espelette01
Der Siegeszug der roten Schote

Wer ins französische Baskenland reist, wird schnell feststellen, dass er oder sie eine autonome Welt mit ganz eigenem Charakter besucht. Das fängt bei der Sprache an, geht über die Traditionen und den Sport und hört beim Autokennzeichen längst nicht auf. Das französische Baskenland reizt mit tosenden Wellen an der Atlantikküste und einsamen Berglandschaften im Landesinneren. Besonders lohnenswert ist ein Besuch im Herbst. Dann steht dort eine rote Schote im Mittelpunkt: Piperrak aus Espelette.

Pfefferschoten aus dem baskischen Espelette (baskisch: Ezpeleta) gehören zu den bekannten Lebensmittel-Produkten des französischen Baskenlandes. – Die Küste zwischen dem mondänen Biarritz (baskisch: Miarritze) und der spanischen Grenze ist als Paradies für Surfer bestens eingeführt. In der Nachsaison geniesst man aber die Unaufgeregtheit von Orten wie Saint-Jean-de-Luz (baskisch: Donibane Lohizune) mit seiner charmanten, zwischen Bade- und Fischerort schwankenden Atmosphäre. Am frühen Abend leeren sich die Terrassen auf der Place Louis XIV, und man kann in Ruhe die Häuser des Sonnenkönigs und der spanischen Infantin bestaunen. Die beiden gaben sich 1660 im Ort das Jawort. Hängen bleibt der Blick an einer Fassade, vor der ein knallroter Vorhang angebracht zu sein scheint. Dass es sich dabei um Hunderte Pfefferschoten handelt, erkennt man erst, wenn man vor dem Delikatessengeschäft steht. (1)

Was hat es mit der ungewöhnlichen Deko auf sich? Die Antwort gibt eine freundliche Verkäuferin. „Die Schoten sind berühmt, aus ihnen wird das Piment d’Espelette hergestellt, das einzige Gewürz in Frankreich, das ein AOP-Label besitzt“. Die Auszeichnung besagt, dass die Pflanzen nur in einem bestimmten Gebiet angebaut und verarbeitet werden dürfen (2). Und wo liegt diese Gegend? „Nur ein paar Kilometer östlich von hier“, verrät sie lächelnd. Nach einer halben Stunde Autofahrt hat man den hübschen Ort Espelette erreicht, der sich anmutig auf grünen Pyrenäen-Ausläufern ausstreckt. Er gehört zwar nicht wie die benachbarten Dörfer Ainhoa und Sare zu den preisgekrönten schönsten Dörfern Frankreichs, ist aber mit seiner intakten Infrastruktur beispielgebend in der Region. Und das liegt vor allem an der roten Schote.
espelette02

Ramuntxo Pochelu ist einer von rund 180 Landwirten, die in Espelette und den umliegenden Weilern Pfefferschoten-Pflanzen anbauen. „Sie gehören eigentlich schon seit Jahrhunderten zu unserer Gegend. Aber ihre Bedeutung ist erst vor noch nicht allzu langer Zeit erkannt worden“, sagt der frühere Fischer, der mit Führungen, Kochschule, Shop mit eigenen Espelette-Produkten ein Pionier der Qualitäts- und Bekanntheitssteigerung ist. „Seitdem heisst das aus den Früchten der Pflanzen, den Schoten, gewonnene Gewürz nicht mehr einfach Pfeffer oder Chili, sondern trägt den Namen unseres Dorfes“ – und hat ihn zumindest in Frankreich auf die Einkaufslisten der besten Köche gebracht. Erst recht nach der Auszeichnung mit dem AOP-Label im Jahr 2002.

Reine Handarbeit

„Die Qualität des Gewürzpulvers wird jährlich von einer Jury geprüft“, erklärt Ramuntxo. Dann sitzen viele Männer mit Baskenmützen und einige Frauen an langen Tischen und schnüffeln und schmecken. Strenge Regeln gelten auch für Anbau und Ernte, beides reine Handarbeit, betont Ramuntxo. So muss etwa auf Bewässerung komplett verzichtet werden, die einjährigen Pflanzen sind dem Wetter ausgeliefert. Zudem ist eine mindestens vierzehntägige Trocknungszeit der Schoten vorgeschrieben. „Danach knicken wir den Stiel ab, um die Unversehrtheit festzustellen“. Dann folgt für drei bis fünf Tage der Aufenthalt im 50 Grad warmen Ofen. Zuletzt werden die Schoten komplett gemahlen, mit Haut, Fleisch und Kernen.

„Die Zahl der Espelette-Produzenten ist in den letzten Jahren stetig angewachsen“, weiss Ramuntxo. Das sei vor allem dem Engagement von André Darraïdou zu verdanken. Bescheiden erzählt der ehemalige Koch und heutige Hotelbesitzer über die Anfänge: „Ich habe das Gewürz in meiner Küche verwendet, damit sich die Gäste wieder an den Geschmack gewöhnten“. Dann habe er als Bürgermeister immer mehr Bauern vom Anbau überzeugen können und sei für Qualität eingetreten – bis das AOP-Siegel erkämpft war. Es ist eine Erfolgsgeschichte, die zeigt, wie die wirtschaftliche und soziale Entwicklung eines Gemeinwesens durch die Stärkung eines regionalen Produkts gefördert werden kann. Seit vielen Jahren ist Espelette in Frankreich ein Begriff, ein guter. Davon profitiert auch das Dorf.
espelette03

„Zu unserem Fest müssen Sie unbedingt wiederkommen“, rät André. Seit über zwanzig Jahren steht Espelette am letzten Oktoberwochenende im Zeichen der roten Schote. Auch die Idee zu der Fête du Piment stammt von André. „Das Fest stärkt den Zusammenhalt im Dorf und sorgt dafür, dass Menschen von weiter her zu uns kommen“, freut sich der Senior. Der Zuspruch ist riesig. Spezialitäten-Stände soweit das Auge reicht: alles aus der Region.

Grosse Anteilnahme

Auf dem Fronton (3), den es in Espelette wie in jedem baskischen Dorf gibt, wird das Squash-verwandte Pelota – in diesem Fall mit blossen Händen – gespielt. Es werden baskische Lieder und Tänze aufgeführt, unter grosser Anteilnahme. Man sitzt zusammen, isst und trinkt Wein aus der Region. Das baskische Irouléguy (4) ist das wahrscheinlich kleinste Weinbaugebiet in Frankreich mit gerade mal 13 Winzerbetrieben. Aber auch deren Zahl wächst.

Die Hauptdarstellerin, die Espelette-Schote, tritt in verschiedenen Rollen auf: zu Girlanden gebunden schmückt sie die Hauswände, an die man sie früher zum Trocknen aufgehängt hatte. An den Ständen kann man sie in vielen Verarbeitungsformen kosten – vom reinen Pulver über Pasten und Senf bis zu Konfitüre und Schokolade. An seinem Stand muss Ramuntxo immer wieder erklären, dass das Gewürz nicht extrem scharf sei, aber breite Geschmacksnuancen entfalte.

Grosser Regionalstolz

Am Festsonntag wird der Schote sogar ein Gottesdienst gewidmet, bei dem ihr zahlreiche Bruderschaften aus der Nachbarschaft in bunten Gewändern und Kopfbedeckungen die Ehre erweisen. Hier werden keine steifen Traditionen gepflegt, sondern lebendige Folklore – und das alles andere als bierernst. Und die baskischen Fahnen und Symbole, denen man überall begegnet? Sie sind ganz selbstverständlicher Ausdruck eines grossen Selbstbewusstseins und Regionalstolzes.
espelette04

Tipps und Infos

Infos: Tourismus Saint-Jean-de-Luz; Tourismus Espelette; Tourismus Aquitanien. Atout France, Französische Zentrale für Tourismus: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Übernachten: La Réserve, 4-Sterne-Hotel mit sehr gutem Restaurant an der Steilküste von Saint-Jean-de-Luz. Euzkadi, 3-Stern-Hotel mit gutem Restaurant und baskischem Flair mitten in Espelette. Piment d’Espelette: Atelier du Piment: auf der Strasse Elizaldeko Bidea in Espelette (mit Lehrgarten und Shop). Fête du Piment: In diesem Jahr wird das grosse Fest in Espelette am 29. und 30. Oktober gefeiert. Weinbau: Weingut Bordaxuria in Ispoure im Irouléguy-Gebiet, Verkostung von trockenen Bioweinen in guter Qualität. Wandern: Als Ausgangspunkt für diverse Wanderungen in die Pyrenäen empfiehlt sich der alte Pilgerort St.-Jean-Pied-de-Port.

ANMERKUNGEN:

(1) Artikel Langenthaler Tagblatt, der Text wurde in der Reihenfolge der Absätze geringsfügig verändert, es wurden Ergänzungen und Fußnoten eingefügt, die Einführung ist von der Redaktion Baskultur (Link)

(2) AOP - im Südbaskenland DOC, Denominación de Origen Calificada - sind Qualitäts-Siegel für Lebensmittel; garantierte Herkunfts-Bezeichnungen für Wein, Käse, Fleischwaren oder Gemüse

(3) Frontón: Spielort des baskischen Pelota-Spiels, bestehend aus zwei Wänden, vorne und links, im französischen Baskenland nur aus einer Frontwand

(4) Artikel über die Weinkooperative Iroulegy bei Baskultur.info (Link)

FOTOS:

(1) Espelette Pfefferschoten (bipia.com)

(2) Espelette Häuserfassade (langenthalertagblatt.ch)

(3) Espelette, Ramuntxo Pochelu (latimes.com)

(4) Espelette Pfefferschoten (thehotpepper.com)

Für den Betrieb unserer Webseite benutzen wir Cookies. Wenn Sie unsere Dienstleistungen in Anspruch nehmen, akzeptieren Sie unseren Einsatz von Cookies. Mehr Information