oteiza und Eduardo Chillida. Dialog in den 50er und 60er Jahren" ist seit Februar 2022 im Museum San Telmo von Donostia zu sehen. Zum ersten Mal werden Werke der beiden baskischen Künstler, die zu den wichtigsten Vertretern der europäischen Bildhauerei des 20. Jahrhunderts gehören, gemeinsam ausgestellt, zwei Jahrzehnte nach ihrem Tod. Die Kunstschau zeigt Parallelen und Differenzen im künstlerischen Schaffen, sowie zwei unterschiedliche, wenn nicht gegensätzliche Charaktere.
Vom 9. Februar bis 2. Oktober 2022 ist im San-Telmo-Museum von Donostia (span: San Sebastian) eine Ausstellung über die beiden bedeutendsten baskischen Bildhauer des 20. Jahrhunderts zu sehen: Ausstellung "Jorge Oteiza und Eduardo Chillida. Dialog in den 50er und 60er Jahren".
Dass die Biografien zweier Bildhauer von Format in derselben Zeit und der gleichen Region zusammentreffen, ist statistisch gesehen äußerst unwahrscheinlich. Jorge Oteiza und Eduardo Chillida stellen eine Ausnahme dar. Die Ausstellung "Jorge Oteiza und Eduardo Chillida. Der Dialog in den 1950er und 1960er Jahren", mit mehr als 120 Skulpturen, Dokumenten, Briefen, Fotografien und Videos stellt die beiden Größen der baskischen Kreativität gegenüber. (1)
Die von einer valencianischen Stiftung organisierte und von Javier González de Durana zusammengestellte Ausstellung gibt einen Überblick über mehr als zwanzig Jahre künstlerischer Entwicklung. Die beiden Bildhauer unterhielten eine enge kreative Verbindung, die erst durch persönliche Kontroversen unterbrochen wurde. Fünfundzwanzig Jahre nach der Wiederversöhnung, der sogenannten "Zabalaga-Umarmung", wird das bildhauerische Erbe der beiden wichtigsten Künstler, die das Baskenland hervorgebracht hat, zum ersten Mal gemeinsam im Baskenland ausgestellt.
Was lange Zeit wie ein unmögliches Unterfangen erschien – die Werke der beiden Künstler, die nach dem Ende ihrer Freundschaft lange und heftig zerstritten waren, in einem Raum zusammenzubringen – wurde im Jahr 2021 endlich möglich gemacht. Mit von der Partie waren Oteizas Altzuza-Museum und Chillidas Skulpturen-Park (Chillida-Leku in Hernani), sowie Werke aus öffentlichen und privaten Sammlungen, unter anderem aus dem Guggenheim und dem Museum der Schönen Künste in Bilbao, dem Artium in Vitoria und dem Museum Reina Sofía in Madrid. (1)
Dominante Persönlichkeiten
Die unterschiedlichen Charaktere von Jorge Oteiza (1908-2003) und Eduardo Chillida (1924-2002) werden gleich zu Beginn der Ausstellung deutlich. Ein Bild zeigt den Künstler aus Orio (Oteiza), der "im Geist eine Theorie ausarbeitet, während er über das von ihm geschaffene Werk nachdenkt". Gleichzeitig sehen wir den Kreativen aus San Sebastian (Chillida) in Aktion. "Er war ein aktiver Mann, der gegen Feuer, gegen Natur, mit Schlägen, Kraft und Geschicklichkeit kämpfte", sagt González de Durana, Kurator der Ausstellung. (2)
"Mit derart gegensätzlichen Charakteren ausgestattet ist es kein Wunder, dass sich Oteiza und Chillida bei ihrem Schaffen sehr unterschiedlich vorgingen. Auch wenn die Themen, für die sie sich interessierten, durchaus ähnlich waren: Raum, Licht, Spiritualität, visuelle Klangfülle. Doch trotz gewisser formaler Ähnlichkeiten könnten ihre ursprünglichen Motivationen und letztendlichen Absichten unterschiedlicher gar nicht sein", so der Kurator.
"Oteiza hatte eine Theorie und schuf ganze Familien von Skulpturen mit verschiedenen Nuancen, um seine Gedanken zum Ausdruck zu bringen. Chillida begann jede Skulptur ohne genaue Ausgangs- oder Zielpunkte. Erst nach Fertigstellung des Werks entdeckte er die darin enthaltene Botschaft. Oteizas feuriges Temperament führte zu gemäßigten Werken mit der wissenschaftlichen Kälte eines Labors, während Chillidas ruhige Gelassenheit Werke hervorbrachte, die ein feuriges Inneres zu enthalten scheinen, das aufsteigt und die Luft durchquert wie stehengebliebene Flammen oder Stein gewordene Blitze". (2)
Die Gegenüberstellung
Die Kriterien für die Anordnung der Skulpturen in der Ausstellung sind zeitliche Nähe, formale Nähe und konzeptionelle Nähe. Während in den ersten Ausstellungs-Räumen die Werke der Künstler einander räumlich entgegengestellt sind, werden sie ab dem dritten Raum miteinander vermischt.
González de Durana gliedert die Ausstellung in neun Abschnitte. Sie beginnt mit einer Einleitung, die Oteizas "Laocoonte" und Chillidas "Oyarak I" gegenüberstellt: das erstgenannte Werk aus Nussbaumholz, das zweite aus Eisen, beide aus dem Jahr 1954. Die ersten beiden Abschnitte stellen die Werke der beiden Künstler gegenüber, ab dem dritten Abschnitt werden sie vermischt und nebeneinander gezeigt. (1)
Die Ausstellung konzentriert sich auf das künstlerische Schaffen der beiden Künstler über zwei Jahrzehnte hinweg, insbesondere auf ihre Arbeit zwischen 1948 und 1969, entscheidenden Jahren in ihrem Leben. 1948 kehrte der aus Orio stammende Oteiza von einem dreizehnjährigen Aufenthalt in Lateinamerika zurück, den er hauptsächlich als Hochschullehrer verbracht hatte, ohne jedoch jemals seine bildhauerische Arbeit aufzugeben. Im selben Jahr ging der 24-Jährige Chillida (Donostia) nach Paris, nachdem er sein Architektur-Studium abgebrochen und sich entschlossen hatte, Bildhauer zu werden. (2) Oteiza beendete 1969 seine 1951 begonnene und vier Jahre später auf Anordnung des Vatikans (aus politischen Gründen) gestoppte Arbeit an den Fassaden-Statuen für das Kloster von Arantzazu. Im selben Jahr wurde das erste große öffentliche Werk Chillidas in Europa aufgestellt, vor dem UNESCO-Gebäude in Paris.
Die Ausstellung schließt mit mehreren Werken von Oteiza und Chillida in Stein. Bis zu diesem Punkt können die Besucher*innen die parallelen, wenn auch in entgegengesetzte Richtungen verlaufenden Wege der beiden Künstler aus Gipuzkoa bewundern, die trotz ihrer sehr unterschiedlichen Charaktere Jahrzehnte lang eine herzliche und fruchtbare Freundschaft pflegten: Während der Bildhauer aus Orio sich durch das Beinahe-Verschwinden seiner Gestaltungen und seine Erkundungen der Leere auf den Abschluss einer Etappe seines bildhauerischen Gesamtwerks zubewegt, nimmt der Künstler aus San Sebastián nach und nach immer größere Formate an. Beide suchen und forschen, doch der eine experimentiert, der andere schreitet voran. Deshalb überwiegen Oteizas essayistische Arbeiten in kleineren Formaten im Gegensatz zu den von Chillida produzierten Skulpturen. (1)
Die Ausstellung
Der Rundgang beginnt mit mehreren Werken, die das Interesse beider Künstler am menschlichen Körper zeigen. Etwas dramatischer, existenzialistischer und von Henry Moore beeinflusst im Fall von Oteiza; körperlicher, von vorklassischen Skulpturen geprägt bei Chillida. "Oteiza führt den Raum ein, Chillida gestaltet ihn", so der Kurator. "Oteiza interessierte sich nicht für die Form, sondern für den Raum, der die Form schafft". Bemerkenswert sind die Schattenspiele, die Chillida mit seinen Werken erzeugt, indem er ihre Silhouetten an der Wand spiegelt. (2)
Die Ausstellung umfasst mehrere Repliken und Skizzen der Apostel, die Oteiza für die Basilika von Arantzazu geschaffen hat. Daneben einige Werke, die aus Oteizas Museum in Altzuza gebracht wurden – immerhin das erste Mal, dass die Skulpturen dieses eigens von Oteiza geschaffene Museum verlassen, in Altzuza hatte er zuletzt seine Ateliers. "In Arantzazu haben die beiden einige ihrer besten Werke aus der ersten Hälfte der 1950er Jahre geschaffen“. Konkret entstanden alle in der Zeit von 1955 bis 1956. (2)
Kloster Arantzazu
Die Arantzazu-Werke der beiden Künstler in der Basilika des Klosters (bei Oñati) bilden den Mittelpunkt der Ausstellung. Dabei werden zwei Apostel von Oteiza (der Heilige Petrus und der Heilige Paulus) zwei Türen von Chillida (die zum ersten Mal Arantzazu verlassen) einander gegenübergestellt. Chillidas Türen zeichnen sich aus durch geometrische Abstraktion, was der Künstler "Eisen schneiden" nannte. Oteizas Statuen sind Ausdruck von tragischem Existenzialismus und Ausgangspunkt seiner "räumlichen Untersuchungen". (1)
Die oft gestellte Frage "Was bedeutet diese Skulptur?", die sich in diesem Fall auf die Werke der beiden Kunstschaffenden bezieht, wird in der Ausstellung beantwortet. Die Kunstschau zeigt deutlich, dass die Anstrengungen das Ergebnis derselben Suche mit unterschiedlichen Mitteln waren. Die Titel von Chillidas Skulpturen – “Geist der Vögel“, “Der Kamm des Windes“, “Gerücht der Grenzen“ – zeigen eine romantische Verbindung mit Träumen und Poesie. Sie stehen im Gegensatz zu den fast wissenschaftlichen Inschriften von Oteiza: “Fusion mit drei offenen Körpern“, “Räumliche Rotation mit der Malewitsch-Einheit“ oder “Leere Konstruktion mit vier flachen Positiv-Negativ-Einheiten“. Eine Variante jenes letztgenannten Werks ist in monumentalem Maßstab am Donosti-Strand Zurriola am Paseo Nuevo zu sehen. (1)
Ihren kreativen Höhepunkt erreichten Chillida und Oteiza Ende der 1950er Jahre. Oteiza begann und vollendete seine räumlichen Untersuchungen, die er als “experimentelle Absicht“ bezeichnete. Chillida begann, Eisen zu schneiden, um eine spezielle romantische Sprache zu schaffen, die der informellen Kunst nahesteht. Die im Kürzel “Informel“ genannte Tendenz ist ein Sammelbegriff für die Stilrichtungen der abstrakten (im Sinne von nicht-geometrischen, gegenstandslosen) Kunst aus den europäischen Nachkriegsjahren, die ihre Ursprünge im Paris der 1940er und 1950er Jahre hatte. (2)
Entwicklungen
Die 1950er und 1960er Jahre waren eine Zeit, in der beide Künstler eine parallele Entwicklung ihrer jeweiligen künstlerischen Laufbahn erlebten. Gleichzeitig beteiligten sie sich – mitten im Franquismus – an kulturellen Projekten und politischen Initiativen zugunsten anderer Künstler. Sie engagierten sich für regimekritische Bewegungen und unterhielten untereinander eine enge persönliche Beziehung.
Die Ausstellung zeigt Fotografien der beiden zusammen, sowie einen in Super-8 aufgenommenen Film, daneben verschiedene Dokumente. Zum Beispiel einen Brief von Chillida an den Direktor der Minneapolis School of Art, in dem er die Einstellung von Oteiza als Lehrer empfiehlt, und dessen Intelligenz und pädagogischen Qualitäten lobt. Die Werkschau ist eine Adaption einer vorherigen, die vom 5. November 2021 bis zum 6. März 2022 im valencianischen Sitz der Bancaja-Stiftung zu sehen war. Sie wurde an die räumlichen Gegebenheiten des Museums San Telmo angepasst, das in diesem Jahr sein 120-jähriges Bestehen feiert. Neben den künstlerischen Werken wird der Rundgang durch Dokumente über kulturelle Projekte, politische Anliegen und Initiativen der beiden Protagonisten ergänzt, die den Geist der Zeit widerspiegeln. (2)
Zerwürfnisse
Dann kamen die öffentlich ausgetragenen Differenzen, die erst Jahre später mit der bekannten “Umarmung von Zabalaga“ beigelegt wurden und von der einige der damals Anwesenden sagen, sie sei nicht so echt gewesen, wie sie dargestellt wurde. Jahrzehnte später treffen in dieser Ausstellung die Werke von zwei der größten baskischen Bildhauer aufeinander: Eduardo Chillida und Jorge Oteiza.
Die Ausstellung ist bis zum 2. Oktober 2022 zu sehen. Die Besuchszeiten sind von 10.00 bis 20.00 Uhr, von Dienstag bis Sonntag. Der Eintritt beträgt 6 Euro, an der Kasse und online.
ANMERKUNGEN:
(1) “Chillida y Oteiza: el abrazo de San Telmo“ (Chillida und Oteiza: die Umarmung von San Telmo), Tageszeitung Diario Vasco, 2022-04-08 (LINK)
(2) “El Museo San Telmo, testigo del diálogo creativo entre Oteiza y Chillida” (Das Museum San Telmo, Zeuge des kreativen Dialogs zwischen Oteiza und Chillida), 2022-04-09 Tageszeitung Gara (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Oteiza-Chillida (masdearte)
(2) Oteiza-Chillida (san telmo)
(3) Oteiza-Chillida (gara)
(4) Oteiza-Chillida (diario vasco)
(5) Oteiza-Chillida (diario vasco)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-04-12)