toure001Die Krimi-Saga von San Francisco

Um seine Krimi-Serie über den afrikanischen Detektiv Touré zu schreiben, begab sich der Schriftsteller Jon Arretxe in die Höhle des Löwen. Er zog in den Arbeiter- und Migranten-Stadtteil San Francisco, im Süden von Bilbao. Dorthin, wo sonst nur die Ärmsten der Armen leben und Migrant*innen immer mehr werden, weil es sonstwo keine billigen Wohnungen gibt. Seine Krimis sollten authentisches Flair haben, so Arretxes Motivation. Jetzt wird die Serie sogar verfilmt – am Original-Schauplatz, versteht sich.

Jon Arretxe (Basauri, 1963) studierte in Bilbo Philologie und dissertierte über die baskische Sprache. Später arbeitete er als Lehrer an der Universität, bevor er sich dem Schreiben widmete. Seine Krimi-Serie über den afrikanischen Detektiv Touré ist in Bilbo zum Bestseller geworden.

Jon Arretxe war schon alles Mögliche: Reisender, Opernsänger und Hochschullehrer…  vor allem aber ist er Schriftsteller. Touré, der afrikanische Detektiv, Protagonist seiner literarischen Krimi-Saga, ist gerade mit seinem neunten Fall beschäftigt. “Tiempos para la Lyrica“ - “Zeit für Lyrik“ heißt der vielleicht letzte Teil seiner Serie, der soeben erschienen ist. Dazu hat Jon Arretxe die Ehre, dass seine Krimis nun sogar auf die Leinwand gebracht werden. Der erste Dreh fand vor kurzem im Viertel San Francisco statt. Und wenn von San Francisco die Rede ist, dann ist selbstverständlich nicht die Hippiestadt in den USA gemeint, sondern die “Barrios altos“ von Bilbao.

Von der Uni an die Schreibmaschine

toure002Ein sicherer Arbeitsplatz, ein Acht-Stunden-Tag, ein festes Gehalt – Jon Arretxe, der Schriftsteller aus Basauri-Bizkaia, war noch nie von der Vorstellung begeistert, bequem zu leben und sich anzupassen. Deshalb klammert er sich an die Literatur, die ihm die Ungewissheit und die Aufregung gibt, zu wissen oder besser gesagt: nicht zu wissen, was mit jedem neuen Buch passieren wird. Er hat nicht mehr gezählt, wie viele er veröffentlicht hat – sicher mehr als dreißig – aber er erinnert sich an einige, die entscheidend waren: das Reisetagebuch “Tubabu“, mit dem alles begann, “Ostiralak“ (Freitage), seine Hooligan-Studenten-Geschichten, die zu einem unerwarteten Bestseller wurden. Das war der Auslöser, dass er im Jahr 2000 seinen Job als Universitäts-Professor aufgab und sich ausschließlich dem Schreiben widmete. "Ich lebe seit einem Jahrhundert von der Literatur", scherzt e manchmal. Oder “19 Kameras“, der erste Teil der Serie mit Touré, dem Detektiv aus Burkina Faso, dessen Abenteuer nach acht literarischen Fortsetzungen nun auf die Leinwand gebracht werden. Nun hat Jon Arretxe den neunten Roman der Saga hinzufügt.

Filmstar Touré

Im Mittelpunkt der Filmserie steht Detektiv Touré, der Protagonist in Arretxes Büchern, die Dreharbeiten begannen am 5. Juni im Viertel San Francisco von Bilbao, dem natürlichen Revier des burkinischen Ermittlers. Jon Arretxe schreibt und veröffentlicht seine Krimis im Original auf Baskisch, seiner Muttersprache, später wurden sie teilweise ins Spanische übersetzt. Als Schöpfer von Touré ist er "überglücklich" über die Verfilmung seiner Werke, die es ihm ermöglicht hat, den Kaugummi noch zu strecken, um sich noch eine Weile auf dem literarischen Parkett zu halten. Dank einer Geldspritze, wie er sagt, aber auch dank einer Portion Freude und Animation.

Arretxe erfand die Figur des Detektivs Touré auf Anraten einiger Schriftsteller-Kollegen, die ihn ermutigten, eine Saga zu schreiben. "Ich hatte bereits Kriminalromane geschrieben, aber dabei habe ich niemand am Leben gelassen. Ich wollte etwas Originelles, etwas anderes schreiben, einen Protagonisten, der mehr als einen Roman überdauert – nicht der typische weiße Polizist oder Ex-Polizist mit Alkohol-Problemen. So entstand Touré, ein afrikanischer Einwanderer. Zu Beginn wusste ich nicht wirklich, wie es dazu kam, jetzt weiß ich es".

Afrika ist überall

Lange Zeit glaubte Arretxe, dass Tourés Ursprung auf seine Reisen durch Afrika zurückzuführen sei und auf die Bewunderung und Zuneigung, die er für diesen Kontinent und seine Menschen empfindet. Aber ein Gespräch mit seiner Psychosomatologin machte ihm klar, dass der Grund in Wirklichkeit viel näher liegt: "Mein Sohn ist schwarz", sagt er. Mein Sohn ist schwarz", stellt er fest, "und jetzt weiß ich, dass das der Grund ist. Mir ist auch klar geworden, dass sich meine Romane verändert haben. Ich begann mit der Idee, mit Spaß zu schreiben, eine Handlung, die fesselt. Doch mittlerweile hat die soziale Komponente an Gewicht gewonnen. Im Grunde genommen wollte Menschen verteidigen, die so sind wie mein Sohn, das war mir vorher nicht bewusst. Mein Sohn ist jetzt siebzehn, und bis jetzt war er ein Junge aus Arbizu, ein Baske, nur einer von vielen. Aber jetzt hat er begonnen, im Ausland zu studieren, und leider wird er sich für viele Leute in einen verdammten Nigger verwandeln", beklagt der Schriftsteller.

Verfallsdatum

Auf die Frage, ob Touré ein Verfallsdatum hat, sagt er: "Wenn ich genug von ihm habe, lasse ich ihn sterben", fügt dann aber hinzu: "Aber dann wird womöglich jemand mich umbringen, denn ich merke, dass dieser Touré den Leuten ans Herz gewachsen ist, und mir auch, obwohl ich ihn viel leiden lasse. Manchmal schimpfen die Leute deshalb mit mir, aber ich sage ihnen, dass dies ein Krimi ist, keine heile Welt. Und dass für Leute wie Touré das Leben so ist wie ich es beschreibe, sie sind geborene Überlebenskünstler, für die zwanzig Euro eine Leistung sind, mit denen sie Wunder vollbringen. Ich zeige die Realität in ihrer ganzen Brutalität. Auf jeden Fall hoffe ich, dass es noch lange dauert, bis mir die Figur langweilig wird, ich denke, sie wird noch eine ganze Zeit lang überleben". Es gibt also noch viel zu erfahren über Touré, und zwar auf zwei verschiedenen Wegen: in Büchern und demnächst auch auf dem Bildschirm.

Ständig unterwegs

toure003Das Reisen hat in Arretxes literarischer Laufbahn ohnehin eine wichtige Rolle gespielt. Bevor er Schriftsteller wurde, war er ein Reisender. "Ich begann zu reisen, als ich noch keine zwanzig war, als ich in Deusto baskische Philologie studierte, wo ich dann auch begann, als Baskisch-Lehrer zu arbeiten und etwas Geld zu verdienen. Damals habe ich nicht geschrieben, aber natürlich gelesen, auch wenn das kein großes Hobby war. Aber schließlich sammelten sich so viele Geschichten in meinem Kopf an, dass sie irgendwo veröffentlicht werden mussten.

Das wichtigste Buch war “Tubabu“. Als ich es schrieb, war ich bereits seit etwa zehn Jahren auf Reisen. Es waren keine sehr langen Reisen, ein Monat lang, in den Ferien. Dann kam der Moment, in dem mich die Arbeit nicht mehr ausfüllte. Also kündigte ich meinen Job, nahm mein Fahrrad und beschloss, die Sahara zu durchqueren. Ich fuhr durch Marokko, Mali, Senegal. Es waren drei Monate, in denen mir alles Mögliche passierte, ich hatte das Gefühl, dass ich davon erzählen müsste und schrieb ein Reisetagebuch. Ich bewarb mich damit um einen Preis, das erste Igartza-Stipendium, und ich gewann ihn. Das Buch war ziemlich erfolgreich, denn damals gab es kaum Reiseromane in baskischer Sprache. Obwohl wir Basken ziemlich viel gereist sind. "Wenn es dieses Buch und diesen Preis nicht gegeben hätte, wäre ich jetzt sicher kein Schriftsteller", gesteht Jon Arretxe.

Revolution in San Francisco

Aber jenseits seiner literarischen Glücksfälle ist Arretxe ein Arbeiter der Erzählung: Unermüdlich und allgegenwärtig bereist er Festivals, Buchmessen, Bildungszentren, er verwöhnt seine Leser*innen oder potenziellen Leser*innen, er betrachtet alle als kleinen Schatz. Und mit der Fernsehadaption von Touré hofft er, weitere Anhänger*innen zu gewinnen.

Obwohl er sich bewusst ist, dass Literatur und Kino unterschiedliche Medien sind und dass eine Verfilmung gewisse Freiheiten braucht, ist er erleichtert zu wissen, dass bestimmte rote Linien nicht überschritten wurden. Eine davon ist die Erhaltung von Tourés natürlichem Lebensraum, dem Viertel von San Francisco, das in diesen Tagen die Verfilmung von Detektiv Touré erlebt.

Zunächst einmal in sechs Episoden. Sicher ein wichtiges Ereignis für einen Stadtteil, der das niedrigste Pro-Kopf-Einkommen Bilbaos aufweist, und dessen Bewohner*innen die niedrigste Lebenserwartung zugeschrieben wird. Ein Barrio, das vor hundert Jahren die Formierung der baskischen Arbeiterbewegung erlebte, nachdem Zehntausende zur Arbeit in den Eisenerz-Bergwerken eingewandert waren und begannen, für ihre Rechte zu kämpfen. Der Stadtteil, der vor hundert Jahren die feurigen Reden einer jungen Kommunistin aus dem Bergbauort Gallarta erlebte, Dolores Ibarruri, genannt La Pasionaria, die ihre Zuhörer auf Generalstreik einstimmte. Ein Barrio, das heute mit Airbnb immer mehr zum billigen Touristen-Schlafplatz wird und auf diesem Weg Wohnungen verliert, die neu ankommende Tourés aus Mali, Senegal oder Tunesien dringend brauchen könnten.

Genug Arbeit wird Jon Arretxe auch neben der Schriftstellerei immer haben. Er studierte nämlich auch noch Klavier und Gesang an den Konservatorien von Bilbo und Gasteiz. Er schreibt nicht nur, sondern hält auch Vorträge über seine Reisen und seine Bücher. Gelegentlich tritt er auch als Opernsänger auf, in Chören oder als Solist. Dieser multifunktionale Mensch lebt mittlerweile in Arbizu, im Sakana-Tal im westlichen Nafarroa, mitten im Dreieck zwischen Vitoria-Gasteiz, Iruñea-Pamplona und Donostia, spanisch: San Sebastian.

ANMERKUNGEN:

(1) “Jon Arretxe: Si me canso del detective Touré lo mato, pero noto que la gente le ha cogido cariño” (Jon Arretxe: Wenn mir der Detektiv Touré langweilig wird, dann lasse ich ihn sterben, aber ich merke, wie die Leute ihn lieb gewonnen haben) Tageszeitung Deia, 2023-08-06 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Touré Krimi-Saga (literafricas)

(2) Jon Arretxe (erein)

(3) Jon Arretxe (deia)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-08-09)

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