Hoffen auf den neuen Gemeinde-Verbund
Im Baskenland beherrschen viele Menschen die baskische Sprache, benutzen sie aber dennoch nicht. Dieses Phänomen wiederholt sich in allen sieben historischen Baskenland-Provinzen, nördlich und südlich der Pyrenäen. In den drei Provinzen von Iparralde, dem sog. französischen Baskenland ist die Situation umso dramatischer: nur 20% der 300.000 Einwohnerinnen beherrschen die baskische Sprache. Dazu genießt das Euskara (mit Ausnahme der Ikastola-Privatschulen) in dem Gebiet keinerlei legalen Status.
In einem Land wie Frankreich, das neben der Staats-Sprache keine weiteren offiziellen Sprachen duldet, hat es das von wenigen Personen gesprochene Euskara besonders schwer. Der neu geschaffene Gemeinde-Verbund ist Hoffnungsschimmer.
Französisch ist die einzige offizielle Sprache der Republik, die sogenannten Minderheiten-Sprachen werden gerade einmal als Kulturerbe anerkannt – soviel zum Status historischer Idiome wie Bretonisch, Korsisch, Okzitanisch, Gaskognisch, Katalanisch und Baskisch. (1)
Ende des 20. Jhs. wurde vollends klar, dass die familiäre Transmission der baskischen Sprache an ihr Ende gekommen war. Denn die Mehrheit der „Vascophonen“ (Baskisch-Sprachigen) im nördlichen Teil des Baskenlandes sind über 60 Jahre alt (im baskischen Süden – Hegoalde – werden die Baskisch-Sprachigen „euskaldun“ genannt).
Seit einigen Jahren lernt die Hälfte der Iparralde- Schülerinnen in der ersten Schulphase ausschließlich auf baskisch oder in zweisprachigen Schulmodellen. Diese positive Feststellung ist den Privatschulen geschuldet, die sowohl in Iparralde wie in Hegoalde weit verbreitet sind. Es handelt sich um Schulen, in denen die Eltern einen aktiven Part innehaben, in denen Schulgeld bezahlt wird und die staatlich anerkannt sind. Doch findet diese positive Tendez bereits in der zweiten Schulphase ihr Ende, wenn es Richtung Abitur geht. Denn für diese Phase wählen die meisten Eltern oder Schülerinnen Schulmodelle, die ausschließlich die Sprache von Molière benutzen.
In Erwartung der Ergebnisse der nächsten sozio-linguistischen Umfrage, die in Kürze vorgestellt werden soll, setzen die Euskaltzales (die Freundinnen des Euskara) hoffnungsvoll auf den neu gegründeten Gemeinde-Verbund (spanisch: mancomunidad única, wörtlich: ausschließlicher Gemeinde-Verbund), dessen Existenz am 1. Januar 2017 begann. Eine darin integrierte neue Behörde soll dem Euskara die notwendigen Impulse verleihen. Das hofft auch Argitxu Etxandi von der Euskara-Förder-Organisation Kontseilua (Rat), sie versichert, die neue Institution müsse zum Motor der Förderung der baskischen Sprache werden.
Dringlichkeit
Jean René Etchegaray, Bürgermeister von Baiona (frz: Bayonne) und Mitte-Rechts-Politiker gilt als aussichtsreichster Kandidat als Präsident für den Gemeinde-Verbund. Er hat mehrfach deutlich gemacht, dass das Euskara und die baskische Kultur tragende Säulen dieser Institution sein werden, die zum ersten Mal seit dem Ende des navarrischen Königreichs die Provinzen Lapurdi, Nieder-Navarra und Zuberoa ausschließlich in einer Behörde vereinigt. Verwaltungstechnisch gehören sie wie bisher zum Departement Pyrénées Atlantiques (Atlantische Pyrenäen). Bisher waren die drei Provinzen mit dem Bearne-Gebiet in der Region Aquitaine (Aquitanien) vereinigt. Schon lange wurde aufgrund der sprachlichen und kulturellen Besonderheit eine eigene exklusive Verwaltungseinheit gefordert – dies ist im vergangenen Jahr geschehen, als sich in einer Urabstimmung unter allen Iparralde-Gemeinden eine große Mehrheit für die Gründung eines Gemeinde-Verbands aussprach. Für den konservativen Etchegaray ist klar, dass dieser neue Verwaltungs-Zusammenschluss in seiner Struktur auch eine Euskara-Abteilung aufweisen wird.
Der linke Abgeordnete von Baiona, Jean Claude Iriart, stellte hingegen fest, dass bisher noch nichts konkret geschehen ist, dass es momentan keine Pläne und Fristen gäbe, und dass es keine Verantwortlichen gäbe, die das notwendige Dossier zur Frage der Sprachen-Behörde formulieren. Iriart bestätigte allerdings, dass es einen breiten Konsens gibt in dieser Frage, die in den vergangenen Monaten mehrfach diskutiert wurde in den Workshops im Ort Hazparne. Dabei ging es um die Konzeption der neuen Behörde.
Herausforderungen
Der Abgeordnete von EH Bai (baskisch: Ja zum Baskenland, eine links-abertzale Koalition verschiedener Parteien, ähnlich EH Bildu im Süden) betonte die Notwendigkeit, von Worten zu Taten überzugehen. Er ist Vorstand der inter-kommunalen Kommission zur Förderung des Euskara. Seiner Ansicht nach steckt in der Stärkung der Sprache „ein bedeutender symbolischer Wert“, deshalb sollte die Herausforderung der Behörde von Beginn an angenommen werden. Sein Vorschlag ist, baldmöglichst mit der Redaktion eines Textes zu beginnen, in dem Ziele und Finanzierung für diesen Bereich festlegt werden. Denn über den Haushalt der neuen Behörde wird im April 2017 entschieden.
Laut Jean Claude Iriart muss der neue Gemeinde-Verbund in zwei Bereichen zugleich aktiv werden: zum einen sollen Euskara-Angebote gemacht werden; zum anderen steht die Mitarbeit im Öffentlichen Euskara-Büro auf der Tagesordnung, in dem bereits seit 10 Jahren die französische Regierung und die Regional-Regierungen von Aquitanien und Atlantische Pyrenäen zusammenarbeiten. Der Gemeinde-Verbund müsse zum Motor jenes Büros werden. Daneben fordert er, die neue Institution müsse daran arbeiten, dass der Gebrauch des Euskara in verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen normalisiert werde, die zur Kompetenz des Gemeinde-Verbunds gehören, zum Beispiel das Transportwesen und die Müllabfuhr.
Die ersten Dokumente der Institution wurden auf Französisch und Baskisch veröffentlicht, doch weiß niemand, ob Zweisprachigkeit zur Selbstverständlichkeit wird im neuen Gemeinde-Verbund, zu dem ca. 1.200 öffentlich Angestellte zählen. Wer die Sprach-Profile von Hendaia, Baiona, Baigorri oder Zuberoa miteinander vergleicht, stellt größere Unterschiede fest, die angeglichen werden müssen (französische Namen: Hendaye, Bayonne, Saint-Etienne-de-Baigorry, Soule).
Zusammenarbeit
Die Schaffung einer neuen Behörde zur Förderung des Euskara nördlich des Grenzflusses Bidasoa hat auch im baskischen Süden (Hegoalde, bask: südlicher Teil) Interesse geweckt. Mikel Irizar, Direktor für sprachliche Gleichstellung der Provinz-Regierung Gipuzkoa, bezeichnete bei einem Treffen kürzlich in Baigorri den institutionellen Wechsel, der sich in Iparralde derzeit abspielt, als „hoffnungsvoll“. Irizar bot der neuen Institution Hilfe an und stellte fest, dass die „breite Erfahrung in Gipuzkoa im Bereich Euskara dazu beitragen kann, keine Zeit und Energie zu verlieren im Nord-Baskenland“.
Von Seiten der baskischen Regierung werden gemeinsame Bemühungen ebenfalls nicht ausgeschlossen. Zum Beispiel die „Txantxangorri-Kampagne“ (bask: Rotkehlchen) für das Euskara nach Iparralde zu bringen. Der Direktor von Euskarabidea (bask: Euskara-Weg), einer Behörde der navarrischen Regierung, setzt gleichfalls auf institutionelle Zusammenarbeit. Beim Treffen in Baigorri kündigte Mikel Arregi für die nähere Zukunft gemeinsame Anstrengungen an, zusammen mit dem Öffentlichen Euskara-Büro in Baiona. Baiona und Iruñea (Pamplona) sind Partnerstädte.
Sprachen-Pluralität
Bisher haben sich keine politischen Vertreterinnen in Iparralde gegen die Förderung des Euskara ausgesprochen. Dennoch sind es bislang wenige Verwaltungen, die die derzeit möglichen Maßnahmen in die Wege leiten, um die Präsenz des Euskara in der Öffentlichkeit sicherzustellen. Im Laufe des 20. Jhs. hat die einheimische Sprache an Gewicht verloren, die Hälfte der heutigen 300.000 Einwohnerinnen von Iparralde wurde außerhalb des Baskenlandes geboren (das Gebiet wird seit Jahrzehnten als Alterssitz beworben).
Die Straßenschilder in Baiona erinnern außerdem daran, dass die Situation komplizierter ist als in anderen Territorien, denn hier leben nicht nur zwei Sprachen nebeneinander. Die Bezeichnungen auf den Schildern erscheinen auch auf Gaskognisch, eine regionale Variante des Okzitanischen, das in Baiona immerhin vier Jahrhunderte lang offizielle Sprache war. Die Gaskognische Akademie Baiona, die kürzlich ihr 90-jähriges Bestehen gefeiert hat, hat den neuen Gemeinde-Verbund bereits aufgefordert, die gaskognische Kultur und Sprache zu berücksichtigen. (2)
Die Sprecherinnen dieser gaskognischen Kultur-Organisation fordern einen Haushalts-Posten für diese Fragen, die Verkehrs-Beschilderung soll dreisprachig werden: französisch, baskisch, gaskognisch, so wie es in Baiona und Anglet bereits der Fall ist. Sie betonen, die Hälfte der Bevölkerung des neuen Gemeinde-Verbunds wohne in diesem Gebiet, in dem die Sprachen von Voltaire, Xalbador und D'Artagnan zusammen leben. Der Kandidat Jean René Etchegaray hat dazu erklärt, der Gemeinde-Verbund werde das Gaskognische respektieren. Doch momentan sei, wie in Bezug auf das Euskara, nichts schriftlich festgelegt, derzeit seien noch keine konkreten Mittel im Haushalt beschlossen.
ANMERKUNGEN:
(1) Information aus dem Artikel “Nuevo impulso para el euskara en Iparralde” (Neuer Impuls für das Euskara in Nord-Baskenland), Tageszeitung Deia 2017-01-08 (Link)
(2) Gaskognisch: Die gaskognische Sprache ist eine galloromanische Sprache, die auf dem Gebiet der historischen Provinz Gascogne im Südwesten Frankreichs sowie in der Varietät Aranesisch im Arantal im Nordwesten des spanischen Kataloniens gesprochen wird. Offiziellen Status besitzt nur das Aranesische in Katalonien. / Name und Einordnung: Der Name Gaskognisch (gascognisch und französisch gascon) ist gleicher etymologischer Herkunft wie die Bezeichnung seiner Nachbarsprache, des Baskischen (gaskognisch: basc, französisch: basque, spanisch: vasco). Es geht auf eine galloromanische Aussprache des germanischen Worts waskon zurück. / Es ist umstritten, ob Gaskognisch eine eigene Sprache oder ein Dialekt des Okzitanischen ist. Eine Mehrheit der Linguisten ist der Ansicht, dass Gaskognisch Teil des okzitanischen Sprachraumes ist; eine Minderheit vertritt die Meinung, es handele sich um eine eigene Sprache. / In jedem Fall weist das Gaskognische phonetische, syntaktische und lexikalische Eigenarten auf, die es von den anderen okzitanischen Dialekten unterscheiden. Dies wird zum Teil mit der Existenz eines aquitanischen Substrats erklärt. Das Aquitanische, das in der Gascogne vor der Romanisierung gesprochen wurde, war nach heutigem Kenntnisstand eng mit dem Baskischen verwandt. In späterer Zeit könnte zudem das Baskische als Adstrat diese Substratwirkung verstärkt haben. / Verbreitung: Das traditionelle Verbreitungsgebiet des Gaskognischen wird grob vom Hauptkamm der Pyrenäen im Süden (gegenüber dem Katalanischen und Aragonesischen), dem Flusslauf der Garonne und Gironde im Osten und Nordosten (gegenüber dem Languedokischen und dem zu den Langues d’oïl gehörenden Poitevin-Saintongeais) und dem Atlantik (Golf von Biskaya) im Westen begrenzt, während im Südwesten gegenüber dem Baskischen keine klare natürliche Grenze besteht. / Gascognisch wird in folgenden französischen Départements gesprochen: Hautes-Pyrénées; Landes; Gers; Gironde (Teile); Pyrénées-Atlantiques: Béarn sowie zweisprachig baskisch-gaskognisches Gebiet von Bayonne, Biarritz, Bidache, La Bastide-Clairence; Lot-et-Garonne (Teile); Haute-Garonne (Teile); Ariège (Teile). In Spanien ist heute nur das Arantal (Val d'Aran) in Katalonien gaskognischsprachig. Im Mittelalter waren einige der Küstenstädte der Provinz Gipuzkoa (Donostia-San Sebastián, Hondarribia, Pasaia) gaskognisch-baskisch zweisprachig, die heute spanisch-baskisch zweisprachig sind. / Die heutige Sprecherzahl des Gaskognischen auf französischem Staatsgebiet wird auf gut 500.000 geschätzt, wobei der Anteil der Sprecher an der Gesamtbevölkerung stark variiert. Am höchsten ist er in den ländlich geprägten Gebieten der Pyrenäen (35 % im Département Hautes-Pyrénées), am geringsten in den größeren Städten (3 % in der Stadt Bordeaux [gaskognisch: Bordèu]), wo das Gaskognische heute weitgehend vom Französischen verdrängt worden ist. / Laut Sprachzensus von 2001 wird das Aranesische in der Val d'Aran von 6.712 Personen (88,88 % der Bevölkerung) verstanden und von 4.700 Personen (62,24 %) gesprochen. 4.413 (58,44 %) können es lesen und 2.016 (26,69 %) schreiben. (Wikipedia)
FOTOS:
(1) Baskische Straßenschilder zeugen von Präsenz des Euskara in Iparralde (Foto Archiv Txeng)
(2) Das baskische Symbol Lauburu (Vierkopf) hat trotz Ähnlichkeit nichts mit dem Hakenkreuz zu tun (Foto Archiv Txeng)
(3) Wand einer Gaststätte in Iparralde (Foto Archiv Txeng)
(4) Festumzug in Iparralde (Foto Archiv Txeng)
(5) Häuserfassade in Ainhoa / Iparralde (Foto Archiv Txeng)