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Interview zur Euskaldunisierung

Die Zahl der Baskisch-Sprechenden im nordbaskischen Iparralde wächst. Der Universitäts-Professor Eguzki Urteaga hat ein Buch mit dem Titel „La nouvelle politique linguistique au Pays Basque“ veröffentlicht. Seit vielen Jahren beschäftigt sich der im französischen Baskenland geborene Soziologe mit soziokulturellen Themen der baskischen Gesellschaft. Seit Beginn der 2000er Jahre verfolgt der ehemalige Leiter des Komitees der baskischen Sprache (2001-2003), die Entwicklung der sozio-linguistischen Programme.

Im Gegensatz zum Süd-Baskenland (Hegoalde, Spanien) hat die baskische Sprache Euskara im Nord-Baskenland (Iparralde, Frankreich) keinen offiziellen Status. Keine Sprache außer dem Französischen ist im Staate anerkannt. Insofern gibt es keine Förderung, keine Gleichstellung, alles bleibt dem politischen Willen überlassen. Der vor zwei Jahren gegründete neue baskische Gemeindeverband macht Hoffnung.

Eguzki Urteaga arbeitet als Soziologieprofessor an der baskischen Universität auf dem Campus in Vitoria-Gasteiz. Sein Studium absolvierte er an den Universitäten in Bordeaux und Pau. Er spricht fließend Baskisch, Französisch und Spanisch. Neben dem gerade im Pariser Verlag L’Harmattan erschienenen Buch “Die neue Sprachpolitik im Baskenland“ hat er einige mehr herausgegeben und schreibt regelmäßig Artikel für die baskischen Tageszeitungen Deia, Gara und Berria. In einem Interview mit Mediabask erklärt Urteaga, das neue Buch sollte als Instrument zum besseren Verständnis der sozio-linguistischen Situation in den nordbaskischen Provinzen von Iparralde verstanden werden. Gleichzeitig beinhalte es Vorschläge zur Verbesserung der Sprachsituation. (1)

ipeus2F: Was hat Sie motiviert, dieses Buch zu schreiben?

EGUZKI URTEAGA: Im Jahr 2004 hatte ich beim gleichen Verlag “La politique linguistique au Pays Basque“ veröffentlicht, um über die Anfänge der in Iparralde begonnenen Sprachpolitik zu berichten. Das neue Buch versteht sich als dessen Fortsetzung. In der Tat stellte die Einrichtung einer “Öffentlichen Zentralstelle der Baskischen Sprache“ im französischen Baskenland im Jahr 2004 eine neue Etappe in der Sprachpolitik dar. Zunächst wurde ein umfassendes Konzept erarbeitet, später ging es um dessen Umsetzung. Diese Einrichtung ist Ausdruck des Willens der öffentlichen Behörden in Iparralde, zu einem klassischeren Schema von lokaler Verwaltung zurückzukehren. Dabei sollen die öffentlichen Verwaltungen einerseits und die in einem beratenden Ausschuss versammelten Vertreter*innen soziokultureller Einrichtungen andererseits zusammenarbeiten, um gemeinsam ihren Wunsch zu verfolgen, eine eindeutige öffentliche Politik zugunsten der Erneuerung der baskischen Sprache zu betreiben.

(Anmerkung baskultur.info: Die Zentralstelle, von der hier die Rede ist, heißt in baskischer Sprache offiziell “Euskararen Erakunde Publikoa“ und auf Spanisch “Oficina Pública de la Lengua Vasca en Iparralde“. Sie wird unter anderem von der Regierung der Autonomen Gemeinschaft Baskenland, Euskadi, finanziell unterstützt. Es handelt sich um ein gegenseitiges Abkommen, das regelmäßig erneuert wird. Der aktuelle Vertrag gilt für die Periode von 2017 bis 2022. Der gemeinsame Fonds wird zur Förderung des Unterrichts in baskischer Sprache, der Arbeit der baskischen Sprachverbände, der baskischen Medien und von Freizeitprojekten im Zusammenhang mit der baskischen Sprache eingesetzt. Von der französischen Regierung wird der Fond nicht unterstützt.)

F: Was sind die wichtigsten sichtbaren Änderungen seit damals?

EGUZKI URTEAGA: Zum einen zeigt die letzte Umfrage aus dem Jahr 2016, dass wir uns in den Bereichen Sprachkompetenz, Sprachvermittlung und Sprachpraxis einer Stabilisierung nähern, nachdem wir jahrelang einen starken Rückgang beobachten mussten. Dies ist weitgehend auf den Ausbau der zweisprachigen Unterrichtsspraxis im Schulsystem zurückzuführen. Zum einen gibt es mehr Angebote an Euskera-Intensivkursen, zum anderen wird das Verhältnis von baskischen und französischen Unterrichtsstunden immer ausgeglichener. Die Zahl der Baskisch-Angebote hat nicht aufgehört zu wachsen. In Iparralde ist mit der Gründung des Gemeindeverbands baskischer Ortschaften (2) eine besondere Institution geschaffen, die in der Lage war, wichtige Entscheidungen im Bereich der Sprachpolitik zu treffen. Mit dieser Zuständigkeit und der Anerkennung des Baskischen als eigene (staatlicherseits nicht offizielle) Sprache des Territoriums ist dieser neue Gemeindeverband auch Teil der Öffentlichen Zentralstelle der Baskischen Sprache und repräsentiert in diesem Gremium den Block der Kommunen. Dieser Zusammenschluss, in dem alle baskischen Gemeinden des Territoriums vertreten sind, hat außerdem seine finanzielle Beteiligung auf 25 % erhöht, was eine beachtliche Steigerung und Gleichstellung mit den anderen Verwaltungen bedeutet.

ipeus3F: Seit 2006 zeichnen die Behörden Bildung als Schwerpunktbereich aus. Welche Entwicklungen lassen sich feststellen?

EGUZKI URTEAGA: In den letzten Jahren hat sich das Angebot an zweisprachigem Unterricht stark ausgeweitet, vor allem im Grundschulbereich. In geringerem Maße aber auch in Haupt- und Realschulen, wobei sowohl die Zahl der Schulen, die diesen Unterricht anbieten, als auch die Anzahl der Schüler*innen gestiegen sind. Die Fortschritte sind so groß, dass das französische Bildungs-Ministerium versucht hat, sie zu bremsen, indem es die Schaffung neuer Stellen für Lehrerinnen und Lehrer an den baskischen Schulen, die sich in der Föderation Seaska zusammengeschlossen haben, begrenzte. Obwohl das Bildungs-Ministerium kürzlich seine Position durch die Vergabe neuer Stellen geändert hat, ist die Problematik der Situation noch nicht überwunden. Dazu kommt, dass die öffentlichen und privaten Schulen, die zweisprachigen Unterricht anbieten, Schwierigkeiten haben, ausgebildete Lehrkräfte zu finden, die fließend Baskisch sprechen.

(Anmerkung baskultur.info: Seaska ist eine Vereinigung privater Schulen im nördlichen Baskenland, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Bildung von Kindern in baskischer Sprache zu gewährleisten. Die erste “Ikastola“ - Ableitung des Verbs ikasi = lernen -wurde 1969 in Arrangoitze gegründet, frz: Arcangues. Im September 2019 gab es 32 Grund- und Hauptschulen sowie 4 weiterführende Schulen, verteilt auf die drei historischen Provinzen des nördlichen Baskenlandes Lapurdi, frz: Labourd, Nieder-Navarra, frz: Basse-Navarre und Zuberoa, frz: Soule. In diesen Schulen werden ca. 4000 Schülerinnen und Schüler unterrichtet.)

F: Was könnte die Lösung sein?

EGUZKI URTEAGA: Eine der Optionen wäre der Rückgriff auf junge Fachkräfte, die in Universitäten des südlichen Baskenlandes, also Euskadi und Navarra, als Lehrkräfte ausgebildet wurden. Südlich der Staatsgrenze, also im spanischen Baskenland, werden an der öffentlichen baskischen Universität UPV-EHU (Universidad del País Vasco-Euskal Herriko Unibertsitatea), an den Privaten Universitäten Deusto und Mondragon, sowie den Universitäten in Navarra, jährlich fast 2.000 Studierende für das Lehramt ausgebildet, von denen nur 800 einen mehr oder weniger dauerhaften Platz erhalten. Die zweisprachigen Schulen im nördlichen Baskenland könnten auf einen Teil dieser jungen Lehrkräfte zurückgreifen.

ipeus4F: Wie groß ist der Anteil der baskisch sprechenden Bevölkerung in Ipar Euskal Herria?

EGUZKI URTEAGA: Die letzte gemeinsame Umfrage der baskischen Regierung, der Regierung von Navarra und der öffentlichen Zentralstelle in Iparralde zeigt, dass 20,5 % der Einwohner*innen in Iparralde ab 16 Jahren zweisprachig sind und beide Sprachen im Alltag auch benutzen. Das nennen wir aktiv zweisprachig. Darüberhinaus verstehen 9,3 % baskisch, sprechen es jedoch nicht. Diese Gruppe wird als passiv zweisprachig bezeichnet. Werden alle zweisprachigen Personen (aktiv und passiv) in Betracht gezogen, so erreichen wir die Zahl 74.000, also 1.000 Personen mehr als im Jahr 2011. Da die Gesamtzahl der Bevölkerung dieses Gebiets in diesem Zeitraum auf über 308.000 Personen gestiegen ist, von denen viele aus französischen Regionen stammen und daher kein Baskisch sprechen, sinkt der Anteil der Zweisprachigen weiter, wenn auch nur leicht. Zwischen 1996 und 2016 ging der Anteil der Baskisch-Sprachigen um 5,9 % zurück, zwischen 2011 und 2016 betrug der Rückgang nur 0,9 %. Mit Blick auf diese Tendenzen wird bei der nächsten Umfrage im Jahr 2021 die Zahl der Baskisch sprechenden Personen steigen und der Anteil der Zweisprachigen an der Gesamtbevölkerung wird sich stabilisieren.

F: Vor welchen Herausforderungen steht die Sprachpolitik?

EGUZKI URTEAGA: Es ist unerlässlich, ein neues Projekt der Sprachpolitik auszuarbeiten, die erfolgten demografischen Veränderungen müssen in das bestehende Modell eingearbeitet werden. Darüber hinaus sollte die Öffentliche Zentralstelle sowohl ihre interne Organisation und Arbeitsweise als auch ihre Beziehungen zu denjenigen Sprachverbänden verbessern, die der Ansicht sind, dass es der derzeitigen Sprachpolitik an Ehrgeiz mangelt. Durch eine Reform des Falloux-Gesetzes (3) sollte den Ikastolas ein neuer rechtlicher und ordnungs-politischer Rahmen gegeben werden. Außerdem ist es notwendig, die Unterrichtseinheiten des baskischen Sprachunterrichts an öffentlichen und privaten Schulen anzupassen und die Kontinuität der schulischen Laufbahn der zweisprachigen Schüler*innen zu gewährleisten, um die Verluste, die beim Durchlaufen des Schulsystems entstehen, zu begrenzen.

Ergänzung baskultur.info: Zum Verständnis der französischen Sprachpolitik

Der Bericht, den Bernard Cerquiglini 1999 für die französische Regierung verfasste, zählt in allen Staatsgebieten Frankreichs zusammen insgesamt 75 Sprachen, die unter den Kriterien der europäischen Charta als Regional- und Minderheiten-Sprachen anerkannt werden müssten. Wenn man zunächst einmal von den Übersee-Départements und -Gebieten sowie von Immigrations-Sprachen absieht, findet man im französischen Staat in nennenswertem Umfang die folgenden Minderheitensprachen: Romanische Sprachen: Katalanisch, Korsisch, Frankoprovenzalisch, Oïl-Sprachen, Okzitanisch, Italienisch. Germanische Sprachen: Deutsch (Elsässisch und Lothringisch), Niederländisch (Flämisch). Keltische Sprachen: Bretonisch. Isolierte Sprache: Baskisch. Die nicht-französischen Oïl-Sprachen, das Okzitanische und das Franko-provenzalische sind stark vom Aussterben bedroht. Die übrigen Sprachen werden noch immer gesprochen und werden ebenfalls als bedroht angesehen.

ipeus5In den 1950er Jahren sprachen mehr als eine Million Menschen Bretonisch als Muttersprache. Die ländlichen Gebiete in der Westbretagne waren hauptsächlich noch bretonisch-sprachig. Heute sprechen noch etwa 250.000 Menschen Bretonisch, eine von sechs Personen in den genannten Gebieten, die meisten davon sind jedoch mittlerweile über 60 Jahre alt. Allerdings sind bretonische Sprache und Kultur unter jüngeren Leuten wieder stark in Mode gekommen und eine bretonische Schriftsprache konnte erfolgreich etabliert werden, weshalb es Massenmedien wie Radio und Fernsehen in dieser Sprache gibt. Die anderen Regionalsprachen folgen demselben Trend. Doch während das Elsässische und das Korsische besser widerstanden haben, ist es um das Okzitanische deutlich schlechter bestellt, es wird in den meisten Gebieten überhaupt nicht mehr gesprochen.

Genauere Informationen über den Regionalsprachen-Gebrauch wird erschwert durch die Nicht-Anerkennung dieser Sprachen und das Fehlen solcher Fragen über den Sprachgebrauch bei den regelmäßigen Volkszählungen. Frankreich ist ein nationalistischer und stark zentralistischer Staat, in dem die Regionen nur einen Bruchteil von Kompetenzen haben im Vergleich zu Deutschland. Weniger deutlich ist der Unterschied zu Spanien, wo es zumindest drei offiziell anerkannte Regional-Sprachen gibt: Baskisch, Katalanisch, Galicisch. Auch wenn die spanische Rechte alles daransetzt, den Status dieser Sprachen in Frage zu stellen. (4)

ANMERKUNGEN:

(1) Die baskische Tageszeitung Gara hat am 13.01.2020 Auszüge aus dem Inteview von Mediabask mit Eguzki Urteaga veröffentlicht. Bei den Fragen und Antworten dieses Artikels handelt es sich um eine Übersetzung aus dem Gara-Artikel. Dazu wurden von der Redaktion baskultur.info Erklärungen ergänzt zum besseren Verständnis der französischen Sprachpolitik und der Situation des Euskera in Iparralde. Sie sind entsprechend markiert.

(2) Dieser Gemeindeverband heißt auf Französisch “Communauté d’agglomération du Pays Basque“ und auf Baskisch “Euskal Hirigune Elkargoa“. Er schließt alle baskischen Städte und Gemeinden des Départements Pyrénées-Atlantiques in der Region Nouvelle-Aquitaine zu einem politischen Organ zusammen. Der Gemeindeverband wurde am 13. Juli 2016 gegründet und umfasst 158 Gemeinden. Der Verwaltungssitz befindet sich in Bayonne (baskisch: Baiona).

(3) Das Falloux-Gesetz über das öffentliche Bildungswesen, wurde im Jahr 1850 erlassen und ist nach dem damaligen Minister für öffentliche Bildung, Alfred de Falloux, benannt. Es deckt alle Aspekte der Bildung ab, mit Ausnahme der Hochschulbildung.

(4) Französische Sprachpolitik (WIKIPEDIA)

ABBILDUNGEN:

(1) Autoschild Iparralde (FAT)

(2) Schilder Iparralde (FAT)

(3) Graffiti Iparralde (FAT) (auf dem Schild steht in baskischer Sprache: “Das hier ist nicht Frankreich, das ist Euskal Herria“)

(4) Wahlplakat Iparralde (FAT)

(5) Rathaus Iparralde (FAT)

(PUBLIKATION BASKUTUR.INFO 2020-01-28)

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